Globales Umweltmanagement: Rio+20

Mögliche Neuorientierungen und falsche Versprechen

Bereits lange im Vorfeld wurde das Scheitern des Rio+20-Gipfeltreffens vorausgesagt gemessen an den ursprünglichen Versprechungen und Erwartungen. Gleichzeitig jedoch zeichnen sich im Umkreis des Rio-Prozesses neuartige, um eine ›grüne Ökonomie‹ gruppierte Diskurse und herrschaftsförmige Integrationsstrategien ab. Ulrich Brand nennt die wesentlichen Gründe für das Scheitern und plädiert zugleich dafür, die neuen Anläufe politisch ernst zu nehmen1.

Inwiefern "Rio+20" mehr als eine gigantische Roadshow der vor Selbstbewusstsein strotzenden brasilianischen Regierung werden wird, muss sich zeigen. Der geringe diplomatische Stellenwert wird daran deutlich, dass sich am brasilianischen Zuckerhut die Delegationen gerade mal drei Tage treffen; das reicht meist nur für Schaufensterreden. Auf vielen zeitlich längeren UNO-Konferenzen stehen die zwei oder drei Tage des "Ministersegments" am Ende von über einer Woche diplomatischer Verhandlungen. Das wäre an sich nicht schlimm - sieht man von der schwerwiegenden Tatsache ab, dass in einem Land wie Brasilien der herrschende nicht-nachhaltige Entwicklungskonsens abgesichert wird -, wenn zumindest im Vorfeld intensive Debatten darüber geführt würden, warum der Rio-Prozess, trotz aller Erfolge im Einzelnen, weitgehend gescheitert ist - und was Alternativen dazu sind.

Dies wird kaum geschehen. Und doch gibt es zwei wichtige Entwicklungen, die Rio 2012 Bedeutung geben könnten: Das Scheitern des Kyoto-Protokolls und die enorme Dynamik, mit der die Strategie einer grünen Ökonomie gefördert wird.

Relativ harmlos dürfte hingegen ein Tagesordnungspunkt in Rio bleiben, der neben der grünen Ökonomie zentral sein soll: Die sozial-ökologische Reform der internationalen politischen Institutionen. In den Deutungen des politischen und wissenschaftlichen Establishments sind die institutionellen Fragmentierungen ein Hauptproblem unzureichender Umweltpolitik.

Strukturblinder Politiktypus

Seit einigen Jahren wird bereits diskutiert, ob die vielfältigen Umweltinstitutionen in einer "Weltumweltorganisation" zentralisiert werden sollten, damit diese umweltpolitischen Anliegen mehr Durchsetzungsfähigkeit verleihen könnte. Dabei bleibt unverstanden, dass Politik notwendig fragmentiert ist, da sie sehr unterschiedliche gesellschaftliche Interessen und Kräfteverhältnisse verdichtet. Umweltpolitik im Sinne von Schutzpolitik oder einer drastischen Absenkung des Ressourcenverbrauchs wird so lange ein "schwaches" Politikfeld bleiben, wie bürgerlich-kapitalistische Umgangsweisen mit Natur auf deren Beherrschung und Inwertsetzung zielen. Ressourcenpolitik ist Wirtschaftspolitik, Außenpolitik und zunehmend Finanz- bzw. Finanzialisierungspolitik. Das macht Politiken gegen steigende Emissionen und Klimawandel oder gegen die Erosion der biologischen Vielfalt nicht unwichtig, aber sie finden im Schatten mächtigerer Politiken und Interessen statt.

Das voraussehbare Misslingen der Konferenz ist selbstredend nicht personalisierbar im Sinne etwa ›fehlenden Willens‹ der PolitikerInnen, sondern Ausdruck der ›Strukturblindheit‹ des Rio-Prozesses selbst. Die Kritik am "Rio-Typus von Politik" ist außerhalb der diplomatischen Kreise und wissenschaftlichen wie publizistischen BerufsoptimistInnen wesentlich älter und lässt sich folgendermaßen zusammenfassen:

  • Es dominiert eine falsche Vorstellung, dass die Regierungen im Modus der internationalen Kooperation wirkungsvolle politische Instrumente entwickeln könnten - eben als eine Art globales Umwelt- und Ressourcenmanagement; die vielfältigen Konflikte um die Aneignung der Natur und die politische Ökonomie von Umwelt- und Ressourcenpolitik in Form eines industriell-fossilistischen Kapitalismus werden damit unterschlagen;

 

  • internationale Politik basiert auf der vermeintlichen Homogenisierung pluraler Bevölkerungen und ihrer unterschiedlichen Erfahrungen in Form "nationaler Interessen", die von Regierungen repräsentiert und durch harte Verhandlungen mit "Menschheitsinteressen" kompatibel gemacht werden; auch wenn von gesellschaftlich breit verankerten (hegemonialen) Orientierungen und Praktiken ausgegangen werden kann - Orientierungen an Wirtschaftswachstum, Praktiken der Automobilität, des Fleischkonsums -, so schottet sich dieser Politiktypus gegen mannigfaltige Anliegen und Erfahrungen wie etwa gegen feministische Kritik ab;

 

  • die Problemdeutungen ("Menschheitsprobleme" wie Umweltzerstörung, Ressourcenknappheit, Armut) und die davon ausgehenden Politiken sind einer westlich-rationalistischen, naturwissenschaftlichen und männlich-bürokratischen Perspektive verhaftet; auch wenn es etwa in der Biodiversitätskonvention zur Anerkennung des Wissens lokaler Bevölkerung und indigener Gemeinschaften kam, war dieses Wissen nie relevant für die politischen Prozesse als solche;

 

  • die neoliberale Globalisierung bedeutete nicht nur eine Schwächung von Staaten in sozial- und umweltpolitischen Fragen, sondern eine Intensivierung der ökonomischen und teilweise imperialen Konkurrenz, welche die kooperative Bearbeitung von Umweltfragen in den Schatten stellte; die wirkungsmächtigen Prozesse der neoliberalen Globalisierung - die sich politisch-institutionell in der Gründung der WTO 1995 äußerten - spielten dementsprechend keine Rolle in den Post-Rio-Prozessen;

 

  • die Militarisierung der Weltpolitik spielte in den internationalen Verhandlungen keine Rolle;

 

  • und schließlich kommen die Formen des globalen Umweltmanagements an die imperiale Produktions- und Lebensweise nicht heran, die es im Kern ja grundlegend zu verändern gilt. Es sind letztlich die miteinander konkurrierenden privat-kapitalistischen Unternehmen, welche die Produktions- und damit Konsumnormen setzen. Die Orientierung an grünen Lebensstilen und Leitbildern wie etwa attraktiver Mobilität oder Ernährung greift zu kurz.

 

Dennoch zeichnen sich im Vorfeld, auf der Konferenz und darüber hinaus einige Kontroversen ab, die auch in der Perspektive einer emanzipatorischen Umweltpolitik von Interesse sein müssen.

Suche nach Neuorientierungen

Mit dem Ausstieg Kanadas aus dem Kyoto-Protokoll ist nun auch den größten Optimisten deutlich geworden, dass der "Rio-Typus von Politik" an seinen eigenen Schranken scheitert. Die Gründe dafür mögen unterschiedlich gesehen werden, aber nun dämmert, dass der kapitalistische Weltmarkt und die imperiale Produktions- und Lebensweise zuvörderst Konkurrenz um Ressourcen und Verschmutzungsrechte bedeuten und weniger Kooperation. Die Hoffnung auf ein globales Umweltmanagement, das in kritischen Analysen schon vor zehn Jahren als Mythos dechiffriert wurde2, gerät nun auch im Establishment ins Wanken. Es wird deutlich, dass der Rio-Prozess sich immer um die zentrale Frage gedrückt hat, wie nämlich die westliche Produktions- und Lebensweise wirklich verändert werden kann. Die vermeintlichen Zauberformeln "Effizienzrevolution" und "(technologische) Innovation" verstetigten lediglich das Hoffen: "Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass." Die Orientierung an Leitbildern wie etwa attraktiver Mobilität oder Ernährung blendet die Frage aus, wer eigentlich die Produktions- und damit Konsumnormen setzt - nämlich sehr stark sich in Konkurrenz befindende privatkapitalistische Unternehmen.

Es dürfte im Verlauf des Jahres 2012 interessant werden, wie sich die globalen Umwelt-Intellektuellen und PolitikerInnen auf die neue Situation, d.h. dem immer stärker anerkannten Scheitern des "Rio-Typus von Politik" eines globalen Umwelt- und Ressourcenmanagements einstellen. Wird nun noch stärker auf die Funktion von technologischen "Vorreitern" und umfassende Innovationen gesetzt? Könnten regionale Kooperationen eine stärkere Rolle spielen? Oder wird ein öko-autoritärer Diskurs gestärkt, in dem innergesellschaftlich Verzicht (der Massen) und international offene Gewalt sprechfähig werden? Falls die Zerstörung des Kyoto-Protokolls als zentralem Baustein der Klimarahmenkonvention in den kommenden Monaten weitergeht, dann dürfte "Rio+20" mehr noch als ohnehin geplant zu einem Terrain oder zumindest zu einem symbolischen Orientierungspunkt werden, auf dem um Neuorientierungen gerungen wird.

Versprechen -  Grüne Ökonomie

Eine weitere Neuorientierung ist seit etwa drei Jahren angelegt. Das Umweltprogramm der Vereinten Nationen UNEP startete eine Green Economy Initiative], auf die inzwischen zahlreiche Akteure ansprangen: Die OECD, ILO, Weltbank, viele nationale Regierungen, Think Tanks, Stiftungen und einige grüne und sozialdemokratische Parteien. Die grundlegende und gar nicht so neue Idee besteht darin, geeignete politische Rahmenbedingungen zu schaffen, um Märkte und Wirtschaft durch Effizienzgewinne und technologische Innovationen "grüner" zu machen und "grüne" Arbeitsplätze zu schaffen. Durch entsprechende Politiken sollen mittels "richtiger Preise" die bislang externalisierten Umweltbelastungen internalisiert und damit das "Marktversagen" korrigiert werden. Ökologische Steuerreformen sollen vorangetrieben, öffentliche Beschaffungen, strategische Investitionen und nachhaltige Infrastrukturen gefördert werden. Mitunter werden entsprechende Verteilungs- und Sozialpolitiken genannt, um eine grüne Ökonomie zu fördern - doch das ist nicht systematisch, sondern wirkt eher wie ein Verweis, um die gesellschaftspolitische Akzeptanz zu erhöhen.3

Ob es sich um eine Konkretisierung des Begriffs "nachhaltige Entwicklung" handelt oder ob er diesen ersetzen wird, kann derzeit nicht entschieden werden. Der Begriff der Grünen Ökonomie ist bislang nicht eindeutig definiert. Es handelt sich um einen recht offenen Container-Begriff, der sehr vielfältige Perspektiven und Strategien zulässt.4 Es macht keinen Sinn, mangelnde Definitionen einer Grünen Ökonomie zu kritisieren oder gar solche einzufordern. Davon abgesehen, dass so etwas nicht autoritativ festgelegt werden kann, würde es dem anhebenden Diskurs die potentielle Strahlkraft nehmen.

Welche Funktionen haben Begriff und Diskurs im Sinne sich verschiebender und neu sedimentierender Selbstverständlichkeiten? Ich halte eine Lesart für produktiv, die den Begriff nicht nur als Folge der Frustration mit den bisherigen Politiken nachhaltiger Entwicklung sieht. Es handelt sich wahrscheinlich auch nicht um einen UNO-politischen PR-Gag. Den aktuellen ProtagonistInnen des Begriffs ist Ernsthaftigkeit zuzugestehen.

Zentral ist aus meiner Sicht: Die Grüne Ökonomie ist zuvörderst ein Versprechen. Nämlich ein solches, in der multiplen Krise über die geeigneten politischen Rahmenbedingungen das Wirtschaftswachstum wieder anzukurbeln, Verteilungsspielräume zu erhöhen, "grüne" Arbeitsplätze zu schaffen und über Effizienzgewinne und Innovationen die ökologische Krise zu bearbeiten.

Die ökonomistische Semantik der verschiedenen Strategien der Grünen Ökonomie - das Soziale des Drei-Säulen-Modells von nachhaltiger Entwicklung wird abgewertet - deutet darauf hin, dass die bisherige Spannung zwischen "Ökologie" und "Ökonomie" endgültig aufgelöst werden soll. Der aktuelle UNO-Chef Ban Ki-moon behauptet etwa, es handle sich um einen "Mythos, dass Wirtschaft und Umwelt Gegensätze" seien.

Wenn wir das Versprechen der Grünen Ökonomie nicht nur ideologiekritisch konstatieren, dann kann ein materieller Kern freigelegt werden, der heute deutlicher ist als in den 1990er Jahren.

Die beiden aus meiner Sicht entscheidenden Unterschiede zwischen "nachhaltiger Entwicklung" und "Grüner Ökonomie" liegen nicht darin, dass die ökologische Krise heute deutlicher ist oder dass das globale Umweltmanagement sich blamiert hat. Neu ist zum einen die intensive Suche nach Krisenlösungen in der schwersten Krise des Kapitalismus seit sechzig Jahren. Und zum anderen sind die Produktivkräfte deutlich weiter entwickelt als zu Beginn der 1990er Jahre. Wirtschaftspolitische Strategien einer Grünen Ökonomie haben eine materielle Grundlage. Das zeigt sich besonders deutlich in der Energieerzeugung und -verwendung, aber auch bei Antriebsmotoren. Manche rechnen gar die Digitalisierung der Produktion insgesamt zu einer Kernvoraussetzung der Grünen Ökonomie.

Wirkungsmacht - grüner Kapitalismus

Wenn sie nicht ganz blind sind gegen die strukturellen Implementierungsprobleme von Nachhaltigkeit in den letzten zwei Jahrzehnten, dann dürfte auch den ProtagonistInnen der grün-ökonomischen Strategien klar sein, dass die formulierten Ansprüche nicht erreichbar sind. Das ist wahrscheinlich auch nicht die Absicht.

Aus meiner Sicht wird Rio+20 dennoch politisch wichtig werden. Die Konferenz wird den globalen Eliten ein neues Konzept an die Hand geben, das auf der Höhe der Zeitläufte Orientierung stiften [i]kann[/i], und damit gegebenenfalls zur Herausbildung neuer Konsense und Kompromisse beiträgt. Großprojekte wie Desertec oder offshore-Windkraftanlagen werden damit in einen größeren Kontext gestellt, umstrittene Projekte wie Geo-Engineering oder CO2-Abscheidung und -Speicherung möglicherweise als Beitrag zu Nachhaltigkeit und Grüner Ökonomie gerechtfertigt.

Damit könnten die politischen Strategien hin zu einer Grünen Ökonomie wirkungsmächtig werden, obwohl sie am eigenen Anspruch eines grundlegenden Umbaus wahrscheinlich scheitern. Denn hier werden Elemente formuliert, die de facto zur Herausbildung eines grünen Kapitalismus beitragen können. Dafür ist natürlich mehr notwendig als politische Rahmenbedingungen; es geht dann auch um die Profitabilität bestimmter Kapitalfraktionen, die sozio-ökonomische wie kulturelle Gangbarkeit. Ein grüner Kapitalismus würde eine neue Phase der Regulation der Naturverhältnisse einleiten, die nicht grundlegend die Degradation stoppen wird. Er wird, wie alle gesellschaftlichen Verhältnisse unter Bedingungen der Dominanz der kapitalistischen Produktionsweise, selektiv sein, vielen Menschen zu mehr Einkommen und einem höheren materiellen Lebensstandard verhelfen, andere Menschen und Regionen ausschließen oder gar ihre materiellen Lebensgrundlagen zerstören.

Eine grün-kapitalistische Entwicklungsweise wird ein notwendig exklusives Entwicklungsmodell für einige Regionen sein. Konkurrenz- und Ausschlussmechanismen, Dynamiken der Inwertsetzung und Landnahme werden damit nicht aufgehoben. Die "oligarchische Lebensweise" in den Ländern des globalen Nordens wird sich zwar ausweiten, sie ist aber nicht verallgemeinerbar. Auch innerhalb der wohlhabenden Gesellschaften finden weiterhin Ausschlüsse statt, die in den Strategien der grünen Ökonomie kaum erwähnt werden.5

Und dennoch könnten sich in Ländern wie Deutschland oder Österreich mittelfristig grün-kapitalistische Entwicklungsmodelle durchsetzen, wenn sich unterschiedliche Kräfte um dieses Projekt gruppieren.In der sozialpolitischen Tradition beider Länder könnte hier sogar eine Art ›grüner Korporatismus‹ wirksam werden. In den USA und China deuten staatliche Krisenpolitiken darauf hin, dass auch hier Interessen an ökologischer Modernisierung wichtiger werden. In Großbritannien wiederum ist die Diskussion eng mit dem Finanzsektor und der Frage von Finanzdienstleistungen - etwa im Bereich des Emissionshandels - verbunden. Noch sind diese Akteursgruppen im kapitalistischen Kräftefeld in aller Regel schwach, fragmentiert und widersprüchlich. Sie sind kein hegemonialer Block, aber sie sind politikfähig, weithin legitim und imstande, sich in Teilbereichen durchzusetzen und Übergangsprozesse nicht nur zu initiieren, sondern auch zu kontrollieren. Sie können auch - wie etwa die energiepolitische Auseinandersetzung in den USA zeigt - dem fossilistischen Block Öffnungen zu einem Politikwechsel aufzwingen, ohne ihn aber dominieren zu können. Diese Strategien und die sie tragenden Kräftekonstellationen könnten "Staat werden" dahingehend, dass die verdichteten Kräfteverhältnisse unter Führung bestimmter ökonomischer und politischer Machtgruppen zuvörderst ein solches Projekt vorantreiben und staatlich absichern.

Die langfristigen wie auch die konkreten Strategien werden umstritten bleiben. Von linksliberaler Seite wird das Argument vorgebracht, dass unter den gegebenen Bedingungen realpolitisch nicht viel anderes übrig bleibe, als grüne Kapitalfraktionen zu stärken. Das ist aber kein Argument gegen Versuche, die Gesamtkonstellation genauer zu begreifen.

Sonst gehen wir dem erfahrungsresistenten renovierten Steuerungsoptimismus der Strategien einer Grünen Ökonomie auf den Leim. Gesellschaftliche Veränderungen, darauf ist analytisch zu bestehen, finden eben nicht nur statt, wenn die politischen Rahmenbedingungen stimmen. Ganz abgesehen davon, dass Politik nicht voluntaristisch gegen herrschende Interessen und eine tief verankerte Produktions- und Lebensweise vorgehen kann. Grundlegende Alternativen entstehen aus praktischer Kritik an den Verhältnissen heraus und politisch häufig von den Rändern her - das behagt einer aufgeklärten Management-Perspektive überhaupt nicht.6

Diese gesteuerten wie ungesteuerten Veränderungen sollten aber nicht als Grüne Ökonomie bezeichnet werden - das ist eben eher ein Containerbegriff, in dem sich unterschiedliche Strategien versammeln -, sondern als Elemente eines möglichen grünen Kapitalismus.

Aus einer kritischen Perspektive wird der kapitalistische Widerspruch zwischen Inwertsetzung, damit verbundenem möglichen Wirtschaftswachstum und Chancen auf wachsende Verteilungsspielräume einerseits und Naturzerstörung andererseits auf eine neue Stufe gehoben. Die Politisierung der damit einhergehenden ökologischen Probleme wird über das Versprechen von Grüner Ökonomie und Wachstum, Innovation und Effizienzrevolution genutzt. Das mag nicht der Degradation von Ökosystemen und Landstrichen, der Erosion von biologischer Vielfalt oder dem Treibhauseffekt, der damit einhergehenden Verarmung von Menschen und Regionen Einhalt gebieten. Es eröffnet bzw. verlängert die kapitalistische Form des Umgangs mit der ökologischen Krise.

Welche Rolle Rio+20 und das diskursive Projekt wie auch konkrete wirtschafts-, technologie- und arbeitsmarktpolitische Strategien einer Grünen Ökonomie spielen, ist derzeit offen. Doch sie sollten für die Herausbildung grün-kapitalistischer Konsense und Kompromisse wie auch für die Delegitimierung von Kritik und weitergehenden Alternativen nicht unterschätzt werden.

Aus emanzipatorischer Perspektive ist klar: Grundlegende Veränderungen reduzieren sich nicht auf die vermeintlich richtigen politischen Rahmenbedingungen, sondern aus praktischer Kritik an den Verhältnissen und konkreten gesellschaftlichen Auseinandersetzungen heraus.

Realpolitisch ist es wichtig, konkrete sozial-ökologische Umbauprojekte zu formulieren, die nicht lediglich mehr Partizipation und das Einhalten "ökologischer Leitplanken" einfordern, sondern die Frage der Demokratie stellen: Wer entscheidet heute über die Entwicklungsrichtung der Gesellschaft und damit zentral über die gesellschaftlichen Naturverhältnisse, d.h. die herrschenden Formen von Ernährung, Wohnen, Mobilität und anderem? Und wie ist es möglich, die kapitalistisch getriebenen Formen der Naturaneignung grundlegend anders zu gestalten? Diese Fragen sind zu stellen und zu beantworten. Beides wird in Rio nicht geschehen.

Anmerkungen

1) Der vorliegende Artikel beruht auf einer überarbeiteten und ergänzten Fassung des Beitrags von Ulrich Brand in  Luxemburg 1/2012: "Und noch ein Gipfel. Rio+20 - Mögliche Neuorientierungen und falsche Versprechen".

2) Vgl. dazu: Christoph Görg / Ulrich Brand (Hg.) 2002: Mythen globalen Umweltmanagements. "Rio+10" und die Sackgassen nachhaltiger Entwicklung, Münster: Westfälisches Dampfboot. - kostenloser download mit Genehmigung des Verlages: http://www.univie.ac.at./intpol ; zu Kopenhagen: BUKO - Bundeskoordination Internationalismus 2008: "Vergesst Kyoto! Die Katastrophe ist schon da", in: Widerspruch 54.

3) Vgl. dazu: Ulrich Brand 2012: "Green Economy - the Next Oxymoron? No Lessons Learned from Failures of Implementing Sustainable Development", in: GAIA - Ecological Perspectives for Science and Society, März (i.E.).

4) Dazu: Achim Brunnengräber / Tobias Haas 2011: "Green Economy - Green New Deal - Green Growth: Occupy Rio plus 20", in: Wirtschaft&Entwicklung-Hintergrund, November: 1-3; http://www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org.

5) Vgl.: Christa Wichterich 2011: "Kapitalismus mit Wärmedämmung. Feministische Kritik und Gegenentwürfe zur Green Economy", in: informationen für die frau, Oktober, Berlin: 5-7.

6) Was in Bezug auf viele politisch grünen BefürworterInnen etwa in der Heinrich-Böll-Stiftung kurios ist; sie imaginieren sich als bessere Steuermänner der Welt, obwohl gerade ihnen doch aufgrund ihrer eigenen Geschichte klar sein müsste, dass gesamtgesellschaftliche Veränderungen der Kritik, Pluralität und randständiger Perspektiven bedürfen.

Ulrich Brand, Prof. Dr., lehrt Internationale Politik an der Universität Wien. Er ist Mitglied der Enquète-Kommission "Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität" des Deutschen Bundestages.