Verbot der PID aufrechterhalten

In seinem Urteil vom 6. Juli 2010 hat der Bundesgerichtshof (BGH) erklärt, dass ein eindeutiges Verbot der Präimplantationsdiagnostik (PID) entgegen der bislang vorherrschenden juristischen Ansicht aus dem im Jahr 1991 in Kraft getretenen Embryonenschutzgesetz nicht abzuleiten ist. Gleichzeitig fordert der BGH den Gesetzgeber auf, den Umgang mit der PID gesetzlich eindeutig zu regeln.

Stellungnahme des Gen-ethischen Netzwerk

Das Gen-ethische Netzwerk e.V., Berlin, spricht sich für eine zügige gesetzliche Regelung im Sinne eines klaren Verbots der PID aus. Für eine solche Regelung sprechen folgende Gründe:

PID bedeutet Diskriminierung von Behinderten und Kranken
PID basiert auf der gezielten Unterscheidung von „wertem“ und „unwertem“ Leben. Als solche ist sie nicht neutral, sondern bedeutet für Menschen mit Behinderungen oder chronischen Krankheiten eine indirekte Infragestellung ihrer „Existenzberechtigung“. Dies gilt besonders für diejenigen Krankheiten, die mit der PID ausgeschlossen werden sollen.
Eine Liste, die einige Krankheiten als „besonders schwerwiegend“ klassifiziert, wie sie von einigen BefürworterInnen im Zusammenhang mit einer eingeschränkten Zulassung der PID favorisiert wird, ist abzulehnen. Sie kann niemals die Variationsbreite in der individuellen Ausprägung und Erfahrung mit der Krankheit oder Behinderung berücksichtigen. Es ist außerdem zu befürchten, dass die PID dazu beiträgt, dass sich die Forschungsanstrengungen zur Linderung oder Therapie der gelisteten Krankheiten verringern und somit die Lebenssituation von Betroffenen verschlechtert.
Damit widerspricht eine Zulassung der PID nicht nur der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen, sondern auch dem Diskriminierungsverbot in Art. 2 Abs. 3 des Grundgesetzes. Bereits mit der Streichung der eugenischen Indikation hat der Gesetzgeber festgestellt, dass die Krankheit oder Behinderung des Embryos kein rechtmäßiger Grund für einen Schwangerschaftsabbruch ist. Diese Haltung ist nun mit einem Verbot der PID zu bekräftigen.

Die PID ist mit einem späten Schwangerschaftsabbruch nicht gleichzusetzen
Sowohl im BGH-Urteil als auch in der öffentlichen Diskussion wird irreführenderweise immer wieder eine Parallele zwischen Pränataldiagnostik (PND) und PID gezogen. Dabei wird von einem „Wertungswiderspruch“ gesprochen, weil ein später Schwangerschaftsabbruch nach PND erlaubt, eine Auswahl von Embryonen durch die PID im Labor aber verboten sei.
Dabei wird ausgeblendet, dass das einzige Kriterium für einen Schwangerschaftsabbruch nach PND die körperliche oder seelische Gesundheit der Frau, und eben gerade nicht - wie bei der PID - die Krankheit oder Behinderung des Fötus ist. Auch ist es falsch, dass die PID Frauen und Ärzten das ethische Dilemma eines späten Schwangerschaftsabbruchs nach PND ersparen könne. PID kann keine gesunden Kinder garantieren.
Beunruhigend ist, dass die Pränataldiagnostik in den letzten Jahren auf immer mehr Indikationen ausgeweitet wurde. Ihre Wirkung als immer engmaschigere Selektionstechnologie hat Diskussionen über ihre ethische Vertretbarkeit hervorgerufen. Schwangerschaft ist für viele Frauen zu einem Zustand „auf Probe“ geworden. Gerade die Erfahrungen mit der PND zeigen folglich, dass eine enge Begrenzung selektiver Diagnostik nicht durchzuhalten ist.
Die schleichende Ausweitung pränataldiagnostischer Untersuchungen in der Schwangerschaft wird mit dem Vorsorgeprinzip und dem Freiheits- und Selbstbestimmungsrecht der Frauen gerechtfertigt. In dieser Logik soll einer Benachteiligung von Frauen mit einem Kind mit Behinderung durch die Verhinderung des Kindes „vorgesorgt“ werden, statt Unterstützung durch die Gesellschaft bereitzustellen. Selektion ist keine Prävention - und PID schafft einen neuen Bedarf nach Selektion.
Diese Tendenz ist bereits bei der Anwendung der In-vitro-Fertilisation (IVF) zu beobachten. Ursprünglich als Technologie zur künstlichen Befruchtung bei unfruchtbaren Ehepaaren eingeführt, belegen die Zahlen aus Ländern, in denen die PID zugelassen ist, dass die IVF inzwischen überwiegend nicht von unfruchtbaren Paaren genutzt wird, sondern zur Durchführung einer PID (Dr. Luca Gianaroli, Präsident der ESHRE vor dem Deutschen Ethikrat).

Automatismus der Ausweitung und neue Begehrlichkeiten
Die genetische Diagnostik ist in den letzten Jahren auf immer mehr Indikationen ausgeweitet worden. In Ländern, in denen die PID zugelassen ist, stellte sich stets die Frage, ob neue Tests angewendet werden sollen. Dabei geht es gar nicht in erster Linie darum, den Wunsch nach „Designerbabies“ abzuwehren (ein Argument, das BefürworterInnen gerne KritikerInnen unterschieben, um es dann zu entkräftigen). Viel schwieriger, ja geradezu unmöglich erweist sich in der Praxis die Unterscheidung zwischen „letalen“, „schwerwiegenden“ und „weniger schwerwiegenden“ Krankheiten.
Für die Durchführung einer PID müssen mehr Embryonen erzeugt werden, als für eine künstliche Befruchtung ohne PID. Nach der Diagnostik sollen nur solche Embryonen in die Gebärmutter einer Frau übertragen werden, die keine nachweisbaren genetischen Erkrankungen aufweisen. Gibt es mehrere für „gesund“ befundene Embryonen, muss nach weiteren Kriterien ausgewählt werden.
Dadurch entsteht das Problem, wie mit „übrig gebliebenen“ Embryonen umgegangen wird. Erfahrungen aus anderen Ländern zeigen, dass neue ethische Konflikte entstehen, wenn auf diese Embryonen als „Rohstoff“ zum Beispiel für Forschung zugegriffen wird. Unter anderem ist zu befürchten, dass diese weiteren „Verwertungsmöglichkeiten“ Entscheidungen im Rahmen der PID, zum Beispiel über die Zahl der hergestellten Embryonen, beeinflussen.

Die Argumente sind nicht überholt
Vor dem Hintergrund, dass die prinzipiellen ethischen und politischen Argumente gegen eine Zulassung der PID weiterhin Bestand haben, ist es aus unserer Sicht unverständlich, dass gleich mehrere politische Akteure und Organisationen ihre bislang ablehnende Haltung geändert haben. Das Urteil des Bundesgerichtshofs ist nicht richtungsweisend, sondern mahnt nur eine Klarstellung der gesetzlichen Grundlagen an.
Die technische Entwicklung der letzten Jahre ändert nichts daran, dass die Ziele der PID und ihre Implikationen - die Unterscheidung von lebenswert und lebensunwert - abzulehnen sind. Fragen nach dem gesellschaftlichen Umgang mit Krankheit sollten aber mittels öffentlicher Debatten über angemessene Lebensbedingungen und nicht im Labor entschieden werden.