Ansprüche an Bildung stellen: Dinge, die wir gelernt haben...

Das Ausstellungsprojekt 2 or 3 things, we´ve learned exploriert mit einer subjektiven Sammlung und diskursiven wie performativen Interventionen die Ansprüche, die Kunst, Bildung und soziale Protestbewegungen aneinander stellen. Fragen von Raum, Bild und Kollektivität sind zentral. Die Suche gilt eruptiven Momenten und den Folgen von intervenierender verändernder Dauer/andauernder Veränderung.

0:00:04 In den Gesprächen haben Verbindungen immer eine große Rolle gespielt. Verbindungslinien, Konflikte und Widersprüche zwischen Kunst, Pädagogik und sozialen Protestbewegungen. Damit sind die universitären Protestbewegungen des letzten Jahres gemeint, aber auch soziale Bewegungen, welche Ansprüche an andere Formen von Bildung stellen. Unsere Recherche ist ein gemeinsames Abwandern entlang dieser durchaus konfliktuösen Verbindungslinien. Orte des Lehrens und Lernens verändern sich, wenn man aus der Perspektive eines protestierenden Aktivismus nachzudenken, zu begehren und zu fordern beginnt.

0:02:29,7 Es hat uns interessiert welche Projekte und Diskurse sich konkret mit Bildungssystemen befassen, Bildungskritik üben oder in Mainstream-Bildungskontexte intervenieren. Welche Ansätze gibt es, die versuchen Bildung anders zu denken oder die Alternativen und Selbstorganisationen vorschlagen? Welche Projekte haben Lehren und Lernen zum Thema? Hinzu kam die Kritik durch die Protestbewegung und die erruptiven Momente, welche an den Universitäten während der Besetzungen erzeugt wurden. Situationen, die Verschiedenes ermöglicht haben, eine extraordinäre Situation, andere Arten von Lerntätigkeit und die Verschiebung pädagogischer Verhältnisse.

0:05:18,6 Im Zuge der Proteste im letzten Herbst zeigte sich einerseits eine beeindruckende kollektive Handlungsmacht, indem beispielsweise 50.000 Leute am gleichen Abend auf die Straße gingen und demonstrierten oder bis zu 40 Universitäten in ganz Europa gleichzeitig besetzt wurden. Andererseits stellte sich daraufhin eine Normalisierung ein. Wir haben uns gefragt, wie aus solch einer Intensität von Politisierung, Kollektivität, Debatte und Gegenrealität eine andere Dauer erzeugt werden kann? Wie können eruptive Lerntätigkeiten und Verschiebungen in geänderte andauernde Verhältnisse übersetzt werden? Der Titel des Ausstellungsprojekts ist also nicht im Sinne einer Lektion zu verstehen, sondern im Sinne eines Problematisierens an der Schnittstelle von künstlerischer Produktion, kritischer Pädagogik und Protestbewegungen.

Nach der Politisierung, die Studierende und Lehrende durch die Proteste erfahren haben, kamen auch Momente der De-euphorisierung: Was ist eigentlich geblieben? Was hat man wirklich verrückt? Es sind nicht tausende von Dingen, die bleiben, sondern nur einige wenige, die wichtig sind. Der Titel steht für eine bestimmte Ernüchterung. Es ist ein Moment des Innehaltens und Reflektierens, eine zwischenzeitliche Bestandsaufnahme in einer Verschränkung mit anderen extraordinären Situationen, die über diese aktuelle Streiksituation und Protestbewegung hinausgehen.

0:07:26 Das Projekt geht der Perspektive des Protests nach und funktioniert als eine Art Sammlung in mehrfacher Weise. Der Ausstellungsraum wird zum Ort, an dem Objekte, Artefakte, Fotografien, Videos, Prozesse, Workshops und Gespräche einander treffen und sich versammeln. Künstlerische Arbeiten und Objekte treffen die Widersprüchlichkeiten der Debatten. Insofern versuchen wir, einen Raum für weitere Auseinandersetzungen zu öffnen, aber auch eine Art wachsende, subjektive Sammlung anzulegen, welche wiederum künstlerische Projekte und Prozesse der Bildungskritik und unterschiedliche Materialien versammelt und dokumentiert.

[0:09:07.2] Diese subjektive Sammlung ist nicht im klassischen Sinne ein Archiv oder eine abgeschlossene Dokumentation, sondern eine (Bildungs-)methode. Es ist eine Versammlung kollektiver Praxen, bzw. mit dem Kollektiv arbeitender Praxen. Die Frage, was ein Kollektiv sein kann oder wie Kollektivität sich organisiert, stellt sich als ungelöstes Begehren. Das Format des Ausstellens, welches wir zu erzeugen versuchen, ist wiederum ein Raum, in dem sich Kollektivitäten begegnen: Einerseits durch Gesammeltes, in den künstlerischen Arbeiten, in den Artefakten, andererseits in den verschiedenen Stimmen und Positionen.

[0:15:03.1] Die verschiedenen thematischen Stränge können wie folgt beschrieben werden: Erstens, die prinzipielle Verbindung zwischen den beiden Bereichen Bildung und Kunst sowie Interferenzen, Interventionen und Transfers innerhalb dessen. Das Projekt Hidden Curriculum, zum Beispiel, setzt sich mit dem versteckten Lehrplan innerhalb von Bildungsinstitutionen auseinander. Damit sind Rituale und habituell eingeübte Mechanismen, Regeln und Normen gemeint, welche als verdeckte Agenda in Schulen, Universitäten etc. mitvermittelt werden. In Zusammenarbeit mit SchülerInnen dreier Schulen fragt Anette Krauss gerade nach diesen eingeübten und nicht offiziellen Mechanismen und interveniert darin. Auch das Kunstfeld ist im Prinzip ein System mit kodierten Mechanismen, Umgangsformen und Ritualen, einem Sozialisationsprozess vergleichbar. In der Arbeit von Rainer Ganahl werden Räume der Kunst verwendet, um Lesekreise abzuhalten bzw. die Ressourcen und Infrastruktur bereitzustellen. Texte von Karl Marx, Antonio Gramsci, Rosa Luxemburg und Frantz Fanon werden dabei im Kollektiv im White Cube der Galerie oder in einer Limousine während der Kunstmesse gelesen. Welche Rolle spielt der jeweilige Kontext für die Lektüre und wie werden dabei Kollektivitäten und Situationen erzeugt?

[0:20:54.5] Der zweite thematischen Strang führt zu künstlerischen Arbeiten, aber auch Materialien, die sich mit Momenten von Bildungsprotestbewegungen in der Vergangenheit befassen. Welches sind die historischen Kämpfe um Bildung, und welches sind die Diskurse, die geführt worden sind, zu anderen Zeiten, an anderen Orten? Welche Dinge wurden dabei gelernt bzw. verlernt und wo könnte man heute anknüpfen und im Sinne einer genealogischen Praxis das Wissen der Kämpfe für gegenwärtige Auseinandersetzungen nutzbar machen. Die Projekte stellen die Frage: Wessen Geschichte ist geschrieben und wessen Geschichte nicht? Was ist das, was bleibt? Es geht um die Konstruktion anderer historischer Verläufe, im Zeigen einer Geschichte der Kontinuitäten und Diskontinuitäten von Protestbewegungen. Eine Kontinuität, die ihre Brüche in sich trägt, aber Spuren hinterlässt...

In der Arbeit von Heidrun Holzfeind sind AkteurInnen in Mexiko, die im Jahr 1968 die UNAM besetzt hielten, befragt worden. Die ehemaligen Studierenden der Universität Mexiko formulierten ein Programm gegen die herrschende Repression und riefen zu Streik und Besetzung auf. In den Interviews betonen sie die Bedeutung der Bewegung für die mexikanische Gesellschaft, Politik und Kultur. Sabine Bitter / Helmut Weber untersuchten das Archivmaterial aus den 1960er Jahren an der Simon Fraser Universität in Vancouver und zeigen in der Serie Events Are Always Original durch die Auseinandersetzung mit jenen fotografischen Aufnahmen, die am Tag nach dem Ende der Proteste gemacht wurden, wie diese Dokumente auch als Archiv der Bewegungen, auch als Archiv der Spuren der Produktion des Raums im Sinne von Henri Lefebvre wahrgenommen werden können. Die Wendung das Archivmaterials im doppelten Sinne, in die Gegenwart und gegen die ursprüngliche Intention einer Schadensinventarisierung, zeigt, wie in der historischen fotografischen Dokumentation, die ursprünglich nicht aus der Perspektive der Protestierenden und Besetzenden erfolgt war, durch die künstlerische Intervention das Verhältnis zwischen physischem, sozialem und politischem Raum neu aufgebrochen werden kann. Die Geschichte der Bildungsreformen seit den 1960er Jahren bis heute wie auch die Kritiktradition an universitären Wissensräumen haben Marion von Osten sowie Studierende und Lehrende der Universität Lüneburg im Rahmen des Projekts reformpause! recherchiert. Die Zeitung des Projektes diskutiert, wie derzeit Universitäten reformiert werden sollen und auf welchen historischen Traditionen diese Argumentationen beruhen. Marijan Crtalic untersucht die gegenwärtige Bedeutung, Rezeption und Präsenz jener Skulpturen, die im Rahmen des betrieblichen Bildungsprogramms der Stahlfabrik im kroatischen Sisak in der dortigen Arbeiterwohnsiedlung realisiert wurden. Die Prozesse, die Crtalic künstlerisch dokumentiert, legen Zeugnis ab von der über 40jährigen Entstehungszeit dieser Bildungs-Skulpturen.

[0:33:11.5] Im Verhältnis zu diesen historischen und dokumentarischen Arbeiten, operieren andere Projekte, die wir als dritten thematischen Strang begreifen, in einer fiktiven oder halbfiktiven/dokufiktionalen Form. Die O.T.K. Crumpers Tänzer in den Zeichnungen von Petja Dimitrova fordern gewaltfreie Bildung und Selbstbestimmung statt Integration ein und verbinden postkoloniale Theoriepositionen mit einer Praxis anderer Bilderzeugung, aber auch konkret verortbarer Raumbesetzung in Wien, in Ottakring. Die Factory of Escape der Copenhagen Free University probt die Kritik an der neoliberalen Bildungsmaschine auch mit einer Bildproduktion eines visuell-räumlichen Streiks. Die zu bildenden Subjekte (haben in der Factory of Escape,) haben aus der Factory of Escape das Entkommen gelernt. Theorie und Performance verbindend inter-reagieren und intervenieren Dolce&Afghaner in reale Situationen von Demonstrationen oder Raumbesetzungen und eröffnen innerhalb dieser Protest-Ausnahme-Situationen wiederum neue fiktive Situationen durch reale Kritik und Forderungen.

Viertens kommen wir zu der Frage: Was sind die hoffnungsvollen, anderen Formen von Bildung/ Lernen oder Lerntätigkeit? Wie können eruptive Protest- und Lerntätigkeiten bzw. Settings in veränderte Verhältnisse transformiert werden. Wie kann die Unruhe des Denkens für Bewegung genutzt und kollektive Involviertheiten erzeugt werden, die andauern? Was könnte queere Bildung sein? Aktivistische, emanzipatorische und queere Praxen von Bildung setzen ein Potenzial frei, das etwas in Gang setzt und wiederum Forderungen produziert.

[0:41:12.8] Während des Bologna Gegen-Gipfels im März am Wiener Unicampus nahmen wir an einem Workshop teil, der sich mit den feministisch/queeren Ansprüchen an Bildung beschäftigte und Sexismus innerhalb der Bildungsprotestbewegung thematisierte und von Studierenden (teilweise der Gruppe Kollektive Involviertheiten) organisiert wurde. Den Erzählungen über die Räume und dem Sprechen innerhalb der Besetzungen folgend, hatten wir den Eindruck, dass Geschlechtergerechtigkeit im Kontext von Bildungssituationen noch immer nicht selbstverständlich ist. Die Geschichte der feministischen Bewegungen ist eine diskontinuierliche. Das Schaffen von Kontinuitäten, Räumen und Interventionen oder beispielsweise „Frauenbewegungen für alle“ ist die Praxis der Gruppe Kollektive Involviertheiten (Moslam, Pfingstl, Wagner, Weissman, Schasiepen), die im Rahmen des Ausstellungsprojekts queer-feministischer Bildungskonzepte diskutieren, erproben, improvisieren und daran weiterarbeiten.

[0:45:38.2] Neben der Frage nach der Organisation von Kollektivität ist auch die Ebene der Interventionen und Verschiebungen etwas, was alle diese Projekte gemeinsam haben. Sie lösen etwas aus. Die Arbeiten in der Ausstellung und in der Sammlung erzeugen andere Arten von Bildern und Visualitäten bzw. die Freisetzung von Imaginationen, wie sozusagen Lerntätigkeit und Bildung anders zu fassen ist und dass Verschiebungen gerade auch in eigentlich besetzten/belegten/vorgeformten Räumen von Bildung oder Bildungskontexten möglich sind. Bollwerk wird aus den Fragen des Ausstellungsprojekts heraus den Blog http://www.ooooo.be/2or3thingswevelearned als sich erweiternden Raum für kommende Debatten, Auseinandersetzungen, Verschiebungen, Interventionen, Widersprüchlichkeiten eröffnen.

Raum bildet, Raum wird gebildet, Raum bildet mit. Die soziale Produktion des Raums, von der Lefebvre spricht, lässt sich mit dem Raum als drittem Erzieher weiter denken. Wer bildet mit? Was bildet sich? Als Frage gestellt: Wir gehen an der ehemalig besetzten Aula der Akademie der bildenden Künste vorbei. Wie nehmen wir diesen Raum war? Sehen wir ihn besetzt von diesen Körpern, den Einschreibungen, der Flüchtigkeit? Die freigesetzte Imagination durch Bilder, bringt uns wieder zurück zu dem Verhältnis zwischen Moment und Dauer… Während zuvor die Aula nicht Ort des selbstorganiserten Intervenierens, Aufhaltens oder Veranstaltens imaginiert oder assoziert wurde, hat sich dies seit den Besetzungen geändert. Es ist nunmehr ein Ort, der mehrere Möglichkeiten hat. So etwas passierte mit vielen Räumen. Das ist eine wesentliche Veränderung. Weiters wurden durch die Proteste Strukturen entwickelt, Netzwerke und Zeitschriften gegründet, politisches Bewusstsein gebildet. Dennoch sind diese Veränderungen, die erkämpft worden sind, seien es geschaffene Räume oder politische Strukturen und Projekte, zumeist fragil und prekär und müssen ständig legitimiert und behauptet werden. Andere Räume, studentische Freiräume, ehemalig besetzte Orte werden an Feiertagen oder in den Ferien, wo mit wenig Widerstand zu rechnen ist, geräumt. Seit Anfang Juli sind Studierende aufgrund unverhältnismäßiger Beschuldigungen in Haft! Eine Farce. Kann man da zufrieden sein?

 

2 or 3 Things, we´ve learned – Intersections of Art, Pedagogy and Protest

hosting an exhibition, a collection, a conference, lectures, workshops, a reading circle and a party. 15. September bis 29. Oktober 2010. Eröffnung: Donnerstag, 14. September, 19h. Kuratiert von Eva Egermann & Elke Krasny. Exhibition Blog: http://www.ooooo.be/2or3thingswevelearned

Dieser Text erscheint in Bildpunkt. Zeitschrift der IG Bildende Kunst, Wien, Herbst 2010, „umfunktionieren lernen“.