Gleichheit, Planung, Tempo. Der grüne Umbau kann nur als gesellschaftlicher Umbau gelingen

Der vorsichtig räsonierende Mensch meidet den Superlativ. Er hält sich fern vom Milieu der exzessiv übertreibenden Journaille. Aber manchmal ist es richtig, der höchsten Steigerung Ausdruck zu verleihen, weil der Gegenstand selbst sie verlangt. Wenn die Dramatik real ist, muss sie auch ihre Sprache finden. Deshalb sollte die Aufgabe, um die die es angesichts fundamentaler ökologischer Herausforderungen geht, auch klar benannt sein: Die Menschheit steht vor einer Veränderung historisch beispielloser Dimension. Es geht darum, eine Produktionsweise zu überwinden, die fundamentale Lebensgrundlagen gefährdet. Beispiellos ist die Aufgabe, weil es im Unterschied zu früheren Zeiten nicht allein um Herrschaftsverhältnisse zwischen Menschen geht, sondern gleichzeitig und vor allem um unseren Umgang mit der Natur. Denn die heutige Art, zu produzieren und zu konsumieren, ist nahezu vollständig zu ändern, wenn eine drastische Reduktion des Naturverbrauchs gelingen soll.1

Die Ökologen wissen es, und wir Zeitgenossen ahnen es: Das Umweltkonto ist überzogen. Substanzverzehr und Raubökonomie – das ist die Realität nicht nur an einer, sondern an vielen Fronten. Es geht nicht nur um die Atmosphäre, deren Aufnahmekapazität sich erschöpft, deren Verhalten sich – in Wechselwirkung etwa mit der Freisetzung von Methan und CO2 aus auftauenden Böden und sich verändernden Meeren – dramatisch wandeln könnte. Kritisch ist in vielen Regionen dieser Erde auch der Zustand der Böden und Gewässer, der beiden anderen Senken, die über Gebühr mit Schadstoffen überladen werden. Zugleich wächst die Zahl der Rohstoffe, deren Verfügbarkeit auf längere Sicht fraglich oder deren Ausbeutung zu teuer beziehungsweise ökologisch nicht mehr zu rechtfertigen ist.

Der Umfang der Naturnutzung überschreitet die Grenzen der Tragfähigkeit. Das zeigen verschiedene zusammenfassende Maße. Ob gemessen als ökologischer Fußabdruck, als ökologischer Rucksack oder in Dimensionen der Zeit (Tempo der Ausbeutung von Rohstoffquellen, der Belastung der Schadstoffsenken oder des Sterbens der Arten) – sie alle geben zu erkennen, dass die Lebensgrundlagen erodieren. Wer an der Zuverlässigkeit solcher Indikatoren zweifelt, mag sich das bekannte „Verdopplungsphänomen“ vor Augen führen und auf die Ressourcenmengen beziehen. In jeder Periode, in der sich der Ressourcenverbrauch gegenüber der vorhergehenden verdoppelt, wird so viel verbraucht wie in der gesamten Geschichte zuvor. Eine abermalige Verdopplung in den kommenden 30, 40 Jahren wird es definitiv nicht geben. Das halten die Senken nicht aus, das geben die Quellen nicht her. All das bedeutet: Die Logik industrieller Verwertung einerseits und der Reproduktion der Natur andererseits sind – angesichts der heute erreichten Mengendimensionen – nicht mehr kompatibel. Entsprechend ist wirtschaftliche Entwicklung grundlegend neu zu denken und anders zu gestalten.

Zugleich drängt die Zeit. Sowohl die Überlastung der Senken als auch die Erschöpfung der Quellen verlangen zügiges Handeln. Je länger die rücksichtslose Versenkung von Schadstoffen in Luft, Boden und Gewässern anhält, desto aufwändiger werden die Reparaturen, desto brutaler werden die Anpassungen und umso mehr ist mit Umschlagspunkten zu rechnen, die qualitativ neue, bislang unbekannte Probleme zeitigen. Die Zeitnot betrifft gleichzeitig die Quellen. Die Ölförderung hat ihren Höhepunkt (Peak Oil) allem Anschein nach bereits hinter sich. In der näheren Zukunft werden weitere Energieträger und vermutlich auch einige mineralische Rohstoffe ihr Fördermaximum überschreiten. Ein verringertes Angebot bei gleichzeitig weiter wachsender Nachfrage lässt die Preise steigen und hat weitere Folgen, wie etwa die Jagd auf Bioressourcen, die als Ersatz dienen sollen. Das wiederum verschärft Nutzungskonkurrenzen (Energie- versus Nahrungsproduktion) und lässt den Boden noch mehr zum knappen Gut werden. Von „Peak Soil“ ist die Rede, und manche Experten sprechen bereits von „Peak Everything“. Folglich muss die allseits beschworene Reduktion des Energie- und Stoffverbrauchs schon in den kommenden zwei Jahrzehnten zu einem deutlichen und anhaltenden Trend werden, wenn nicht die Schäden ins nicht mehr Beherrschbare steigen sollen.

Die Last dieser für sich schon enormen Herausforderung wird noch größer, weil sie asymmetrisch zu bewältigen ist. Die globale ökologische Verantwortung haben zwar alle Länder dieser Erde, aber nicht im gleichen Maß. Die reichen Länder müssen industriell abrüsten und sich auf einen ressourcenleichten Pfad begeben. Die ärmeren Länder haben einen Anspruch auf Entwicklung und werden ihren Naturverbrauch relativ und absolut ausdehnen. Denkt man jedoch das notwendige Wachstum der Entwicklungsländer in den herkömmlichen, von den Industrieländern vorgezeichneten Bahnen, zeigt sich sogleich dessen ökologische Unmöglichkeit. Wird das jetzige Modell der reichen Länder das künftige Modell der armen Länder, ist eine Lösung der ökologischen Probleme von vornherein unmöglich.

Wenn es für die globalen Armen noch Raum, Masse und Zeit für Entwicklung geben soll, dann müssen die globalen Reichen ihren Naturverbrauch drastisch reduzieren. Drastisch heißt: um rund 90 Prozent. Wenn der Ressourcenverbrauch der Industrieländer auf seinem heutigen Niveau anhält, werden Entwicklungschancen zunehmend verengt. Das gilt für die Verfügbarkeit von Ressourcen als auch für ihre zu erwartenden Preise. Die Armen dieser Welt begegnen einem gewissermaßen historischen Verfügbarkeits- und Kostenproblem. Die leicht zugänglichen und deshalb preiswerten Rohstoffe (low hanging fruits) sind bereits von den Industrieländern angeeignet worden. Künftig werden die Rohstoffpreise im Trend vermutlich stark steigen. Je seltener, verborgener und unreiner die Rohstoffe, desto aufwändiger die Extraktion, desto höher die Preise. Erschwerend wird bei manchen Vorkommen hinzu kommen, dass auch die Ökobilanz der Gewinnung deutlich schlechter wird, wie etwa der Abbau von Ölsanden in Kanada zeigt.

Gegen diese eher düstere Erwartung ist die dynamische Entwicklung von Ländern wie China oder Indien kein Gegenargument, sondern eher der finale Beweis. Denn mit ihrem Aufstieg ist der weltweite Kampf um Ressourcen schärfer und die Sicherheit der Rohstoffversorgung zum Topthema geworden. Es mehren sich die Warnungen, dass man sich auf den Markt nicht verlassen könne. Vielleicht sei es besser, meinen mittlerweile auch deutsche Konzernchefs, China nachzuahmen und Tauschgeschäfte zu organisieren (Technologie gegen Rohstoffe auf der Basis bilateraler Abkommen).

Wer die möglichen Folgen knapp werdender Rohstoffe (Rückfall in reine Tauschgeschäfte zu Lasten Dritter, Rohstoff-Imperialismus) eindämmen will, muss Konsequenzen ziehen und insbesondere den Bedarf drastisch reduzieren. Blickt man auf die Welt insgesamt, zeigt sich schnell die Idiotie mancher Wachstumsgelüste. Kann sich die globale PKW-Flotte von heute 700 Millionen auf 1,4 Milliarden verdoppeln? Mit welchen Antrieben? Woher kommen, wenn Elektro-Autos die längerfristige Perspektive sein sollen, die Strommengen und nicht zuletzt die schon heute kritischen Metalle? Solche Beispiele zeigen, dass die bisherige Entwicklung von Europa, Nordamerika, Japan und anderen entwickelten Ländern nicht der Normalfall der Geschichte, vielmehr ein Sonderfall ist, der angesichts begrenzter Ressourcen nicht zu verlängern und schon gar nicht auf die Welt zu verallgemeinern ist.

Die Menschheit stellt sich nur Aufgaben, die sie auch lösen kann, hat Karl Marx einmal behauptet. Wenn wir für einen Augenblick von der herrschenden Idiotie abstrahieren, die im Angesicht wechselseitiger Abhängigkeit und Verletzlichkeit den selbstsüchtigen Nutzenmaximierer zum Helden erklärt, werden die Chancen durchaus sichtbar, die unter der Oberfläche schlummern. Technisch ist die Ablösung fossiler und atomarer Energie möglich. Auf einer neuen Ressourcenbasis könnten Wirtschaftskreisläufe entstehen, die regionale Souveränität begründen und den globalen Transportbedarf deutlich senken. Im Austausch mit dem Norden würden die Länder des Südens die heute schon vorhandenen, passfähigen Technologien dezentraler Produktion nutzen und nach eigenen Bedürfnissen weiterentwickeln.

Gäbe es eine solche Konzentration auf das ökologisch und sozial Wichtige und wären die Anreize und Anschubfinanzierungen entsprechend gestaltet, könnte es zu einem naturverträglichen Entwicklungspfad kommen. Ob dieses Potenzial nur Potenzial bleibt oder ob es Wirklichkeit wird, wissen wir nicht. Anlass zur Skepsis gibt es reichlich, aber gleichzeitig auch Hoffnung. Denn einerseits haben sich Tausende Initiativen auf allen Kontinenten auf den Weg gemacht, um eine Ökonomie in den Grenzen der Ökologie zu erproben. Und andererseits gedeihen neue, zu den ökologischen Imperativen passende Normen, die zu würdigen sind. In der internationalen Klima- und Umweltpolitik wächst – trotz aller Verrenkungen auf dem Papier und aller Beschränkungen in der Praxis – das zunächst nur moralische, aber allmählich auf Anerkennung drängende gleiche Recht auf einen bestimmten Umweltraum. Das demokratische Prinzip – one (wo)man, one vote – erhält seine ökologische Ergänzung: one (wo)man, one piece of nature.

Darüber hinaus enthalten internationale Verhandlungen und Beschlüsse – trotz allen Scheiterns weitreichender Festlegungen, trotz vieler folgenloser Gelöbnisse – einen weiteren normativen Fortschritt, der zu würdigen ist. Denn neben dem aufkeimenden egalitären Recht wächst ein weiteres Prinzip: Kooperation. Klima- und Umweltprobleme sind letztlich nicht imperial, sondern nur kooperativ zu bewältigen. Solche fundamentalen Grundsätze, die auf Diplomatenpapier, aber auch in praktischen Handlungen reifen, sind zu verallgemeinern. Was klimapolitisch als normatives Fundament zwischen den Staaten gilt, sollte und muss generell gelten. Was international als Maßstab zählt, muss auch national und regional bindend werden. Noch wesentlich stärker wird dieses normative Gebot, wenn es als praktisches Erfordernis erkannt wird. Denn der fällige Umbau verlangt auf allen Ebenen Gleichheit, Fairness und Kooperation, wenn er mit Tempo und in der nötigen Breite gelingen soll.

Konservative Kräfte scheinen zu ahnen, dass Gleichheit als ökologisch begründete Norm und als Treibsatz praktischen Handelns für sie gefährlich werden kann. Den Grundsatz der Egalität können sie – zumindest auf der globalen Ebene – nicht angreifen, weil das Beharren auf Ungleichheit nicht als legitim ausgesprochen werden kann. So gibt es reichlich wohl klingende Lippenbekenntnisse und gleichzeitig den Versuch, das Gleichheitsprinzip aufs Prozedere zu verengen und auf ein Vorgehen im Gleichschritt zu verkürzen. Man komme aufgrund der Globalität der Probleme doch nur weiter, so wird behauptet, wenn alle Menschen und Staaten dieser Erde koordiniert in die gleiche Richtung der Ressourcenschonung und Emissionssenkung schreiten. Dass die entwickelten Länder des Nordens schneller und entschiedener handeln müssen, wird zugestanden. Aber der entscheidende Mangel – das große Plus aus Sicht der Bremser – bleibt: Globale Koordination ist ein zähes Geschäft, ohne Kraft und Geschwindigkeit.

Die internationale Klimapolitik illustriert, dass wenig geht, wenn man nur auf Konsens und Gleichschritt setzt. Dann bestimmen die Zauderer das Tempo, so wie es die USA als zugleich mächtigster und die Atmosphäre jahrelang am meisten verschmutzender Staat getan haben. Primär auf ein globales Emissionsregime zu setzen, bedeutet Abhängigkeit von den Gegnern ambitionierter Klimapolitik. Umso dringlicher ist der konzeptionelle und praktische Nachweis, dass es möglich und sinnvoll ist, im Rahmen einzelner Länder oder Ländergruppen voranzugehen.

Ansätze und Grenzen bisheriger Umbau-Politik in Deutschland

Umweltpolitik gibt es seit 40 Jahren. Entsprechend vielfältig sind die Strategien und Instrumente, die für mehr Nachhaltigkeit sorgen sollen. In der Vergangenheit ist es gelungen, dort Fortschritte zu erzielen, wo sich Probleme des Umweltschutzes und des Naturerhalts klar eingrenzen lassen. Beispiele sind etwa die Rauchgasentschwefelung von Kraftwerken, das FCKW-Verbot von Kühlgeräten, Jagdverbote und diverse Grenzwerte für eine Vielzahl von Stoffen, die in Produkte eingehen oder in Produktionsprozessen verwendet werden. Insgesamt blieb die Umweltpolitik allerdings reagierend, nachsorgend, reparierend. Sie stellt sich den einzelnen Problemen in der Regel erst, wenn sie da sind, wenn negative Folgen nicht mehr zu ignorieren sind.

Eine Ausnahme ist das Erneuerbare Energien Gesetz (EEG). Seit zehn Jahren zeigt das EEG, dass es mit technologiespezifischen Preisgarantien, mit einer gesicherten Netzeinspeisung und mit wirksamen Innovationsanreizen möglich ist, die Stromerzeugung in gewünschte Richtungen zu lenken. Die zwischenzeitliche Befürchtung, dass längere AKW-Laufzeiten das EEG gefährden, ist mittlerweile gegenstandslos. Fukushima hat schlagartig die Fronten verändert. Der für 2011 erwartete Generalangriff auf das Zentrum des EEG, auf den Einspeisevorrang in Kombination mit rentablen Preisen, hat nicht stattgefunden. Stattessen geht es nun um einen beschleunigten Atomausstieg und um die ebenfalls beschleunigte, breite Einführung erneuerbarer Energien.

Wünschenswert wäre eine weitere Beschleunigung, nämlich eine beschleunigtes Nachdenken über das Geheimnis des EEG-Erfolges und über die Frage, ob dieser Erfolg als Inspiration für den Umbau anderer Wirtschaftsbereiche dienen kann. Das Erfolgsrezept des EEG ist eine intelligente Kombination von Plan und Markt. Verkaufs- und Preisrisiken – üblicherweise zum Kern unternehmerischen Handelns gehörend – werden den Investoren abgenommen. Ihnen bleiben die Betriebs- und Technologierisiken sowie der Zwang zur Innovation. Anders gesagt: Die marktwirtschaftlichen Kräfte werden auf das gelenkt, was sie können, also für Effizienz und technischen Fortschritt sorgen, und sie werden abgeschirmt von dem, was sie nicht beherrschen, von Konjunkturen und Preisbewegungen. Diese Ungewissheiten neutralisiert die gesellschaftliche Grundsatzentscheidung, erneuerbare Energien wachsen und als falsch erkannte Energien weichen zu lassen. Kann dieses Modell einer Verknüpfung von gesellschaftlichem Wollen und einzelwirtschaftlichem Wirken nicht das anregen, was in vielen Branchen notwendig ist, nämlich den schnellen Rückbau ressourcenverschlingender und den ebenso schnellen Aufbau naturverträglicher Wirtschaftsstrukturen?

Bislang wird diese Suchrichtung selten verfolgt. Bislang dominiert die Auffassung, dass es möglich sei, die herkömmliche Wirtschaftsweise sowie ihre Steuerungs- und Anreizregeln zu „durchgrünen“, ohne sie substanziell zu ändern, ohne sektorale Entwicklungen massiv zu beeinflussen. Jenseits des Stromsektors und des EEG mangelt es an systemischen Ansätzen zur vorsorgenden Reduktion der ökologischen Lasten. Statt an sektoralen Umbaukonzepten etwa für den Verkehrsbereich, für die Agrarwirtschaft oder für Siedlungs- und Infrastrukturen zu arbeiten, dominiert das im Grundsatz zwar richtige, aber wenig anspruchsvolle Konzept der Entkoppelung. Entkoppelung ist aktuell die zentrale systemkonforme Leitidee für die Eindämmung des Klima- und Ressourcenproblems. Die Wirtschaft soll weiter wachsen, aber der Verbrauch von Energie und Rohstoffen gleichzeitig schrumpfen.

Die Bundesregierung formuliert diese Anschauung in ihrem Umweltbericht 2010: „Für den Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen und damit auch ihrer nachhaltigen Nutzung ist es eine unabdingbare Voraussetzung, dass wir wirtschaftliches Wachstum dauerhaft von vermehrtem Energie- und Ressourcenverbrauch entkoppeln und darüber hinaus den Verbrauch auch absolut senken. Wir müssen unser Verständnis von Wachstum auf den Prüfstand stellen. Wir brauchen heute ein qualitatives Wirtschaftswachstum, das den ökologischen Grenzen, dem Streben der Menschen nach mehr Lebensqualität und ihren sozialen Bedürfnissen Rechnung trägt.“2

Angesichts fortschreitender Rohstoffverknappung und entsprechend steigender Preise werden Tendenzen der Entkoppelung zwangsläufig stärker. Reine Effizienzstrategien, die den Verbrauch in Relation zur Wertschöpfung senken sollen, reichen aber nicht, um die Inanspruchnahme der Natur schnell, dauerhaft und absolut zu senken. Dem steht der sogenannte Bumerang- oder Rebound-Effekt entgegen. Rebound bedeutet für den Konsum: Die in der Wohnung eingesparte Kilowattstunde entlastet das Einkommen und landet als Umsatzplus bei „Mediamarkt“ oder beim Reisebüro. Rebound bedeutet für die Produktion: Der verminderte Rohstoffverbrauch des Unternehmens senkt die Kosten und stärkt die Fähigkeit, in neue Produktlinien zu investieren. So steigert bislang jeder Effizienzgewinn an der einen den Verbrauch an anderer Stelle.

Einen systemverträglichen Ausweg aus diesem Dilemma gibt es nur, wenn die Preise für schmutzige Energie und für Rohstoffe auf breiter Front und anhaltend steigen. Mit einer deutlich spürbaren Besteuerung aller Natur-Inputs und aller Schadstoff-Outputs würde ein starker Anreiz entstehen, das Energiesystem zu erneuern und den Rohstoffverbrauch dauerhaft und stetig zu senken. Die Achillesferse dieser Strategie ist massenhafter sozialer Ausschluss. Wenn die Einkommensverteilung so ungleich bleibt wie sie ist, dann werden – bei einem deutlich steigenden Preisniveau des Naturverbrauchs – Flugreisen und vieles andere mehr zum Privileg der Gutsituierten und Begüterten. Diese Aussicht erstickt jede Politik der systematischen Ressourcenverteuerung schon im Keim.

Positiv gewendet bedeutet das: Jede angemessen radikale Entkoppelungsstrategie verlangt eine angemessen radikale Veränderung der Einkommensverhältnisse. Je geringer die Einkommensunterschiede, desto mehr können die Ressourcen systematisch verteuert werden, desto größer werden die Einspareffekte. In diesem Sinne ist Gerechtigkeit als zentrales ökologisches Thema zu entdecken. Denn jede sinnvolle Verteuerung des Ressourcenverbrauchs stößt schnell an Akzeptanzgrenzen, weil höhere Preise Normalverdiener spürbar treffen, Reiche dagegen kaum. Deshalb muss selbst eine bescheidene Umwelt- und Energiepolitik die Verteilungsfrage klären, die oberen Einkommen kappen und die unteren stärken. Das Gegenteil zu tun, war das große, immer noch unfassbare Versagen von Rot-Grün. Wer die Ungleichheit von Einkommen und Vermögen massiv vorantreibt, wer Millionen Menschen die Planungsgrundlage fürs alltägliche Leben raubt, schwächt die Fähigkeit, über den Tag hinaus verantwortlich zu handeln.

Mentale Barrieren überwinden – die herrschende Wirtschaftsweise als Variable denken

Wenn es einen neuen Schub für eine konsequente Umbaupolitik geben soll, kann man harten Debatten nicht ausweichen. Wie jeden Tag leidvoll zu erfahren ist, hat die neoliberale Ära ein gedankliches Erbe hinterlassen, mit dem immer wieder zu rechnen ist: Das Denken vom Standpunkt des einzelnen Unternehmens, des einzelnen Produzenten, des einzelnen Konsumenten. Wirtschaft ist in dieser Sicht die Summe ihrer Teile. Makroökonomik, also das Erkennen von Zusammenhängen und Rationalitätenfallen, bleibt auf der Strecke. Andockend an alltägliche Erfahrungen können dann sowohl schwarz-gelbe Regierungsfiguren als auch manche von Marktgläubigkeit beseelte Sozialdemokraten und Grüne die Tugenden der schwäbischen Hausfrau, des ehrbaren Kaufmanns oder anderer Gestalten aus der Talkrunden-Märchenwelt beschwören.

Künftig kommt es darauf an, nicht nur das dürftige geistige Rüstzeug des Neoliberalismus zu überwinden, sondern auch das volkswirtschaftliche Denken konsequent zu ökologisieren. Von Raum und Zeit, von Energie- und Stoffströmen zu abstrahieren, ist spätestens in der Gegenwart nicht mehr angemessen. Politik und Wissenschaft müssen sich den ökologischen Imperativen stellen, nicht nur am Rande, sondern im Zentrum ihrer Überlegungen. Besonders trübe präsentiert sich die gegenwärtige Wirtschaftswissenschaft. Sie untersucht wirtschaftliche Kreisläufe, ohne den Natur-Input und den Abfall-Output zu betrachten und in die Berechnungen einzubeziehen. Herman Daly, einer der besten Umweltökonomen der Gegenwart, hat das passende Bild formuliert: Die überwältigende Mehrzahl der Ökonomen denkt und handelt wie ein Arzt, der nur das Kreislaufsystem kennt und von Nahrungsaufnahme und Verdauung nichts weiß.

In der breiteren Öffentlichkeit ist die Einsicht in das Primat der Ökologie zwar kein Randphänomen mehr, aber noch weit davon entfernt, die Hauptströme öffentlicher Diskurse zu erobern. Im Unterschied zu früheren Zeiten hat zwar Nachhaltigkeit die volle Gleichberechtigung unter den wichtigen Dimensionen erhalten. Aber sie hat immer noch den faden Beigeschmack eines lästigen Kostenfaktors. Nachhaltigkeit erscheint – vor allem wenn Ziele gegeneinander abgewogen werden – als Bleigewicht, das die Gegenwart (zumindest die situierten Bürger des Nordens) am fröhlichen Treiben hindert. Solange dies so gesehen wird, bleibt „Umbau“ entweder ein defensives Thema oder es erfährt eine offensive Wendung nur, indem der Umbau seines eigentlichen Anliegens entkleidet und zum Treibsatz für mehr Wachstum umgedeutet wird. Wer sich darauf einlässt, zeichnet seinen Green New Deal gesellschaftspolitisch zu zahm, wirtschaftspolitisch zu traditionell und in seinen selbst proklamierten Zielen zu blass.

Zu einer rationalen Diskussion, die herkömmliche Organisationsformen des Wirtschaftens nicht als Konstante, sondern als Variable, als veränderbar, betrachtet, gehört auch rationales Nachdenken über Wirtschaftswachstum. Beide Extreme der Debatte, sowohl die Anklage des Wachstrums als Grund allen Übels als auch die Lobpreisung des Wachstums als Voraussetzung aller Lösungen, haben ihren spezifischen Mangel. Die Skeptiker ziehen nicht die Konsequenz aus ihrer Analyse. Sie müssten aufzeigen, wie Wirtschaft und Gesellschaft grundlegend zu reformieren sind, damit die Stabilisierungsfunktionen, die bisher das Wachstum übernahm, auf andere Weise erfüllt werden. Wer dagegen am Wachstumscredo festhält, stellt meistens nicht die anderen, ebenfalls naheliegenden Fragen. Ist Wachstum auf dem gegenwärtigen industriellen Pfad überhaupt noch wohlstandssteigernd? Fressen nicht schon heute die gesamtökologischen Kosten des Wachstums die Wohlstandsgewinne auf?

Gegenwärtig ist Wirtschaftswachstum keine Option für rationale Entscheidungen, sondern notwendige Konsequenz der Verhältnisse. Der Zwang zu wachsen wirkt wie ein Naturgesetz, das sich der Entscheidung entzieht. Die kapitalistische Privatwirtschaft ist auf Wachstum angewiesen. Rendite- und Zinsforderungen sind nur zu bedienen, wenn die Wirtschaft wächst. Dieser Wachstumszwang gilt nicht nur für das Kapital, sondern für alle wesentlichen gesellschaftlichen Institutionen. Ob Arbeitsmarkt, soziale Sicherungssysteme oder öffentliche Haushalte – sie alle sind auf Wachstum hin konstruiert. So wie Wirtschaft und Gesellschaft gegenwärtig verfasst sind, wirkt Null-Wachstum zerstörend. Eine länger anhaltende Schrumpfung wäre eine Katastrophe, wenn Wirtschaft und Gesellschaft so blieben wie sie sind.

Deshalb lautet immer wieder die Empfehlung: „Wir müssen mehr Wachstum generieren“. Wegen der kurzfristigen Effekte ist das verständlich. Konjunkturelle Aufschwünge stabilisieren die Beschäftigung, sorgen für steigende Steuereinnahmen und solidere Sozialkassen. All das sei unverzichtbar, heißt es, Wachstum also der Königsweg. Das Unbehagen mag sich in Feierstunden oder Enquete-Kommissionen austoben – im Alltag gibt es scheinbar für die Allzweckwaffe Wachstum keinen Ersatz. Das implizite Ideal herkömmlicher Wirtschaftspolitik sind sogar gleichbleibend hohe Steigerungsraten, also exponentielles Wachstum.

Jedes Umbaukonzept muss Antworten geben auf das Wachstumsproblem. Denn am Wachstum hängen Jobs und an Jobs hängen Einkommen. Einkommen aus abhängiger Beschäftigung machen aktuell rund zwei Drittel des insgesamt verfügbaren Einkommens aus. Für neun von zehn arbeitenden Menschen sind Löhne und Gehälter die einzig nennenswerte Einkommensquelle. Entsprechend heißt das dominante Motto der Politik: „Arbeit sichern, Arbeit schaffen“. Unter dem Druck von Gegenwartsinteressen ist dieses Motto verständlich. Unter dem Druck der ökologischen Herausforderungen muss es aber auch andere Antworten geben.

Der Ausweg aus dem Dilemma lautet: mit einem Zeithorizont von rund 20 Jahren in eine Struktur von Wirtschaft und Gesellschaft hineinwachsen, die Wachstum nicht mehr braucht, die sich ohne BIP-Wachstum stabil reproduziert. Bislang mangelt es an solchen Szenarien, die den fälligen ökologischen Umbau als gesellschaftlichen Umbau markieren. Vorherrschend sind rein appellative Pamphlete, technizistische Abhandlungen, diagrammreiche Potenzialanalysen oder die Anhäufung von guten Beispielen mit der anschließenden Beschwörung des Glaubens an die Wirkung vorbildlicher Taten. All das hat im Diskurs seinen Platz, bleibt aber auf Dauer unbefriedigend. Politiktaugliche Szenarien entstehen erst, wenn die nötige Veränderung von Wirtschaft und Gesellschaft namhaft wird. Worum geht es also, wenn das Ziel lautet: Hineinwachsen in eine Struktur von Wirtschaft und Gesellschaft, die Wachstum nicht mehr braucht, um sich stabil zu reproduzieren?

Erstens geht es um eine verstärkte Lenkung volkswirtschaftlicher Strukturen. Beispielsweise ist das Leitbild „Weg vom Auto und hin zum ÖPNV“ klima- und verkehrspolitisch geboten. Wirklichkeit aber wird es nur, wenn starke Anreize und scharfe Vorgaben gesetzt werden. Folglich sollte die Angst vor der argumentativen Keule „Planwirtschaft“ die Angriffslust nicht trüben. Denn das ökologische Problem verlangt – ob im Verkehrssektor oder anderswo – langfristige Planung, wie auch die Bundesregierung konstatiert, wenn sie ein Energiekonzept mit dem Planungshorizont von 40 Jahren vorlegt. Das Argument, dass die Politik nicht klüger sein könne als der Markt, mag bei einzelnen Technologien zutreffen (weshalb zum Beispiel das EEG technologieoffen konzipiert wurde) – für das Ressourcenproblem insgesamt ist dieses Argument ganz sicher falsch. Die Ursache des Klimaproblems ist globales Marktversagen, konstatierte vor einigen Jahren der “Stern-Report“. Politische Lenkung ist also geboten – schnell weg vom Falschen und schnell hin zum Richtigen. Ohne politische Lenkung, das zeigen alle früheren Erfahrungen intensiven Strukturwandels, ist zügiger und paralleler Abbau, Umbau und Neuaufbau wirtschaftlicher Aktivitäten nicht möglich.

Zweitens wäre es wünschenswert, den Finanzsektor scharf zu reglementieren und weitgehend zu vergesellschaften. Gegenwärtig sind nahezu alle relevanten Preise in großem Umfang spekulativ verzerrt. Kredithebel werden massenhaft missbraucht. Wer den ökologischen Umbau will, kann das nicht tolerieren. Insbesondere der Kredit, der große Hebel der Geschichte, muss im öffentlichen Interesse wirken. Womöglich auch als direkter Notenbankkredit an öffentliche, dem Umbau verpflichtete Einrichtungen: Die britische „New Economics Foundation“ lässt sich diesbezüglich von der Bankenrettung inspirieren und schlägt vor, 50 Milliarden Pfund von der englischen Notenbank direkt an den Staat zu leiten, um damit „grüne Projekte“ zu finanzieren.3

Drittens geht es um verlässliche Einkommens- und Berufsperspektiven im Prozess des Umbaus. So ist es beispielsweise schwer vorstellbar, wie ohne individuell erfahrbare Garantien überdimensionierte Sektoren (Autoindustrie, Luftfahrt und Ferntourismus, Bauindustrie, Ernährungswirtschaft, Werbebranche, Investmentbanking) schrumpfen und gewünschte Aktivitäten (erneuerbare Energien, soziale Dienste, regionalisierte Ressourcenwirtschaft, Bildung und Kultur) schnell wachsen sollen. Wer den zivilisatorischen Fortschritt will, muss für Angstfreiheit im Wandel sorgen. Chancen und Einkommen (nicht Arbeitsplätze) sind zu garantieren, damit die Angst vor dem Jobverlust ihre Basis verliert. In diesem Sinne bedarf es einer deutlichen Umverteilung von oben nach unten und einer von Grund auf renovierten Arbeitsmarktpolitik. Und es ist an der Zeit zu überlegen, wie die Verteilung der Arbeitszeiten möglichst mit Verfassungsrang geregelt werden kann. Die Chance (nicht die Pflicht) zur beruflichen Teilhabe muss garantiert sein, damit Beharrungskoalitionen ins Leere laufen. Eine Politik garantierter Teilhabe sollte die Beschäftigungspolitik bisheriger Art ablösen. Alternativ kann man natürlich auch über ein passendes Modell von Grundeinkommen nachdenken, das ebenfalls für die Angstfreiheit sorgt, die der Umbau braucht.

Viertens bedarf es eines deutlich vergrößerten öffentlichen Sektors. Ein Gemeinwesen, das zu einem tiefgreifenden Umbau fähig sein will, muss das Prinzip „nachhaltige Bedarfsdeckung“ zu einem erheblichen Teil auch auf direktem Wege verwirklichen können. Die aktuelle Welle der Rekommunalisierungen sollte zu einem dauerhaften Trend werden, nicht nur Privatisierungen umkehren, sondern auch der kommunalen und regionalen Souveränität neues Terrain erschließen.

Andockend an schon vorhandene Tendenzen, sie stärkend mit einem deutlich höheren Maß an Gleichheit und Planung, wäre eine erheblich veränderte Wirtschaftsweise keine Fata Morgana. Auch wenn die gedankliche Arbeit an einer vernünftigen Wirtschaftsordnung in den vergangenen Jahrzehnten aus der Mode gekommen ist – die Orientierung an systemischer Vernunft sollte kein ungehöriger Gedanke sein. Die ökologischen Herausforderungen sind so fundamental, dass Vorsorge, Planung, Rücksicht, die Beachtung von Grenzen, insgesamt also systemische Vernunft, nicht nur als erhellendes Vergleichsmaß, sondern als praktische Anforderung zu beachten sind.

Wie neue Koalitionen wirksam zu werden beginnen

Der Bourgeoisie wurde einst von Karl Marx nachgesagt, dass ihr historischer Beruf darin bestehe, die Produktivkräfte zu revolutionieren. Bei den Energie- und Rohstoffthemen erfüllt sie diese Aufgabe nicht. Weite Teile der Unternehmerschaft sind in ökologischer Hinsicht problemblind, wenn nicht reaktionär. Umso mehr kommt es darauf, unternehmerische Interessen zu stärken, die Gegengewichte bilden können. Aber wie soll das geschehen? Wo ist Konfrontation das richtige Mittel und wo die geschmeidige Kooperation?

Energiekonzerne, insbesondere Ölmultis, gehören zu den größten und einflussreichsten Unternehmen der Erde. Da ihr Geschäft in vielfältiger Weise und sehr unmittelbar von politischen Entscheidungen abhängt, sind sie mit Regierungen und parlamentarischen Gewährsleuten eng verflochten. Andere Branchen, wie etwa die Auto- und Chemieindustrie, werden sich zwar irgendwann im eigenen Interesse von ihrer Ölabhängigkeit lösen müssen. Aber einstweilen bleiben sie bei ihrer fossilen Basis und der daraus resultierenden Vernetzung mit Ölkonzernen. Umso schlagkräftiger sind insgesamt die fossilen Interessen, wenn es um die Verteidigung der herkömmlichen Energie- und Rohstoffversorgung geht. Weniger sichtbar, aber ebenfalls spürbar sind andere Beharrungskräfte. Der Finanzsektor, vor allem der Großteil des Investmentgeschäfts, schielt auf die kurze Frist und ist schon deshalb in weiten Teilen blind für ökologische Zyklen. Schneller Profit ist die institutionalisierte Nicht-Nachhaltigkeit. Die Haltung zu den schmutzigen Interessen und zum Kasino spielenden Finanzsektor sollte klar sein: eingrenzen, eindämmen und wo nötig draufschlagen mit dem Hammer des Gesetzes.

Jenseits dessen ist Differenzierung wichtig. Denn jede politische Kraft muss ein Interesse daran haben, den Gegner zu schwächen, möglichst zu spalten und Teile des Gegners zu sich herüberzuziehen. Und das gilt nicht nur politisch, sondern auch ökonomisch. Entsprechend ist klar zu identifizieren, welche Kräfte des Besitzbürgertums und der Unternehmerschaft einzubinden sind. Hermann Scheer und seine MitstreiterInnen haben es in der Vergangenheit geschafft, die vorrangige Einspeisung von Ökostrom mit einem breiten Bündnis zu verteidigen. Beteiligt waren nicht nur die einschlägigen Umweltschutzverbände und Initiativen, sondern auch der Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA), der Interessenverband der Investitionsgüterindustrie. Aus solchen Beispielen sind Konsequenzen zu ziehen. Für jedes einzelne Umbau-Projekt ist eine differenzierte Analyse der Interessen nötig, um für einen möglichst breiten Kreis der Protagonisten zu sorgen.

Die Basis zu verbreitern ist in der jüngeren Vergangenheit deutlich leichter geworden. Denn ein Gespenst geht um in Deutschland, das Gespenst der Energieautonomie. Eine wachsende Zahl von Kommunen und Regionen verwirklicht die regenerative Wende in eigener Regie. Von Nordfriesland bis zum Berchtesgadener Land, von der Pfalz bis ins brandenburgische Prenzlau wachsen kräftige Pflanzen einer Gemeinwirtschaft neuen Typs. Das erklärte Ziel von mittlerweile Hunderten Stadtwerken, Energiegenossenschaften, Bürgerkraftwerken, von lokalen Initiativen und Bündnissen lautet Energieautonomie auf regenerativer Basis für die jeweilige Region.

Die besten Beispiele demonstrieren, dass Ökologie, Effizienz und demokratische Gestaltungsmacht Hand in Hand gehen können. Für die herrschende Meinung klingt das naiv. Tatsächlich aber lassen sich Projekte der Energieeinsparung, der Kraft-Wärme-Kopplung und der umfassenden Nutzung regenerativer Energiequellen besser und effizienter verwirklichen, wenn die Investitionshoheit vor Ort bleibt und explizit dem Gemeinwohl dient. Nur so entsteht in Dörfern, Landkreisen und Städten die notwendige Motivation in hinreichender Breite. Nur so wächst die Bereitschaft, in eigener Verantwortung und im eigenen Interesse die Fundamentalprobleme Energie und Klima in Angriff zu nehmen.

Wie die Praxis zeigt, ist zugunsten der jeweiligen Kommunen und Regionen ein mehrdimensionaler „Return on Initiative“ möglich: neue Arbeitsplätze und zusätzliche Einkommen, günstigere Energiepreise (Kraft-Wärme-Koppelung), weniger Emissionen, schrittweise Entmachtung von Energiekonzernen durch eigene Energieerzeugung, Stärkung der kommunalen Demokratie und der lokalen Steuerbasis, stabile regionale Kreisläufe, profitable Verwertung von Rest- und Abfallstoffen statt kostenträchtige Entsorgung, kommunale Souveränität statt Abhängigkeit von externen Investoren.

Wer diese Früchte ernten will, muss begreifen: Energiefragen sind immer auch Gesellschaftsfragen. Wer Energiefragen fachpolitisch verkürzt, etwa nach dem Motto „verlässliche Versorgung zu günstigen Preisen“, verfehlt das Potenzial einer neuen, dezentralen Energiestruktur. Rekommunalisierung kann deshalb nicht nur bedeuten, privatisierte Stadtwerke und/oder Verteilnetze wieder in öffentliches Eigentum zu überführen, um auf diesem Wege die Energiepreise sozialverträglich zu gestalten. Vielmehr ist von vornherein die eigene Produktion von Strom und Wärme ins Visier zu nehmen, weil erst mit integrierten Konzepten der Schatz einer „Energiewende von unten“ gehoben werden kann. Ein kräftiges Kapitel „Demokratischer Ökosozialismus“ kann vor Ort geschrieben werden, wenn in Kooperation mit privaten Initiativen und lokalen Dienstleistern die Übernahme weiter Teile der Energieversorgungskette gelingt. Wenn Mandatsträger, Bürgerschaft und lokale Unternehmen erkennen, was sie können, ist auch jenseits der Energiethemen dem Privatisierungsgerede der Boden entzogen und das Terrain bereitet für andere gemeinwirtschaftliche Initiativen.

Jenseits der organisierten Welt, jenseits der Unternehmen und der bunten Vielfalt lokaler und regionaler Initiativen, werden die subjektiven Kräfte des Wandels ebenfalls stärker. Es hat sich herumgesprochen, dass in einer endlichen Welt manche Naturgrenzen durch technologischen Fortschritt gedehnt werden, aber längst nicht alle. Es wird zunehmend erkannt, dass die Naturnutzung des einen auch der Nutzenentzug für den anderen ist. Je mehr sich solche Erkenntnisse verbreiten, je mehr sich ökologisches Leben kulturell verankert und zum unmittelbaren Interesse wird, desto besser werden die Chancen für einen ambitionierten Umbau.

Dabei hat der ethische Gleichheitsanspruch eine ökonomische Schwester im Geiste, die bekannte Weisheit über den fallenden Grenznutzen. Denn für den einzelnen Konsumenten gilt: Je größer der bereits erreichte materielle Wohlstand, desto schwächer wird der Grenznutzen zusätzlichen materiellen Wohlstands. Ab einer gewissen Stufe ist ein reines Mehr an Gütern kaum noch ein Zuwachs an subjektivem Wohlempfinden. Dieser Zusammenhang hat weltweit intensive Arbeiten an neuen Verfahren der Wohlfahrtsmessung veranlasst. Eine der Botschaften dieser internationalen „Indikatoren-Debatte“ lautet: Wenn der auf traditionelle Weise gemessene Wohlstand (BIP) umso weniger mit dem tatsächlichen übereinstimmt, je reicher die Individuen oder – auf der volkswirtschaftlichen Ebene – je reicher die Länder, dann ist die Kappung am oberen Ende nicht nur eine ökologisch gebotene, sondern auch eine ökonomisch rationale Tat. Was keine Effekte mehr bringt, kann man auch weglassen. Das Ziel des Wirtschaftens – auch das schwingt in der “Indikatoren-Debatte“ mit –  sollte folglich lauten: „naturverträgliches, egalitäres Wohlstandsoptimum statt ressourcenvernichtendes Gütermaximum“.

Für die heute am Pranger stehenden Neoliberalen hat ihr konsequentester Ahnherr 1949 beschrieben, worum es für ihn und seinesgleichen damals ging. Als der Zeitgeist noch sozialistisch war und niemand die spätere liberale Renaissance für denkbar hielt, ermahnte Friedrich August von Hayek sein bürgerliches Publikum, sich der eigentlichen Stärke seiner Gegner zu stellen: „Die wichtigste Lektion, die der wahre Liberale vom Erfolg der Sozialisten lernen muss, besteht darin, dass es ihr Mut zur Utopie war, der ihnen die Unterstützung der Intellektuellen sicherte und dadurch einen Einfluss auf die öffentliche Meinung, der tagtäglich möglich macht, was noch vor kurzem als unerreichbar galt. ... Daraus folgt: Wir müssen es schaffen, die philosophischen Grundlagen einer freien Gesellschaft erneut zu einer spannenden intellektuellen Angelegenheit zu machen, und wir müssen ihre Verwirklichung als Aufgabe benennen, von der sich die fähigsten und kreativsten Köpfe herausgefordert fühlen. Wenn wir diesen Glauben an die Macht der Ideen zurückgewinnen, der die Stärke des Liberalismus in seinen besten Zeiten war, dann ist der Kampf nicht verloren.“4

Genau darum geht es heute – nur sind erneut die Rollen zu vertauschen und zeitgemäß zu interpretieren. Auf eine Formel gebracht: Der Umbau muss in kräftigem Rot auftreten, wenn er sattgrün werden soll. Wer den nötigen gesellschaftlichen Umbau nur in einem zarten Rosa zeichnet, wird bei den praktischen Ergebnissen nur bis zu einem zarten Grün kommen. Umgekehrt gilt genauso: Der Umbau muss sattgrün sein, wenn er knallrot werden soll. Wer in ökologischer Hinsicht zu zaghaft ist, untergräbt die Quellen einer gerechten Gesellschaft. Unsere heutige Produktionsweise ist nicht gerechtigkeitsfähig, weil ihre ökologischen Lasten zu groß sind.

Aus der ökologischen Perspektive wird besonders deutlich, dass Egalität nicht nur ein ethischer Grundsatz ist, sondern auch aus praktischen Gründen wichtig. Denn „Gleiches Recht für alle“ (also gleiches Recht auf Naturnutzung, gleiche Pflicht zum Umweltschutz) ist die beste und die wirksamste Umbau-Maxime, weil Produktion und Konsumtion nahezu in ihrer Gesamtheit auf dem Prüfstand stehen, weil die Veränderungen nicht diktatorisch, sondern demokratisch erfolgen sollen, weil angesichts des notwendigen Tempos der Umbau zum ureigenen Anliegen gesellschaftlicher Mehrheiten werden muss. Deshalb braucht der grüne Umbau ein rotes Design.

Anmerkungen

1   Dieser Text ist eine gekürzte und aktualisierte Fassung des von der Rosa Luxemburg Stiftung in der Reihe Standpunkte unter der Nummer 09 / 2011 herausgegebenen Beitrags: Hans Thie. EXIT statt EXITUS. Das Rote Projekt für den Grünen Umbau in 16 Leitsätzen.

2   Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Umweltbericht 2010. Umweltpolitik ist Zukunftspolitik. Berlin 2010, S. 10

3   Siehe New Economics Foundation (London 2009). The second report of the Green New Deal Group. The cuts won’t work. Dort heißt es auf Seite 24: “Why doesn’t the Bank of England lend directly to the government? That is exactly what we propose. We propose that the government extends quantitative easing by £50 billion to finance expenditure under the Green New Deal. Allowing for the multiplier effect of spending, even just £30 billion would compensate for the loss of national income forecast by the Treasury in the 2009 budget. We want to short-circuit the existing system, so that money goes directly from the central bank to the government.”

4   Hayek, Friedrich August von (1949). The Intellectuals and Socialism. In: The University of Chicago Law Review (Spring 1949). Eigene Übersetzung

Literatur

Amery, Carl, Hermann Scheer (2001). Klimawechsel. Von der fossilen zur solaren Kultur. München: Verlag Antje Kunstmann

Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (2010). Umweltbericht 2010. Umweltpolitik ist Zukunftspolitik. Berlin: BMU

Daly, Herman E. (1999). Ecological Economics and the Ecology of Economics. Essays in Criticism. Cheltonham (UK) and Northampton (Mass.): Edward Elgar

Daly, Herman E. (1999a). Wirtschaft jenseits des Wachstums. Die Volkswirtschaftslehre nachhaltiger Entwicklung. Salzburg-München: Verlag Anton Pustet

Georgescu-Roegen, Nicholas (1971). The Entropy Law and the Economic Process. Cambridge (Mass.) / London: Harvard University Press

Hayek, Friedrich August von (1949). The Intellectuals and Socialism. In: The University of Chicago Law Review (Spring 1949)

Meadows, Donella et al. (2008). Grenzen des Wachstums - Das 30-Jahre-Update: Signal zum Kurswechsel. Stuttgart: Hirzel

New Economics Foundation (2009). The Cuts Won’t Work. The second report of the Green New Deal Group. Why spending on a Green New Deal will reduce the public debt, cut carbon emissions, increase energy security and reduce fuel poverty. 
http://www.neweconomics.org/sites/neweconomics.org/files/The_Cuts_Wont_Work.pdf

Scheer, Hermann (2010). Der energethische Imperativ: 100% jetzt: Wie der vollständige Wechsel zu erneuerbaren Energien zu realisieren ist. München: Kunstmann 

Thie, Hans (2007): Modell Varchentin – wie Agrarbetriebe Neue Energie für einen Neuen Osten mobilisieren. In: Jahrbuch Ökologie 2008. München, S.108-114

Thie, Hans (2009). Erneuerbare Energie in eigener Regie. Wie mit kommunalen Projekten ein multidimensionaler „Return on Initiative“ möglich wird. In: Keppler, Dorothee et a. (Hrsg.). 2009. Erneuerbare Energien ausbauen. Erfahrungen und Perspektiven regionaler Akteure in Ost und West. München: oekom Verlag

Thie, Hans (2011). EXIT statt EXITUS. Das Rote Projekt für den Grünen Umbau in 16 Leitsätzen. Berlin: Rosa Luxemburg Stiftung, Reihe Standpunkte, Nummer 09 / 2011

 

aus: Berliner Debatte INITIAL 22 (2011) 3, S. 47-57