Vielfalt erleben

Editorial iz3w 322: Verteilungskämpfe (Januar/Februar 2011)

CSU-Chef Horst Seehofer drehte auf dem Deutschland-Tag der Jungen Union mächtig auf: »Wir dürfen nicht zum Sozialamt für die ganze Welt werden«. Und legte nach: »Wir als Union treten für die deutsche Leitkultur und gegen Multikulti ein - Multikulti ist tot.« Von Seiten der sich sonst so modern gerierenden Jungen Union gab es keinerlei Widerspruch, im Gegenteil. Der JU-Vorsitzende Philipp Mißfelder sah die Aufgabe der CSU darin, »für die Union insgesamt die Lufthoheit über den Stammtischen zurückzugewinnen«. Zustimmung bekam Seehofer für seine Gegnerschaft zu »Multikulti« auch von Bundeskanzlerin Angela Merkel: »Dieser Ansatz ist gescheitert, absolut gescheitert.« Ihr ging es dabei nicht um eine durchaus berechtigte Kritik des Kulturalismus, sondern ums Ressentiment gegen das »Multi«. An MigrantInnen richtete Merkel die Warnung: »Wer das christliche Menschenbild nicht akzeptiert, ist fehl am Platze.«

Wenige Tage später nahmen die neonazistischen Hilfstruppen der Konservativen die Kampfansage »Multikulti ist tot« wörtlich. Was ihrem Opfer, dem 19-jährigen Kamal K., widerfuhr, beschreibt der sächsische Ausländerbeauftragte Martin Gillo so: »In der Nacht vom Samstag auf Sonntag, den 24. Oktober 2010, war er mit seiner deutschen Freundin auf dem Weg nach Hause in einer ‚Wohnplatte' in der Nähe des Hauptbahnhofs, als er im Park vor dem Leipziger Hauptbahnhof einen Überfall von zwei Männern auf einen sechzehnjährigen Jungen bemerkte. Er trat mutig hinzu, um den Jungen zu retten und wurde sofort von den beiden Männern feige angegriffen und brutal erstochen. Seine Freundin und der überfallene Junge konnten die Täter gegenüber der Polizei identifizieren. Doch jegliche Hilfe kam für Kamal zu spät. Er erlag seinen schweren Wunden am nächsten Tag in der Universitätsklinik Leipzig.«

Der rassistische Mord durch die als rechtsradikal bekannten Männer erregte in der überregionalen Presse nur wenig Aufmerksamkeit. Anders als im Falle Dominik Brunners, der in München eine Schülergruppe vor zwei Angreifern in Schutz genommen hatte und dafür mit seinem Leben bezahlte, wurde die Zivilcourage von Kamal K. nirgends gelobt. Schon gar nicht von Seehofer und Merkel. Kamal K. war eben fehl am Platze, auch wenn er Christ war. Seine Familie war unter anderem deshalb in den 1990er Jahren aus dem Irak nach Deutschland geflüchtet.

 

Zu den vielen Verrücktheiten der gegenwärtigen Debatte um »Integration« gehört, dass ausgerechnet die deutschen Konzerne gar nicht begeistert sind vom Abgesang der Politik auf den Multikulturalismus. »Auch Unternehmen wissen: Ohne Multikulti haben sie keine Zukunft«, heißt es beispielsweise in einer Beilage der Süddeutschen Zeitung mit dem schönen Titel »vielfalt erleben - das Magazin für Diversity Management«. Herausgegeben wurde sie von big playern wie Daimler, Telekom und HypoVereinsbank. Explizit wenden sich die Unternehmen darin gegen sarrazinistische Bestrebungen der Politik: »Forderungen, den Zuzug von ausländischen Arbeitnehmern weiter zu reglementieren und einzuschränken, (sind) nur schwer nachvollziehbar.«

Bei derlei Postulaten geht es freilich um ein simples Kalkül: »Multikulturelle Zusammenarbeit ist eine wesentliche Voraussetzung, wenn globale Märkte bedient werden.« Die bisherige »personelle Monokultur« deutscher Unternehmen ist dabei hinderlich, wird in »vielfalt erleben« festgestellt. Deshalb setzt die deutsche Wirtschaft nun nahezu geschlossen auf Diversity.

Es handelt sich dabei um einen klassischen Fall der Usurpation von Begriffen. Die Forderung nach mehr Diversity in den staatlichen Institutionen und in der Wirtschaft wurde zuerst von der schwarzen Bürgerrechtsbewegung in den USA aufgestellt. 1987 stellte eine bahnbrechende Studie unter der bezeichnenden Überschrift »Workforce 2000« fest, dass der Schrumpfung der arbeitenden weißen Mittelschicht nur durch Diversity Management zu begegnen sei. Gemeint ist damit die von oben gesteuerte Einbindung von Minderheiten aller Art sowie von Frauen in die Unternehmenswelten, die bislang weiß, männlich und heterosexuell geprägt sind.

Mittlerweile ist dieser Ansatz ebenso global verbreitet wie sozialtechnokratisch ausgefeilt. Die Bertelsmann Stiftung kommentiert den Aufstieg des Diversity Managements so: »Ursprünglich gedacht als Maßnahme für die Umsetzung von Gleichberechtigung, hat es sich weiterentwickelt zu einem betriebswirtschaftlichen Instrument zur verbesserten Nutzung der Humanressource.« Vielen Dank, deutlicher hätten wir auch nicht sagen können, worin das Elend des Diversity Management besteht. Aber man muss den Unternehmen in diesen Zeiten dankbar sein: Sie wollen die »Humanressource« nutzen, nicht totschlagen.

 

Wir wünschen allen Leserinnen und Lesern

erholsame Tage und ein tolles Jahr 2011!

die redaktion

 

 

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