LKA-Sachsen auf Deutschlandtour

Die Repressionsmaßnahmen nach den erfolgreichen antifaschistischen Blockaden der alljährlich im Februar stattfindenden Neonazidemonstration in Dresden in den Jahren 2010/2011 sind sicher ein Paradebeispiel, wie seitens einer konservativen Mehrheit ideologisch motiviert der Kampf gegen »Linksextremismus« geführt wird. Staatliches Vorgehen schlägt sich in plakativen Öffentlichkeitskampagnen, rechtswidrigen Repressionsmaßnahmen und viel Fantasie der Ermittlungsbehörden nieder.

Dresdner »Handygate«

Im Nachgang des 19. Februars 2011 führte die sächsische Polizei eine weitgefächerte Funkzellenanalyse durch. Dabei wurden Funkzellen retrospektiv bei den Providern abgefragt und somit sämtliche Handydaten aus mehreren Gebieten über verschiedene Zeiträume erlangt. Den Behörden liegen derzeit über eine Million Handydatensätze bezüglich der Repressionsmaßnahmen um den 19. Februar vor, aus denen mehr als 41.000 Personen namentlich (sog. Bestandsdaten) ermittelt wurden. Damit dürfte jede_r Demonstrant_in, alle Journalist_innen, sämtliche anwesenden Anwält_innen und Abgeordneten sowie zahlreiche Anwohner_innen, Tourist_innen und weitere Unbeteiligte in das Elektronische Erfassungssystem (EFAS) des sächsischen Landeskriminalamtes (LKA) Eingang gefunden haben.

Dieser als »Dresdner Handygate« bekannt gewordene Skandal bestätigt erneut, dass wenn den Behörden die technischen Mittel an die Hand gegeben werden, jegliche rechtsstaatliche Kontrolle verloren geht.1

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Die Ermittlungsbehörden griffen nicht »nur« auf Funkzellenanalysen zurück, sondern setzten mindestens einen sog. IMSI-Catcher im Umfeld des Büros von Dresden Nazifrei ein. Ein solcher »Catcher« simuliert dabei einen Funkmasten, so dass sich sämtliche in der Funkzelle aktiven Handys bei ihm einloggen, wodurch sowohl Ortung als auch tatsächliches Mithören möglich werden. Nachdem die Staatsregierung hartnäckig den Einsatz eines solchen Geräts bestritt, musste sie nach Auftauchen eines LKA-Schriftstücks einräumen, dass es mindestens einen IMSI-Catcher gab, wobei aber seitens der Ermittlungsbehörden behauptet wird, dieser wäre nur zur Ortung eingesetzt worden.

Staatsregierung und Ermittlungsbehörden reagierten sächsisch gewürzt auf den Nachweis des eingesetzten IMSI-Catchers und eröffneten ein Ermittlungsverfahren gegen den auch der Partei angehörigen Anwalt der Linkspartei wegen »Verbotener Mitteilung über Gerichtsverhandlungen«. Das Pressegeheimnis ignorierend forderte das LKA mehrere Medien per Schreiben auf, mitzuteilen, woher sie Kenntnis über den Einsatz des Catchers erlangt hätten. Woraus sich der alleinige Verdacht just gegen ein Mitglied der Linkspartei ableitet, hat die Staatsanwaltschaft bis heute nicht erklärt. Den Vorwurf einer politisch motivierten Strafverfolgung weist die dem Justizministerium weisungsgebundene Behörde natürlich strikt von sich.

Rechtswidrige Durchsuchung am 19. Februar

Wie das AIB bereits in der Sommerausgabe 2011 (#91) berichtete, hatte das SEK am Abend nach der erfolgreichen Verhinderung der Neonazidemonstration das Pressebüro von »Dresden Nazifrei« gestürmt, die Technik beschlagnahmt und die Anwesenden in Gewahrsam genommen. Dass es bei dieser auf einem mündlich erlassenen Durchsuchungsbeschluss durchgeführten

Razzia nicht mit rechten Dingen zugegangen war, ist nun amtlich bestätigt. Die Maßnahmen in den Räumen der Linkspartei und einer verschlossenen Anwaltskanzlei wurde durch das Landgericht Dresden für rechtswidrig erklärt. Den Schaden am Gebäude hatte der Freistaat bereits im Frühjahr kleinlaut übernommen.

Das Amtsgericht Dresden eröffnete trotz rechtlicher Bedenken mehrere Verfahren gegen Blockierer_innen wegen Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz. Das sächsische Verfassungsgericht hatte jedoch zuvor das sächsische Versammlungsgesetz aufgrund fehlerhafter Verabschiedung rückwirkend für nichtig erklärt. Während eine Verhandlung aufgrund rechtlichen Klärungsbedarfs derzeit ausgesetzt wurde, ist in einem anderen Verfahren zunächst prozessiert worden. Aber auch dieses Verfahren ist aufgrund der dürftigen Beweislage und dem Hinweis von notwendigen Nachermittlungen ausgesetzt. Aufgenommen wurden die Personalien der Blockierer_innen nämlich erst, nachdem die Neonazis längst abgefahren waren. In der Zwischenzeit war es aber möglich, sowohl zum Blockadepunkt hinzukommen, als auch diesen zu verlassen. Wer also konkret zum angeblichen Blockadezeitpunkt vor Ort war, konnte bisher nicht gerichtsfest dargelegt werden.

Trotz dieser rechtlichen Fragwürdigkeit hob der Immunitätsausschuss des sächsischen Landtags mit den Stimmen von CDU, FDP und NPD die Immunität des Fraktionsvorsitzenden der Linken, André Hahn, auf und macht somit eine Anklageerhebung der Dresdner Staatsanwaltschaft möglich. Auch die Immunität des Linkspolitkers Bodo Ramelow in Thüringen wurde bereits aufgehoben.

Sachsens Behörden auf BRD-Tour

Nachdem man im Freistaat und in Brandenburg Antifaschist_innen bereits im Februar, März und April Hausbesuche abgestattet hatte, begaben sich LKA, Sonderkommission und Staatsanwaltschaft auf Reisen in die Bundesländer Thüringen, Baden-Württemberg und Berlin.

Beim Ausflug nach Jena im Juli vergaßen die Behörden den Föderalismus und ignorierten die Thüringer Landeskompetenz komplett. Dass die Sachsen die Umleitungen des Verkehrs aufgrund ihrer Absperrmaßnahmen selbst regelten, war dabei noch der kleinste föderale Fauxpax. Schwerer wiegt der politische Flurschaden, der durch die Ermittlungen gegen den Jenaer Jugendpfarrer Lothar König wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung, einer angeblichen »Antifa-Sportgruppe«, verursacht wurde. Der Pfarrer hatte sich kurz zuvor kritisch in einem »Spiegel«-Interview zum Vorgehen der sächsischen Behörden geäußert und prompt das Einsatzkommando in seiner Dienstwohnung gehabt. Die Missachtung des besonderen verfassungsrechtlichen Schutzes von Pfarrern wurde dabei ebenso leichtfertig weggewischt, wie zuvor schon über etliche Grundrechte wie Versammlungs-, Presse-, Religionsfreiheit und weitere verfassungsrechtlich geschützte Rechte hinweg gegangen worden war.2

Die nächste Reise führte die Polizei dann im Frühherbst nach Berlin, wo neben einem bekannten Hausprojekt auch der Vizevorsitzende der Berliner VVN-BdA aufgesucht wurde. Vergleichbar mit Lothar König wird ihm seitens der Staatsanwaltschaft seine unterstellte Rolle während der Blockaden vorgeworfen. Abschluss der bisherigen Deutschlandtour war Stuttgart, wo die Polizei sieben Monate später Beweise in Form von »schwarzen Kleidungsstücken« suchte. Auch Nichtkriminalist_innen dürften sich hinsichtlich der Effektivität einer solchen Beweissicherung Fragen stellen. Hier steht offensichtlich die rechtswidrige Einschüchterung antifaschistischen Protests im Vordergrund der Maßnahme.

Neonazis als »Tippgeber« im 129er Verfahren

Bereits seit April 2010 und somit direkt im Anschluss an die erstmalige erfolgreiche Verhinderung der Neonazigroßdemonstration, eröffnete die Dresdner Staatsanwaltschaft auf Intervention des LKA ein Ermittlungsverfahren wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung gegen Antifaschist_innen (vgl. AIB #91).

Vorangetrieben wird dieses Verfahren auch mit Unterstützung durch bekannte Neonazis. Diese wurden als Zeugen vorgeladen und deren Aussagen in Ermittlungsmaßnahmen wie Observationen und weitere verdeckte Ermittlungen umgesetzt. Dass auch dieses Vorgehen in Sachsen bei den Ermittlungsbehörden kein Neues ist, zeigen bereits Vorgänge aus den vorangegangenen Jahren. Ermittlungsverfahren gegen Antifaschist_innen, die willkürlich von Neonazis angezeigt worden waren, wurden seitens der Behörden, egal, wie hanebüchen die Behauptungen waren oder wie offensichtlich der Belastungseifer von Neonazis zu Tage trat, aufgenommen. Im Jahr 2004 gelangte durch ein solches Verfahren eine umfangreiche Ermittlungsakte mit Bildern, Namen und Adressen von linken und alternativen Personen an die Freien Kräfte in Dresden. Diese bastelten daraus prompt eine Anti-Antifa-Liste (vgl. AIB #74).

Zusätzlich haben sich LKA und Staatsanwaltschaft im 129er Verfahren weitere Kompetenzen organisiert, indem sie durch Verfahrensabtrennung schlicht aus schon einer absurden kriminellen Vereinigung zwei Organisationen herbeizauberten. Beide Verfahren dürften nunmehr über 40 Personen als Beschuldigte umfassen, die dazugehörigen sogenannten Strukturermittlungen ermöglichen den Verfolgungsbehörden umfangreiche Ermittlungsmaßnahmen. Neben dem bekannt gewordenem »Handygate« und Einsatz eines IMSI-Catchers gehören Observationen, Abhörmaßnahmen, DNA-Feststellungen, Hausdurchsuchungen und internationale Recherchen zum Repertoire der bekannt gewordenen Methoden in diesen Verfahren.

Kein Vergeben, kein Vergessen

In dem Wissen um die todbringende Gefahr neonazistischer Ideologie werden wir uns auch in Zukunft weiter den alten und neuen Nazis in den Weg stellen. Dass der Freistaat Sachsen zu den besonders harten Brocken sowohl im Hinblick auf die Aktivitäten von Neonazis als auch auf die konservative Verbohrtheit mit Blickrichtung »Extremismus« zählt, ist uns dabei bewusst. Repression, Einschüchterung, Diffamierung und Gängelung behindern uns in unserem Engagement, werden aber nicht dazu führen, dass wir uns entsolidarisieren oder von unserem Ziel »Den Nazis keinen Meter« abweichen. Dies gilt auch für den Februar 2012 in Dresden.

1| So kommt der Sächsische Datenschutzbeauftragte in seiner Prüfung zu dem Schluss: »Wer eine Funkzellenabfrage durchführen will, die sich zeitlich über mehrere Stunden erstreckt, dicht besiedelte Wohngebiete erfasst, Demonstrationsgebiete berührt und dabei auch Abgeordnete ins Visier nimmt, hat sich über die Angemessenheit eingehend Gedanken zu machen. Dies war weder bei der ermittlungsführenden Staatsanwaltschaft Dresden, der Polizeidirektion Dresden, noch beim LKA Sachsen der Fall.«
2| Das Ermittlungsverfahren gegen Lothar König wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung wurde dann auch nicht wegen seiner Absurdität eingestellt, sondern weil dem Pfarrer in einem anderen Verfahren eine höhere Strafe droht. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm zusätzlich einen »schweren aufwieglerischen Landfriedensbruch« vor.