Warum Obama eine Niederlage erlitt

Zu den November-Wahlen 2010 in den USA

Um die Ursachen und Folgen des Siegs der Koalition von rechten und rechtsextremen Kräften bei den Novemberwahlen in den USA zu verstehen, muss man einiges von den gesellschaftlichen Bedingungen und Strukturen wissen, unter denen diese Wahlen stattfanden.

Das Wichtigste, was es zu berücksichtigen gilt, ist die relative und absolute Schwäche der US-amerikanischen Gewerkschaftsbewegung, auch wenn sich deren ideologische Situation seit dem Ende des kalten Krieges erheblich verbessert hat. Die zuvor strikt antikommunistische und proimperialistische Führung des AFL-CIO, des mitgliederstärksten Gewerkschaftsdachverbandes, wurde durch eine fortschrittliche Führung ersetzt. Doch der politische Einfluss der organisierten Arbeiterschaft ist gering.

Gegenwärtig sind 12 Prozent der Arbeitskräfte in den USA gewerkschaftlich organisiert – 8 Prozent in der Privatwirtschaft und 37 Prozent im öffentlichen Dienst. Und dies, obwohl den Beschäftigten im öffentlichen Dienst das Streikrecht oft verweigert wird. Warum dieser Unterschied? Der Hauptgrund ist, dass die Beschäftigten im öffentlichen Dienst nicht mit den scharfen und illegalen Reaktionen rechnen müssen, denen die Arbeiter und Angestellten in der Privatwirtschaft ausgesetzt sind, wenn sie die Anerkennung ihrer Gewerkschaften durchsetzen wollen.

Nach dem geltenden Recht muss ein Arbeitgeber eine Gewerkschaft als Vertragspartner anerkennen, wenn das National Labor Relations Board (NLRB), eine Bundesbehörde, deren Mitglieder vom Präsidenten mit Zustimmung des Kongresses ernannt werden, diese Gewerkschaft als die legitime Vertreterin der Interessen der Beschäftigten bestätigt. Um eine solche Bestätigung zu erhalten, muss die Gewerkschaft von mindestens 30 Prozent der Beschäftigten als ihre Repräsentantin per Unterschrift autorisiert werden. Nach einer Anhörung, in der geklärt wird, für welchen Bereich der Kollektivvertrag gelten soll, wird eine Wahl durchgeführt, bei der die Beschäftigten darüber abstimmen, ob sie wünschen, dass die Gewerkschaft sie vertritt. Auch konkurrierende Gewerkschaften haben die Möglichkeit, Unterschriften von mindestens 30 Prozent der Beschäftigten einzureichen, bevor es zur Abstimmung kommt. In diesem Fall wird der Wahlzettel die Namen aller kandidierenden Gewerkschaften sowie die „keine Gewerkschaft“-Möglichkeit enthalten. Wenn es für keine der Möglichkeiten eine Mehrheit gibt, kommt es zur Stichwahl zwischen den beiden bestplatzierten.

Arbeitgeberorganisationen wie die Handelskammern oder private Beratungsfirmen organisieren Seminare über die Methoden zur Verhinderung des Sieg einer Gewerkschaft bei solchen Abstimmungen. Drohungen, jeden Betrieb dicht zu machen, der sich für eine gewerkschaftliche Vertretung entscheidet, sind, obwohl vom Gesetz verboten, an der Tagesordnung. Und Beschäftigte, die ihre Unterstützung für die Schaffung einer gewerkschaftlichen Vertretung kundtun, werden gefeuert – eine weitere illegale Methode der Arbeitgeber. Eine weitere Taktik besteht im Angebot verbesserter Arbeitsbedingungen, wenn auf gewerkschaftliche Vertretung verzichtet wird. WalMart ist berüchtigt dafür, die Beschäftigten zu zwingen, sich in ihrer Arbeitszeit Vorträge über die angebliche Schädlichkeit von Gewerkschaften anzuhören.

Das National Labor Relations Board selbst wird zu einem Hindernis für gewerkschaftliche Organisierung, wenn seine Mitglieder durch einen gewerkschaftsfeindlichen Präsidenten ernannt und von einem mehrheitlich gewerkschaftsfeindlichen Kongress bestätigt werden. Und die Vorschläge eines gewerkschaftsfreundlichen (oder wenigstens neutralen) Präsidenten werden oft von Gewerkschaftsfeinden im Kongress blockiert. Vor diesem Problem steht Präsident Obama seit Beginn seiner Amtszeit. Auch eine magere finanzielle Ausstattung des NLRB durch den Kongress kann die Durchsetzung eines fairen Umgangs mit den Gewerkschaften verhindern. Im Ergebnis solcher Hindernisse war das NLRB oft unterbesetzt, wodurch die Wahrscheinlichkeit, dass es das Recht der Arbeiter auf gewerkschaftliche Organisierung nicht schützte, noch erhöht wurde. Es ist nicht ungewöhnlich, dass wegen gewerkschaftlicher Organisierung gefeuerte Arbeiter zehn Jahre warten müssen, bis auf ihre Beschwerden beim NLRB reagiert wird. Deshalb drängen die Gewerkschaften auf ein Bundesgesetz, das einen Arbeitgeber dazu verpflichtet, eine Gewerkschaft als Kollektivvertragspartner anzuerkennen, wenn mindestens 50 Prozent der Beschäftigten dies per Unterschrift fordern. Obama und die Führung der Demokratischen Partei unterstützen ein solches Gesetz, aber sie konnten es wegen der vereinten Opposition der Republikanischen Partei und einiger weniger Demokraten nicht durch den Kongress bringen. Im US-Senat ist eine 60%-Mehrheit nötig, um die Debatte um ein Gesetz zu beenden, über das dann abgestimmt werden kann. Die Republikaner waren dadurch in der Lage, die Verabschiedung des Gesetzes zu verhindern, obwohl eine Mehrheit dafür war.

 

Altersrenten und Gesundheitsvorsorge

Wir müssen bei der Analyse der Novemberwahlen die Bedeutung von zwei miteinander verbundenen Faktoren verstehen, die die Erfahrung der Wähler mit der Wirtschaftskrise beeinflussten: Altersrenten und Gesundheitsvorsorge.

Das Social Security Act, ein Bundesgesetz über Sozialversicherung, sieht für über 65-jährige, die zehn Jahre im privaten oder öffentlichen Sektor gearbeitet haben, monatliche Zahlungen vor. Deren Höhe hängt von der früheren Einkommenshöhe ab; 2010 betrug das Maximum für einen alleinstehenden Ruheständler 2346 Dollar. Die Durchschnittsrente lag bei 1153 Dollar. Ein verheiratetes Paar bekommt das Anderthalbfache von Alleinstehenden, unabhängig davon, ob der Ehepartner gearbeitet hat. (Es ist auch möglich, schon mit 62 in Rente zu gehen, bei verringerten Bezügen.)

Diese Pensionen nach dem Sozialversicherungsgesetz sind so unzureichend, dass die Kollektivverträge der Gewerkschaften meistens eine zusätzliche Rentenvorsorge beinhalten, in die Beschäftigte und Arbeitgeber einzahlen. Um gewerkschaftlicher Organisierung vorzubeugen, sehen auch größerer gewerkschaftsfreie Unternehmen oft eine Zusatzrente in irgendeiner Form vor.

Das Sozialversicherungsgesetz sieht auch eine begrenzte medizinische Versorgung (die sog. Medicare) für Rentner vor. Medicare deckt aber die Ausgaben für medizinische Behandlung nur bis zu einem festgelegten Betrag, unabhängig von den tatsächlichen Kosten. Bis vor wenigen Jahren wurden die Ausgaben für verschriebene Arzneimittel überhaupt nicht ersetzt, außer der Patient wurde im Krankenhaus behandelt. Seit 2006 steuert die Regierung einen gewissen Betrag zu den Prämien bei, die Medicare-Empfänger für eine private Arzneimittelversicherung aufbringen müssen. Nach diesem Programm trägt der Staat einen Teil der Kosten für verschriebene Arzneimittel bis zu 2 000 Dollar, und dann nichts, bis die Ausgaben 5 000 Dollar übersteigen; was zu dem sogenannten Medigap (der „Medi-Lücke“) führte. Selbst dann erforderte die Arzneimittelversicherung immer eine Selbstbeteiligung der versicherten Person. Zahnärztliche Behandlung wird von der Sozialversicherung überhaupt nicht abgedeckt.

Das Sozialversicherungsprogramm wird aus einem separaten Topf bestritten, der aus einer 12,4-prozentigen Abgabe auf Löhne und Gehälter bis zu 180 000 Dollar pro Jahr besteht und in den Arbeitgeber und Arbeitnehmer zu gleichen Teilen einzahlen. Gehälter über diesem Limit werden nicht zusätzlich besteuert. Ähnlich wird Medicare durch eine Medicare-Steuer von 2,9 Prozent der jährlichen Löhne oder Gehälter bis zu 180 000 Dollar finanziert. Invalide, die noch keine 65 Jahre alt sind, erhalten ebenfalls Medicare und eine (geringere) Invalidenrente. Personen, deren Familieneinkommen unter der bundesstaatlich festgelegten Armutsgrenze liegt, können medizinische Versorgung nach einem besonderen, Medicaid genannten Programm erhalten. Die Medicaid-Zahlungen sind auf einen staatlich für spezifische Behandlungen bestimmten Betrag begrenzt – beispielsweise auf, sagen wir, 500 Dollar für eine Blinddarmoperation, unabhängig vom Zustand des Patienten. Viele Ärzte und andere Gesundheitsdienstleister lehnen wegen dieser Begrenzungen Medicaid-Patienten rundweg ab.

Der Obama-Regierung gelang es dieses Jahr, gegen den hartnäckigen Widerstand der Versicherungsindustrie, vieler großer Konzerne und der Republikaner eine Reform der Krankenversicherung durch den Kongress zu bringen. Vor der Verabschiedung dieses Gesetzes mussten Familien, die nicht unter Medicare oder Medicaid fielen, für ihre medizinische Behandlung selbst aufkommen, sofern sie nicht privat versichert waren. Auch das neue Bundesgesetz verpflichtet Arbeitgeber nicht, ihre Beschäftigten gegen Krankheit zu versichern. Historisch gesehen, haben die Gewerkschaften als erste Arbeitgeberbeiträge zur Krankenversicherung ausgehandelt, und unter dem Druck der Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes begannen auch staatliche Einrichtungen, einen Teil der Krankenversicherungsprämien zu übernehmen. In diesen Fällen verhandelt dann der Arbeitgeber mit dem Versicherer und der Gewerkschaft über den Umfang der Versicherung sowie über den prozentualen Anteil an der Prämie, den er zu bezahlen hat. Kleine Firmen wie auch große Einzelhandelskonzerne wie WalMart tragen meistens überhaupt nichts zur Krankenversicherung ihrer Beschäftigten bei, es sei denn sie sind gewerkschaftlich organisiert.

Wie hoch der Versicherungsanteil des Arbeitgebers ist, unterscheidet sich von Unternehmen zu Unternehmen und hängt letztlich von der Stärke der Gewerkschaften in der jeweiligen Branche ab. Die meisten Streiks im Jahre 2009 wurden durch Versuche eines Arbeitgebers ausgelöst, mit dem Hinweis auf die gestiegenen Kosten angesichts der Wirtschaftskrise ihren Anteil an der Krankenversicherung zu reduzieren.

Viele Menschen, die krankenversichert waren, waren mit Beschränkungen ihrer Versicherung konfrontiert, die sie ins Elend stürzten, wenn eine medizinische Katastrophe eintrat. Ich bin beispielsweise bei einem Versicherer für Pensionäre der Universität von Minnesota – einer Staatsuniversität – versichert. Ihre Bedingungen wurden mit dem Staat Minnesota ausgehandelt. Mein Schutz endet, sobald das Versicherungsunternehmen eine Million Dollar für meine lebenslangen Gesundheitsausgaben zu bezahlen hatte. Solche „Medicaps“ sind nach dem neuen Gesundheitsvorsorgegesetz verboten. Viele Versicherer wollen keine Familienmitglieder mit bereits vorhandenen Leiden aufnehmen, eine Praxis, die das neue Gesetz ebenfalls verbietet. Die Versicherungsunternehmen können mit den Krankenhäusern günstige Konditionen aushandeln, da sie eine große Zahl von Patienten einbringen. Andrerseits ist es den Kliniken generell untersagt, Notfälle abzuweisen, wenn der Patient nicht zahlungsfähig ist. Deshalb sind arme Menschen ohne Krankenversicherung auch für Behandlungen, die eigentlich einen Krankenhausaufenthalt erfordern würden, auf die Notaufnahmestellen angewiesen. Wegen der Macht der Versicherungsunternehmen und des Umstands, dass Medicare und Medicaid ihre Zahlungen limitieren, verlangen die Krankenhäuser von Patienten, die für ihre Behandlungskosten selbst aufkommen, exorbitante Summen. Ich bekam kürzlich eine Gebührenliste für Patienten ohne Krankenversicherung zu Gesicht. Ein Medikament, das normalerweise 4,50 Dollar kostet, wurde da mit 104 Dollar in Rechnung gestellt, und ein 2000 Dollar kostendes medizinisches Gerät mit 10.000 Dollar. Derartig katastrophale Krankheitskosten waren in der jetzigen Wirtschaftskrise der Grund für viele Zwangsvollstreckungen. Hausbesitzer konnten ihre Hypothekenzinsen nicht mehr bezahlen, weil sie mit ihrem Job auch ihre Krankenversicherung verloren und so in das Medigap fielen, oder weil sie überhaupt nie krankenversichert waren.

Die jüngsten Wahlen fanden in einer Situation statt, in der 50 Millionen Menschen in den USA keinerlei Krankenversicherung hatten. Und viele von denen, die versichert waren, hatten keine ihren Erfordernissen entsprechende Versicherung. Die daraus resultierende Angst und Unsicherheit kann kaum überschätzt werden.

 

Kein New Deal

Die desaströse Wirtschaftslage war der Hauptgrund, den die Leute für ihre Wahlentscheidung nannten. Die Erwerbslosenrate lag unter den Bedingungen der Wirtschaftskrise offiziell bei knapp unter zehn Prozent, in Wirklichkeit war sie viel höher. Und jedenfalls war sie doppelt so hoch wie vor der Krise.

Die Arbeitslosigkeit stieg 2009 kontinuierlich an und begann auch 2010 nicht merklich zu sinken. So war ein Großteil der Bevölkerung mit den Kräften, die sie für die herrschenden hielten, verständlicherweise höchst unzufrieden. Die Republikaner und insbesondere ihre Tea Party Fraktion schlugen aus der schlechten Wirtschaftslage demagogisch Kapital, um sich als Alternative zu dem zu präsentieren, was die Öffentlichkeit für schlechte Wirtschaftspolitik hielt. Nötig gewesen wäre ein staatliches Arbeitsbeschaffungsprogramm, wie es von Präsident Franklin D. Roosevelt während der Großen Depression der 30er Jahre als Teil seines „New Deal“ eingeführt wurde. Leider stellte die Gewerkschaftsbewegung sich nicht geschlossen hinter eine solche Forderung. Und trotz der Unterstützung durch fortschrittliche Kräfte, darunter die KPUSA, hielt es Obama offenbar für aussichtslos, dem Kongress eine Gesetzgebung nach Art des New Deal vorzuschlagen.

Die Immobilienkrise trifft einen Teil der Bevölkerung, der um ein Vielfaches größer ist als die Zahl derer, die ihre Hypotheken nicht mehr bedienen konnten. Die Hypotheken wurden Bestandteil von Anlagepapieren, die an Pensionsfonds verkauft wurden; und so sahen Menschen mit Betriebsrenten, privater Altersvorsorge und anderen Wertpapieren ihre Zukunft bedroht. Die vielen unverkäuflichen, der Zwangsvollstreckung ausgesetzten Immobilien haben die Zahl der angebotenen Eigenheime auf dem Markt stark erhöht, und damit den Wert der Häuser, die einem beträchtlichen Teil der US-Bevölkerung gehören, gedrückt. Vielen Menschen gilt ihr Wohneigentum als ihre Lebensversicherung. Der sinkende Wiederverkaufswert ihrer Häuser und Eigentumswohnungen bei gleichzeitig drohendem Jobverlust erschwert es ihnen umzuziehen, selbst wenn das erforderlich wäre, um einen neuen Arbeitsplatz zu finden. Die Unfähigkeit Obamas und der demokratischen Kongressmehrheit, die Immobilienkrise zu lösen, wurde so eine weitere Quelle weitverbreiteter Unzufriedenheit. Die Republikaner haben diese Krise weidlich ausgenutzt, ohne selbst irgendeine Lösung anzubieten.

Ein weiterer ökonomischer Faktor war Obamas Vorschlag, mit den Steuerermäßigungen für die Superreichen, die die Bush-Regierung gewährt hatte, Schluss zu machen. Die Konzerne zogen eine wilde Kampagne auf, wonach das Versäumnis, diese Steuererleichterungen zu erneuern, die Reichen davon abhalten würde, neue Arbeitsplätze zu schaffen. Obama und die Demokratische Partei versäumten es, überzeugende Beweise dafür vorzulegen, dass die Besteuerung der Reichen keineswegs zum Verlust von Arbeitsplätzen führt. Minnesota, der Staat, in dem ich lebe, war eine Ausnahme. Hier machte der fortschrittliche Kandidat der Demokratischen Partei für den Gouverneursposten, obwohl er zu einer sehr wohlhabenden Familie von Kaufhausbesitzern gehört, die Forderung nach Besteuerung der Reichen zum Hauptpunkt seiner Wahlkampagne – und siegte!

 

Pulling the plug on Grandma?

Die Ängste, die die Republikaner wegen des Gesundheitsreformgesetzes weckten, war ein weiterer wesentlicher Faktor, der sich gegen Obama und die Demokratische Partei auswirkte.

Das Gesetz ist äußerst verwickelt; es ersetzt nicht das bestehende System der medizinischen Fürsorge durch ein nationales Gesundheitssystem oder ein System, in dem die Ausgaben vom Staat bestritten werden. Die große Zahl von Leuten, die keine grundlegende Veränderung ihrer bestehenden Krankenversicherung wollten, ermöglichte es den Gegnern des Gesetzes, die falsche Behauptung aufzustellen, dass die Versicherungskonzerne ihre Prämien erhöhen müssten, wenn die derzeit nicht Versicherten eine Krankenversicherung erhielten, die für sie bezahlbar ist. Die Lügen, die in einer von Teilen des Großkapitals gesponserten aufwändigen Propagandakampagne verbreitet wurden, und die unzureichend finanzierte Gegenpropaganda verunsicherten sehr viele Menschen. z. B. sah das Gesetz vor, dass die Versicherung für die Beratung unheilbar kranker Personen zur Sterbebegleitung aufkommen muss. Prominente Sprecher der Tea Party machten daraus die Behauptung, mit Obamas Gesetz würden „death panels“, Todesausschüsse, geschaffen, die darüber zu entscheiden hätten, ob eine schwerkranker Mensch leben oder sterben soll. „Pulling the plug on Grandma“, Oma den Hahn zudrehen, hieß das dann in Talks Shows. Diesen Lügen mit rationalen Argumenten zu begegnen (zumal es am nötigen Geld für eine entsprechende Aufklärungskampagne fehlte) war schwierig – besonders wenn man bedenkt, dass heute über die Hälfte der US-amerikanischen Bevölkerung die Evolutionslehre für falsch hält.

Das Gesundheitsreformgesetz in seiner ursprünglichen Fassung enthielt viele gute Bestimmungen. Beispielsweise plädierten die Gewerkschaftsbewegung und andere fortschrittliche Organisationen, darunter die KPUSA, für eine sog. „public option“, das heißt für die Möglichkeit, sich für eine von der Zentralregierung verwaltete Versicherung zu entscheiden. Obama, der diese public option unterstützte, betonte, dass so wirkliche Wettbewerbsverhältnisse auf dem Versicherungsmarkt geschaffen und die privaten Versicherungsgesellschaften gezwungen würden, ihre Beiträge zu senken. Die Versicherungskonzerne antworteten mit der Behauptung, sie müssten dann ihr Geschäft aufgeben. Diejenigen, die mit ihrer gegenwärtigen Versicherung im Großen und Ganzen zufrieden waren, wenn auch vielleicht nicht glücklich über deren Kosten und Beschränkungen, waren dadurch so eingeschüchtert, dass sie die public option ablehnten. Sie musste folglich fallen gelassen werden. Das vom Kongress schließlich verabschiedete Gesetz ist lediglich das Optimum dessen, was unter den damaligen Verhältnissen möglich war.

 

Rassismus und Bigotterie

Ein weiterer Faktor bei der Wahl war das Thema Einwanderung. Wir haben etwa 12 Millionen Einwanderer ohne Papiere, meist Lateinamerikaner aus Mexiko, Mittel- und Südamerika sowie aus der Karibik. Die Obama-Administration und die Gewerkschaften wollen den Status dieser Immigranten legalisieren. Die Rassisten widersetzen sich einer solchen Legalisierung und fordern stattdessen Strafmaßnahmen und Abschiebungen. Tea Party-Anhänger starteten häufig bösartige rassistische Angriffe gegen die Immigranten und auch gegen Obama. Die rassistischen Angriffe der Tea Party auf Obama gingen so weit, dass seine Geburt in den USA angezweifelt und sogar behauptet wurde, er sei Moslem.

Eine große Rolle bei den Wahlen spielte die Frage der Menschenrechte für die Bevölkerungsgruppe der GLBTs (gay, lesbian, bisexual, transgender / homosexuell, lesbisch, bisexuell, transsexuell). Dieses Thema hat mit Blick auf die Legalisierung gleichgeschlechtlicher Eheschließungen in mehreren Bundesstaaten zunehmend an Bedeutung gewonnen. Auch wenn Obama die gleichgeschlechtliche Ehe bislang nicht unterstützt hat, hatte er seine Unterstützung für die Bekämpfung vieler Formen der Diskriminierung aufgrund sexueller Orientierung zum Ausdruck gebracht. Viele der Kandidaten auf der Seite der Demokraten drücken ihre Unterstützung für die Rechte der GLBTs, einschließlich des Rechts zu heiraten aus. Bigotte religiös motivierte Gegner nutzten dieses Thema bei den Wahlen jedoch für Angriffe auf Obama und die Demokraten. Direkt vor dem Wahltag verschickte zum Beispiel die katholische Erzdiözese in St. Paul, Minnesota, 400 000 DVDs an Katholiken, auf denen die gleichgeschlechtliche Ehe angegriffen wurde. Katholische Priester drängten die Gläubigen, gegen diejenigen Kandidaten zu stimmen, die sich für die gleichgeschlechtliche Ehe aussprechen.

 

Enttäuschte Jugendliche

Bei den Wahlen im Jahre 2008 gelang es Obama, eine große Anzahl junger Freiwilliger für die tagtäglichen Wahlkampfaktivitäten zu gewinnen. Gewerkschaften mobilisierten ihre Mitglieder, von Tür zu Tür zu gehen und potentielle Wähler anzurufen. Eine große Anzahl junger Leute und Angehöriger der Minderheitengruppen gingen an die Urnen. Weil im Senat die erforderlichen 60 Prozent der Stimmen fehlten, versuchte Obama mit den Republikanern Kompromisse einzugehen, um die Gesetze umsetzen zu können, für die er sich im Wahlkampf 2008 ausgesprochen hatte. Einige dieser Bemühungen waren erfolgreich, aber viele andere scheiterten, weil die Republikaner entschlossen waren, keiner seiner Aktivitäten zum Erfolg zu verhelfen. Die Kompromisse machten es 2010 schwierig, wieder die Begeisterung zu wecken, wie sie 2008 herrschte. 2010 lag die Zahl der jungen Leute, die zur Wahl gingen, eine Schlüsselgruppe seiner Anhänger im Jahr 2008, nur noch bei etwa der Hälfte im Vergleich zu 2008. Ein ähnlicher Rückgang ist bei der Gruppe der Minderheiten zu beobachten.

Gewerkschaften und junge Leute spielten 2008 eine entscheidende Rolle für den Wahlkampf an der Basis. Im Januar 2010, bei der Nachwahl eines Senators in Massachusetts nach dem Tod von Senator Edward Kennedy, stimmte eine Mehrheit der Gewerkschaftsmitglieder für den Kandidaten der Republikaner. Aber von den Gewerkschaftsmitgliedern, die von ihren Gewerkschaften direkt angesprochen worden waren, wählte die Mehrheit den demokratischen Kandidaten. Bei den Wahlen von 2010 in Kalifornien, wo die Gewerkschaften 800 000 Wähler direkt ansprachen, wurden die Republikaner geschlagen. In anderen Regionen war es jedoch schwierig, das Niveau der Beteiligung von Gewerkschaftsmitgliedern und Jugendlichen wie 2008 zu erreichen – wegen der erwähnten Kompromisse und weil es kein Programm gab, das Land schneller aus der Krise zu führen. Die Republikaner und ihr Tea Party-Flügel hatten erst recht kein entsprechendes Programm; sie konnten sich mit der Kritik an Obama und an dem von den Demokraten dominierten Kongress begnügen. Abgesehen von ihren rassistischen Angriffen setzte die Tea Party platte Demagogie bei der Forderung nach Veränderung ein mit Parolen wie „Befreit uns von der Last der Regierung“.

Die Tea Party ist noch immer eine Bewegung, noch keine Partei. Sie ist einflussreich, aber sie kontrolliert noch nicht die Republikanische Partei. Nur ein Drittel ihrer Kandidaten wurden gewählt. Auch wenn ich sie nicht als faschistische Bewegung bezeichnen würde, ist sie doch ganz deutlich der Vorläufer einer solchen; sie betreibt die Art von Demagogie wie die Nazis in den 1920er Jahren. Deshalb ist es dringend notwendig, wieder eine breit angelegte Volkskoalition zu schaffen, wie sie 2008 zur Wahl von Obama geführt hatte.

 

Die Orientierung der Kommunisten

Für eine kleine kommunistische Partei wie die KPUSA ist die Aufgabe riesig. Wir waren uns der Probleme bewusst, denen sich die Obama-Regierung nach der Wahl von 2008 gegenüber sah. Wir machten uns keine Illusionen, dass er ein Sozialist sei oder die imperialistische US-Politik beenden würde, die darauf gerichtet ist, weltweit die politische und wirtschaftliche Vormachtstellung zu erhalten. Wir sahen ihn jedoch als eine positive Kraft, die im Innern einen Freiraum für fortschrittliches politisches Engagement schaffen könnte, nachdem die aufeinanderfolgenden republikanischen Regierungen eine zunehmend repressive Innenpolitik betrieben hatte. Außenpolitisch sahen wir ihn als jemanden, der die höchst aggressive imperialistische Politik der Bush-Administration zurücknahm und gleichzeitig eine widersprüchliche Strategie verfolgte, die einerseits weiterhin die Interessen des Monopolkapitals widerspiegelte, andrerseits die weltpolitischen Spannungen im Interesse des Weltfriedens und des Überlebens der Menschheit auf einem bedrohten Planeten abmilderte.

Außerdem dachten wir, dass Obama eine Politik verfolgen würde, die im Interesse der breiten Massen im eigenen Land und international wäre, wenn für eine solche Politik massive öffentliche Unterstützung hergestellt werden könnte.

Das US-Wahlsystem kennt kein Verhältniswahlrecht, außer bei einigen wenigen örtlichen Organen der Legislative. In den meisten Fällen gewinnt der Kandidat mit dem höchsten Stimmenanteil, selbst wenn es keine Mehrheit ist. In dieser Situation kann das Aufstellen von Kandidaten durch kleinere Parteien Themen in die Öffentlichkeit tragen, verleiht aber ihren Positionen keine Stimme in den Legislativorganen. Bei den Wahlen hat sich unsere Partei daher dafür entschieden, die fortschrittlicheren Kräfte innerhalb der Demokratischen Partei zu unterstützen und sich an Wahlkampfaktivitäten hauptsächlich über die gewerkschaftlichen politischen Aktionskomitees zu beteiligen. Die Demokratische Partei wird zwar von den Interessen des Monopolkapitals dominiert, kann aber gezwungen werden, als Bedingung für eine solche Allianz der Arbeiterklasse Konzessionen zu machen. Letztlich müssen Klassenkämpfe weitgehend außerhalb des Rahmens der Demokratischen Partei stattfinden. Die Volksmassen müssen auf beide Parteien Druck ausüben. Die Mitte-Links-Koalition des außerparlamentarischen politischen Kampfes spiegelt sich dann in den Kämpfen innerhalb der Demokratischen Partei zusammen mit den fortschrittlichsten Kräften in dieser Partei wider. Auf diese Weise kann ein Kern von linksgerichteten Kongressmitgliedern aufgebaut werden, und diese können wiederum ein gewisses Maß an Verhandlungsstärke erlangen, weil ihre Stimmen für eine große Anzahl von Gesetzesvorhaben nötig sind, die von den eher konservativen Kräften in der Partei befürwortet werden. Heute zählt der Progressive Caucus im Repräsentantenhaus etwa 80 Kongressmitglieder. Dringend nötig wäre die Bildung einer neuen, der Arbeiterklasse zugewandten Partei; die massenhafte politische Basis dafür existiert jedoch noch nicht. Einen Weg hin zu diesem Prozess kann man im Bundesstaat New York erkennen, wo ein Kandidat auf der Wahlliste von mehr als einer Partei erscheinen kann. Dies ermöglichte die Bildung der Working Families Party (Partei der Arbeiterfamilien), die in der Gewerkschaftsbewegung verwurzelt ist als unabhängige auf die Arbeiterschaft hin orientierte fortschrittliche politische Kraft, in der Kommunisten eine aktive Rolle spielen können. In einigen Bundesstaaten ist diese Listen übergreifende Aufstellung von Kandidaten nicht erlaubt. Deshalb ist es notwendig, eine unabhängige politische Kraft durch Kämpfe außerhalb des Zwei-Parteien-Systems zu schaffen.

Wir Kommunisten können Nutzen aus dem Rückgang des weitverbreiteten Antikommunismus ziehen, mit dem wir in der Zeit des Kalten Krieges konfrontiert waren. Im Allgemeinen ist unsere Unterstützung willkommen, solange wir im Blick behalten, dass die Demokratische Partei keine kommunistische Partei ist und dass wir uns an gemeinsamen Aktivitäten nur insoweit beteiligen, als wir bei speziellen Themen dieselben Ziele verfolgen. So können wir dazu beitragen, dass innerhalb der Demokratischen Partei weiter fortschrittliche Kräfte aufgebaut werden, und mithelfen, die Grundlagen für eine breite Koalition zu legen, die grundlegendere Veränderungen herbeizuführen vermag. Eine Schlüsselaufgabe für uns besteht darin, die Gewerkschaftsbewegung und ihre Einbindung in politische Kämpfe sowohl innerhalb als auch außerhalb der Demokratischen Partei zu stärken.

Die KPUSA ermutigt Mitglieder, sich als Kandidaten bei örtlichen Wahlen aufstellen zu lassen. Ein halbes Dutzend Genossen, die öffentlich als Mitglieder der KPUSA bekannt sind, sind in lokale Ämter gewählt worden, nachdem sie als Unabhängige kandidiert hatten.

Der Schwerpunkt auf den wirtschaftlichen Problemen im Inland und die zurzeit relativ wenigen getöteten US-Soldaten in den Kriegen in Irak und Afghanistan führten dazu, dass die Forderung nach einem vollständigen Abzug der US-Truppen aus diesen Ländern oder die Schließung des riesigen weltweit gespannten Netzes an US-Stützpunkten im Wahlkampf so gut wie gar nicht laut wurde, obwohl die wirtschaftliche Belastung durch diese Kriege und die Unterhaltung der Stützpunkte schwer auf den Menschen lastet. Deshalb muss sich der Kern der Friedensbewegung seine Unabhängigkeit von der Demokratischen Partei bewahren, auch wenn wir zugleich für Friedensforderungen und Kandidaten aus der Friedensbewegung innerhalb der herrschenden Parteien kämpfen.

Die vorrangige Aufgabe der Kommunistischen Partei der USA bleibt nach wie vor die selbe – sich als Teil des Volkes an den Kämpfen für die Erfüllung der Bedürfnisse der Bevölkerung zu beteiligen, insbesondere die der Arbeiterklasse, in diesen Kämpfen Siege zu erringen, die die Massen davon überzeugen, dass sie die Macht haben, ihre Lebensbedingungen zu verändern, das Klassenbewusstsein, das sich durch diese Kämpfe entwickelt, in ein sozialistisches Bewusstsein zu transformieren. Und dabei müssen wir uns auch weiterhin mit dem Studium und der Entwicklung der marxistisch-leninistischen wissenschaftlichen Theorie gesellschaftlicher Entwicklung beschäftigen.

 

Übersetzung aus dem Englischen: Vera Glitscher und Hermann Kopp.