Der Fluch des Pharao

Mit Kamelen gegen Facebook

Revolutionen unsrer Tage suchen nicht Wege zum Kommunismus, sondern die Pfade zur Demokratie. Jetzt erreicht die vierte Demokratisierungswelle Nordafrika: Nach dem Ende der Diktaturen in Europa – im „Westen“ Mitte der 70er (Griechenland, Portugal, Spanien), im „Osten“ Ende der 80er Jahre – und in Lateinamerika ab 1979 (Ekuador).

Wie in der Chaostheorie ein Schmetterlingsflügelschlag einen Tornado auslöst, so war es nun die Selbstverbrennung eines tunesischen Arbeitslosen, der seine Familie durch Gemüseverkauf ernährte, und dem die Polizei seinen Karren wegnahm. Über Al Dschasira, Facebook und Twitter wurde dies zum Funken, der den Flächenbrand auslöste.

Mancher reibt sich jetzt verwundert die Augen. Mubarak, den Westerwelle letztes Jahr als „Mann mit enormer Erfahrung, großer Weisheit und die Zukunft fest im Blick“ pries, mutiert zum Despoten. Die Sozialistische Internationale schloß die Partei des tunesischen Herrschers erst Tage nach dessen Flucht aus, und Mubaraks „Nationaldemokraten“ gehörten bis zum 31. Januar zur SI.

Notabene: Ägypten ist nach Artikel 1 seiner Verfassung ein „sozialistischer demokratischer Staat“. „Jeder schreibt über den Sozialismus, aber die meisten [...] träumen vom Reichwerden, vom Anschaffen und von roten Nächten in al-Ma'mura", ließ Literaturnobelpreisträger Nagib Machfus in seinem Meisterwerk „Das Hausboot am Nil" einen Protagonisten desillusioniert sagen. (Artikel 2 der Verfassung regelt, daß als Grundlage des Rechtssystems die Sharia gilt, die offenbar etwas anderes ist, als das islamophobe Vorurteil meint.) Nebenbei: Ägypten hatte bereits kaum acht Jahre nach dem Mauerbau, Anfang Juli 1969, die DDR diplomatisch anerkannt. Durften deswegen DDR-Urlauber etwa statt bloß nach Warnemünde auch nach Sharm el-Sheik reisen? So lautete doch die verlogene Begründung für’s Einsperren der DDR-Bürger, die nicht zur Tante nach Dortmund fahren durften: Die BRD habe die Staatsbürgerschaft der DDR nicht anerkannt…

Multikulti wird zum umgedrehten Rassismus, wo despotische Verhältnisse „Respekt“ finden – als sei Demokratie nur etwas für’s Abendland. Universal ist der Kampf gegen Tyrannei, global wird um Freiheit gekämpft. Wieviel „Realpolitik“ darf’s sein? Dieselben, die nach Afghanistan bewaffnete Sozialarbeitern schicken, damit Mädchen wieder zur Schule gehen können, haben keine Probleme mit Saudi-Arabien, wo Professorinnen, die gefordert hatten, Frauen sollten Auto fahren dürfen, die Lehrerlaubnis entzogen wurde. Dieselben, die in Bagdad den Sturz der Saddam-Statue (in Nahaufnahme mit 50 von der US-Armee angeheuerten Claqueuren) als Dokument des Volkszorns feierten, haben Bedenken, die zwei Millionen, die in Kairo gegen Mubarak demonstrierten, als Ausdruck des Volkswillens zu akzeptieren.

Despotendämmerung trotz alledem: Ben Ali aus Tunesien vertrieben, Ägypten de facto ohne Mubarak an der Macht (unter seinem Bild regieren ein in Moskau ausgebildeter Geheimdienstler, die Chefs von Luftwaffe, Gefängnisbehörde und ein Vertreter der Internationalen Gewerkschaftsorganisation), Jemens Präsident Salih macht Zugeständnisse, Jordaniens König entläßt den Ministerpräsident, in Algerien kommt es zur Revitalisierung des Haut Conseil de Sécurité, der Ende Januar 2011 zum ersten Mal seit dem Amtsantritt Präsident Bouteflikas 1999 zusammentraf – nur in Syrien und Libyen (wo mit Reform des Nationalen Sicherheitsrates und Wiederbelebung der bewaffneten Revolutionskomitees seit Dezember 2010 reagiert wird) haben die Herrscher das Volk noch fest im Griff.

In Ägypten, bisher ein Land, wo man den Mund nur beim Zahnarzt aufmachen durfte, wo das Durchschnittsalter bei 24 Jahren liegt und wo über 40 Prozent mit weniger als zwei Dollar pro Tag auskommen müssen, wo bei den Demos keine israelischen Fahnen verbrannt wurden, wo Christen und Muslime, verschleierte und unverschleierte Frauen sowie Naguib Sawiris, der reichste Geschäftsmann, Mubaraks Rücktritt forderten, geht die Revolution weiter – trotz der Kamele und Pferde, mit denen Mubarak-Schergen die Kundgebung zu sprengen versuchten. Musikalisch kündigte sich der Aufruhr an: In der Hymne der tunesischen Revolution, dem Rap des (Anfang Januar von 30 Polizisten verhafteten) El Général „Herr Präsident, Ihr Volk stirbt“, und in der Julinacht 2003, als der Ägypter Mohamed Mounir beim Weltmusik-Festival in Rudolstadt auftrat: „Ich hasse Korruption, ich hasse Angst, und ich liebe Träume, die auf Logik basieren.“

Zuerst erschienen in: die neue linke, Nr. 8/Februar 2011 (Weimar)