Kampagne gegen »Islamisierung«

Islamophobie als neuer Rassismus der neuen niederländischen rechtspopulistischen »Partei für die Freiheit«

in (24.02.2011)

Ende September 2010 kam in den Niederlanden eine neue Regierung ins Amt. Die Minderheitsregierung wird von der „Partij voor de Vrijheid“ (PVV) von Geert Wilders unterstützt, der seit der Gründung der Partei 2004 wachsenden Zuspruch erhält. Wer ist dieser Politiker und was ist das Geheimnis seines Erfolgs?

Seit den 1990er Jahren bestimmt in den Niederlanden eine Gruppe von rund zwei Millionen Wechselwählern rund 30 von insgesamt 150 Sitzen im Parlament. Zunächst wechselten diese zwischen den existierenden traditionellen Parteien, aber seit dem Aufstieg und dem Fall des 2002 ermordeten Pim Fortuyn und seinem beispiellosen Erfolg bei den Wahlen im gleichen Jahr – noch nach seinem Tod gewann er 26 Sitze im Parlament – scheinen die Wechselwähler sich dem rechten Spektrum der politischen Landschaft zuzuwenden.
Fortuyn gewann die Wähler mit einem Rhetorik-Mix aus Ressentiments gegen das Establishment, starker Kritik am Islam, einer Reihe von Bürgerbegehren, sozialdemokratischen Ansätzen in der Sozialpolitik, dem Ruf nach niedrigeren Steuern und seiner Ablehnung der politisch korrekten Elite – der „linken Kirche”. Diese Bezeichnung ist auch bei den Anhängern von Geert Wilders noch beliebt. Art. 1 der niederländischen Verfassung, der die Gleichheit aller Menschen vor dem Gesetz festlegt, sollte nach Fortuyns Dafürhalten abgeschafft werden. Ebenso warb er für einen fünfjährigen Immigrationsstopp aus der Türkei und Marokko und warnte vor der Unterwanderung der Niederlande durch Islamisten.


Im Windschatten von Fortuyns Partei für rechtsliberale Freiheit und Demokratie (VVD) radikalisierte sich der Parlamentarier Geert Wilders in Bezug auf den Islam weiter. Seine Ausfälle im Rahmen der Debatte um einen möglichen Beitritt der Türkei zur EU im September 2004 führten zum Bruch Wilders mit der Partei. Sein Parlamentsmandat behielt der erfahrene Politiker und geschickte Diskutant jedoch.
Als im November 2004 der niederländische Filmemacher Theo van Gogh in Amsterdam von einem „muslimischen Extremisten“ getötet wurde, ergriff Wilders die Chance und verbreitete in den darauf folgenden, von Unruhe geprägten Tagen (es kam zu zahlreichen Angriffen auf islamische Schulen und Moscheen), die Idee, eine anti-islamischen Partei zu gründen. Seit dieser Ankündigung steht Wilders unter dauerhaftem Schutz von Bodyguards.
Wilders gründete die PVV rechtzeitig vor den Parlamentswahlen im November 2006. In seinem Programm warb er für die Abschaffung der doppelten Staatsbürgerschaft, Stimmrecht nur für Menschen mit ausschließlich niederländischer Staatsbürgerschaft und strengere Einbürgerungsregeln. Seine Partei für die Freiheit gewann neun Sitze, nachdem Wilders vor dem „islamischen Tsunami” gewarnt hatte, der die Niederlande überrollen würde.
Der Anführer der PVV legte sich in den folgenden Jahren ins Zeug. Er forderte das Verbot des Koran, da dieses ein „faschistisches Buch” sei, und verglich es mit Hitlers „Mein Kampf“. Wilders bestreitet die Möglichkeit eines moderaten europäischen Islams und glaubt nicht daran, dass Moslems oder der Islam mit den „Werten der niederländischen Gesellschaft” kompatibel seien. Die Diskussionen zum Islam, die die PVV losgetreten hat, lässt die traditionellen extrem rechten, rassistischen Parteien (auf lokaler Ebene) bald verschwinden. Wilders Position gegenüber der klassischen extremen Rechten bleibt unverändert: Er möchte mit ihr nichts zu tun haben. Niederländische Neonazis verabscheuen Wilders aufgrund seiner pro-israelischen Agenda. Er ist auch einer der ersten europäischen Parlamentarier, der den Angriff auf den Iran fordert.


Geert Wilders erlangte weltweit Bekanntheit durch Ankündigung der Veröffentlichung von „Fitna“, einem Film gegen die vermeintlichen Gefahren des Islam. Nach Monaten in den Schlagzeilen wurde er schließlich im März 2008 ins Internet gestellt und entpuppte sich als Amateurvideo. Die Botschaft jedoch kam an. Wilders wurde nun in europäischen, israelischen und amerikanischen konservativen und rassistischen Kreisen als „Freiheitskämpfer” für die freie Meinungsäußerung gesehen, Spenden von Konservativen trudelten ein. Als Redner erhielt er Einladungen aus den USA, Israel, Dänemark und Großbritannien.
Der nächste Erfolg wurde bei den Europawahlen im Juni 2009 erzielt, als die PVV vier Sitze erhielt. Im gleichen Monat erklärte Wilders im dänischen Fernsehen, dass er „Millionen, Zehnmillionen Muslime” aus Europa ausweisen will, falls sie gegen geltendes Recht verstoßen oder gar an den Jihad und die Sharia denken. Zu einem späteren Zeitpunkt im Jahr ermahnte die PVV die Regierung, die Kosten von Migranten für die niederländische Gesellschaft zu berechen und forderte sogar die „niederländischen Straßen von islamischen Kopftüchern zu reinigen” und für die Nutzung der Kopftücher eine Steuer, die sog. „Head-ragtax“, einzuführen.


Diese rassistische und islamophobe Sprache führte dazu, dass Menschen und Organisationen Anzeige gegen Wilders einreichten. Zwar leitete der Staatsanwalt keine Strafverfolgung ein. Das Amsterdamer Berufungsgericht ordnete am 20. Januar 2010 jedoch die Strafverfolgung an, nachdem Beschwerden gegen die Entscheidung der Staatsanwaltschaft eingegangen waren. Bei seiner Verteidigung berief sich Wilders auf seine Immunität als Parlamentarier, die Funktion, in der er die Interviews und Aussagen getätigt habe. Wilders Konzept der freien Meinungsäußerung ist jedoch offensichtlich widersprüchlich: Er fordert eine Freiheit für sich, die er anderen – z.B. Muslimen – verweigern möchte. Vor dem Gericht standen am 20. Januar 2010 rund 200 Anhänger von Wilders. Sie trugen Plakate mit der Aufschrift „Geert Akbar”, „Die Freiheit endet wo der Islam beginnt” und „Unsere Freiheit wird rituell geschlachtet”. Unter den Teilnehmenden waren auch eine Anzahl bekannter Faschisten und Sympathisanten der extremem Rechten, beispielsweise Mitglieder von Voorpost, der Vorsitzende der holländischen Volksbewegung und auch ein ehemaliger Parlamentarier der seit langem nicht mehr aktiven Zentrumdemokraten. Natürlich distanzierte Wilders sich und seine Einmann-Partei zu 100% von der extremen Rechten, aber die Parlamentarier seiner PVV freuten sich über die Menge und nannten ihre Unterstützer „herzerwärmend”. Unterdessen hielt in Brüssel die faschistische Partei Vlamms Belang (VB) eine Solidaritätskundgebung für Wilders vor der niederländischen Botschaft ab. Für den VB war das Gerichtsverfahren „ein versuchter vorsätzlicher Rufmord an einer der wichtigsten Bewegungen in den Niederlanden”.


Die Parlamentswahlen am 9. Juni 2010 bedeuten eine weitreichende Veränderung der politischen Landschaft. Die Partei für die Freiheit wurde drittstärkste Kraft; keine Partei oder traditionelle Koalition konnte die Mehrheit hinter sich vereinen. Nach 127 Verhandlungstagen, sieben Verhandlungsführern, zwei möglichen Koalitionen und einer kurzen Unterbrechung nach dem Abweichen einiger Christdemokraten, wurde eine neue rechtsliberale Regierung präsentiert. Die Partei für rechtsliberale Freiheit und Demokratie) und die Christdemokraten (CDA), die gemeinsam auf 52 Sitze kommen, unterzeichneten Ende September einen Koalitionsvertrag. Um die Mehrheit im Parlament für bestimmte Anträge zu erreichen (76 Sitze), gingen beide Parteien ein Unterstützungsabkommen mit der PVV ein. Wilders verpflichtete sich darin, keine Anträge gegen die Regierungsanträge einzubringen oder solche zu unterstützen. In anderen Bereichen kann seine Partei frei agieren.
Während der Verhandlungen reiste Geert Wilders am 11. September 2010 nach New York, um seine anti-islamische Koalition weiter zu fördern und kündigte ein Netzwerk, die International Freedom Alliance (IFA) an. Zusammen mit Verbündeten in den USA, Kanada, Großbritannien, Deutschland und Frankreich plante er Ende 2010 die weiteren Schritte zur Gründung eines solchen Netzwerkes. Eingeladen hatte Wilders die Organisation Stop Islamisation of America (SIOA) von Pamela Geller, einer rabiaten anti-islamischen und Anti-Obama-Bloggerin, die mit dem islamophoben Fanatiker Robert Spencer zusammen arbeitet. Dieser unterhält die Webseite Jihad Watch.


Mitte September wurde bekannt, dass der belgische „Intellektuelle” Paul Belien als neuer Berater von Wilders fungiert. Der Nationalist und konservative Katholik Belien, der mit Alexandra Colen, Parlamentarierin des Vlaams Belang verheiratet ist, gilt als homophob und politisch ebenso dem VB nahestehend. Bislang hatte Wilders immer Abstand zum Kern des VB von Philip Dewinter gehalten, doch in den letzten Jahren kam es zur Annäherung, die – so glaubt man – von Belien, der auch Mitglied der International Free Press Society (IFPS) ist, ermöglicht wurde. Belien, der Artikel für zahlreiche Zeitungen, darunter die Washington Times, verfasst, schrieb 2006, dass Migranten „Eindringlinge” seien und das belgische Volk sich selbst „bewaffnen” solle. Darüber hinaus ist er Chefredakteur des Internetforums Islamist Watch des amerikanischen Kofinanziers von Wilders, Daniel Pipes. Belien organisiert Treffen für den VB und wettert gegen die Ehe zwischen Homosexuellen, Abtreibung und Sterbehilfe.


Am 2. Oktober reiste Wilders auf Einladung des Berliner CDU-Funktionärs René Stadtkewitz nach Deutschland, um dort vor mehr als 500 Personen zu sprechen. Den Islam nannte er eine Bedrohung und verglich diesen mit dem Kommunismus und dem Nationalsozialismus. Zudem griff er Angela Merkel an, die nichts gegen „die muslimische Invasion“ tue, da sie deren Wählerstimmen brauche.
Und was sind die Pläne der neuen Regierung? Ihr Ziel ist es, Migranten zu entmutigen in die Niederlande zu kommen und – sofern sie doch kommen – die Wahrnehmung ihrer Rechte zu verlangsamen oder zu begrenzen. Die Altersbegrenzung für die Familienzusammenführung soll auf 15 Jahre begrenzt werden. Voraussetzung ist zudem eine Prüfung, die eine stärkere Bindung zu den Niederlanden als zum Heimatland nachweist. Das Asylrecht wird verschärft, „illegaler Aufenthalt“ wird schwer geahndet. Außerdem hat die Ausweisung von Familien mit Kindern Vorrang, da Minderjährige schneller als ihre Eltern Aufenthaltsrechte erwirken können.


Dass es Wilders ist, der in dem „Bündnis“ von VVD, CDA und PVV dominiert, wurde bei einer Pressekonferenz der Anführer der zwei Regierungsparteien und Wilders deutlich. Wilders distanzierte sich gar umgehend vom Regierungsmotto „Freiheit und Verantwortung” und versprach die Reduzierung der Zuwanderung um 50 Prozent, Zahlen, die in den Abkommen mit der Regierung nicht zu finden sind. Wilders machte deutlich, dass er seinen Kampf gegen „die Islamisierung der Niederlande” fortsetzen wolle.


Am 4. Oktober fand sich der „Königsmacher” Wilders – Fan von harten Gesetzen, Recht und Ordnung – in Amsterdam erneut vor Gericht wieder. Die Anklage lautete auf Hass und Diskriminierung von Muslimen. Nach einigem Hin und Her war ein zweiter Befangenheitsantrag der Anwälte Wilders gegen die vorsitzenden Richter am 22. Oktober 2010 erfolgreich, dem Antrag wurde stattgegeben. Was war geschehen? Ein von Wilders benannter Zeuge war im Gericht angehört worden, hatte aber zuvor an einem Abendessen teilgenommen, an dem auch der Oberrichter im Verfahren gegen Wilders zugegen war. Dieser soll – so Wilders Anwälte – versucht haben, ihn von der Richtigkeit der Anklage zu überzeugen, ein Vorgang, den der Zeuge später im Internet veröffentlichte. Als der Zeuge nicht mehr zum Verfahren zugelassen wurde, reichten die Anwälte Wilders den Befangenheitsantrag ein. In den Niederlanden ist über diesen Vorgang eine Diskussion über Vorurteile und politische Prägungen von Richtern entbrannt. Das Verfahren wird nun am 7. Februar 2011 mit neuen Richtern fortgesetzt.


In der Zwischenzeit hatte die rassistische English Defence League (EDL) beschlossen, dem Aufruf von Geert Wilders European Freedom Initiative zu folgen und an seiner Demonstration am 30. Oktober 2010 in Amsterdam teilzunehmen. Eine intensive Medienberichterstattung über mögliche Ausschreitungen zwang Wilders, sich von möglichen Rechtsverstößen, nicht aber von der EDL, zu distanzieren. Am Tag selbst lauschten nur 50 Teilnehmer, umzingelt von einem massiven Polizeiaufgebot und Journalisten, den Rednern. Die erwarteten Hunderte, gar Tausende, Teilnehmer tauchten nicht auf.

Zum Autor


Jeroen Bosch ist Herausgeber der antifaschistischen Zeitung Alert! www.alertafa.nl

Aus: Lotta - antifaschistische Zeitung aus NRW, Rheinland-Pfalz und Hessen, Nr. 41, Winter 2010/2011 http://projekte.free.de/lotta