Kämpfe um Grundversorgung im Post-Apartheid-Südafrika

Die Geschichte von den ganz normalen SüdafrikanerInnen, die sich angesichts der drastischen Auswirkungen der neoliberalen Politik in neuen sozialen Bewegungen zusammengefunden haben, um Widerstand zu leisten und Alternativen einzufordern, wurde in den letzten Jahren schon oft erzählt. Und tatsächlich ist diese Geschichte wichtig. So wichtig, dass sie immer wieder erzählt werden muss, denn nur so verblassen die vom ANC verbreiteten Mythen über die „Versöhnung in der Regenbogen-Nation“ und des „Wachstums für alle“. Der Protest einer Community im vorwiegend von SüdafrikanerInnen indischer Herkunft bewohnten Chatsworth-Township in Durban war vor neun Jahren die Initialzündung für eine ganze Reihe von Kämpfen. Heute ist ein weitaus tieferes Wissen über die Natur dieser Kämpfe, ihre internen Dynamiken, Strömungen und Spaltungen in den Bewegungen vorhanden. 

Mit dem wiederholten Erzählen der Geschichten des Widerstands wurde gleichsam ein eigener „Kanon der neuen sozialen Bewegungen“ geschaffen. In dieser literarischen Hierarchie sind bestimmte Bewegungen zu einer gewissen Prominenz gelangt und manche Aktionsformen und Bewegungsnarrative überragen die anderen in ihrer Beliebtheit. In aller Regel wurde aber eher von Außenstehenden über die Bewegungen geschrieben als von den AkteurInnen in den Bewegungen selbst. Vieles davon spiegelt daher eher die politisch-akademischen Überzeugungen der jeweiligen AutorInnen wider, als die Ideen, die innerhalb der Bewegungen entwickelt wurden. Allzu oft wurden die in den Bewegungen geführten theoretischen Auseinandersetzungen ignoriert und im Zuge der Produktion einer scheinbaren Homogenität eingeebnet, um bestimmte Überzeugungen und Theorien weiterhin aufrechterhalten zu können.

Dieser Artikel stammt von einer Aktivistin aus einer Organisation, die im oben genannten Kanon zu einiger Berühmtheit gelangt ist: dem Anti-Privatisation Forum (APF). Der Beitrag möchte zum einen die Geschichte anhand der Debatten und Auseinandersetzungen innerhalb der Bewegung neu erzählen, zum anderen über die Kämpfe berichten, die diese Bewegung in den letzten acht Jahren ausgefochten hat – ohne die heterogene Zusammensetzung zu unterschlagen, die diese Bewegung kennzeichnet.


(Über-)Lebenskämpfe

In vielen Texten werden die neuen sozialen Bewegungen in Südafrika als „problembezogen“ charakterisiert, da sie unmittelbar aus den „Überlebensbedürfnissen“ der Einzelnen und der Communities entstanden seien. Natürlich beeinflussen die Überlebensbedingungen, denen die armen Communities ausgesetzt sind, entscheidend die Entstehung von Bewegungen, die diese Bedingungen in Frage stellen. Andererseits ist es aber gerade auch die Forderung, die eigenen Lebensverhältnisse selbst bestimmen zu können (was viel mehr umfasst als die bloße Sicherung der Überlebensgrundlagen), die dazu geführt hat, dass Bewegungen entstanden und gewachsen sind.

Wie die Erfahrung lehrt, erheben sich längst nicht alle Menschen, die hungern oder leiden, um für eine Verbesserung ihrer Situation zu kämpfen. Das alleine zeigt, dass es Bezüge und Ideen gibt, die von Akteuren hergestellt und aufgegriffen werden. Die daraus resultierenden Bewegungen und Massenaktionen können keinesfalls nur als „reflexartig” oder „spontan“ klassifiziert werden.

Die Aktionen der Bewegungen müssen vielmehr aus den konkreten Lebensvorstellungen ihrer einzelnen Mitglieder verstanden werden. Innerhalb dieses eher allgemeinen Verständnisses spielen insbesondere die jeweiligen sozialen Positionen, Beziehungen zu anderen und Institutionen wie dem Staat eine wichtige Rolle. In Südafrika blicken viele, die in den neuen sozialen Bewegungen aktiv sind, auf eine lange persönliche Geschichte in den verschiedenen Segmenten der Befreiungsbewegung zurück. Ihre Vorstellungen, ihre Ideen von einem „besseren Leben“ wurden wesentlich vom Kampf gegen die Apartheid geprägt. Ihre Beteiligung an den Bewegungen von heute ist – auch wenn vieles daran in mancher Hinsicht neu sein mag – eine Fortsetzung ihres „alten“ Engagements.

Der Gedanke, der Staat solle allen SüdafrikanerInnen einen „angemessenen“ Lebensstandard garantieren, wurde schon durch die Anti-Apartheid-Bewegung artikuliert – in Dokumenten wie der Freedom Charter und in Kämpfen wie den Mietboykotten der 1980er und 1990er Jahre. Es ist genau diese in der Befreiungsbewegung propagierte Praxis des „Nicht-Bezahlens“, die die heutige Regierung vor eines der größten Hindernisse bei der Einführung einer marktkonformen „Kultur des Bezahlens“ stellt, denn der Widerstand gegen die Kommodifizierung der Grundversorgung ebbte auch nach 1994 nicht ab. Während die ANC-Regierung einerseits versucht, die Sprache der historischen Kämpfe in Schlagworte vom „verantwortungsbewussten Bürger“ und der „nationalen Pflicht“ zu transformieren, um der mangelnden Akzeptanz der Tauschlogik von Geld gegen Waren/Dienstleistungen etwas entgegen zu setzen, sehen wir in den heutigen sozialen Bewegungen gleichzeitig auch erneute Mobilisierungen entlang der Motive und Taktiken der vergangenen Kämpfe.

Der Staat hat auf den Widerstand gegen die Kommodifizierungslogik reagiert, indem er versuchte, einen niedrigeren Überlebensstandard als Maßstab für die „Armen“ durchzusetzen. Zu Angehörigen der so genannten „zweiten Ökonomie“ degradiert, sollen ihnen nur die allernötigsten Versorgungsleistungen zur Verfügung stehen. Diese „Hilfestellung“ soll es ihnen ermöglichen „wirtschaftlich aktiv zu werden“ und ihren „Aufstieg“ in die „erste Ökonomie“ fördern. Die Vorstellung eines Lebens frei von Ungerechtigkeit und Ungleichheit soll so aus der im Kampf gegen die Apartheid entstandenen kollektiven Vorstellungswelt getilgt werden. Einzig die Auseinandersetzung um die Überlebensbedürfnisse der Armen soll noch möglich erscheinen – auf einem durch Marktlogik und fiskalische Zwänge strukturierten Feld.

Dadurch sind die Bewegungen und AktivistInnen zunehmend auf ein diskursives Terrain gezwungen worden, auf dem hauptsächlich um die grundlegenden Voraussetzungen des Überlebens gerungen wird. Angesichts des harten Alltags ohne Zugang zur Grundversorgung jenseits der Marktwirtschaft stehen die Bewegungen heute vor der Herausforderung, neue Widerstandsformen gegen die staatlichen Formen der Kontrolle und Regulierung zu entwickeln – Widerstandsformen, die sich auf dem Feld des individuellen Überlebens bewegen.

Ein anschauliches Beispiel ist die Einführung von Prepaid-Zählern.

Als Antwort auf das Abkoppeln von der kostenlosen Wasserversorgung waren aus der individuellen Praxis, Wasseranschlüsse illegal wieder in Betrieb zu setzen, neue Bewegungen entstanden. Als in Gegenden wie Soweto immer mehr Haushalte von der Wasserversorgung abgeschnitten wurden, führte die Tatsache, dass viele BewohnerInnen sich wieder an die Wasserversorgung anschlossen und sich bei Versammlungen über ihre Probleme austauschten, zu einer Kollektivierung dieser Widerstandshandlung.

Doch die Einführung der Prepaid-Wasserzähler führte eher zu einem entgegengesetzten Effekt bei Organisationen und Bewegungen. Der Einsatz der Zähler beschneidet effektvoll Widerstandsmöglichkeiten wie bspw. die eines Zahlungsboykotts. Mit dem Prepaid-Zähler wird der Zugang zu Wasser – über die kostenlosen „lebenserhaltenden“ sechs Kubikmeter pro Monat hinaus – nur noch nach Bezahlung möglich. Bei Nichtbezahlung gibt es für den Wasserversorger keinerlei Notwendigkeit mehr, mit den KundInnen zu verhandeln. Stattdessen wird die Versorgungsleistung bis zur Zahlung einfach eingestellt.

Im Stadtteil Phiri von Soweto beispielsweise ließen die anfänglich kollektiven Aktionen der EinwohnerInnen, die später das an den APF angegliederte Phiri Concerned Residents Forum (PCRF) gründeten, in Umfang und Wirksamkeit deutlich nach. Die unabdingbare Notwendigkeit einen Zugang zu Wasser für sich und seine Familie zu haben, schränkten die Widerstands- und Protestmöglichkeiten ein. Denn diejenigen Haushalte, die sich der Installation eines Prepaid-Zählers zu widersetzen versuchten, wurden vollständig von jeglicher Wasserversorgung abgeschnitten und erst nach einiger Zeit wieder an einen Hydranten angeschlossen. Gegen das Prepaid-System zu protestieren hieß, einen niedrigeren Standard bezüglich der Wasserver- und Abwasserentsorgung in Kauf zu nehmen. So „akzeptierten“ schließlich viele EinwohnerInnen das Prepaid-System, um ihre Wasserversorgung sicherzustellen. Nach einiger Zeit baute das PCRF zusammen mit dem APF und anderen Organisationen die „Koalition gegen Wasserprivatisierung“ auf. Die Koalition entschied sich, den Kampf mit juristischen Mitteln weiterzuführen. In diesem Prozess mussten BewohnerInnen und AktivistInnen genau in jenen Diskurs eintreten, den sie eigentlich in Frage stellen: zum Beispiel in Diskussionen darüber, was das absolute Minimum an Wasser darstellt, zu dem arme EinwohnerInnen Zugang haben sollten. Dadurch gerieten sie in einen extrem technischen Entscheidungsprozess über Alternativen zur aktuellen Praxis der Wasserversorgung, in dessen Logik die Konsumgewohnheiten „der Armen“ und „Ärmsten der Armen“ und ebenso ihr Leben zu regulieren sind. Die Priorisierung des juristischen Wegs führte auch dazu, dass die Praxis des Wiederanschließens als kollektive Strategie vernachlässigt wurde und das Umgehen der Wasserzähler nur noch auf individueller Ebene erfolgte. So sind nicht nur die Bewegungen in eine hochtechnische Debatte hineingezogen worden, sondern auch der Widerstand wurde individualisiert.

Die Herausforderung, in dieser Situation neue Wege der Organisierung und des Widerstands zu finden, wird noch durch die Argumentation derjenigen erschwert, die behaupten, dass neue soziale Bewegungen allein aus den Kämpfen um Überleben entstehen. Indem diese Analyse Community-Kämpfe nur als „spontane“ Reaktionen auf materielle Bedürfnisse und Nöte zu sehen in der Lage ist, würdigt sie weder die in den Kämpfen entwickelten Ideen, noch ist sie bereit, die sich darin öffnenden Räume zu erkunden, die es erst ermöglichen, konkrete Alternativen zur Logik des Kapitals zu artikulieren.

Stattdessen machen es sich solche Leute zur politischen Aufgabe, diese Kämpfe „in viel mehr zu übersetzen“, d. h. ein „Verständnis“ für die Gründe derjenigen, die kämpfen, zu vermitteln, das auf deren Leid und den „allumfassenden Gründen“ für die Notwendigkeit von Kämpfen beruht. Den theoretischen Hintergrund bildet zumeist irgendeine Variante des Sozialismus oder, um genauer zu sein, der Trotzkismus. Indem sie den „Organisationsaufbau“, die „politische Bildung“ oder „den Aufbau einer Partei der Arbeitermassen“ zur Priorität erheben, vernachlässigen diese Gruppen und AktivistInnen die tatsächliche Produktion von Wissen, die in den Kämpfen stattfindet, und versuchen stattdessen, ihre eigenen sakrosankten Avantgarde-Konzepte denjenigen aufzuzwingen, die sie als die „Massen“ betrachten. So ist beispielsweise das Potenzial, das sich in den Aktionen, Wasser- und Stromzähler wiederanzuschließen oder sie zu umgehen, ausdrückt, in Bezug auf andere Möglichkeiten, das Recht auf Wasser oder Elektrizität kollektiv zu verteidigen, gar nicht aktiviert worden. Stattdessen konzentrierte sich die Diskussion in den Bewegungen darauf, wie diejenigen, die die Leitungen wieder anschlossen bzw. die Zähler umgingen, „politisiert“ werden und „ihr Bewusstsein erweitert werden könnte“, um sie in politische Organisationen einzubinden, durch die ein anderes System erkämpft würde. Bei dieser Prioritätensetzung sind die weitreichenden Forderungen nach unmittelbarer und kollektiver Kontrolle über die Grundversorgung verloren gegangen. Indem sie die Kämpfe derjenigen, in deren Interesse sie vorgeben zu handeln, in Wirklichkeit nur karikieren, negieren diese politischen Gruppierungen auf unterschiedliche Art und Weise das Potenzial, das innerhalb der Bewegungen für die Entwicklung eines subversiven, antagonistischen und antikapitalistischen Lebens existiert.


Organisierungs-Experimente

Das APF ist insoweit eine interessante Bewegung, als in ihm sehr heterogene Gruppen und Menschen zusammenkommen, die die Folgen verschiedener neoliberaler Maßnahmen zu spüren bekommen: sowohl was ihre schiere Überlebensmöglichkeit anbelangt, als auch ihre Möglichkeit, Vorstellungen eines unabhängigen und selbstbestimmten Lebens zu entwickeln. Im Jahr 1998 initiierte die Stadt Johannesburg einen mit der nationalen Growth, Employment and Redistribution-Strategie (GEAR) in Einklang stehenden neoliberalen Umstrukturierungsprozess. So wurde ein Haushalts- und Privatisierungsplan namens „iGoli2002“ beschlossen. Organisierte ArbeiterInnen der South African Municipal Workers Union (SAMWU) und des Congress of South African Trade Unions (COSATU) sowie Community-Gruppen, die häufig zum ANC und der South African National Civis Organisation (SANCO) gehörten, antworteten mit dem Anti-iGoli-Forum, das eine fundamentale Kritik an der städtischen Politik der Privatisierung und Kostendeckung sowie an den geplanten Flexibilisierungen für ArbeitnehmerInnen im Zuge von „iGoli 2002“ formulierte.

Zur gleichen Zeit verabschiedete die Johannesburger Witwatersrand-Universität – in Übereinstimmung mit der wachsenden Dominanz der neoliberalen Logik in Südafrika – ein Reformprogramm, welches Prinzipien aus der Unternehmensführung auf die Universität übertragen sollte. Das Programm sah umfassende Einsparungen, die Ausweitung von informellen Arbeitsverhältnissen und Ausgliederung von Arbeitsbereichen sowie eine Erhöhung der Studiengebühren, Umstrukturierungen von Lern- und Lehrprogrammen nach den Bedürfnissen des Marktes usw. vor. StudentInnen, die im South African Students’ Congress (SASCO) organisiert waren, und ArbeitnehmerInnen der National Education, Health and Allied Workers’ Union (NEHAWU) entwickelten eine Kritik an diesem Plan, die sie „Wits2001“ nannten. Als Universität und Stadtverwaltung im Jahr 2000 zusammenkamen, um ihre Pläne bei einer internationalen Konferenz unter dem Motto „Urbane Zukunft“ vorzustellen, trafen sich AktivistInnen aus all den oben genannten Foren, um Protestaktionen gegen die Konferenz zu planen. Durch das Zusammenwirken und Engagement in der Planungsphase dieser Proteste entstanden neue Beziehungen, die schließlich in die Gründung des APF mündeten.

Anfangs war das APF nur ein informelles Treffen von AktivistInnen, das wöchentlich im Büro einer befreundeten NGO stattfand. Während die Kämpfe in den Communities über die Zeit intensiver und häufiger wurden, entwickelte sich das APF zu einer veritablen Institution mit gewählten VertreterInnen, Gremienstrukturen, repräsentativen Komitees und angeschlossenen Mitgliedern in Form von Community-Bewegungen und Organisationen. Obwohl die Form des APF einige der Traditionen widerspiegelt, die für die ehemaligen Organisationen seiner Mitglieder charakteristisch waren, besitzt es auch experimentellen Charakter, denn es befindet sich mit seinen wechselnden Anliegen, Prioritäten und Bedürfnissen einem ständigen Wandlungsprozess und ist stets auf der Suche nach der größtmöglichen basisdemokratischen Beteiligung seiner Mitgliedern. Das höchste Entscheidungsgremium des APF ist daher immer das größte und repräsentativste offene Gremium, nicht etwa eine Gruppe gewählter Vertreter. Der offene, demokratische und kollektive Ansatz, den das APF in seinen Anfangsjahren in allen Aspekten der Organisierung etablierte, hat vielfältige Möglichkeiten eröffnet, um unterschiedliche Communities, Gruppen und AktivistInnen zusammen zu bringen und Beziehungen und Prozesse zu initiieren, die in einem antagonistischen und subversiven Verhältnis gegenüber dem Kapitalismus stehen. Zusätzlich zu den vielen kreativen Kampagnen um die Frage der Grundversorgung hat die kollektive Medienproduktion und Recherchearbeit auch neue Beziehungen zwischen AkademikerInnen, StudentInnen und Community-AktivistInnen hervorgebracht. Sie alle bilden eine Bewegung, die sich dafür einsetzt, eine Alternative zum Kapitalismus vorzustellbar zu machen und aufzubauen. Mit der Zeit jedoch haben die Treffen und die Arbeit der Komitees und Gremien ihre ganz eigene Routine entwickelt. Der Kampf wurde formalisiert zu einem Eintrag im Terminkalender. Mit dem Wachstum des APF trat die Frage der eigenen organisatorischen Absicheung und des institutionellen Überlebens in den Vordergrund. Das hat den Charakter vieler Aktivitäten und der Arbeit des Forums ebenso bestimmt wie die Beziehungen unter den Mitgliedern:

Mit Hilfe von externen Spendern konnte sich die Organisation seit 2001 formale Strukturen schaffen, so z. B. durch die Einrichtung von Büroräumen und die Einstellung zweier Vollzeitarbeitskräfte. Während dies einerseits zu einer größeren Effektivität von bestimmten Kampagnen und einer Effizienzsteigerung bestimmter Abläufe im APF führte, hat es andererseits eine Situation begünstigt, in der einige wenige Mitglieder die Organisation als eine Möglichkeit zur Absicherung ihres eigenen Überleben gesehen haben. Dort, wo es (vereinzelt) zu Vorkommnissen von persönlicher finanzieller Vorteilnahme kam, wurden sie in höchst demokratischem Rahmen behandelt und geklär – immer unter dem Grundsatz, dass derartige Praktiken im Interesse der kollektiven Verantwortung und des kollektiven Nutzens inakzeptabel sind. Diese Vorfälle führten jedoch zu einer breiten und notwendigen Debatte darüber, dass die Mehrheit der APF-Mitglieder arbeitslos ist, und irgendeine Form der Unterstützung benötigt, um ihre Grundbedürfnisse befriedigen und die Kontrolle über ihr Leben behalten zu können. Als Reaktion auf dieses Thema wurde bei der jährlichen Vollversammlung im Jahr 2006 eine Projektkoordination gewählt, deren Aufgabe zunächst darin bestand, Möglichkeiten für den Aufbau einkommensgenerierender Projekte in Mitglieds-Communities zu erkunden. Darauf werde ich weiter unten noch detaillierter eingehen. An dieser Stelle ist es wichtig festzuhalten, dass das Problem mit der Einrichtung eines Komitees natürlich nicht beseitigt war.

Der Abhängigkeit von Spenden begegnen die Mitglieder des APF mit kritischer Akzeptanz, indem sie bei allen Partnerschaften auf politischer Unabhängigkeit des APF bestehen. Jedoch ist wenig Zeit darauf verwendet worden, alternative Möglichkeiten zu erproben, die organisatorische Nachhaltigkeit und kontinuierliche Arbeit jenseits der Kontrolle der Spender sicherzustellen. Denn diese beeinflussen, unabhängig davon wie aufgeschlossen sie sich geben und wie sehr sie sich heraushalten, durch ihr bloßes Dasein als Spender die organisatorische Form und den Charakter, den Bewegungen annehmen. So tragen sie zur Formalisierung organisatorischer Praktiken und Aktivitäten bei und befördern eine Logik der Beschränkung und Zurückhaltung bei Aktionen.

Auch wenn die offene Struktur des APF einen Raum für dynamisches und produktives Engagement zwischen unterschiedlichen politischen Perspektiven und ideologischen Ansätzen sicherstellt, haben es Formalisierung und Wachstum des APF dennoch bestimmten politischen Gruppierungen, die sich selbst in der Rolle der Avantgarde sehen, ermöglicht, organisatorische Verfahrensweisen und Abläufe zu manipulieren und zu missbrauchen, um ihre bevorzugte Art der Analyse und der Auseinandersetzung durchzusetzen. Hier ist es wichtig zu betonen, dass die Aktionen derartiger Gruppen das APF und seine Mitglieder lange Zeit in Auseinandersetzungen verstrickt hielten, die einzig und allein innerorganisatorische Querelen und Auseinandersetzungen zum Thema hatten. Dadurch wurde deutlich mehr Zeit in Versammlungen verbracht als auf den Straßen. Das APF ist gerade erst dabei, sich von dieser Phase zu erholen. Durch diese Auseinandersetzungen hat das APF seine organisatorische Form erneut verändert: es hat alle Unter-Komitees aufgelöst und in ein Organizer-Forum überführt, das Kampagnen auf der Grundlage der Bedürfnisse und Kämpfe der APF-Mitglieder entwickelt.


(Wieder-)Anschließen

Eine der prägenden Taktiken des APF und seiner Mitglieder war und ist die des „Wieder-Anschließens“. Haushalte wurden wieder an ihre Wasser- und Stromversorgung angeschlossen, wenn diese gekappt worden war, weil sie ihre Rechnung nicht bezahlen konnten – wobei in jüngerer Zeit das Umgehen der Prepaid-Zähler im Vordergrund steht. Mit den Worten von Trevor Ngwane: „Beim Wieder-Anschließen handelt es sich um eine Taktik, aber auch um eine umfassende Strategie, die wir jetzt ‚Versorgung für die Arbeiterklasse’ nennen, weil sie auf der Erfahrung der Arbeiterklasse beruht. Niemand hat sie sich ausgedacht. Sie hat sich einfach entwickelt. Ich kann mich noch an die Zeit erinnern, als bei Treffen des Soweto Electricity Crisis Committee (SECC) die Anwesenden gefragt wurden, wie viele Leute illegal an die Versorgungsnetze angeschlossen seien und fast alle Hände nach oben gingen. Darauf folgte dieses Gefühl von Erleichterung, weil fast jeder illegal an die Versorgung angeschlossen war. Das einzige war, dass sie individuell eine Straftat begingen. Es ging also darum diese Straftat in einen kollektiven Akt des Widerstands zu verwandeln. Der Unterschied beispielsweise gegenüber Demonstrationen liegt darin, dass man initiativ wird – wir machen es für uns selbst. Und das ist ein starkes Mobilisierungswerkzeug, weil es sofort Wirkung entfaltet und die Kraft einer Organisation unmittelbar zeigt. Es geht eben nicht darum, irgendeines fernen Tages den Sozialismus zu erringen.”

Auch wenn AktivistInnen damit argumentiert haben, dass die Praxis des Wiederanschließens „das Potenzial für Selbstorganisierung in der Arbeiterklasse“ zeigt, ist wenig Zeit darauf verwendet worden, dieses Potenzial kollektiv zu verstehen, zu definieren und weiter zu entwickeln. Für einige der mit dem APF verbundenen Mitgliedsorganisationen wie dem SECC ist dieses Potenzial einem umfassenderen Kampf untergeordnet, durch den die staatliche Macht errungen und sozialistische Praktiken in allen gesellschaftlichen Institutionen umgesetzt werden sollen. Mit der Priorisierung des Kampfes um die Macht im Staat (durch die Beteiligung an Kommunalwahlen und Aufrufe, eine Massenpartei der ArbeiterInnen aufzubauen) ist das Potenzial für Selbstorganisierung und die Entwicklung von nicht-kommerzialisierten Produktions- und Sozialbeziehungen unausgeschöpft geblieben, da es nur als auf den Staat bezogenes Projekt vorstellbar schien. Die einfache Tatsache jedoch, dass selbstorganisierte Gruppen ihre Communities wieder an die Wasser- und Stromversorgung anschließen, eröffnet für die Individuen die Möglichkeit, in kollektiven Handlungen von Verweigerung und Kreativität zusammenzukommen. Dennoch neigt das APF dazu, sich bezüglich seines Einsatzes für „die Armen“ auf eine Auseinandersetzung mit dem Staat zu konzentrieren. So wurden Forderungen rings um die von der Stadt Johannesburg geplanten „Hilfsmaßnahmen für die Armen“ erhoben und eine Verfassungsklage eingereicht, um die Installation von Prepaid-Zählern in „armen Communities“ vor dem Verfassungsgericht anzufechten – durch die Gründung und die Beteiligung an der Koalition gegen Wasserprivatisierung. Auch wenn diese spezifische Strategie wichtig ist, hat sie doch dazu geführt, dass das APF seine Forderungen nach Gleichberechtigung und Gerechtigkeit durch Umverteilung innerhalb der neoliberalen Rationalität des Staates vorbringt. Die Auseinandersetzung wird damit von direkten Aktionen hin zu Engagement im Rahmen der Gesetzgebung verlagert.


(Re-)Produktion

Wie oben beschrieben sind der Kampf gegen Arbeitslosigkeit und den Verlust formaler Arbeitsverhältnisse zentrale Themen, da der neoliberale Markt Arbeitsverhältnisse abbaut bzw. sie in informelle Arbeitsverhältnisse transformiert. Einige der mit dem APF verbundenen Mitgliedsorganisationen geben kreative Antworten auf diese Fragen. So vertritt z. B. die General and Independent Workers’ Union (GIWUSA) die wegrationalisierten ArbeiterInnen, die von der Chemical, Engineering, Pulp, Paper and Wood Union (CEPPWAWU) im Stich gelassen wurden. In ähnlicher Weise setzt sich das SAMANCOR Retrenched Workers’ Committee für eine andere Gruppe von ArbeiterInnen, die ehemals der National Union of Metal Workers of South Africa (NUMSA) angehörten, ein. Diese beiden Komitees haben die individuellen Kämpfe ihrer Mitglieder durch die Unterstützung des APF fortgeführt. Sie haben damit begonnen, ihre Mitglieder bei der Sicherung ihrer Grundbedürfnisse durch kreative kollektive Projekte zu unterstützen – die unter anderem versuchen, neue Arbeit für Einzelpersonen zu finden. Darüber hinaus werden einige mit dem APF verbundene Mitgliedsorganisationen – wie das Orange Farm Water Crisis Committee (OWCC) – durch Einkünfte aufrechterhalten, die durch Community-Projekte der Mitglieder erzielt werden.

Während das OWCC das Ideal einer kollektiven Community-Produktion von Waren und Dienstleistungen darstellt, deren Überschüsse unter ihren Mitgliedern geteilt und dazu genutzt werden, Projekte am Leben zu erhalten, erweisen sich seine praktische Arbeit und seine praktischen Kämpfe als extrem schwierig und bleiben abhängig von Zuwendungen der Spender, der Unterstützung der Kirche und der NGOs. Das OWCC hat sich als sehr kreativ bezüglich der Kämpfe, der Notwendigkeit kollektiver Produktion außerhalb des Staates und der kollektiven Verteilung seiner Waren gezeigt. Aber die Zwänge, die Grundbedürfnisse seiner Projektmitglieder zu sichern, sowie die Forderungen der Zuwendungsgeber haben dazu geführt, dass das OWCC zunehmend auf dem Terrain des unmittelbaren Überlebens agiert. Seine Ideen und Ansätze in Bezug auf kollektive Produktions- und Lebensverhältnisse werden durch die Anforderungen, die das Überleben in einer vom Markt getriebenen und individualistischen Welt stellt, eingeengt und verwandelt.

Das breiter angelegte APF hat es, indem es andere, mehr traditionelle Ansätze der Auseinandersetzung zur Priorität erhoben hat und das Potenzial derartiger Projekte nur in Bezug auf die Thematisierung von Überleben sieht, größtenteils versäumt Unterstützung für die Art von Ideen zu gewinnen, die durch das OWCC in seinen Anfangstagen produziert wurden – in denen von der Schaffung von Eigenständigkeit und Community-Kontrolle die Rede war. Dadurch, dass das OWCC diese Projekte zum Schwerpunkt der eigenen Arbeit gemacht hat, wurde zugelassen, dass das Komitee in den Überlebenskämpfen „stecken geblieben“ ist. Die APF-interne Beschreibung der Arbeit des Projektkomitees, wonach das Komitee dazu dient Einkommen zu schaffen, um die Grundbedürfnisse der APF-Mitgliedsorganisationen und Mitglieder abzudecken, hat auch nicht dabei geholfen, die Räume zu schaffen, die die Projekte bräuchten, um ein Leben außerhalb des kapitalistischen Marktes zu denken und zu schaffen. Oder um mögliche Wege zu finden, die Marktwirtschaft subversiv zu unterlaufen bzw. herauszufordern oder auch nur auf kollektive Art und Weise zu nutzen.


Überleben oder Leben?

Durch dieses kleine Fenster in der Geschichte des APF ist das Spannungsverhältnis zwischen der Konzeptionalisierung von Kämpfen erkennbar, die alleine aus der Notwendigkeit zu überleben entstanden sind und denjenigen, die Kämpfe als eine Möglichkeit begreifen, Beziehungen zwischen Kollektiven zu schaffen, die antagonistisch oder subversiv zum Kapital stehen.

Um dieses Spannungsverhältnis durch die alltäglichen Kämpfe von und zwischen seinen Mitgliedern aufzulösen, hat das APF mit seiner eigenen organisatorischen Form experimentiert und eigene Kampagnen und Programme entwickelt, die zeitweise Beziehungen schaffen und geschaffen haben, die antagonistisch zum Kapital sind. Der Staat verändert seine Politik und versucht eine größere Kontrolle über diejenigen auszuüben, die sich weigern bzw. nicht in der Lage sind für Grundversorgung zu bezahlen. Dies geschieht, indem eine Sphäre der Intervention geschaffen wird: mit einer „zweiten Ökonomie“ und einer Kategorie „der Armen“, denen nur minimale Ressourcen zur Verfügung gestellt wird, die für das Leben eines bestimmten Segments der Gesellschaft für notwendig erklärt werden. Jetzt besteht die Herausforderung für neue soziale Bewegungen darin, ihren Forderungen nach einem Leben Nachdruck zu verleihen: zumindest nach einem politischen Leben, in dem die Wünsche der Menschen wieder ins Blickfeld rücken und die technischen Debatten darüber, welche Zahlen die besten Überlebensmaßnahmen sichern und wie viele zu den auf Hilfeleistungen angewiesenen Bedürftigen zählen, von der Bildfläche verschwinden.



Übersetzung: Regina Mühlhäuser und Jens Erik Ambacher aus: Südafrika – Grenzen der Befreiung, Hamburg 2010. Mit freundlicher Genehmigung des Verlags Assoziation A.



Weiterführende Literatur

Desai, Ashwin: We Are The Poors. Community Struggles in Post-Apartheid South Africa, New York 2002.

Naidoo, Prishani/Veriava, Ahmed: Re-Membering Movements: Trade Unions & New Social Movements In Neoliberal South Africa, in: Centre for Civil Society (Hg.): From Local Processes To Global Forces. Research Report No. 28, Durban 2005, S. 1-36.