Kugeln gegen Mapuche

Der Konflikt zwischen den Mapuche und der chilenischen Regierung geht unvermindert weiter

Die Bilder von vier von der Polizei mit Schrotflinten verletzten indigenen Minderjährigen hat Protestaktionen von indigenen und nicht-indigenen Organisationen hervorgerufen. Neben der physischen Repression setzt sich auch die Diskriminierung der Mapuche durch die Justizbehörden ungebrochen fort. Erst kürzlich wurden zwei Mapuche zu langen Haftstrafen verurteilt und befinden sich deswegen im Hungerstreik.

Die Fotos lösten Empörung aus, nicht nur bei Mapuche-Organisationen, sondern innerhalb der gesamten Linken Chiles. Zu sehen waren Kinder und Jugendliche, die bei einer Protestaktion teilgenommen hatten und mit heftig blutenden Wunden an Kopf und Oberkörper ins Krankenhaus eingeliefert werden mussten.
Dieser Fall brutaler Polizeigewalt ereignete sich in Ercilla in der Region Araucanía, circa 850 Kilometer von der Hauptstadt Santiago entfernt, auf einem Grundstück des Unternehmers René Urban. Er beansprucht das Reservat Ignacio Queupil de Temucuicui für sich. Laut Mijael Carbone, Sprecher der Mapuche in dieser Gemeinde, entschlossen sich die Mitglieder zur Besetzung, nachdem die Regierung ihr Versprechen, ihnen das Land bis März diesen Jahres zurückzugeben, nicht eingehalten hatte.
Die regionale Regierung ordnete die polizeiliche Räumung der Farm an, bei der zwölf Mapuche festgenommen und zwei Minderjährige durch Kugeln verletzt wurden. Die anderen beiden Jugendlichen Fernanda Marillan und Fabian Llanca erlitten ähnliche Verletzungen, als sie sich zusammen mit ihren Familien vor dem Krankenhaus in Collipulli einfanden um sich über den Zustand der gefangenen Mapucheaktivist_innen zu informieren.
In der Pressemitteilung von Mauricio Ojeda, Regionalsekretär der Regierung, und dem Chef der Polizeikräfte der IX Region, Iván Bezmalinovic, wurden die Eltern der verletzten Kinder beschuldigt, für die Polizeigewalt verantwortlich zu sein, da sie diese als „menschliche Schutzschilde“ benutzen würden.
Die Zentralregierung reagierte mit einem „Sicherheitsgipfel zum Mapuche-Konflikt in der Araucanía“, dessen Ziel es war, Mittel zur „Verringerung der Anschläge und Gewalt in der Zone“ zu finden. An dem Gipfel, der am 24. Juli stattfand, nahmen unter anderem Innenminister Rodrigo Hinzpeter, der Generaldirektor der chilenischen Militärpolizei Gustavo González, der Chef der Polizeikräfte der IX Region Iván Bezmalinovic, der Nationalstaatsanwalt Sabas Chahuán sowie der für die Region Araucanía verantwortliche Verwaltungsbeamte Andres Molina teil.
Ergebnis war die Ausarbeitung eines „speziellen Sicherheitsplans“ mit Maßnahmen wie verstärkten Polizeikontrollen, Anschaffung neuer Technologien für die Polizei, mehr Polizeistationen in der Region und die Aufforderung an die Justiz, strenger zu urteilen.
Vor allem, dass Ex-Staatsanwalt Alejandro Peña mit der Untersuchung des „Mapuche-Konflikts“ beauftragt wurde, ist ein eindeutiges Signal dafür, dass die Regierung an keiner politischen Lösung der Situation in der Region interessiert ist. Peña – mittlerweile Beamter im Innenministerium – steht wegen der Rolle, die er beim sogenannten „Caso Bombas“ innehatte, stark in der Kritik. Der Fall, in dem 14 vermeintliche Terrorist_innen beschuldigt wurden, im Raum Santiago Bomben gelegt zu haben, hat sich als komplette Schlappe für den chilenischen Sicherheitsapparat entpuppt. Mittlerweile sind alle Angeklagten freigesprochen worden und Peña wird beschuldigt, die Anklage inszeniert zu haben. Dazu kommen die rassistischen Äußerungen Peñas zu diesem Fall. Bei einem Besuch des kolumbianischen Staatsanwalts Mario Iguarán 2006 meinte er, dass „alle Indios Trinker waren, die ihre Frauen geschlagen haben und Land verkauften, um es dann wieder zurückzuerobern“.
Die chilenischen Gerichte fahren wie eh und je mit ihrer harten Linie gegen Mapuche-Aktivst_innen fort. Am 13. August verurteilte der Strafgerichtshof in Angol die beiden Mapucheaktivisten Daniel Levinao und Paulino Levipan zu zehn Jahren Haft. In einem Prozess ohne beweiskräftige Indizien wurde ihnen versuchter Mord an Polizisten sowie illegaler Waffenbesitz vorgeworfen.
Dasselbe Gericht verurteilte am 28. August Mijael Carbone zu sieben Jahren Haft wegen versuchtem Mordes an einem Polizisten. Der Verteidiger des Angeklagten bezeichnet die Strafe als skandalös: „Hier wird ein Mapuche-Führer wegen eines angeblichen versuchten Mordes zu sieben Jahren Haft verurteilt, während die vermeintlichen Opfer nicht einen Kratzer abbekommen haben“. Carbone erschien nicht vor Gericht und erklärte in einer Stellungnahme am 29. August, dass er „diese rassistische Strafe von Richtern und der Regierung ablehnend“ in die Klandestinität gehen werde. Mit der Strafe werde versucht „die Mapuche-Bewegung und ihre Führer zu neutralisieren, indem sie uns unserer Freiheit berauben und von unseren Familien entfernen.“
Währenddessen geht die Straflosigkeit für die Polizeikräfte weiter, die für Mapuchemorde verantwortlich sind. Beispielhaft hierfür ist das Urteil, welches das Militärgericht am 16. August in Santiago gefällt hat. Verhandelt wurde der Fall von Jaime Mendoza Collio, der vom Polizisten Miguel Jara Muñoz am 12. August 2009 bei einer Landbesetzung durch einen Schuss in den Rücken getötet wurde. In erster Instanz war von der Staatsanwaltschaft eine Haftstrafe von 15 Jahren gefordert worden. Das Militärgericht in Valdivia verhängte im November 2011 nur fünf Jahre. Aber selbst diese Strafe wurde in der letzten Verhandlung aufgehoben und Miguel Jara mit der Begründung freigesprochen, dass er aus Notwehr gehandelt habe.
Nicht zu vergessen sind die Fälle von Alex Lemún und Matias Catrileo, zwei jungen Mapuche, die im Zusammenhang mit Landkonflikten von chilenischen Polizisten 2002 und 2008 ermordet wurden. Im Fall von Matias Catrileo wurde der Polizeibeamte Walter Ramírez Espinoza zu einer lächerlichen Strafe von drei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt, die er im Dienst verbüßte. Marco Aurelio Treuer, der die tödlichen Schüsse auf Alex Lemún abgegeben hatte, wurde nie verurteilt.
Die Hartnäckigkeit, mit der die Mapuche juristisch verfolgt werden, hat aber nicht dazu geführt, dass die Organisationen und Gemeinden ihre Forderungen zurückschrauben. Ganz im Gegenteil: In den vergangenen Monaten gab es immer mehr Widerstand, ebenso steigt die Zahl der Verletzten, Gefangenen und Verurteilten.
Am 26. Juli, zwei Tage nach der Räumung der Gemeinde Temucuicui, haben vier Frauen, die zur Territorialen Allianz der Mapuche (ATM) gehören, mit einem zweijährigen Mädchen den Sitz der UNICEF in Santiago besetzt. Sie fordern die UN-Organisation auf, bei der Verteidigung der Rechte von Mapuche-Kindern eine aktivere Rolle einzunehmen. Diese Aktion hat in der Zivilgesellschaft, vor allem unter Künstler_innen und Studierenden, viel Sympathie und konstante Soli-Aktionen vor dem besetzten Büro hervorgerufen.
In der Araucanía haben mehrere Mapuche-Reservate die von ihnen beanspruchten Gebiete friedlich besetzt. Aus dem Reservat Mateo Nirripil hat eine Gruppe von 40 Mapucheaktivist_innen am 29. Juli die Farm „Los Pilos de Muko“ in der Region Lautaro besetzt. Auch Aktivist_innen des Reservats Rofue in der Nähe von Temuco besetzten Land, das Eigentum der katholischen Kirche ist.
Am 18. und 19. August fand eine große Versammlung statt, zu der das Reservat Ignacio Queupil, das die Farm „La Romana“ besetzt hält, aufgerufen hatte. Trotz massiver Polizeikontrollen und vorhergegangenen Räumungen nahmen viele Mapuche-Organisationen und –Reservate teil.
Weitere Reservate forderten bei der Zentralregierung eine schnelle Lösung für ihre Landansprüche ein. Die Reservate José Guiñon aus Temucuicui, Mawidaze Trapilhue und Auka Felisahue protestierten vor dem Regierungspalast La Moneda in Santiago jeweils am 13., 22. und 27. August. Ihre Petitionen wurden von Beamten entgegengenommen doch sie kehrten ohne Antwort in die Araucanía zurück.
Auch in den Gefängnissen bewegt sich etwas. In Angol haben am 27. August fünf gefangene Mapuche, darunter die zwei kürzlich verurteilten Jugendlichen, einen Hungerstreik begonnen. Sie fordern die Annulierung der Gerichtsurteile gegen Paulino Levipan und Daniel Levinao, den Stopp der Einbeziehung anonymer Zeug_innen, wie es bei Anklagen nach dem Antiterrorgesetz möglich ist, das Ende der Durchsuchungen und der Polizeigewalt gegen Kinder, Frauen und Senior_innen sowie die Demilitarisierung der Mapuche-Gemeinden.
Auch in der UNICEF-Vertretung hatte eine Besetzerin den Hungerstreik begonnen, da UNICEF keine Stellung bezog. Die Aktion wurde nach sieben Tagen Hungerstreik und 39 Tagen Besetzung beendet. Tom Olsen, Vertreter von UNICEF in Chile, kündigte an, in Ercilla Präsenz zu zeigen und sich am 3. September mit Mapuche-Organisationen zu treffen, um sich ihre Erfahrungen mit den Polizeizusammenstößen und der alltäglichen Gewalt anzuhören.
In der Summe sind die Ereignisse der letzten zwei Monate eine Fortsetzung der Geschichte des Konflikts zwischen dem chilenischen Staat und den Mapuche. Die Mapuche werden kriminalisiert und juristisch verfolgt. Doch solange ihre Forderungen nicht ernst genommen und sie selbst nicht als gleichberechtigte Partner_innen anerkannt werden, wird die Region nicht zur Ruhe kommen. Armut sowie kein Zugang zu Land und Wasser sind Alltag für viele Mapuche. Deswegen entschließen sie sich trotz aller Repression immer wieder zu Besetzungen.
Entgegen der ILO-Konvention 169 zum Schutz der Rechte indigener Völker wird von Seiten des chilenischen Staates aus einem politischen ein Kriminalitätsproblem gemacht. Nichts anderes bedeuten die wahllosen Verhaftungen von Mapuche-Aktivist_innen, die Militarisierung der Mapuche-Gemeinden und nicht zuletzt die hohen Haftstrafen.
Ein erster Schritt zur Lösung des „Mapuche-Konflikts“ wäre die Einhaltung der Versprechen von Regierungsseite und die Aufnahme der Rechte der indigenen Völker in die Verfassung. Diese Position vertritt der Mapuche-Historiker Fernando Pairacan. Es würde die Anerkennung Chiles als plurinationalen Staat bedeuten, „in dem die Interkulturalität Teil der staatlichen Bildungspolitik und des Zusammenlebens mit den Mapuche ist und das geraubte Land zurückgegeben wird“, wie auch der Studierendendachverband Confech in einer Erklärung zur Unterstützung der Forderungen der Mapuche schreibt. Währenddessen haben viele Mapuche-Organisationen weitere Mobilisierungen und Proteste angekündigt – trotz der heftigen Repression.