Die Stadt als Event

Historisch betrachtet bestand immer eine starke Wechselwirkung zwischen der Produktion kultureller Symbole und der Produktion urbaner Räume. Es sind vor allem Städte, in denen Kultur und Events hergestellt und konsumiert werden. Bereits in den 1960er Jahren sprechen die SituationistInnen von der „Kolonisierung“ des Alltagslebens und der Freizeit durch die warenförmig vermittelten Formen des kapitalistischen „Spektakels“: Die uneingeschränkte Macht von Bildern drohe die wirkliche Welt vollständig zu vereinnahmen. Im Vorgriff auf spätere Simulationstheorien und in weitgehender Übereinstimmung mit der Kulturindustrie-These der Kritischen Theorie begreifen Guy Debord und seine MitstreiterInnen das (fordistische) Konsummodell tendenziell als einen totalen Verblendungszusammenhang. Inzwischen ist die Durchdringung von Kultur und Markt weiter vorangeschritten. Das Ineinandergreifen von Finanzinvestitionen, Dienstleistungen und Konsum hat eine „postmoderne“ Entertainment-Industrie hervorgebracht, deren Aktivitäten die Reproduktion des städtischen Alltags erheblich mit strukturieren.

Bausteine der Erlebnisstadt
In vielen urbanen Regionen lässt sich der Übergang zu einer post-industriellen Basis beobachten, in denen Wissensarbeit und Kultur einen neuen Stellenwert erhalten. Zugleich haben sich überall Wachstumskoalitionen aus Investoren, LokalpolitikerInnen und PlanerInnen gebildet, die auf den Ausbau von Konsumkomplexen und die Neugestaltung von Industriebrachen, Waterfronts etc. setzen. Insbesondere der öffentliche Raum wird als Arena für Inszenierungen aller Art (Stadtmarathon, Love Parade, Public Viewing etc.) regelrecht aufgerüstet.
Eine konsumorientierte Stadtsanierung avancierte in den letzten Jahrzehnten gerade in altindustriellen Krisenstädten zum Kernbereich der Revitalisierungsstrategie: Zunächst programmatische Ausrichtung der Stadtverwaltung im Sinne eines „entrepreneurial spirit“, dann Umschreibung der industriellen Historie mithilfe von Imagekampagnen, schließlich Neuerfindung der Stadt als Kapitale des Spektakels (siehe z. B. Glasgow). Die Ökonomien des Essens und Trinkens, des Einkaufens und Konsumierens, der Freizeitvergnügungen und des Tourismus gelten nun als wichtiger Bestandteil des städtischen Wirtschaftslebens. Der Geograph Ash Amin spricht in diesem Zusammenhang auch von „econ/emotions“.
Als herausragendes Beispiel für eine erlebnisorientierte Standortpolitik lässt sich die Bewerbung um die Austragung der Olympischen Spiele anführen. Die lokalen Eliten sehen darin eine günstige Gelegenheit, die Konstruktion eines spezifischen Stadtimages mit urbanen Entwicklungsprojekten zu verknüpfen. Die letzten Sommerspiele in London (2012) gelten nicht nur als Highlight einer spektakulären Event-Vermarktung, sondern erstmals stellte ein Austragungsort die Sanierung eines sog. Problemviertels (East End ) ins Zentrum seiner Bewerbung.
Zu einem wichtigen Baustein der Erlebnisstadt zählen auch architektonische Prestigeprojekte (Museen Bibliotheken, Hochhäuser), die einprägsame Motive für Branding-Kampagnen liefern. Eine Strategie, die dank des sog. Bilbao-Effekts von Frank O. Gehrys Guggenheim-Museum populär geworden ist. Der Wiener Raumplaner Georg Frank spricht in diesem Zusammenhang von einer „Ökonomie der Aufmerksamkeit“. Ihm zufolge stellt im Medienzeitalter die menschliche Aufmerksamkeit eine knappe Ressource dar, um die AnbieterInnen von Dienstleistungen oder Produkten regelrecht kämpfen müssen. Mit Hilfe von „Signature Buildings“ oder „Iconic Landmarks“ versuchen deshalb Stadtregierungen, Investoren und ImmobilienentwicklerInnen bestimmte Bauwerke öffentlichkeitswirksam zu profilieren. Exemplarisch stehen dafür die gigantische Segelkonstruktion des Burj Al Arab (Turm der der Araber) in Dubai oder der 300 Meter hohen Glasturm The Shard (Die Glasscherbe) in London. Die Strategie der Unterscheidbarkeit, sich als „Marke“ von anderen Orten deutlich zu differenzieren, Besonderheiten hervorzuheben, die andere Städte nicht besitzen, führt auch zu einem Bedeutungszuwachs der „Ranking“-Industrie, die mittels Monitoring und Benchmarking zunehmend über die wirtschaftlichen Geschicke der Städte mitentscheidet.
Die Produktion der Erlebnisstadt verdankt sich nicht nur den top down-Aktivitäten der Finanzwirtschaft, der Kulturindustrie und des städtischen Managements, sondern sie wird auch bottom up von den Konsumpraktiken einkommensstärkerer Bevölkerungsgruppen mit angetrieben. Folgt man den soziologischen Diskursen, dann hat sich das Modell der „Erlebnisgesellschaft“ schon lange etabliert. Als zentrales Axiom gilt dabei die Ästhetisierung des Alltagslebens. Auf der Basis des fordistischen Massenkonsums haben sich inzwischen ausdifferenzierte Lebensstilmilieus herausgebildet, die in unterschiedlicher Weise auf Selbstverwirklichung, Genuss und Hedonismus setzen. Die Bedeutung des Konsums für die Repräsentation kollektiver/individueller Identitäten nimmt zu und es kommt zu einer stärkeren Vermischung von Einkaufs- und Freizeitaktivitäten. Der Konsum dient hier weniger der Befriedigung elementarer Bedürfnisse, als vor allem der Realisierung eines sozialen Status. Nicht nur im Sinne von Prestige und Ansehen, sondern auch was die Funktion der Gemeinschafts- und Szenenbildung anbetrifft. In diesem Kontext spielen Events eine wichtige Rolle. Sie sollen die Routinen und Zwänge des alltäglichen Lebens für einen kurzen, ästhetisch und emotional verdichteten Zeitraum aufheben.
Die Unterhaltungsindustrie und der Einzelhandel versuchen für diese Formen der Identitätsbildung die notwendigen Symbole und Zeichen mitzuliefern, indem sie die Waren und Dienstleistungen als „Erlebnis“ oder „Lifestyle“ anbieten. Zugleich reflektieren die kommerziellen Erlebniswelten bestimmte mediale Rezeptionsgewohnheiten der KonsumentInnen und stehen für die wachsende Bedeutung einer „semiotischen“ Raumproduktion. Als sozialräumliche Prototypen einer neuen Organisation der Konsumtion spielen dabei Shoppingmalls und Themenparks eine herausragende Rolle. Sie stellen den vorläufigen Schlusspunkt einer Entwicklung dar, die sich schon seit langem abzeichnete: die Umwandlung des Konsumverhaltens in einen Erlebnisvorgang und die Funktionalisierung der Raumgestaltung als Bestandteil einer kommerziellen Vermarktungsstrategie.

Exklusiver Konsumraum
Viele KritikerInnen klagen in kulturpessimistischer Wendung gegen die Welten des Event-Konsums authentische Formen der urbanen Erfahrung ein. So konstatiert etwa der bekannte Urbanist Richard Sennett eine zunehmende Trivalisierung der Stadtkultur. Diesen angeblichen Verfall kontrastiert er mit einer vergangenen Zeit, in der die Straßen und Plätze voller Leben waren. Allerdings vergisst die Klage über die Kommerzialisierung des öffentlichen Raums, dass solche Orte noch nie für alle Menschen in gleicher Weise zugänglich waren. Soziale Gruppen wie Jugendliche, Frauen oder Angehörige ethnischer und sexueller Minderheiten sind in der Vergangenheit immer wieder von solchen Territorien ausgeschlossen worden oder waren Objekte einer moralischen Zensur. Der Anthropologe Marc Augé erklärt wiederum Shoppingmalls zu „Nicht-Orten“ einer einsamen Individualität, die keine sozial-kommunikativen Prozesse hervorbringen, sondern nur die Entfremdung zwischen den Menschen vertiefen würden. Dieser Kritik ist entgegenzuhalten, dass die Konsumcontainer zwar der Realisierung von Kapital dienen, aber keineswegs völlig in dieser Funktion aufgehen. So nutzen etwa Jugendliche solche Orte als Treffpunkte zum Abhängen und Familien verbringen dort einen Teil ihrer Freizeit.
Die Klage über den Niedergang der urbanen Kultur lenkt von einer entscheidenden Frage ab – nämlich jener der gesellschaftlichen Machtverhältnisse. Trotz aller Pluralisierungs- und Individualisierungsprozesse dient die Praxis des erlebnisorientierten Konsums auch dazu, die Unterschiede und Abstände zwischen den sozialen Milieus hervorzuheben. Nach dem Soziologen Pierre Bourdieu handelt es sich bei der Herrschaft über den Raum um eine der privilegiertesten Formen der Machtausübung. Die Fähigkeit, bestimmte Orte zu dominieren, ermöglicht es unerwünschte Personen und Ereignisse auf Distanz zu halten. Die Struktur der räumlichen Verteilung sozialer Klassen und Nutzungsweisen lässt sich als Resultat sozialer Auseinandersetzungen um „Raumprofite“ auffassen.
So suchen viele Menschen die Kernstadt nur noch als KonsumentIn oder UrlauberIn auf. Unter dem „touristischen Blick“ und einer auf Erlebnis und Entspannung ausgerichteten Konsumtionspraxis verwandelt sich die City in eine Art von Themenpark, in der soziale Heterogenität eher als irritierend und störend empfunden wird. Denn der Erlebnisraum ist vor allem ein Raum der sicheren Distanz vor unerwarteten Ereignissen und Situationen. Städtische Behörden versuchen deshalb, urbane Erfahrungen und Events in möglichst risikoloser und kontrollierter Form anzubieten.
Die Aufwertung der Kernstadt und die Konzentration auf die „Konsumfähigen“ ist mit entsprechenden sozialen Selektionsmechanismen verknüpft. Durch kommunale Ordnungserlasse versucht man, all jene Aktivitäten zu reglementieren, die dem Klischee von der „sauberen und sicheren Stadt“ widersprechen. Der Umbau der Städte zu Erlebnislandschaften vertieft somit die gesellschaftliche Entwicklung, den sozialen Raum nach hierarchischen Mustern zu ordnen und subalterne Gruppen auszugrenzen.

Was tun?
Die Konzentration des Urban Management auf Konsum und Event hat zu einer Vernachlässigung oder gar Missachtung all jener Alltagspraktiken und Institutionen geführt, die nicht mit der Logik der Kulturalisierung kompatibel sind. Nicht weiter verwunderlich, dass Mieterorganisationen oder Bürgerinitiativen mit ihren sozialen Anliegen oft nur noch wenig Gehör finden. Zudem können sich nicht alle Städte bzw. Stadtteile als Event- und Tourismusdestination vermarkten. Das fehlende In-Wertsetzungspotential solcher „Verlierer“-Räume korrespondiert mit deren Verschwinden aus der Sphäre der medialen Aufmerksamkeit.
Diese Verschiebung zum „Kulturellen“ bedarf einer grundsätzlichen Reflexion: Eine Thematisierung des „Sozialen“ steht immer in Beziehung zu den Konjunkturen im „ideologischen Raum“, der von dem Widerstreit zwischen Macht und Widerstand strukturiert wird. Er kann zwar nicht widerspruchslos von den „Herrschenden“ reguliert werden, aber es gibt stets Bestrebungen zu hegemonialen Grenzziehungen. Die jeweils dominanten Diskurse produzieren ein Karussell von Orientierungswerten, die die Differenzen des Sag- und Unsagbaren (z. B. grundsätzliche Kapitalismuskritik), des Möglichen und Unmöglichen („dafür ist kein Geld da!“) definieren.
Angesichts der vorherrschenden Kulturalisierung der Stadtentwicklungspolitik ist es interessant, wie eine Hamburger Initiative von KulturproduzentInnen auf den Verkauf des sog. Gängeviertels an einen holländischen Investor reagierte. Unter dem Motto Komm in die Gänge veranstalteten dort 2009 KünstlerInnen ein permanentes „Hoffest“ mit Konzerten, Kunstaktionen und Instandsetzungsmaßnahmen. In ihrem Manifest Not In Our Name, Marke Hamburg! kritisierten sie die neoliberale Stadtpolitik und protestierten gegen die Instrumentalisierung von „Kreativen“ für die Aufwertung von Stadtquartieren. In der Öffentlichkeit dominierte die Wahrnehmung, es handle sich bei den Aktionen letztlich um eine originelle Kunstaktion. Der Druck aus der Zivilgesellschaft trug wesentlich zur Kehrtwendung der Hamburger Senats bei, das Areal zurückzukaufen. Insofern war es ein geschickter Schachzug der Initiative, ihre politische Intervention mit der „Kreativ-Metapher“ zu verknüpfen, die sowohl mit künstlerischem Handeln als auch mit unternehmerischer Produktivität assoziiert wird. Den KünstlerInnen gelang es, das Modell der „kreativen Erlebnisstadt“ als Widerspruchsbeziehung zu artikulieren und damit die herrschenden Sinneffekte zu durchbrechen. Eine Strategie, die zwar die Gefahr einer kulturalistischen Rekuperation in sich birgt, aber immerhin öffentliche Aufmerksamkeit erzielt. Bislang jedenfalls konnte die Initiative eine Privatisierung des städtischen Gemeinguts verhindern.

Dieser Text erscheint in Bildpunkt. Zeitschrift der IG Bildende Kunst (Wien), Winter 2012, „Eventisierung“.