Global verhandelt: Konvention über Biologische Vielfalt

2012 wird für die internationale Umweltpolitik unter dem Dach der Vereinten Nationen ein besonderes Jahr: Der Erdgipfel in Rio im Jahre 1992 jährt sich zum 20sten Mal. Der von ihm in Gang gesetzte Rio-Prozess wird im kommenden Jahr mit einer Konferenz fortgesetzt. In Rio wurden die Agenda 21, die Klimarahmenkonvention und die Konvention über biologische Vielfalt beschlossen. 2012 treffen sich die Vertragsstaaten der Konvention über Biologische Vielfalt zum 11ten Mal und die des dazugehörigen Cartagena Protokolls über biologische Sicherheit zum 5ten Mal.

Interview mit Christine von Weizsäcker

Christine von Weizsäcker ist seit mehr als drei Jahrzehnten in internationaler Umweltpolitik engagiert. Sie setzt sich für Partizipation, Rechtsschutz und internationale Regeln für neue Technologien ein. Die Biologin ist Präsidentin von Ecoropa, Vorstandsmitglied der CBD-Alliance, des zivilgesellschaftlichen Dachverbands für die Konvention über biologische Vielfalt und Mitglied im wissenschaftlichen Beirat des Gen-ethischen Netzwerks. Seit letztem Jahr ist sie, von Frauenorganisationen als ihre Expertin benannt, vom UN-Umweltprogramm in die zivilgesellschaftliche Beratergruppe zur Vorbereitung auf Rio2012 berufen worden.

Im kommenden Jahr wird sich die Weltgemeinschaft zum 20sten Jubiläum des Gipfels über Umwelt und Entwicklung wieder in Rio de Janeiro versammeln. Ist das ein Grund zum Feiern?
Da wir nicht wissen, wie die Welt ohne diesen Erdgipfel aussähe, wissen wir das nicht so recht. Sobald der politische Wille vorhanden ist, bietet der Rio-Prozess die Möglichkeit, schnell zu internationalen gesetzlich bindenden Regeln zu kommen und sie durchzusetzen. Feiern ist eher nicht angesagt, aber die Arbeit an der Erzeugung des politischen Willens muss verstärkt weitergehen.

Das Treffen wird aktuell bereits vorbereitet. Wo zeigen sich entscheidende Themen und Verhandlungslinien?
Bei der Vorbereitung stehen zwei Bereiche nebeneinander: Green Economy, das heißt die Ergrünung der Wirtschaft auf der einen Seite, und International Environmental Governance, das heißt die Schaffung eines internationalen Umweltrechtsrahmens und einer passenden Organisationsstruktur auf der anderen Seite. Es gibt ein dickes Problem, das seit Jahren alle internationalen Verhandlungen beeinflusst. Die USA, die in den 1970er Jahren noch großes Interesse an der Entwicklung internationaler Rechtsregeln hatten, blockieren und schwächen heutzutage die Entwicklung vieler neuer Abkommen und treten ihnen auch nicht bei. Das gilt insbesondere für den Umweltbereich. Das gilt nicht für den Wirtschaftsbereich und die Welthandelsorganisation, WTO.
Gleichzeitig gibt es viele Länder, die internationales Umweltrecht weiterentwickeln wollen, das heißt im Rio-Prozess weitergehen wollen. Wenn jedoch eine Weltmacht wie die USA nicht mitmacht, fragen sich diese Länder natürlich, ob der Weg internationaler, rechtlich bindender Umweltabkommen überhaupt noch begehbar ist.

Welche anderen Wege stehen offen?
Den Ländern steht es offen, nationale Gesetze zu erlassen. Häufig unterbleibt dies, weil Alleingänge Nachteile mit sich bringen können. International ist die Alternative, auf den Kurs der USA umzuschwenken, und nur noch auf Marktmechanismen und freiwillige Selbstverpflichtungen der Industrie zu setzen. Nun brauchen aber die Armen und Finanzschwachen Rechtsschutz, denn sie können sich ihr Überleben nicht auf dem Weltmarkt kaufen. So wollen gerade viele Entwicklungsländer nicht alleine auf die Karte der Green Economy setzen. Sie beharren auf der Schaffung eines internationalen Umweltrechtsrahmens, zur Not auch ohne die USA. An diesem Konflikt könnte der gesamte Rio-Prozess zugrunde gehen.

Was genau ist der Rio-Prozess?
Bei der Konferenz der Vereinten Nationen für Umwelt und Entwicklung, die 1992 in Rio de Janeiro stattfand, wurden drei völkerrechtliche Übereinkommen beschlossen: das Klimarahmenabkommen (UNFCCC), die Wüstenkonvention (UNCCD) und das Internationale Übereinkommen über die biologische Vielfalt (CBD). Zudem verabschiedeten die teilnehmenden Staaten die Erklärung von Rio mit Grundprinzipien für Umwelt und Entwicklung und die Agenda 21, den Aktionsplan für deren Umsetzung. Alle fünf Jahre seit dem Erdgipfel in Rio treffen sich Vertreter aller Länder zur Weiterarbeit an den eingegangenen Verpflichtungen.

Wenn dieser Prozess scheitern würde, was bliebe auf der Strecke?
Die Beschlüsse von Rio haben Ziele, die über die Engfassung einer rein technischen Abwicklung des Umwelt- und Naturschutzes - wie zum Beispiel des Handels mit Verschmutzungsrechten oder die Finanzierung und Verwaltung international bedeutender Naturschutzgebiete - weit hinausgehen. In der Konvention über biologische Vielfalt und bei der Agenda 21 werden Naturerhaltung, nachhaltige Nutzung und Gerechtigkeit gemeinsam zu Tragsäulen. Bürgerinnen und Bürger auf der ganzen Welt arbeiten daran, alle drei Säulen zu stärken, die gemeinsam nachhaltige Entwicklung tragen können. Sie bringen sich auf der internationalen, nationalen Ebene und im Rahmen der Lokalen Agenda ein.(1)
Analysen zeigen immer wieder ein Umsetzungsdefizit der internationalen Umweltpolitik. Kein Wunder, denn zwei für die Umsetzung wesentliche Prinzipien der Rio-Erklärung blieben weitgehend ungenutzt. Erstens das Prinzip 10 über Informations-, Beteiligungs- und Klagerechte der Öffentlichkeit, das heißt Umweltbürgerrechte, die es den Bürgern erleichtern würden, zum Motor der politischen Willensbildung in Richtung Nachhaltigkeit zu werden. Zweitens, das Verursacherprinzip, das den Verursacher für die Folgen seines Tuns zur Verantwortung zieht. Dadurch werden beim Eingehen eines Risikos schon die Kosten sichtbar und den Opfern wird Wiedergutmachung oder wenigstens finanzielle Erleichterung geschaffen. Und das wichtige Vorsorgeprinzip? Das ist zwar an vielen Stellen anerkannt, kämpft aber damit, dass die WTO es als „Handelshindernis“ verunglimpft und ausbremst.

Wer kooperiert mit wem?
Die Regierungen innerhalb eines Kontinents sprechen ihre Positionen gemeinsam ab und versuchen gemeinsam aufzutreten. Dies gilt insbesondere für die Europäische Gemeinschaft und ihre Mitgliedsstaaten. Die Entwicklungsländer versuchen insgesamt innerhalb von „G77 und China“ einen Konsens zu finden. Die kleinen Inselstaaten arbeiten miteinander, auch die großen Schwellenländer treffen sich. Die Zivilgesellschaft versucht bei der Entwicklung der nationalen Positionen Einfluss zu nehmen und sie organisiert sich international. Für den Rio-Prozess spielen die Major Groups, neun gesellschaftliche Gruppen, eine wichtige Rolle. Dazu zählen indigene Völker, Bäuerinnen und Bauern, Gewerkschaften, Frauen, Kinder und Jugendliche, Nichtregierungsorganisationen, lokale Regierungen, Wissenschaft und Wirtschaft.
Die gute Nachricht ist, dass die Verhandlungspositionen von acht der neun Major Groups sehr nahe beieinander liegen und gemeinsame Forderungen entwickelt wurden. Dazu gehören die Stärkung des Vorsorgeprinzips, die Umsetzung des Verursacherprinzips und des Prinzips 10, das heißt der Umweltbürgerrechte, die Schaffung einer Ombudsperson für zukünftige Generationen mit weitreichenden Kompetenzen, und die Einrichtung einer Institution für Technikfolgenabschätzung, beides hoch im UN-System angesiedelt. Unabhängige, vielfältige und regional ausgewogene Prüfung neuer Technologien mit weltweiten Auswirkungen, zum Beispiel Geo-engineering, Gentechnikbäume, Synthetische Biologie, Nanotechnologie sind dringend erforderlich, sonst laufen Moratorien ins Leere.
Die schlechte Nachricht ist, dass die neunte Major Group, die Wirtschaft, sich all diesen Forderungen nicht anschließen kann. Soviel zum Abgrund, der sich zwischen Green Economy und internationalem Rechtsrahmen auftut. Und das zu einem Zeitpunkt, wo sogar aus der Finanzwelt vermehrt Stimmen für die Schaffung eines stabilen internationalen Rechtsrahmens zu hören sind, die Märkte für ihr langfristiges Gedeihen brauchen.

Kommen wir zu den Verhandlungen im Rahmen der CBD. Bei den letzten Verhandlungen der CBD und ihres Cartagena Protokolls 2010 im japanischen Nagoya vereinbarten die teilnehmenden Länder zwei neue internationale Protokolle.
Tatsächlich war das ein überraschendes Ergebnis. Umweltverhandlungen stagnieren im Moment eher. Bemerkenswert ist auch, dass gerade die Entwicklungsländer auf wirkungsvolle Bestimmungen drängten. Es wurden sogar gleich zwei neue Protokolle beschlossen, das heißt starke, rechtlich bindende Weiterentwicklungen der „weichen“ Verpflichtungen, die schon in der Konvention zu finden sind. Auch die Namen sind sehr beeindruckend (lacht): Erstens, Nagoya Protocol on Access to Genetic Resources and the Fair and Equitable Sharing of Benefits Arising from their Utilization to the Convention on Biological Diversity und zweitens, Nagoya-Kuala Lumpur Supplementary Protocol on Liability and Redress to the Cartagena Protocol on Biosafety. Die Länder sind gerade dabei zu entscheiden, ob sie diesem stärkeren Rechtsrahmen und seinen Verpflichtungen beitreten wollen und wie sie ihre nationalen Gesetze dazu gestalten.

Skizzieren Sie bitte die Ergebnisse.
Das Cartagena Protokoll über biologische Sicherheit, das 2003 in Kraft trat, regelt den Grenzübertritt von gentechnisch veränderten Organismen. Die Länder müssen über geplante Importe vorher informiert werden. Sicherheitsrelevante Informationen müssen ihnen zur Verfügung gestellt werden. Sie können ergänzende Informationen einfordern. Sie machen eine eigene Risikoabschätzung, wobei sie ihre speziellen Ökosysteme und ihre besonderen sozio-ökonomischen Bedingungen berücksichtigen, und entscheiden dann über den Importantrag. Gentechniktransporte müssen als solche dokumentiert sein. Bei den Verhandlungen im Januar 2000 konnte über die genaue Regelung von Haftung und Wiedergutmachung im Falle eines Schadens durch GVO keine Einigkeit erreicht werden. Es steht im Protokoll, dass die genauen Bestimmungen vier Jahre nach Inkrafttreten des Protokolls vorliegen sollten. Das in Nagoya verabschiedete Zusatzprotokoll zum Biosicherheitsprotokoll ist die verspätete Umsetzung dieses Beschlusses. Betreiber haben Informations-, Schadensbekämpfungs- und Wiedergutmachungspflichten. Länder können für Gentechnikimporte eine Versicherungspflicht auf nationaler Ebene verlangen. Das Recht auf nationale Gesetzgebung erscheint zunächst einmal banal. Die WTO sieht in staatlichen Verboten oft „nicht-tariffäre Handelshemmnisse“. Versicherungspflicht und damit die Einbeziehung der großen Rückversicherer in die Risikobewertung kann bedeuten, dass aus rein privatwirtschaftlichen Überlegungen der Versicherungswirtschaft heraus, kein Versicherungsschutz angeboten wird oder die Versicherungssumme, das heißt der Preis des Risikos, als extrem berechnet wird. Das kann dazu führen, dass kein Import zustande kommt. So können Staaten gentechnikfrei bleiben, ohne dass ihnen das als Handelshindernis angekreidet werden kann.

Wo liegt die besondere Relevanz dieser Ergänzung?
Es gibt sehr viele Staaten auf der Welt, deren Budget so klein ist, dass sie im Schadensfall die Mittel nicht hätten, bei einer Biodiversitäts- oder Gesundheitskatastrophe schadensbegrenzend einzugreifen und den Geschädigten zu helfen. Und hier gibt es ein Signal an die Hersteller und Importeure von GVOs: „Risiko hat seinen Preis und ihr werdet auch für unvorhergesehene oder abgestrittene Schäden bezahlen müssen.“

Kommen wir zum Nagoya Protocol on Access to Genetic Resources and the Fair and Equitable Sharing of Benefits Arising from their Utilization to the Convention on Biological Diversity. Was verbirgt sich konkret dahinter?
Das CBD, hat - wie schon erwähnt - drei Ziele: Erhaltung der biologischen Vielfalt, ihre nachhaltige Nutzung und Gerechtigkeit bei der Verteilung der Vorteile, die aus dieser Nutzung entstehen. Die Industrieländer sahen in der CBD hauptsächlich ein Naturschutzabkommen. Der Gerechtigkeitsaspekt wurde von den biodiversitätsreichen Entwicklungsländern lange Zeit vergeblich eingefordert. Es gab und gibt viel Biopiraterie, das heißt illegale Aneignung von genetischen Ressourcen ohne vorherige Zustimmung des Ursprungslandes und ohne Verträge, die die Vorteilsverteilung fair und ausgewogen festlegen. Auch traditionelles Wissen, das mit genetischen Ressourcen verknüpft ist, wird einfach eingesammelt und verwendet. Solches Wissen, zum Beispiel über die Heilkraft pflanzlicher Wirkstoffe erspart den wissenschaftlichen und industriellen Nutzern oft, ungezielt den ganzen tropischen Regenwald inventarisieren und auf biologische Wirkung hin untersuchen zu müssen. Konkret geht es da um Wissen, welche Pflanze Schweißfüße verhindert, was bei Wundheilung hilft oder appetitzügelnd wirkt. Solches Wissen kann von Großkonzernen genutzt werden, um Entwicklungskosten bis in die Milliarden hinein einzusparen.
Seit 1992 haben die Entwicklungsländer immer wieder daran erinnert, dass die CBD auch ein drittes Ziel hat: die Gerechtigkeit. Lange tat sich nichts. Dann gab es die Bonner Richtlinien zur freiwilligen Selbstverpflichtung der Nutzer der biologischen Vielfalt. Leider waren die kaum wirksam. Im Jahre 2002 erreichten die Entwicklungsländer beim Nachhaltigkeitsgipfel in Johannesburg, dass eine neue Initiative für Verhandlungen verabschiedet wurde. Und im Jahre 2007 beschloss die Generalversammlung der Vereinten Nationen die Erklärung über die Rechte indigener Völker und klärte damit die Besitzrechte an genetischen Ressourcen und traditionellem Wissen zwischen Nationalstaaten und indigenen Völkern. In Nagoya wurde nun 2010 der Text des Antibiopiraterie-Protokolls beschlossen. Ein ziemlich unfertiger Text, der vieles der Interpretation und nationalen Ausgestaltung überlässt. Ein zentrales Element ist, dass keine genetischen Ressourcen reisen dürfen, ohne dass der Ursprungseigner informiert wurde und seine Zustimmung gab. Länder und Gemeinschaften können „Nein“ sagen. Sie können Bedingungen stellen. Darüberhinaus muss es einen Vertrag geben, wie die Vorteile verteilt werden. Dabei geht es nicht nur um finanzielle Vorteile, es kann auch um systematische gemeinsame Erforschung und Nutzung, um Infrastrukturaufbau und Ausbildung gehen.
Es sei an dieser Stelle noch einmal an die USA erinnert. Sie sind kein Vertragsstaat der CBD, haben sich an gerechten Vorteilsausgleich nicht gebunden und wurden zu den massivsten und effektivsten Biopiraten, völlig rechtens übrigens, falls die Ursprungsländer keine wirkungsvollen nationalen Antibiopirateriegesetze verabschiedet haben.
Leider gibt es eine ausgedehnte Grauzone zwischen rein wissenschaftlicher Nutzung und wirtschaftlicher Anwendung der genetischen Ressourcen. An den Universitäten gibt es Public-Private-Partnerships, das heißt Projekte, die mit Drittmitteln aus der Privatwirtschaft gefördert werden. Es gibt universitäre Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die auch Patentinhaber und Firmeninhaber sind. Genetische Ressourcen wandern von der rein wissenschaftlichen Beschreibung bis hin zur industriellen Nutzung und Vermarktung in einem undurchsichtigen, aber viel genutzten Korridor.
In den Industriestaaten, also auch in Deutschland, stellt sich vor allem die Frage, welche Punkte so genannte Checkpoints sein sollen. Das heißt, an welchen Punkten geprüft wird, ob für die genutzte genetische Ressource - Pflanze, Wirkstoff aus einem Pilz oder antibakterielle Wirkung der Haut von Fröschen - Einverständnis und entsprechender Vertrag mit den Ursprungseignern vorliegt. Die Entwicklungsländer bestehen darauf, dass zumindest die Patentämter als effektive Kontrollpunkte für den Nachweis der legalen Nutzung der genetischen Ressourcen und des traditionellen Wissens dienen sollten. Jeder, der ein Patent auf die Nutzung einer genetischen Ressource anmelden will, soll den Erfordernissen des Nagoya Protokolls entsprechen.

Einer der zentralen Kritikpunkte an den ABS-Verhandlungen ist - von Beginn der Verhandlungen in Rio an - dass genetische Ressourcen und damit Natur an sich finanziell in Wert gesetzt und zur Handelsware wird. Wie würden Sie im Rückblick diese Kritik einordnen?
Leider ist das eine lange traurige Geschichte. 1972 fand die erste internationale Umweltkonferenz in Stockholm statt. Dort wurde beschlossen, dass biologische Ressourcen ein gemeinsames natürliches Erbe der Menschheit seien. Sie hatten den Charakter eines Gemeinguts, nicht eines Privatbesitzes. Die Entwicklungsländer mussten jedoch feststellen, dass sich die stärkeren Geschwister, nämlich die Industrieländer, dieses Erbe unter den Nagel rissen und dass für sie selbst, auf deren Territorien die biologische Vielfalt hauptsächlich gedeiht, kein fairer Anteil blieb. Es wurde gesammelt - Tiere, Pflanzen, Pilze, Mikroorganismen und traditionelles Wissen - und sie selbst hörten nie wieder etwas davon. Deshalb wurde 1992 in Rio in der CBD verankert, dass jedes Land Eigner der ganzen Biodiversität ist, die auf seinem Territorium vorkommt. Das war der Notnagel gegen das Verschwinden des gemeinsamen Erbes in die reichen Länder.
Wir sind in einer tragischen Situation. Die wohlmeinenden und berechtigten Forderungen nach dem Gemeingut-Charakter der biologischen Ressourcen öffnen den gewissenlosen Aneignern Tür und Tor, ganz im Sinne der Beschreibung der Tragödie der Gemeingüter. Damit sind die Entwicklungsländer nicht zufrieden. Und die gerechtfertigte Forderung der Entwicklungsländer, dass der Gewinn aus der Nutzung ihrer Ressourcen nicht noch einmal mehr fast ausschließlich an die Industriestaaten fließen darf, heißt, dass sie auf die momentan herrschenden Verteilungspfade eingehen. Diejenigen, die Widerstand gegen die Patentierung von Leben leisten, sehen im Nagoya Protokoll den Vorschlag, die Patentämter zu Checkpoints zu machen und deuten das als Unterstützung der Patente auf Leben. Eine verfahrene Situation!
Ein Lichtblick ist, dass die Zustimmung zum Zugang und zur folgenden Kommodifizierung verweigert werden  oder der Zugang auf spezielle Nutzungsarten begrenzt werden kann. Dabei kann zum Beispiel nur die Erlaubnis zu rein wissenschaftlicher Nutzung erteilt oder auch die Patentierung für den ganzen Nutzungspfad ausgeschlossen werden. Es wird davon abhängen, ob und wie oft im Rahmen des Nagoya Protokolls davon Gebrauch gemacht werden wird. Und ob - das ist noch viel wichtiger - das Patentrecht auf WTO-Ebene, europäischer und nationaler Ebene in Bezug auf Lebewesen wieder beschränkt wird.

Wir danken für das Gespräch.


Das Gespräch führte Christof Potthof
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Fußnote:
(1)    Nach der Rio-Konferenz 1992 wurden auf lokaler Ebene unzählige Projekte gestartet, um den Dreiklang der nachhaltigen Entwicklung: Ökonomie, Ökologie und Soziales in eine zukunftsfähigere Balance zu bringen. Dieser Prozess wird Lokale Agenda genannt.