„Sie ist schon in der Parallelgesellschaft“

MitSebastian Kurz wurde ein Mann Staatssekretär für Integration, der bisher vorallem durch Sexismus aufgefallen ist und ansonsten immer nur an das eine denkt:MigrantInnen müssen Deutsch lernen.


Über Sebastian Kurz ist in den wenigen Wochen seit seinerBestellung zum Staatssekretär für Integration schon viel geschrieben worden. Ersei ein Beispiel für den „zunehmend verzweifelten Versuch etablierter Parteien,junge Wähler zu erreichen" („Falter") und „eine Verarschung all jener, die indiesem Bereich tätig sind" („Der Standard"). Und der „Chef-Integrator" wissenicht, dass er ein „Schwabo" ist („biber"). Fakt ist, Kurz ist 24 Jahre alt,Jus-Student, seit vier Jahren Obmann der Jungen ÖVP, ab Herbst 2010 ein paarMonate lang Gemeinderat in Wien - und vor allem aufgewachsen und zur Schulegegangen im Wiener ArbeiterInnen-Bezirk Meidling. Aus dieser Tatsache nämlicherwächst die Expertise, die er für seinen neuen Job mitbringt, wie er nicht müdewird zu betonen. An seinem Gymnasium hatte er so viele MitschülerInnen mitMigrationshintergrund, dass er jetzt ganz genau sagen kann, wie „Integration"1funktioniert: mit Deutsch. Und nur mit Deutsch.

Die „ältere Dame".  Aber nicht bei allen: Ein Beispiel, das Kurz noch in fastjedem Interview gebracht hat, ist das der „älteren Dame", die wahlweise geradeerst nach Österreich gekommen ist oder schon lange hier lebt und die - inKurzscher Manier äußerst höflich formuliert - „noch nicht oder nur sehrschlecht Deutsch spricht und das vielleicht auch nicht mehr lernen möchte". Beidieser Dame also „wird Integration wahrscheinlich nicht mehr funktionieren"bzw. „wird es schwierig sein, Anknüpfungspunkte zu finden" bzw. „wird esschwierig sein, sie abzuholen und zu integrieren". Weil: „Sie ist meist schonin der Parallelgesellschaft." Diese ominöse „Parallelgesellschaft" mal zusuchen und zu kucken, was dort denn so los ist, wenn all die älteren Damenbeieinandersitzen und partout nicht auf Deutsch plaudern wollen, ist demStaatssekretär also zu mühsam, deshalb setzt er auf die Jugend, bei der „mannoch gewinnen kann". Nur was? Wählerstimmen etwa?

Damit hatte Sebastian Kurz bis dato kein Glück. Vor derletzten Gemeinderatswahl in Wien 2010 versagte der von ihm angeführte „Schwarz-ist-geil"-Wahlkampfder Jungen ÖVP gründlich, die ÖVP Wien fuhr eines der schlechtesten Ergebnisseihrer Geschichte ein. Mit Sprüchen wie „Schwarz macht Wien geil", Posing vordem „Geil-o-Mobil", umrankt von leicht geschürzten Jung-ÖVPlerinnen, zog Kurzdurch die Clubs, in denen dann Gummibärchen in Form von Brustwarzen verteiltwurden. Eine Kampagne, die Kurz selbst übrigens als „eine der schlechteren" („Kurier")bezeichnet, während er die 24-Stunden-U-Bahn-Kampagne für „eine der besseren" hält- damals warb die Junge ÖVP Wien mit einer halbnackten Frau neben einem „24 hVerkehr am Wochenende"-Schild.

Dialog geht anders. Die Tatsache, dassdas Staatssekretariat für Integration im Innenressort angesiedelt wurde unddamit in die Nähe von „Sicherheitsproblemen" rückt, ist ein Hauptpunkt derKritik, u.a. auch von „Peregrina - Bildungs-, Beratungs- und Therapiezentrum fürImmigrantinnen". Obfrau Gamze Ongan und ihr Team erklären auf Anfrage der an.schläge: „DieAnbindung an das Innenministerium ist in der Tat absurd. Man stelle sich vor,das Staatssekretariat wäre im Verteidigungsministerium angesiedelt - vielUnterschied wäre das nicht." Während täglich die Fremdengesetze verschärft undauch der Migrationsdiskurs, also die Art, wie über Migration und Migrantinnengesprochen wird, immer schärfer werde, könne ein eingerichtetesStaatssekretariat daneben nichts bewirken, so Peregrina.

In einem Interview kündigte Sebastian Kurz an, erbeabsichtige, das Staatssekretariat als Plattform zu nutzen für alle, die indem Bereich tätig sind, und er führe auch bereits viele Gespräche mit NGOs.Klingt das nicht vielversprechend? Nicht wirklich, meinen Gamze Ongan und dasPeregrina-Team, die langjährige Erfahrung mit diversen ÖVP-InnenministerInnenhaben: „Schon Günther Platter hat im Rahmen der sogenanntenIntegrationsplattform diverse NGOs, auch Peregrina, eingeladen, schriftlichsowie am runden Tisch Forderungen kundzutun. Dieser Einladung sind wir auchgefolgt und haben über die rechtliche sowie soziale Situation zugewanderterFrauen berichtet und Lösungsansätze präsentiert", berichtet dasPeregrina-Team. "Nichts davon ist in das Schlussdokument eingeflossen.Platters Nachfolgerin Maria Fekter hat erneut NGOs, auch Peregrina, eingeladen -diesmal im Rahmen des ,Nationalen Aktionsplans Integration‘. In einem offenenBrief haben wir und andere dargestellt, warum wir diesmal der Einladung nichtfolgen werden. Zeitgleich startete nämlich dieselbe Ministerin in einemZeitungsinterview einen Pauschalangriff gegen MigrantInnen-NGOs und kündigteweitere Verschärfungen des Fremdenrechts an. Die Einladung zum ,Dialog‘ musstenwir in diesem Fall dann ablehnen." Es gehe daher weniger um ein Mehr anKommunikation, so Peregrina, als vielmehr um deren Ernsthaftigkeit.

Auf die Frage, ob von Kurz angesichts seiner Vorgeschichtezu erwarten sei, dass er mit den Leistungen, Bedürfnissen oder Problemenmigrantischer Frauen etwas anfangen kann, antwortet Peregrina mit einerGegenfrage: „Wer oder wie viele in der österreichischen Politik haben überhaupteinen differenzierten Blick für die Leistungen und Bedürfnisse vonZuwanderinnen? Zuletzt, als sich eine ÖVP-Ministerin des Themas annahm, hattesie nichts Besseres zu tun, als den Begriff ,traditionsbedingte Gewalt gegenFrauen‘ einzuführen, um somit einen Diskurs loszutreten, der alle Frauen ausbestimmten Herkunftsländern zu Opfern und sämtliche männliche Angehörigegewisser Communitys zu Tätern gemacht hat. Also warum sollten wir vom jetzigenStaatssekretär ein fundiertes Wissen über die rechtliche, soziale, finanzielleund psychische Situation der Migrantinnen erwarten?"

Problemfrei mit Deutsch? Die völlige Versteifung des neuenStaatssekretärs auf das Deutschlernen als Allheilmittel für sämtliche Problemein der Einwanderungsgesellschaft Österreich ist der zweite große Kritikpunktvieler. „Der bereits angekündigte Schwerpunkt ,Deutsch lernen‘ deutet daraufhin", analysiert Peregrina, „dass die Mehrsprachigkeit weiterhin ausgeblendetwird. Außerdem schwingt da immer mit, dass ,die ja gar nicht Deutsch lernenwollen und dass man sie dazu zwingen muss‘. Als ob die Migranten undMigrantinnen keine Probleme mehr hätten, wenn sie erst mal Deutsch sprechen würden."

Das verdeutlichte auch Kim Carrington von „maiz - autonomesZentrum von & für Migrantinnen" im an.schläge-Schwerpunkt „Deutsch-Diktat"(03/2010), der aus Anlass des erwähnten „Nationalen Aktionsplans fürIntegration" erschien. Sie schrieb: „Was nützt mir die Sprache, wenn sie michnicht vor Diskriminierung und Rassismus schützt?"

Während die SPÖ in ihrer Panik, von der ÖVP bei diesemThema überholt worden zu sein, angekündigt hat, in der nächsten von ihr geführtenRegierung werde es gleich ein eigenes Migrationsministerium geben, gehen dieForderungen von Gamze Ongan und Peregrina in eine andere Richtung: „Was Österreichbraucht, ist eher ein Staatssekretariat für Chancengleichheit oder gar einStaatssekretariat für Demokratisierung - nicht nur für Migranten undMigrantinnen, sondern auch für andere minorisierte Gruppen. Aber das wäre natürlichein offizielles Eingeständnis, dass es daran mangelt."  

 

 

1 Wir schreiben „Integration" in Anführungszeichen, um zuverdeutlichen, dass dieser Begriff in Österreich dermaßen politisch aufgeladenist, dass er nicht mehr neutral verwendet werden kann: Es sind damit immer nurMigrantInnen gemeint, es sind mit ihm stets Forderungen, Drohungen undSanktionen verbunden, und er wird vielerorts als rein rassistisches Schlagwortverwendet.

 

Links:

www.peregrina.at

www.maiz.at