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Die „Anarchosyndikalistische Initiative Rumäniens“ versucht Alternativen jenseits von Kapitalismus und Stalinismus zu bieten

Die neue Anarchosyndikalistische Initiative, ASIR, ist das einzige revolutionäre gewerkschaftliche Projekt in Rumänien, der einzige frische Wind in einer unter Klassenkollaboration, Sozialpartnerschaft und undemokratischen Praxen leidenden Arbeiterbewegung,“ betont die im November 2011 gegründete Gruppe aus Bukarest.

In einem kürzlich in der IWW-Zeitung Industrial Worker erschienenen Interview präsentieren sie sich selbstbewusst und zielsicher: „Wir versuchen sowohl die Industrie als auch die Mainstream-Gewerkschaften anzugreifen, aber es ist ein harter Kampf.“

Nach eigener Einschätzung kann die noch junge und kleine Initiative aus Südosteuropa internationale Unterstützung gut gebrauchen und hat bereits die Aufnahme in der Internationalen Arbeiterassoziation (IAA) beantragt.

EIN LAND IM WANDEL...

Die rumänische Gesellschaft steckt in einer tiefen wirtschaftlichen und somit auch sozialen Krise, in welcher die traditionellen Gewerkschaften ihrer eigentlichen Aufgabe, dem Kampf für lebenswürdige Löhne oder wenigstens der Verteidigung von sozialen Standards nicht mehr nachkommen können. Viel zu lange hatte es gedauert, bis die großen Gewerkschaften auf die von Sozialabbau und Lohnkürzungen begleitete Finanzkrise 2009 reagierten. Die liberal-konservative Regierung Basescu hatte mit Rücksicht auf einen Notkredit über 20 Milliarden Dollar vom Internationalen Währungsfonds (IWF) zuerst die Mehrwertsteuer von 19% auf 24% angehoben, im Sommer dann alle öffentlichen Gehälter um 25% gekürzt, die Renten gesenkt, Krankenhausschließungen und massiven öffentlichen Stellenabbau durchgesetzt. Gleichzeitig verblieb die einheitliche Einkommenssteuer bei nur 16%.

Selbst der Vorsitzende des IWF Dominique Strauss-Kahn äußerte damals seine Verwunderung über den einseitigen Sparkurs der Regierung: „Die Regierung sagte, sie würde 25% kürzen. Wir rieten ab: Wenn Sie sparen wollen, erhöhen Sie Steuern, insbesondere für die Reichen. Aber die Regierung antwortete: Nein, wir sind diejenigen, die entscheiden.“

„Anarchistische und anarchosyndikalistische Ideen werden populärer, immer mehr Leute interessieren sich für diesen Ansatz. Es sind kleine Schritte, aber die Unterschiede zu den vergangenen Jahren sind erkennbar“, so ASIR gegenüber der DA. Trotz des immer noch großen Einflusses bröckelt das Vertrauen in die monopolistisch und undemokratisch agierenden Großgewerkschaften. „Es ist nicht einfach, an die bürgerlichen Gewerkschaften heranzukommen. Sie verhalten sich wie gelbe Gewerkschaften und sind auf jede Alternative eifersüchtig.“

Die Seilschaften zwischen ehemals staatlichen Gewerkschaften, Regierungs- und Wirtschaftsvertretern sind eng geknüpft. Nicht nur in Rumänien konnten sich ehemalige Parteikader quasi über die Wende-Nacht zu Marktwirtschaftlern und Businessmen wandeln. Gleichzeitig auch noch eine Gewerkschaftsfunktion zu bekleiden, ist in ihren Augen nicht Ausdruck von Doppelzüngigkeit, sondern von Geschäftsgeist. Die Verhandlungskanäle zwischen Arbeitnehmern, Arbeitgebern und Regierungsvertretern sind dementsprechend wenig transparent und von Korruption durchzogen.

„Die aktuelle Krise wurde von einigen wichtigen Ereignissen begleitet. Kurz nachdem die Regierung entschied, Löhne und Renten zu kürzen, nahm die Staatsanwaltschaft Untersuchungen gegen Gewerkschaftsfunktionäre auf. Das ist kein Zufall, selbst wenn hohe Gewerkschafter korrupt sind. Die Regierung wollte sichergehen, dass es keine Gegenstimmen zu ihrer Politik gibt, die Änderung des Arbeitsrechtes und die Prekarisierung von Arbeitern eingeschlossen. Vor kurzem wollte der Innenminister ein Gesetz erlassen, das Demonstrationen verhindert, indem die Anmeldung von öffentlichem Protest erschwert werden sollte. Bei jeder noch so kleinen Kundgebung gibt es jede Menge Polizisten, um sämtliche Teilnehmer zu erfassen. Das schüchtert alle diejenigen ein, die ihre Unzufriedenheit mit der aktuellen Politik und den Regierungsentscheidungen auf die Straße tragen wollen. Eine solche Reaktion der Mächtigen war zu erwarten, denn Macht existiert nur aus einem Grund – sich selbst zu erhalten.“

...DER JEDOCH CHANCEN BIETET

Bis heute scheint diese Rechnung aufzugehen. Die Proteste gegen die massiven Gehaltskürzungen im öffentlichen Dienst und den umgreifenden Sozialabbau waren bislang weitgehend erfolglos. Zeitgleich senkte sich das allgemeine Lohnniveau im Land; Misstrauen und Resignation bleiben am Ende. Dies sei nicht nur in Rumänien, sondern weltweit zu beobachten, resümiert die ASIR: „Der Wohlfahrtsstaat – der alle radikalen Bewegungen in Europa entradikalisierte – fällt. Kapitalismus ohne Begrenzung und ohne die Sowjetunion als Gegenpart wird zu Selbstzerstörung führen, denn Kapitalismus bedeutet die Bündelung von Wohlstand in immer weniger Händen.“

Dieser Trend ist in Rumänien offensichtlich, gleichzeitig ist jedoch eine Zunahme unabhängiger sozialer Proteste zu beobachten. In Bukarest wurde erstmalig die Universität mit der Forderung nach mehr Autonomie und demokratischen Strukturen im Bildungsbereich besetzt, in Cluj kam es zu symbolischen Enteignungen der städtischen Behörden und bei der Parade zum Nationalfeiertag wurde der Präsident mit Buhrufen empfangen.

Ein Erfolg für ASIR war auch der kürzliche Streik in dem metallverarbeitenden Betrieb GDS MS in Arad. Nach vergeblichen Verhandlungen der kleinen Gewerkschaft NEMIRA konnten die Metallarbeiter mit einem unbefristeten Streik ihren Lohn von gerade einmal 125 Euro durch Lebensmittelcoupons aufbessern und gerechtere Arbeitsverträge aushandeln. Um die ignorante Berichterstattung der Mainstream-Medien zu durchbrechen, übernahm ASIR auf ihrer Webseite die Öffentlichkeitsarbeit und versuchte, über Kontakte zu anderen anarchosyndikalistischen Initiativen außerhalb Rumäniens, eine breitere Aufmerksamkeit für die Arbeitsbedingungen bei dem Global Player GDS zu schaffen.

„Rumänien kann keinen Aufschwung erwarten, nicht nach all den Kürzungen und der Beschneidung von Freiheiten durch die Regierung. Vor diesem Hintergrund jedoch hat eine anarchosyndikalistische Bewegung die Chance, stärker zu werden“, hofft die Initiative.

Roland Ibold

Dieser Artikel erschien zuerst in der Direkten Aktion 209 – Januar/Februar 2012.