Zur Kritik von transitional justice als Projekt historischer Gerechtigkeit

Transitional justice (TJ) hat, um es mit den Worten der früheren UN-Kommissarin für Menschenrechte Louise Arbour zu sagen, die Aufgabe, „durch die Aufarbeitung vergangenen Unrechts unterdrückte Gesellschaften bei der Transformation in freie Gesellschaften zu unterstützen“ (Arbour 2006: 2). Die Bezeichnung TJ fungiert als Sammelbegriff für Maßnahmen wie z.B. die strafrechtliche Ahndung systematischer Menschenrechtsverletzungen, die Einrichtung von Wahrheitskommissionen, Reparationsprogramme und institutionelle Reformen. Sie ist Ausdruck der im Westen hegemonial gewordenen Überzeugung, dass Gesellschaften sich mit ihrer gewaltvollen Vergangenheit auseinander setzen müssen, um eine demokratische Zukunft zu ermöglichen. TJ ist Tätigkeitsbereich transnational agierender Institutionen und Organisationen sowie Gegenstand interdisziplinärer Forschung. Die enge Vernetzung beteiligter AkteurInnen, geteilte Grundannahmen über die Ziele von Transitionsprozessen – liberale Demokratie und Versöhnung – und die Kohärenz der eingesetzten Mittel unabhängig von den jeweiligen Konfliktumständen haben Rosemary Nagy dazu veranlasst, TJ als „globales Projekt“ zu bezeichnen (2008: 276; s. auch Arthur 2009: 324). Und dieses Projekt wächst. So wurde zum Beispiel erst im September 2011 die Resolution zur Einsetzung eines „Sonderberichterstatters für die Förderung der Wahrheit, der Gerechtigkeit, der Wiedergutmachung und der Garantien zur Nichtwiederholung“ durch den UN-Menschenrechtsrat im Konsens verabschiedet (A/HRC/18/L.2).

Gleichzeitig fand in den letzten fünf Jahren aber auch so etwas wie eine kritische Selbstbeobachtung innerhalb des Feldes statt. Diese umfasste nicht zuletzt eine Kritik am vorrangigen Fokus auf die Aufarbeitung von Verletzungen ziviler und politischer Menschenrechte (anstelle vieler s. Miller 2008). Die Annahme: eine langfristige Stabilisierung von Postkonfliktgesellschaften könne nur gelingen, wenn sowohl sozioökonomische Konfliktursachen als auch die Verletzung wirtschaftlicher und sozialer Menschenrechte während des Konflikts thematisiert würden. Soziale Ungleichheit sei sowohl häufige Konfliktursache als auch Hindernis für die Versöhnung nach einem Konflikt. Vor diesem Hintergrund plädiert eine Reihe von PraktikerInnen und WissenschaftlerInnen dafür, TJ um die Dimension sozialer Gerechtigkeit zu erweitern und im breiteren Kontext von „Entwicklung“ zu verankern[1].

Der vorliegende Kommentar nimmt diese „Entwicklungs-Wende“ zum Anlass für eine kritische Betrachtung von TJ. Die Beiträge zum Zusammenhang von TJ und Entwicklung machen durch ihre Kritik am Fokus der TJ und mit der Forderung nach einer Erweiterung um sozioökonomische Dimensionen darauf aufmerksam, dass die von Arbour erwähnte „freie Gesellschaft“ als Ziel von TJ innerhalb des Diskurses als liberale Demokratie und Marktwirtschaft präzisiert wurde. Und sie deuten an, dass diese Konzepte von vielen nicht als Synonyme für jene „freie Gesellschaft“ anerkannt werden. So wichtig die in ihnen enthaltene kritische Analyse der blinden Flecken des globalen TJ-Projektes ist, so problematisch ist aber die voreilige Antwort, TJ könne problemlos um Fragen sozialer Gerechtigkeit, wirtschaftlicher Konfliktursachen und sozialer und wirtschaftlicher Rechte ergänzt werden. Denn anders als in der entsprechenden Literatur angenommen, so mein Argument, sind die „blinden Flecken“ weder der „Vergesslichkeit“ der beteiligten Akteure noch dem „Zufall“ geschuldet. Vielmehr sind sie strukturell durch das westliche demo-liberale[2] Projekt bestimmt, welches in den 1990er Jahren hegemonial wurde und in dessen Kontext TJ als globaler Diskurs entstanden ist. TJ ist damit keine neutrale tool box, sondern ein spezifisches Konzept politischen Wandels und historischer Gerechtigkeit, womit es die Grenzen einer möglichen „freien Gesellschaft“ vorgibt. Die bloße Erweiterung von TJ um sozioökonomische Dimension reproduziert diese Grenzen, und vergibt damit die Chance auf eine alternative Definition historischer Gerechtigkeit.

Transitional justice und Entwicklung

So unterschiedlich die Begründungen für eine Verbindung von TJ und „Entwicklung“ ausfallen, so haben die Beiträge, die eine solche fordern, doch zumindest eines gemeinsam: sie sagen nicht, was sie mit „Entwicklung“ eigentlich meinen. Die jeweiligen AutorInnen verwenden den Begriff als Synonym für soziale Gerechtigkeit, Armutsbekämpfung, die Erfüllung wirtschaftlicher und sozialer Rechte, internationale Entwicklungszusammenarbeit und nationale Entwicklungsstrategien. Unter dem Titel „transitional justice und Entwicklung“ werden folglich unterschiedliche Frage‑ und Problemstellungen diskutiert. Sie lassen sich – analytisch – in drei Gruppen unterteilen.

Ausgehend von der Unterscheidung der Handlungsfelder TJ und Entwicklungspolitik fragt die erste Gruppe danach, auf welche Weise diese inhaltlich verknüpft sind und ob und wie die entsprechenden transnationalen Expertennetzwerke von einer Kooperation profitieren können. Hierbei werden TJ und Entwicklung(spolitik) als zwei Seiten der Medaille „Frieden“ etabliert. Einige TJ-Maßnahmen, z.B. „Rule of Law“-Reformen, würden einen unmittelbaren Beitrag zu Entwicklung im Sinne der internationalen Entwicklungszusammenarbeit leisten. Umgekehrt trügen entwicklungspolitische Maßnahmen, die das Erbe autoritärer Regime angingen, zur Demokratisierung einer Gesellschaft bei (ICTJ 2009: 1f; Méndez 2010: 8). Weil es zwischen beiden Feldern inhaltliche Überlappungen gibt, sei eine Kooperation der jeweiligen Akteure hilfreich: Kontakte zu Partnerorganisationen könnten genutzt werden, entwicklungspolitische Akteure könnten bei der Umsetzung von Reparationsprogrammen helfen usw. Die Frage nach dem Verhältnis von TJ und Entwicklung stellt sich bei dieser Diskussion in erster Linie als Kooperationsproblem zwischen NGOs und internationalen Organisationen die auf unterschiedlichen Handlungsfeldern jedoch in den gleichen Ländern agieren.

Hiervon unterscheiden sich jene Debattenbeiträge, die „Entwicklung“ im Sinne von sozialer Gerechtigkeit, Armutsbekämpfung oder der Verwirklichung sozialer und wirtschaftlicher Rechte verwenden. Ihnen geht es weniger darum, das Verhältnis der beiden (Praxis‑)Felder auszuloten als inhaltlich zu begründen, warum TJ sich Fragen sozialer Gerechtigkeit annehmen müsse. Sie reagieren damit auf die Kritik aus Praxis und Wissenschaft am Fokus des globalen TJ-Projekts auf Verletzungen ziviler und politischer Menschenrechte: „Selbst perfekte rechtliche Prozesse werden nicht verhindern, dass Gewalt wieder aufflammt wenn grundlegendes soziales, wirtschaftliches und politisches Unrecht nicht thematisiert wird“ (Servaes & Zupan 2010: 3; s. auch Muvingi 2009). Bis jetzt, so der Konsens, überlasse TJ die Verwirklichung von wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechten als eine Möglichkeit zur Herstellung sozialer Gerechtigkeit jedoch weitgehend der Entwicklungspolitik (so. z.B. Alexander 2003: 3; Méndez 2010: 5). Genau diese Trennung von TJ und Entwicklung verenge den zugrunde liegenden Gerechtigkeitsbegriff und sei damit das eigentliche Problem: die Dimension der Verteilungsgerechtigkeit, die strukturelle und systemische, sowie soziale Ungerechtigkeit betrifft, werde so in den meisten TJ-Prozessen vernachlässigt (Mani 2007: 1). Ihre Berücksichtigung sei – neben der retributiven Gerechtigkeit, also der strafrechtlichen Ahndung von Menschenrechtsverletzung – aber notwendig, um einen nachhaltigen Demokratisierungs‑ und Friedensprozess zu initiieren. Denn viele der bewaffneten Konflikte fänden in Gesellschaften mit verbreiteter Armut und einem hohen Grad sozialer Ungleichheit statt, was die Verwirklichung einer inklusiven, demokratischen Gesellschaft erschwere (Buckley-Zistel u.a. 2010: 86; Laplante 2008: 347). Während die Wissenschaft noch über das Verhältnis politischer und bürgerlicher Rechte einerseits sowie wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Rechte andererseits diskutiere, so Lisa J. Laplante, zeige die Praxis, dass diese untrennbar seien. So habe z.B. die Wahrheits‑ und Versöhnungskommission in Guatemala auf der Grundlage der Anhörungen der Bevölkerung den sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Ungleichheiten, die zu dem Aufstand von Guerilla-Organisationen geführt hätte, einen ganzen Band des Abschlussberichts gewidmet (Laplante 2007: 144). Dass die Empfehlungen letztlich nicht umgesetzt wurden, habe daran gelegen, dass die sozio-ökonomische Ungleichheit lediglich als historischer Hintergrund und nicht als Menschenrechtsverletzungen beschrieben wurde. Ein Verweis auf verletzte wirtschaftliche, soziale und kulturelle Menschenrechte hätte hingegen geholfen, die Notwendigkeit der empfohlenen Maßnahmen unabhängig von politischer Anschauung nachvollziehbar zu machen (Laplante 2008: 333, 341).

Für andere TJ-Akteure sind diese Forderungen zu weitreichend, denn TJ könne die Rolle eines Allheilmittels für sämtliche gesellschaftliche Probleme nicht ausfüllen. Zwar sei es wichtig, TJ um soziale und wirtschaftliche Dimensionen zu erweitern. Allerdings solle man sich auf Aspekte konzentrieren, die unter die Verantwortung der politischen Machthaber der betroffenen Zeit fallen (Addison 2009: 188). Juan E. Méndez, der UN-Sonderberichterstatter über Folter, betont, dass die Berichte einiger Wahrheitskommissionen durchaus zeigten, dass sich Repression in Form systematischer Folter und anderer Gräueltaten häufig gegen Individuen richteten, die sich gemeinsam gegen solche wirtschaftspolitische Maßnahmen organisierten, die zu einer Konzentration des Reichtums in den Händen der Regierenden und ihrer UnterstützerInnen auf Kosten eines Großteils der Bevölkerung führten (Méndez 2010: 6). Unter die negative wirtschaftliche Performance eines Regimes fallen aber auch Korruption und Veruntreuung von Staatsgeldern im Allgemeinen. Der Prozess gegen den ehemaligen peruanischen Präsidenten Alberto Fujimori gilt als exemplarisch für die Aufarbeitung der Verbindung von Menschenrechts‑ und Korruptionsverbrechen (Burt 2009: 405).

Trotz ihrer Differenzen weisen alle Ansätze zur Verbindung von TJ und Entwicklung zwei grundlegende Gemeinsamkeiten auf: Erstens nehmen sie an, dass die sozioökonomischen Dimensionen von Übergangsprozessen bis jetzt lediglich „vernachlässigt“ oder „übersehen“ (Mani 2007: 1f) worden seien oder sich überhaupt erst aus den neuen Kontexten, in denen gegenwärtige Transitionsprozesse stattfinden, ergäben (Arbour 2006: 3f). Und zweitens begründen sie jeweils die Notwendigkeit, TJ und Entwicklung zu verbinden mit dem Ziel Demokratie, Versöhnung und Frieden zu fördern. Im folgenden Abschnitt werde ich zunächst die Problematik der ersten Annahme erörtern, um in einem abschließenden Teil die Implikationen eines post-politischen Demokratieideals zu diskutieren.

Falsche Kontingenz

Ein Problem der bisher diskutierten Ansätze ist, dass sie weder fragen, warum sozioökonomische Dimensionen bisher „übersehen“ wurden, noch, wer davon profitiert. Selbst Zinaida Miller hat Schwierigkeiten, die von ihr identifizierten effects of invisibility zu erklären. In einer der kritischsten Analysen des TJ-Projektes verweist sie darauf, dass die TJ-Literatur und ‑Praxis durch die aktuelle Zuspitzung blinde Flecken (re‑)produzierten, nämlich bezüglich ökonomischer Konfliktursachen (zugunsten politischer oder ethnischer Erklärungsmuster), der Profiteure von Konflikten (durch einen Fokus auf Opfer und Täter) und des Kontexts des Transitionsprozesses (Miller 2008: 268, 275). So wurden z.B. nicht nur in den ehemaligen realsozialistischen Staaten, sondern auch Südafrika, Argentinien und aktuell Kolumbien sogenannte politische Transitionsprozesse von wirtschaftlicher Liberalisierung, Außenöffnung der Ökonomien und Privatisierung von Staatsbetrieben begleitet (s. z.B. Bohoslavsky & Openhaffen 2010; Madlingozi 2007; Olarte Olarte 2012). Miller fasst die analysierten Effekte „nicht als Verschwörung von Interessen“, sondern als „kohärente Blindheit“, hinter der keine „Täuschungsabsicht“ zu vermuten sei (Miller 2008: 272, 289). Die Analyse verweise vielmehr darauf, dass auch die von guten Intentionen motivierte Arbeit der TJ-AkteurInnen zu nicht beabsichtigten Konsequenzen, wie z.B. der Verstetigung von Ungleichheit, führen könnte. Die Unsichtbarkeit wirtschaftlicher Dimensionen von TJ sei also „kein Beweis für eine gemeinsame, bewusste Verschwörung“, aber sie könne auch nicht als „zufällig“ erachtet werden (Miller 2008: 291).

Wie die Abwesenheit zu erklären ist, wenn weder Zufall noch Verschwörung greifen, geht aus Millers Text allerdings nicht hervor. Diese Erklärungsnot ist ein Beispiel für die von Susan Marks als „falsche Kontingenz“ bezeichnete Tendenz in den Sozialwissenschaften, Phänomene auf ihre Kontingenz zu reduzieren, ohne zu analysieren warum sie, selbst wenn sie theoretisch sich auch anders entwickelt haben könnten, eine bestimmte Richtung oder Form angenommen haben (Marks 2011: 74). Dadurch würden der Einfluss von Strukturen und konkreten Kräfteverhältnissen auf gesellschaftliche Entwicklungen ausgeblendet. Im Folgenden möchte ich für drei Bereiche andeuten, wie die blinden Flecken von TJ sich strukturell erklären lassen. Im Anschluss an Marks verstehe ich Strukturen dabei als etwas, was Handlung determiniert, und zwar im Sinne von „begrenzen“ und nicht „bestimmen“ (Marks 2009: 9). Ich gehe also der Frage nach, warum sich gerade transitional justice als Projekt historischer Gerechtigkeit herausgebildet hat um seit dem Ende des Kalten Krieges die Gründung von liberalen Demokratien in so unterschiedlichen Ländern wie dem ehemaligen Jugoslawien, Südafrika und Argentinien – um drei prominente Beispiele zu nennen – zu legitimieren (zu dieser Frage vgl. auch Arthur 2009: 334). Wie bereits eingangs erwähnt ist meine These, dass die strukturelle Einbettung in die Verbreitung eines demo-liberalen Projektes der 1990er Jahre, TJ derart geprägt hat, dass eine einfache Erweiterung um sozioökonomische Dimensionen nicht erfolgversprechend ist.

Transitional justice als Teil des demo-liberalen Konsenses

Zwar werden zumeist die Nürnberger Prozesse als Ausgangspunkt von TJ genannt (vgl. anstelle vieler Teitel 2006), tatsächlich aber hat sich der Begriff der transitional justice als normatives Konzept zum Umgang mit systematisch begangenen Menschenrechtsverletzungen erst Ende der 1980er und Anfang der 1990er Jahre herausgebildet (Arthur 2009: 326). International hat sich die Bezeichnung über eine Reihe von Treffen und Konferenzen hinweg und durch die Veröffentlichung der dreibändigen Publikation Transitional Justice. How Emerging Democracies Reckon with Former Regimes (Kritz 1995) gegenüber der der „historischen Gerechtigkeit“ oder analytischen Perspektiven auf Vergangenheitspolitik durchgesetzt (Arthur 2009: 324). Die Teilnehmenden der Konferenzen, unter ihnen MenschenrechtsaktivistInnen aus den betroffenen Ländern, VertreterInnen internationaler NGOs und Think Tanks sowie PolitikwissenschaflerInnen, diskutierten mögliche Strategien zum Umgang mit autoritären Regimes und dem von diesen begangenen Unrecht. Der genannte Sammelband wurde zu einem wichtigen Referenzpunkt für AktivistInnen, PolitikerInnen und WissenschaftlerInnen und seine Beiträge entwickelten sich gewissermaßen zum Kanon der TJ (Arthur 2009: 331). Unter ihnen finden sich Aufsätze von Politikwissenschaftlern wie Guillermo O’Donnel, Philippe Schmitter, Samuel Huntington und Juan Linz.

Wer die Gelegenheit hatte, einen Blick in die Werke dieser prominenten Vertreter der vergleichenden Demokratieforschung zu werfen, weiß, dass ihre Arbeiten glänzende Beispiele für die Durchsetzung liberal-demokratischer Ordnung als vermeintlich einzig legitimes gesellschaftliches Organisationsmodell sind. So begründen O’Donnel und Schmitter den normativen Charakter ihrer einflussreichen Studie Transitions from Authoritarian Rule: Prospects for Democracy in Latin America and Southern Europe mit dem Hinweis, dass liberale Demokratien an sich wünschenswert seien (O’Donnell & Schmitter 1986: 15). Immerhin, anders als in der späteren TJ-Literatur, haben diese Wissenschaftler – getrieben von dem Wunsch, Demokratie in eine messbare abhängige Variable zu verwandeln und die entsprechenden unabhängigen Variablen für eine erfolgreiche Transition zu identifizieren – relativ prägnante Definitionen geliefert. So definieren O’Donnel und Schmitter Demokratie nach rein prozeduralen Kriterien: allgemeines Wahlrecht, geheime und regelmäßige Wahlen, freier Wettbewerb politischer Parteien, das Recht diese zu gründen und ihnen beizutreten (O’Donnell & Schmitter 1986: 22; vgl. auch Linz 1987: 17).

Vor diesem Hintergrund erscheint der Fokus der TJ auf die Verletzung ziviler und politischer Rechte und eine enge Verbindung mit der Zielstellung, Institutionen und damit die Rule of Law zu stärken (vgl. nur UN 2004) kaum mehr zufällig. Das liberale Demokratieverständnis setzt gleichzeitig die Trennung von Politik und Wirtschaft voraus und definiert Demokratie als Prinzip politischer Organisation. Diese Trennung ermöglicht eine Legitimation demokratischer Institutionen über einen Bruch mit dem politischen ancién regime und die Verurteilung der Verletzung ziviler und politischer Menschenrechte, ohne dass dabei Kontinuität im Bereich der Ökonomie als Widerspruch erscheint. Für Robert Meister stützt der Fokus auf die Verbrechen gegen die Körper der Opfer die Interessen derjenigen, die strukturell profitiert haben (Meister 2011: 14). Das von Rama Mani als unzureichend kritisierte Gerechtigkeitsverständnis der TJ ist vor diesem Hintergrund nur konsequent. Wer TJ um soziale Gerechtigkeit erweitern möchte, kommt nicht umhin, sich mit dem zugrundeliegenden Demokratieverständnis kritisch auseinander zu setzen und ihm eine Alternative, die die soziale Komponente politischer Selbstbestimmung berücksichtigt, entgegenzusetzen.

Transitional justice als Konzept politischen Wandels

Doch nicht nur das Ziel von TJ – liberale Demokratie – fügt sich in ein globales politisches Projekt der 1990er Jahre ein, sondern auch die Konzeption des politischen Wandels als „Transition“. Nicolas Guilhot (2002) arbeitet in seinen „Notes for a History of the Concept of Transition“ zwei unterschiedliche Konzepte von „Transition“ heraus, die sich auch in der oben erwähnten Demokratisierungsliteratur – im Englischen „transition to democracy“ – finden. Für Guilhot markiert transition to democracy einen Wendepunkt innerhalb der Modernisierungstheorie, denn es verändert das zugrunde liegende Verständnis von gesellschaftlichem Wandel. Frühe Ansätze innerhalb der Modernisierungstheorie fokussierten auf wirtschaftliche „Entwicklung“ um Übergänge von autoritären zu demokratischen „modernen“ Staaten (und umgekehrt) zu erklären. Nicht nur angesichts ihres offensichtlichen Scheiterns sondern auch vor dem Hintergrund der Zusammenbrüche der autoritären Regierungen in Osteuropa und dem Cono Sur verschob sich das Interesse hin zu der Gestaltung des Übergangs zur Demokratie. Im Stile politischer Beratung versuchten die beteiligten WissenschaftlerInnen, Bedingungen auszumachen, unter denen Transition erfolgreich verlaufen könne. Eine „schrittweise Übertragung“ oder eine „Übergabe“ der Macht, so O’Donnel und Schmitter (1986: 26), sei einer „Entmachtung der Herrschenden“ vorzuziehen. Die politischen Eliten und institutionelle Strukturen spielten also eine herausragende Rolle für die avisierte Demokratisierung der Gesellschaft; der Staat sei zentraler Akteur der Transition, indem er durch schrittweise Liberalisierung der Gesellschaft demokratische Werte vermittle (Guilhot 2002: 233). In diesem Sinne müsste in Zeiten politischer Transition umfassende gesellschaftliche Beteiligung begrenzt und die politische Führung durch die Elite aufrechterhalten werden – der Schutz prekärer politischer Stabilität rechtfertigte die Aufschiebung von Demokratie.

Der Wandel vom analytischem zum normativ-programmatischen Anliegen brachte eine konzeptionelle Modifizierung des Verhältnisses von Gesellschaft und Staat mit sich. Denn die „transition to democracy“-Literatur trennte nun politische Institutionen von gesellschaftlichen Strukturen, anstelle (im Sinne klassischer Modernisierungstheorien) den Übergang als gesamtgesellschaftliche sozioökonomische Entwicklung zu betrachten. Die Phase der Transition zeichnet sich also durch ein Auseinanderfallen von staatlichen und gesellschaftlichen Strukturen aus. Sie bezeichnet nicht sozialen Wandel, sondern führt erst zu gesellschaftlichem Wandel – nämlich der Errichtung einer demokratischen Gesellschaft. Der Begriff der Transition beinhaltet für Guilhot folglich „eine Teleologie bei der sozialer/gesellschaftlicher Wandel verstanden wird als die Verwirklichung eines Zweckes und nicht als Ausdruck einer tatsächlichen Möglichkeit“ (Guilhot 2002: 236). Im Unterschied zum Begriff der Revolution – sei es in der Konnotation als politischer Aufruhr oder eines alle Lebensbereiche umfassenden Umbruchs (vgl. Koselleck 2006: 241, 244) – bezeichnet Transition einen graduell vollzogenen und kontrollierten Wandel politischer Institutionen.

Diese Implikationen des Transitionsbegriffes zeigen sich im Bereich der TJ nicht nur in der frühen Debatte um Gerechtigkeit vs. Frieden (unter welchen Umständen sollen Verbrechen rechtlich geahndet werden, wenn dadurch die politische Stabilität gefährdet wird), sondern auch in dem Verhältnis von TJ-Maßnahmen und ihrer Ziele. Die unterschiedlichen Maßnahmen werden mit ihrem Beitrag zur Befriedung, Versöhnung und/oder Demokratisierung einer Gesellschaft begründet (Teitel 2003: 84). Die intensive Diskussion in TJ-Praxis und Wissenschaft darüber, worin genau dieser Beitrag bestehe, die angestrebte Bereitstellung von tool kits und die Suche nach Möglichkeiten der Evaluation weist ähnliche beraterische Züge auf wie die „transition to democracy“-Literatur. Institutionelle Arrangements wie internationale und hybride Gerichtshöfe, Reformen des Sicherheitssektors und Demobilisierung von bewaffneten Akteuren sollen unabhängig vom gesellschaftlichen Hintergrund zum erwünschten Ziel einer demokratischen Gesellschaft beitragen. Für die Zeit dieses „Übergangs“ wird, insbesondere in den Ländern, die auch Empfänger internationaler Entwicklungsgelder sind, durch internationale AkteurInnen und „best practice“-Vorlagen bestimmt, welche Projekte durchgeführt werden. Zwar betonen internationale TJ-Organisationen verstärkt die Notwendigkeit, lokale AkteurInnen in die Projektplanung und ‑durchführung einzubeziehen, Raum und Umfang dieser Partizipation bleiben jedoch von außen kontrolliert (Olarte Olarte 2012). Wenn TJ-AkteurInnen und „Experten“ die Erweiterung von TJ um sozioökonomische Dimensionen mit dem Hinweis begründen, dass nur dann eine Befriedung der Gesellschaft gewährleistet werden könne, folgen sie ebendieser Logik: die Forderung nach sozialer Gerechtigkeit wird von einer möglichen politischen Forderung nach Gerechtigkeit durch gesellschaftlichen Wandel, zu einer „objektiven“ Bedingung für spätere Gerechtigkeit.

Transitional justice als Konzept historischer Gerechtigkeit

An dieser Stelle wird deutlich, dass TJ nicht nur bestimmte Annahmen über politischen Wandel beinhaltet, sondern auch ein ganz bestimmtes Konzept historischer Gerechtigkeit darstellt. Historische Gerechtigkeit allgemein bezieht sich auf Pflichten, die sich aus historischem Unrecht ergeben, und stützt sich damit notwendigerweise auf eine bestimmte Vorstellung historischer Zeit. Bereits Walter Benjamin hat auf die Komplizenschaft eines leeren, homogenen und linearen Zeitbegriffs des Historismus mit den „Siegern der Geschichte“ hingewiesen (Benjamin 1978 [1940]: 90). Auf den ersten Blick scheinen TJ-Maßnahmen sich dem entgegenzustellen: Sie zielen darauf ab, Verbrechen des vergangenen Regimes aufzuklären und TäterInnen dafür zur Verantwortung zu ziehen, um auf diese Weise einen Beitrag zur kollektiven Erinnerung an die Leiden der Vergangenheit zu leisten. Aber auch der TJ-Diskurs hat zeitpolitische Implikationen, die eine einfache Erweiterung des Prinzips um sozioökonomische Dimensionen verkomplizieren.

Der Ausdruck „Politik der Zeit“ bezieht sich auf politische Implikationen von Zeitvorstellungen, im Fall von TJ also von historischer Zeit. Das Geschichtsverständnis der Neuzeit fasst Koselleck prägnant zusammen als „Die Zukunft wird anders sein als die Vergangenheit, und zwar besser“ (Koselleck 1976: 364). Erwartungen an die Zukunft würden im modernen Geschichtsverständnis nicht mehr aus der Erfahrung der Vergangenheit abgeleitet: Die Neuzeit lasse sich „erst als neue Zeit begreifen […], seitdem sich die gespannten Erwartungen immer mehr von allen zuvor gemachten Erfahrungen entfernt haben“ (Koselleck 1976: 365). Hierdurch habe der Erwartungshorizont eine „geschichtlich neue, utopisch dauernd überziehbare, Qualität“ erlangt. Die an TJ gestellten Erwartungen, einen Bruch zwischen autoritärer, gewaltvoller Vergangenheit und demokratischer, friedlicher Zukunft zu vollziehen, sind beispielhaft für diesen „Veränderungskoeffizienten“ (Koselleck 1976: 359) des Erwartungshorizontes.

Das moderne Geschichtsverständnis setzt einen qualitativen Bruch zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft voraus, und damit deren Ungleichzeitigkeit. Die Konsequenz dieses Geschichtsverständnisses, welches laut Berber Bevernage auch der Praxis von Wahrheitskommissionen zugrunde liegt, ist, dass durch die Aufarbeitung des historischen Unrechts eben dieses in die Vergangenheit eingeschrieben wird: „[…] Ein moralischer Konsens darüber, dass die Vergangenheit böse war, setzt voraus, dass es einen politischen Konsens darüber gibt, dass das Böse der Vergangenheit angehört“ (Meister 2002: 96). Oder noch anders gesagt: die Wiederbelebung der „Geister der Vergangenheit“ erfolgt mit dem Ziel, sie endgültig zur Ruhe zu legen. Die Unzufriedenheit vieler Betroffener mit offiziellen Wahrheitskommissionen führt Bevernage (2010: 122) auf diese zeitliche Logik zurück.

Die politischen Implikationen dieses Zeitverständnisses für die Thematisierung sozioökonomischer Dimensionen von Übergangsprozessen lassen sich an der 30 Jahre nach dem Staatsstreich erschienenen Neuauflage des Berichts der argentinischen Wahrheitskommission Nunca Más veranschaulichen. Im Vorwort beschreibt der ehemalige Präsident Néstor Kirchner (2003-2007) die „immense Aufgabe“ eine „Situation der Straffreiheit und sozialen Ungerechtigkeit“ zu beenden. Hierzu müssten die „Feindseligkeit der machtvollen Sektoren“, die sich „gestern und heute komplizenhaft mit dem Staatsterrorismus verhalten“ hätten und „die neoliberale Politik, die dies möglich gemacht habe“, überwunden werden. Die Herausforderung, vor der Argentinien stehe sei somit „es nicht nur zu einem demokratischeren […], sondern auch einem egalitäreren Land“ zu machen (CONADEP 2006). Kirchner macht auf diese Weise die unzulängliche Aufarbeitung der Menschenrechtsverbrechen für demokratische und soziale Defizite des Landes verantwortlich. Ein Bruch mit der Diktatur und ihrer neoliberalen Politik könne erst erfolgen, wenn die Verbrechen aller Beteiligten aufgeklärt und bestraft worden seien. Tatsächlich ist die juristische und wissenschaftliche Aufarbeitung der Beteiligung der Wirtschaft an den Menschenrechtsverbrechen wichtig, um die Profiteure der Diktatur in den Blick zu bekommen. Dennoch suggeriert der Prolog, dass sich das neue demokratische Argentinien unter Kirchner, gemeinsam mit der argentinischen Bevölkerung, von dieser Vergangenheit lossagen könne, sobald die Verbrechen aufgeklärt worden seien. Den Einfluss von Unternehmen durch die Aufarbeitung ihrer Zusammenarbeit mit der Diktatur der Vergangenheit zuzuordnen, bedeutet die Kontinuität ihres Profits und aktuelle Einflüsse auf politische Entscheidungen als Teil einer legitimen Ordnung zu verkennen. Es stellt sich also die Frage, wie Forderungen nach historischer Gerechtigkeit so formuliert werden können, dass sie aktuelle politische Kämpfe unterstützen, statt die Vergangenheit aus der Gegenwart heraus zu definieren (vgl. Bevernage 2010).

Soziale Gerechtigkeit als politisches Projekt

Allerdings trägt die aktuelle Literatur zu „transitional justice und Entwicklung“ auch auf anderer Ebene dazu bei, die Forderung nach sozialer Gerechtigkeit zu entpolitisieren und politische und wirtschaftliche Interessen in Aufarbeitungsprozessen zu vernachlässigen. Denn die Notwendigkeit, den Gerechtigkeitsbegriff um die soziale Dimension zu erweitern, wird in der Regel an die erklärten Ziele von TJ geknüpft. Soziale Gerechtigkeit als umstrittener Wert gerät damit zu einem „objektiven“ Mittel der Verwirklichung eines vermeintlich gesamtgesellschaftlichen Interesses an Demokratie oder gesellschaftlicher Versöhnung. Dies entpolitisiert die Forderung nach sozialer Gerechtigkeit. Vor dem Hintergrund der vorausgegangenen Analyse zeigt sich aber, dass diese Forderung oder auch diejenige nach Aufarbeitung von Verletzungen sozialer, wirtschaftlicher und kultureller Menschenrechte, gerade das liberale Demokratieverständnis herausfordert, welches TJ zugrunde liegt. Es ist genau der Fokus auf zivile und politische Menschenrechte, welcher eine „Transition“ zum angestrebten liberalen demokratischen Regime möglich macht. Denn es ist wahrscheinlicher, gesellschaftliche Unterstützung für die strafrechtliche Verfolgung einiger Täter zu erhalten, als für eine breite Umverteilung in Hinblick auf die Überwindung sozioökonomischer Ungleichheiten. Aktuelle TJ-Techniken wie Strafverfahren, Denkmäler, Museen und Wahrheitskommissionen re-produzieren in der Regel eine Täter-Opfer-Dichotomie. Sie signalisieren damit denjenigen, die von dem Regime profitiert haben, „dass ihre anhaltenden Vorteile nicht als Fortsetzung oder Wiederaufleben früheren Unrechts angeprangert werden“ (Meister 2011: 31). Die Ausblendung von Profiteuren bei der Definition von Unrecht ist Voraussetzung dafür, ihre Unterstützung für den Transitionsprozess zu erlangen. Dass die Durchsetzung wirtschaftlicher und sozialer Rechte als Teil von TJ (und die damit verbundene Umverteilung) kaum konsensfähig ist, haben nicht zuletzt die gescheiterten Versuche in Südafrika und Guatemala gezeigt, strukturelle Gewalt in die Aufarbeitung einzubeziehen (Hoogenboom & Vieille 2009: 11; Laplante 2008: 354).

Der Versuch, soziale Gerechtigkeit als notwendige Bedingung für langfristigen Frieden konsensfähig zu machen oder in der Form wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Rechte über politische Einstellungen zu stellen, übersieht, dass es in dieser Frage weniger um rationale, überzeugende Argumente geht, sondern um materielle Interessen. Zwar ist der einschlägige völkerrechtliche Vertrag, der Internationale Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, für die Vertragsstaaten bindend und seine Geltung damit nicht abhängig von den jeweiligen politischen Mehrheitsverhältnissen; doch gerade die Kontroversen um den Charakter der enthaltenen Verpflichtungen und die fehlende Judizialisierung auf transnationaler Ebene zeigen, dass sie Teil des Kampfes um Hegemonie zwischen progressivem Konstitutionalismus und Neoliberalismus sind (vgl. Möller 2010; Fischer-Lescano & Möller 2012). Das normative Ziel einer „gesellschaftlichen Versöhnung“ und das zugrunde liegende Ideal eines post-politischen demokratischen Konsenses macht aber genau das undenkbar.

Auf die Probleme post-politischer Demokratiekonzepte hat prominent Chantal Mouffe hingewiesen: „Konsens und Versöhnung als Ziele demokratischer Politik zu setzen ist nicht nur konzeptionell irreführend, sondern auch politisch gefährlich“ (Mouffe 2006: 2). Sie widerspricht damit liberalen Theoretikern wie John Rawls und Jürgen Habermas, indem sie argumentiert, dass Demokratie nicht als „Möglichkeit eines universellen rationalen Konsens“ gedacht werden könne, sondern als Ort um politische Fragen zu entscheiden, d.h. als „die Möglichkeit zwischen zwei sich entgegenstehenden konfligierenden Alternativen zu wählen“ (Laclau & Mouffe 1985: 3, 10). Post-politische Demokratietheorien hätten die Tendenz, Machtstrukturen zu verschleiern, denn politische Übereinkommen als Konsens zu präsentieren mache es häufig unmöglich, Profiteure hegemonialer Projekte zu identifizieren und gegen-hegemoniale Projekte zu formulieren (Mouffe 2006: 18). Die Gefahr dabei, Konsens zur raison d’être von Demokratie zu erheben, liegt für Mouffe darin, dass politische Opponenten, die den angeblichen Konsens herausfordern, zu Feinden der Demokratie erklärt werden. Eine Befürchtung, die im Hinblick auf TJ-Prozesse u.a. in Südafrika und Argentinien nicht unangemessen erscheint: Betroffene, die staatliche TJ-Diskurse und den akzeptierten demo-liberalen Konsens herausfordern, werden als Feinde des nationalen Projekte dargestellt (vgl. Mouffe 2006; Meister 2002).

Mein Argument richtet sich also nicht gegen Forderungen nach historischer Gerechtigkeit an sich, sondern kritisiert die strukturelle Engführung von transitional justice: Was (historisch) gerecht ist und was nicht, lässt sich weder abstrakt noch allgemein bestimmen und ist Gegenstand politischer Aushandlungsprozesse. (Historische) Gerechtigkeit lässt sich daher auch nicht einmalig durch einen Abschluss mit der Vergangenheit „herstellen“, wie TJ suggeriert. Die bisherigen Ausführungen haben gezeigt, dass TJ keineswegs ein neutrales tool kit für sich widersprechende Projekte historischer Gerechtigkeit bereitstellt, sondern bereits Grenzen für formulierbare Projekte setzt. Soziale und partizipative Demokratie als Form politischer Organisation fallen kaum in diese Grenzen. Ihre Umsetzung ist nicht nur eine Frage der Überzeugung, sondern vor allem von Interessen. Wer sozioökonomische Dimensionen von Konflikten und autoritären Regimes als Gegenstand historischer Gerechtigkeit verstanden wissen will, kann sich daher ebenso wenig allein auf die Überzeugungskraft von Argumenten verlassen wie diejenigen, die Profiteure systematischer Menschenrechtsverletzungen zur Verantwortung ziehen wollen und eine soziale und partizipative Demokratie für eine bessere (gerechtere) politische Ordnung halten. Die Erfüllung dieser Forderungen muss auf politischem und rechtlichem Weg erkämpft werden.

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Anschrift der Autorin:
Hannah Franzki
mail@hannah-franzki.de

 

PERIPHERIE Nr. 125, 32. Jg. 2012, Verlag Westfälisches Dampfboot, Münster, S. 67-81
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[1]      Arbour 2006; Mani 2007; Reiff u.a. 2007; Laplante 2007; 2008; de Greiff 2009; Muvingi 2009; Weltbank 2011.

[2]      „Demo-liberal“ bezeichnet hier die Verknüpfung von liberaler Demokratie und liberaler Wirtschaftsordnung als Modell gesellschaftlicher Organisation, so wie es insbesondere nach dem Ende der Blockkonfrontation von Staaten des globalen Nordens propagiert wurde.