Crazy Neighbours – Kackscheiße aus der Kifferszene

in (30.09.2012)

[Triggerwarnung für die Beschreibung frauenverachtender Kackscheiße]

 

Hanf gehört endlich legalisiert – genau wie alle anderen psychoaktiven Substanzen. Keine Pflanze ist illegal und die Gesetzeslage ist schon seit es Drogengesetzgebung überhaupt gibt um Jahrhunderte hinter der gesellschaftlichen Konsumrealität zurück. Mit dieser Überzeugung ließ ich mich trotz eines diffusen Unwohlseins die Kifferszene betreffend dieses Jahr überreden, spontan zur Berliner Hanfparade zu fahren. So weit, so schön, so chillig.

Mittlerweile weiß ich wieder ganz genau, was mich an der Kifferszene vor allem stört. Und warum es tatsächlich nicht nötig ist, ihre Beschreibung zu gendern.

Auf der Parade wurde auch ein Comic verteilt: „Crazy Neighbours N°1 – There is no business like grow-business“, so der Titel. Dass das Heft mit seiner relativ faden Geschichte vollgestopft ist mit (Schleich-)Werbung für diverse Konsum- und Anbauartikel – geschenkt. Wirklich krass und ekelerregend ist die Darstellung von Geschlechterverhältnissen im Comic.

 

 

Verrückte Nachbar*innen

 

Protagonist*innen1 sind Carlos, eine Art Hanfguerillero (links im Bild), Flip, dauerbreiter Jungadliger (rechts im Bild) und Lilly. Das Mädchen. Sie hat keine andere Funktion, als knappe und figur-(um nicht zu sagen geschlechtsmerkmal-)betonte Kleidung zu tragen, irgendwie soziale Verbindung zwischen einigen Figuren zu sein und bei Carlos' erstem Besuch in ihrer WG mit ihm zu schlafen, weil das mitgebrachte Gras sie „irgendwie voll horny“ gemacht hat. Alles, was Flip in Denkblasen dazu einfällt ist: „Seit wann is sie denn so leicht zu haben?“, gesteht Carlos eine „Punktlandung“ zu und nimmt sich vor, das mit dem „Dope [...] auch mal bei den Schnecken [zu] checken“.

Während im zweiten Abschnitt die männlichen Protagonisten einen Umzug von Wohnung zu Wohnung schleppen, bleibt Lilly daheim und bäckt Spacecookies. Klare Aufgaben- und Rollenverteilung.

Im ganzen Comic sind alle Frauen*, bis auf die Polizistin, die irgendwie die „sanftere“ der beiden Bullen ist, extrem sexualisiert gezeichnet, sodass in zwei Dritteln aller Darstellung Brustwarzen unter Tops, Blusen und Shirts zu erkennen sind. Eine eigenständige Persönlichkeit haben sie im Gegensatz zu den männlichen* Personen nicht.

 

Problematische Wurzeln, problematische Aneignung

 

Sexistische Entgleisungen wie dieser Comic kommen in der Kifferszene immer wieder vor. Der sexistische und misogyne2 Normalzustand, der in der Gesellschaft herrscht, wird von den wenigsten reflektiert sondern in krasser Weise immer wieder reproduziert. Viele beziehen sich unkritisch und positiv auf Rastafari, die einerseits rituellen Umgang mit Cannabis (Ganjah), aber auch durch ihre Bezüge zum alten Testament oftmals eine frauenfeindliche und homophobe Kultur pflegen. Die von ihnen propagierte Freiheit des Individuums und Liebe zwischen den Menschen gilt also nur für heterosexuelle Cis-Männer3.

Darüber hinaus scheint niemand in der überwiegend weißen deutschen Kifferszene darüber nachgedacht zu haben, dass die Rastafari auch eine Befreiungsbewegung von PoC4 aus Jamaica ist. Weiße Typen, die Dreadlocks tragen, spotten diesem Versuch, sich von der weißen Vorherrschaft zu befreien, jeden Tag, auch wenn sie es selber nicht bemerken. (siehe dazu "Schwarze Widerstandssymbole auf weißen Köpfen" bei der Mädchenmannschaft)

 

Let's fight together!

 

Das Problem im Comic ist nicht die Darstellung von Sex oder Sexualität. Das Problem ist, dass hier Frauen* weitestgehend zu Objekten gemacht werden, während Männer* als agierende Subjekte dargestellt werden. Außerdem werden wieder antiquierte Rollenbilder im fiktiven Rahmen bestätigt, die Menschen aller Geschlechter in ihren Entscheidungsmöglichkeiten massiv einschränken. Wer sie immer wieder reproduziert, hämmert sie in unsere Köpfe und lässt sie so soziale Wirklichkeit werden.

 

Der Kampf für die Legalisierung von Drogen – aller Drogen – ist einer, an dessen Ziel die Vermeidung von viel Leid steht. Produzent*innen und Dealer*innen leiden am Verfolgungsdruck durch staatliche Behörden. Konsument*innen macht darüber hinaus auch noch die schlechte Qualität von Substanzen auf dem Schwarzmarkt und gesundheitsschädlichen Streckstoffen zu schaffen. In vielen Ländern der Welt werden Kriege geführt, deren Anlässe und Interessen der verschiedenen Parteien mit der Legalisierung von Drogen wegfallen würden. Dieser Kampf ist immer und überall unterstützenswert. Aber solche Mitstreiter, die ihre gesellschaftlichen Privilegien nicht hinterfragen und sexistische und rassistische Kackscheiße am laufenden Band reproduzieren, machen es einer*m echt schwer. Es reicht nicht, die eigenen Rechte ausweiten zu wollen und andere dafür mit Füßen zu treten und immer wieder zu erniedrigen. Um wirklich in Freiheit leben zu können, müssen wir die Probleme und die gegenwärtige Unterdrückung aller Menschen mitdenken oder wenigstens unser bestes versuchen, das zu tun. Nichts anderes wünsche ich mir vom Autoren dieses Hefts, von der Kifferszene und allen anderen Menschen da draußen. Lasst uns gemeinsam emanzipatorisch kämpfen.

 

(Ich für meinen Teil bin wieder an mein Vorhaben erinnert worden, eine queerfeministische Stonerrockband zu gründen. Wer macht mit?)

 

1 Das Sternchen bezeichnet alle Geschlechter, nicht nur das männliche und weibliche, sondern auch alles dazwischen und darüber hinaus, als auch inter* und trans* oder sich als alternativ verstehende Weiblichkeiten und Männlichkeiten.

2 frauenfeindlich, -verachtend

3 Cis-sexuell: Übereinstimmung von biologischem und sozialem Geschlecht, von sex und gender

4 People of Color, nichtweiße Menschen