Prekärer Aufstand

In Italien wehren sich migrantische ArbeiterInnen

Als er vor zehn Jahren nach Italien kam, hatte sich der aus Ägypten stammende Mohamet Arafat seine Zukunft im Land der „dolce vita“ sicherlich anders vorgestellt. Nach seinem Hochschulabschluss in Ägypten war der Sohn einer Lehrerin und eines Ingenieurs nicht etwa aus wirtschaftlichen Gründen nach Europa gekommen, sondern um – wie er selbst sagt – Erfahrungen zu machen, sein eigenes Leben zu leben.

Was er allerdings vorfinden sollte, war keineswegs das erwartete Paradies, sondern blankes Elend: zunächst Hunger und Ausbeutung als Arbeiter im Orangenanbau in Süditalien, dann vom Regen in die Traufe in das norditalienische Piacenza, wo er in einem Logistikzentrum der TNT anheuerte.

Entgegen der in Aussicht gestellten acht Stunden pro Tag, wurden die ArbeiterInnen oft nur für wenige Stunden am Tag, je nach Bedarf beschäftigt und verdienten oft somit nicht mehr als 2-300 Euro im Monat. Gleichzeitig gab es Arbeitsspitzen, in denen das Doppelte des tatsächlich beschäftigten Personals nötig gewesen wäre. Die Überlastung führte zu häufigen Erkrankungen. Gleichzeitig hielt der prekäre Arbeitsalltag der ArbeiterInnen (die zudem zu 90 % aus dem nicht-europäischen Ausland stammten) die Bereitschaft sich zu wehren niedrig. Im Gegensatz zu Mohammet Arafat dürfte die meisten seiner KollegInnen bei Verlust des Arbeitsplatzes nicht etwa eine mögliche Rückkehr in den heimischen gehobenen Mittelstand, sondern das Nichts und eine hungernde Familie erwartet haben.

Um jedoch die Angst der KollegInnen zu verringern, begannen Mohammet und eine Handvoll MitstreiterInnen ihre KollegInnen – allem voran die verschiedenen Nationalitäten – zu vereinen. Hierzu besuchten sie ihre KollegInnen zu Hause oder luden sie zu sich ein, um über die verschiedenen Probleme am Arbeitsplatz zu sprechen und sich auszutauschen.

Nachdem es ihnen gelungen war, die KollegInnen größtenteils zu einen, versuchten sich die ArbeiterInnen an eine Gewerkschaft zu wenden. Was zunächst einfach schien, da die migrantischen ArbeiterInnen durchaus Gewerkschaften frequentierten, sollte sich letztlich schwerer darstellen als erwartet. Für beide Seiten beschränkte sich der Kontakt zumeist auf Dienstleistungen, wie das Ausfüllen von Formularen oder Hilfe in Fragen des Ausländerrechtes. Auch schienen viele Gewerkschaften nicht gerade kampfwillig zu sein. Mit Hilfe der SI Cobas (Sindacato Intercategoriale Cobas – Lavoratori autorganizzati) gelang es ihnen jedoch letztlich zu streiken und durch die strategische Blockade der Werkstore dem Unternehmen empfindliche Schäden zuzufügen. Der Erfolg ließ nicht lange auf sich warten: am Ende des Arbeitskampfes erwirkten Mohammet und seine KollegInnen die Anerkennung des nationalen Tarifvertrages, Lohnerhöhungen, dreizehnten und vierzehnten Monatslohn, Urlaub und Freistellungen für gewerkschaftliche Arbeit. Auch ausserhalb von TNT hatte der Konflikt seine Wirkung. Seit dem Arbeitskampf demonstrieren die MigrantInnen von Piacenza alle zwei Wochen. Auch wurde versucht, den Kampf auf andere Betriebe wie die Supermarktkette Esselunga, den Kurierdienst SDA und den Paketdienst GLS auszuweiten. Letzten Endes gelang es durch die vielfachen migrantischen Arbeitskämpfe sogar den Giganten IKEA – bei dem ArbeiterInnen mit mehr als 30 Nationalitäten arbeiten – in die Knie zu zwingen und die Anerkennung des Nationalen Tarifvertrages sowie der Würde und der gewerkschaftlichen Vertretungen der ArbeiterInnen durchzusetzen. Was ähnlich begann, wie der italienische heiße Herbst von 1969, hat sich für die migrantischen ArbeiterInnen in einen Hauch arabischen Frühlings verwandelt. Es bleibt zu hoffen, dass sich vielleicht auch die italienischen ArbeiterInnen ein Beispiel nehmen und anstatt vergangenen Ritualen nachzuhängen den heißen Herbst der Vergangenheit überlassen und sich einem Frühling neuer Kämpfe öffnen.

Dieser Artikel erschien zuerst in der Direkten Aktion #216 - März / April 2013