Benzinmultis auf Beutezug

Während der langfristige Ausstieg aus der Atomenergie nach der Kehrtwende der Bundesregierung beschlossene Sache zu sein scheint, legen sich die „Großen Vier“ der bundesdeutschen Stromanbieter – Eon, RWE, EnBW und Vattenfall – quer. Das nimmt nicht wunder, verdienen diese Konzerne doch jedes Jahr Milliarden mit ihren Atomkraftwerken.

Dabei gehen diese Profite unmittelbar zu Lasten der Allgemeinheit. Einerseits, weil die Gesellschaft insgesamt für die Kosten der atomaren Endlagerung aufkommen muss. Und andererseits, weil der Strommarkt in der Bundesrepublik ein von diesen vier Oligopolisten beherrschter Markt ist, der eine wettbewerbliche Steuerung des Strompreises bis heute effektiv verhindert.

Dass dies so ist, verweist auch auf das Versagen der Politik. Denn im Zuge einer europäischen Wettbewerbsorientierung wurde zwar auch der Strommarkt in Deutschland dereguliert. Aber ein echter Wettbewerb kam dadurch nicht zustande, sondern es bildete sich eine Oligopol-Struktur. Im Ergebnis stiegen die Preise für die Verbraucher, während die Profite der Konzerne geradezu explodierten; die Gewinnsteigerungsrate lag zwischen 1998 und 2007 bei über 200 Prozent.[1]

Der Ausstieg aus der Atomkraft verheißt nun den Übergang zu einer erheblich dezentraleren und damit weniger monopol- und gewinnträchtigen Wirtschaftsstruktur[2] – auch deshalb machen die Energiemultis so vehement dagegen Front.

Die marktbeherrschende Stellung einiger weniger Konzerne ist allerdings typisch für den deutschen Energiemarkt insgesamt, wie das Bundeskartellamt soeben mit Blick auf den Kraftstoffmarkt und die diesen beherrschenden Mineralölkonzerne feststellte.[3] Gegenstand des Berichts ist eine bereits im Mai 2008 eingeleitete Marktuntersuchung hinsichtlich möglicher Kartellrechtsprobleme beim Verkauf von Benzin und Diesel.

Die nach den jeweiligen Bedarfsmärkten (Benzin- und Dieselkraftstoff sowie Straßen- und Autobahntankstellen) differenzierten Ergebnisse der umfangreichen kartellrechtlichen Untersuchung bestätigen dabei eine lang gehegte Vermutung: Die großen Mineralölgesellschaften ziehen ihre Kunden an den Tankstellen über den Tisch, weil sie keine wettbewerbsadäquaten, sondern erhöhte Preise verlangen. Was bisher nur eine empirisch unbewiesene Vermutung war, ist nun erstmalig amtlich bestätigt: Die fünf größten Mineralölkonzerne – BP (Aral), ConocoPhilipps (Jet), ExxonMobil (Esso), Shell und Total – bilden nach Paragraph 19 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) ein marktbeherrschendes Oligopol. „Diese Unternehmen zeichnen sich dadurch aus“, so das Bundeskartellamt, „dass sie als einzige Mineralölunternehmen Zugriff auf Raffineriekapazitäten in Deutschland haben und über ein bundesweites Tankstellennetz verfügen.“

Die fünf Oligopolisten vereinigen rund 65 Prozent des jährlichen Kraftstoffabsatzes auf sich. Die verbleibenden 35 Prozent teilen sich kleinere Anbieter, darunter Star (Orlen) und Agip (Eni), die den größeren Anteil verkaufen, und freie Tankstellen, die bei den großen Mineralölgesellschaften ihren Sprit einkaufen und entsprechend abhängig sind. Die freien Tankstellen sind hier häufig sogenannten Preisscherenverkäufen ausgesetzt. Diese liegen dann vor, wenn ein großes Mineralölunternehmen seinen Kraftstoff den Autofahrern zu einem niedrigeren Preis anbietet, als es von seinen Konkurrenten (den freien Tankstellen) bei deren Einkauf des Kraftstoffs fordert.

Außerdem sind die fünf marktbeherrschenden Ölunternehmen nicht nur vertikal-integrativ auf allen Marktstufen tätig – von der Rohölgewinnung über die Raffinierung bis zum Groß- und Einzelhandel –, sondern auch noch über Gemeinschaftsunternehmen auf den Transport- und Beschaffungsmärkten eng miteinander verflochten. Hier stellt das Bundeskartellamt fest: „Verflochtene Unternehmen können Informationen über Geschäftsstrategien, -ziele und kurzfristige Maßnahmen leichter austauschen. Dritte haben keinen Zugang zu den gemeinschaftlich gehaltenen Erzeugungs- und Pipelinekapazitäten der vertikal integrierten Mineralölunternehmen.“

Oligopolistisches Parallelverhalten

Dies bestätigt: Die Spritmärkte in Deutschland haben sich immer mehr von einem anfangs durchaus noch wettbewerblichen weiten Oligopol zu einem vermachteten engen Oligopol entwickelt. Bis zur Fusion von Shell/DEA und BP/Aral im Jahr 2002 waren die schon damals vertikal integrierten Mineralölgesellschaften aber noch auf – nach Paragraph 1 GWB verbotswidrige – Kartellabsprachen zur Maximierung ihrer jeweiligen Profite angewiesen.[4] Nach den Fusionen, welche die Politik nie hätten erlauben dürfen, konnten die verbliebenen fünf Oligopolisten bei der Preissetzung dann aber zu einem kartellrechtlich nicht sanktionierten „Parallelverhalten“ übergehen. Von einem solchen spricht man immer dann, wenn sich jedes Oligopolmitglied von einem Wettbewerbsvorstoß (Preissenkung) keinen eigenen Vorteil verspricht, da jeder Vorstoß umgehend von den anderen Unternehmen bestraft wird. Parallelverhalten ist besonders auf Märkten vorzufinden, auf denen eine hohe Transparenz gegeben ist (Absprachen also erschwert sind), homogene Produkte angeboten werden und eine nur geringe Preiselastizität der Nachfrage vorliegt. Bestehen außerdem noch hohe Markteintrittsbarrieren für Newcomer, so liegen beste Voraussetzungen für ein oligopolistisches Parallelverhalten bzw. für einen Marktmacht-Missbrauch vor.

Diese Praxis läuft im Ergebnis aufs Gleiche hinaus wie eine direkte Kartellabsprache: Der Wettbewerb wird zum Schaden der Nachfrager ausgeschaltet, die Preise sind nicht wettbewerbsadäquat und die Profite unverschämt hoch. Dies alles, so stellt das Bundeskartellamt zusammenfassend fest, liegt im hiesigen Tankstellengeschäft vor: Die Vertriebspreise in dem vorgefundenen oligopolistischen Umfeld der Mehrheit der Straßen- und Autobahntankstellen sind höher, als es bei funktionierendem Wettbewerb der Fall wäre. „Die festgestellte Preisbildung mit ihren Zyklen im Tages- und Wochenverlauf ist entgegen der Deutung von Mineralölkonzernen […] keineswegs Ausdruck von wesentlichem Wettbewerb. Vielmehr ist daran ablesbar, wie das Oligopol seinen Gleichgewichtspreis auf höherem Niveau als zuvor durchzusetzen sucht.“

So stark der Befund des Bundeskartellamts ist, so schwach sind seine praktischen Schlüsse. Denn Vorschläge, wie die Oligopol-Struktur zerschlagen werden könnte, sucht man vergeblich.

So regt das Bundeskartellamt lediglich an, das bestehende Quotenverteilungsmodell, das einseitig die großen Ölgesellschaften bevorteilt, an den Autobahntankstellen durch ein Auktionsmodell zu ergänzen. Außerdem soll ein Teil der Autobahntankstellen ab 2013 von der staatlichen Gesellschaft Tank & Rast im Rahmen einer Selbstbelieferung bewirtschaftet werden. Und bei den Straßentankstellen will das Amt künftig strenger über das enge Oligopol wachen und die kleineren Mineralölunternehmen vor Behinderungen der großen schützen. Daneben „hält das Bundeskartellamt gleichwohl direkte kartellbehördliche Maßnahmen zur Senkung von Kraftstoffpreisen für nicht erfolgversprechend“, weil sie nach Paragraph 19 Abs. 4 Nr. 2 GWB kaum praktikabel seien und man die Preise ohnehin nur auf das Niveau der freien Tankstellen drücken könne. Dann sei es aber ordnungspolitisch sinnvoller, der Autofahrer führe gleich selbst zur freien Tankstelle.

Welch ein Zynismus – und was für eine kartellrechtliche Bankrotterklärung! Wenn man dagegen Preissenkungen bei Kraftstoffen auf breiter Front will, muss man sich dem Bundeskartellamt zufolge an den Gesetzgeber wenden. Leider versagt auch der auf ganzer Linie. Vom neuen und in Marktfragen zuständigen Bundeswirtschaftsminister, Philipp Rösler (FDP), ist jedenfalls nichts Substanzielles zu hören.

Der pervertierte Markt

Diese Entwicklung auf den Strom- und Mineralölmärkten zeigt, dass die bestehenden marktwirtschaftlichen Ordnungssysteme – der gängigen Lehrmeinung entgegen – keineswegs auf einem funktionierenden Wettbewerbsprinzip beruhen, das angeblich mit „unsichtbarer Hand“ für Produktivität und Innovationen, für flexible Marktanpassung und gewinnlose Gleichgewichtspreise sorgt. Denn die wirtschaftliche Realität sieht völlig anders aus: Längst hat sich die marktwirtschaftlich-kapitalistische Ordnung durch wettbewerbsimmanente Konzentrations- und Zentralisationsprozesse von einer – lange Zeit als idealtypisch betrachteten – vollkommenen Konkurrenz an den unterschiedlichsten Märkten weit entfernt. Die dominante Marktform auf den relevanten Märkten ist daher heute das enge Oligopol, wo wenige Anbieter ihre Produkte zu überhöhten Preisen anbieten oder gleich Mengen, Absatzgebiete, Produktqualitäten und Preise in Kartellen untereinander absprechen.

Hinzu kommt: Die Unternehmen verbleiben nicht in den Grenzen der Wirtschaft. Sie greifen mit ihrer ungebändigten, immer größer werdenden Macht auch den Staat an und verlangen von Politikern und Parteien, den Fortbestand ihrer missbräuchlichen Geschäfte zu gewährleisten. Eine Verschärfung des Kartellrechts wird von marktbeherrschenden Unternehmen als „Kriegserklärung“ gesehen – und nirgendwo gilt diese rigide Abwehrhaltung mehr als auf den Energiemärkten.

Die Politik muss dieser Erpressung endlich wirksam entgegentreten. Grundsätzlich stehen ihr zur Bekämpfung marktbeherrschender Unternehmen vier Optionen zur Verfügung, die allerdings alle massiven Widerstand der Multis zur Folge hätten. Erstens: Sie zerschlägt die Marktgiganten durch eine Entflechtung. Dies führt aber womöglich zu einem Verlust von economies of scale (sinkenden Kosten bei steigenden Produktionszahlen). Zweitens: Politik verstaatlicht (vergesellschaftet) die Marktbeherrscher. Hier würden allerdings verfassungsrechtlich nicht unbeträchtliche Entschädigungszahlungen fällig. Drittens könnte Politik die durch Marktmacht entstehenden Profite durch eine Monopolsteuer abschöpfen. Dies würde aber den jeweiligen Nachfragern nichts nützen, sie müssten trotzdem die überzogenen Preise der Marktgiganten bezahlen. Und viertens: Politik führt unternehmensinterne Preis- und Kostenkontrollen durch. Hier könnte ein schon heute bestehendes, aber zu modifizierendes öffentliches Preisrecht in Anschlag gebracht werden.

Die potentiellen Instrumente liegen also vor, die Volksvertreter müssen sich nur entscheiden, welche sie zur Anwendung bringen wollen – wenn sie sich denn tatsächlich als Volks- und nicht als Interessenvertreter der Marktgiganten verstehen.

 


[1] Vgl. Heinz-J. Bontrup, Die Vergesellschaftung des Kartells. Der Kampf um die Stromwirtschaft, in: „Blätter“, 2/2009, S. 110-116.

[2] Vgl. dazu etwa Mohssen Massarrat, Die andere Brückentechnologie, in: „Blätter“, 6/2011, S. 12-15.

[3] Bundeskartellamt, Sektoruntersuchung Kraftstoffe, Abschlussbericht Mai 2011. Die folgenden Zitate ebd.

[4] Vgl. Heinz-J. Bontrup, Die vier von den Tankstellen, in: „Blätter“, 4/2002, S. 405-408.

 

(aus: »Blätter« 7/2011, Seite 9-12)