Arbeiterstrich ja – Straßenprostitution nein

Die reaktionäre Politik der SPD Dortmund Nord

2007 wurden Bulgarien und Rumänien Mitglieder der Europäischen Union. Die Europäische Union erweiterte ihren Machtbereich bis zum Schwarzen Meer. Seither kommen Biokartoffeln auch aus Rumänien, doch ArbeiterInnen dürfen aus Rumänien und Bulgarien allenfalls als SaisonarbeiterInnen zur Weinlese und zum Spargelstechen kommen. Denn die in der EU an sich garantierte Arbeitnehmerfreizügigkeit gibt es erst 2014, wenn man aus Bulgarien oder Rumänien nach Deutschland oder Österreich möchte.

 

Für das Kapital gelten diese Grenzen nicht. „Die rund 1000 in Bulgarien tätigen deutschen Unternehmen durchaus angetan vom Engagement der bulgarischen Mitarbeiter“, erklärte Andreas Schäfer, stellvertretender Geschäftsführer der Auslandshandelskammer (AHK) Bulgarien. Kein Wunder:  Wer in Bulgarien eine Arbeit hat, verdient durchschnittlich 370 Euro pro Monat. Bulgarien ist das Billiglohnland der EU. Viele haben aber nicht ein­mal einen Lohn – insbesondere Roma sind fast vollständig aus dem Arbeitsmarkt ausgegrenzt.

Kein Wunder, dass es Menschen gibt, die den blühenden Landschaften des bulgarischen Elends-Kapitalismus entfliehen wollen. Aber wer versucht, dauerhaft in Deutschland zu ar­beiten, muss entweder hochqualifiziert sein. Rumänische und Bulgarische Ärzte sind hierzulande hochwillkommen.

Allen anderen bleibt auch hier­zulande nur die Elendsökono­mie.

Sie verdingen sich z.B. zu Minimallöhnen als „selbstständige Fleischzerleger“ in bundesdeutschen Schlachthöfen. „Jenseits von Mindestlohnregelun­gen arbeiten hierzulande Rumänen, Ungarn oder Bulgaren als Akkordarbeiter und tragen so das enorme Produktions- und Exportwachstum der Branche mit. Sie lebten in engen Unterkünften, etwa mit acht Mann in einem Vierbettzimmer – von denen dann vier tagsüber, vier in der Nachtschicht am Fließband Putenteile zerlegen“, berichtet die großbürgerliche FAZ. „Die leben, wie üblich in Großteilen der Branche, oft in erbärmlichen Unterkünften“, meint selbst die FAZ. Nicht der versprochene Lohn von 1500 Euro im Monat wird ausgezahlt, „ausbezahlt werde später aber nur rund ein Viertel. Wer es wage, zu widersprechen, werde vor die Tür gesetzt. Vom mickrigen Verdienst würden dann zum Beispiel noch einmal 170 Euro für den Schlafplatz als Miete abgezogen.“ (FAZ 15.4.2013)

„Moderne Sklaverei“ nannte es der neue niedersächsische Agrarminister Meyer. Doch bis­lang sieht der deutsche Staat keinen Anlass diese Ausbeutung zu stoppen. „Deutschland profitiert als Standort für Schlachthöfe von Mindestlöhnen der Nachbarländer – und von den osteuropäischen Bil­ligarbeitern“. (FAZ)

Belgien kündigt bereits eine Anti-Dumping-Klage bei der EU-Kommission an. Denn bel­gische Schlachthöfe, die einen Mindestlohn von 12,88 Euro zahlen müssen, gerieten in Exis­tenznot und hätten keine Chance im Wettbewerb mit ihrer deutschen Konkurrenz.

Wer es nicht zum selbstständigen Fleischzerleger schafft, kann es am Rande der Legalität auf dem „Arbeiterstrich“ zum Beispiel im Dortmunder Norden versuchen. Dort bieten regelmäßig ArbeiterInnen aus Bulgarien und Rumänien ihre Arbeitskraft für noch niedrigere Armutslöhne an.

Wer sich nicht einmal auf diese Weise für den deutschen Standort als nützlich erweist, ist nicht willkommen. In Dortmund entdeckten die Kommunalpoli­tiker im Rat von CDU bis SPD die „lawinenartige Zuwanderung“ von Roma aus Bulgarien und Rumänien. Ursache für die Armutsmigration: Der am Rande der Dortmunder Nordstadt befindliche Straßenstrich führe zu einer „Sogwirkung“ in Richtung der „Roma Ghettos“ in Plovdiv und anderen Orten in Bulgarien.

Zwar ist in der Dortmunder Innenstadt die Prostitution verboten, doch an ihrem Rand an der Ravensbergerstraße gab es erlaubte Straßenprostitution.

Dort richtete die Stadt Dortmund anlässlich der Fußballweltmeisterschaft 2006 Stadt Dortmund sogar „Verrichtungsboxen“ ein, eine Sozialstation der Beratungsstelle „Kober“ kümmerte sich um die dort tätigen Frauen. Über eine „direkte Busverbindung von Plovdiv nach Dortmund“ reisten Roma­frauen nach Dortmund ein, lebten in Elendsquartieren der Dortmunder Nordstadt und gingen am Stadtrand der Straßenprostitution nach. Die Zuwanderung aus Rumänien sei für die Dortmunder Nordstadt „kaum noch erträglich“, weshalb die Straßenprostitution in Dortmund ganz verboten werden müsse.

Zwar ist seit dem Prostitutionsgesetz aus dem Jahre 2002 Prostitution in Deutschland nicht mehr sittenwidrig, Prostituierte können sich auch sozialversi­chern, gleichwohl können in Deutschland Städte und Kommunen die Ausübung der Stra­ßenprostitution zum Schutze von Kindern und Jugendlichen sowie im Hinblick auf die Gefährdung des öffentlichen Anstands ganz oder teilweise untersagen. Ob und inwieweit Prostitution tatsächlich den öffentlichen Anstand oder Kinder und Jugendliche gefährdet, da­rüber gehen die Meinungen in Deutschland weit auseinander. In Berlin und Rostock gibt es überhaupt keine Regelungen, in Dortmund war allenfalls die unmittelbare Innenstadt ein „Sperrbezirk“.

 

Die SPD Dortmund Nord, eine Art Lega Nord des Ruhrgebiets?

In Dortmund machte insbeson­dere die SPD Dortmund Nord mobil gegen die Romazuwan­derung. Im Dezember 2009 demonstrierten über 2.500 Menschen in Dortmund gegen die Prostituierten, gegen Drogenhandel und Kriminalität. Sie forderten das Verbot der Straßenprostitution.

Die SPD Dortmund Nord veranstaltete im Stile einer evan­gelikalen Sekte eine Demonstration direkt auf dem Straßenstrich. Vergleichbar einer Heilsarmee demonstrierte sie mit einer Blaskappelle unter dem Motto „wir blasen ohne Gummi“.

Aber die Prostituierten wehrten sich: 450 Prostituierte und ihre UnterstützerInnen demonstrierten gegen das beabsichtigte Verbot der Straßenprostitution.

Die aus Sicht der Dortmunder Politiker „extrem wachsende“ Prostitution in der Ravensber­ger Straße hinderte die Stadt Dortmund allerdings nicht da­ran mitzuverdienen. Die Stadt Dortmund führte eine Vergnügungssteuer ein, jede Prostituierte, die der Straßenprostitu­tion nachgeht, musste seit dem 6. Dezember 2010 pro Arbeitstag 6 Euro Vergnügungssteuer zahlen. Erworben mussten sie die Zahlscheine in einem benachbarten „Club“. Mitarbeiter des Steueramtes kontrollieren auf dem Straßenstrich, ob die Frauen ihr Tagesticket erworben hatten.

Beim Verbot der Straßenpros­titution in Dortmund ging es der Stadt vor allen Dingen um Mi­grationspolitik. In einer Vorlage der Stadtverwaltung heißt es deshalb: „Es ist offenkundig, dass der große Zustrom aus Plovdiv in Dortmund auch deshalb erfolgt, weil es einen Wir­kungszusammenhang zwischen den vorgefundenen Wohnmöglichkeiten in der Nordstadt und dem nahegelegenen Stra­ßenstrich gibt. Die Prostitution ist für die zugewanderte Bevöl­kerungsgruppe eine der wenigen legalen Einnahmemöglich­keiten. Um die weitere Migration zu unterbinden, soll der wirtschaftliche Anreiz für die Stra­ßenprostitution in Dortmund durch die Schließung des Stra­ßenstrichs entfallen.“

Bereits jetzt wohnten im Dort­munder Norden 797 Bürgerin­nen und Bürger aus Bulgarien und Rumänien – Dortmund hat immerhin insgesamt 580.000 EinwohnerInnen. Da aber in Plovdiv zurzeit 45.000 bis 50.000 Roma lebten, werde der Zustrom nach Dortmund steigen, „falls keine Gegenmaßnahmen ergriffen werden“, so der Leiter des Dortmunder Ordnungsamtes. Ganz im Stile der rassistischen italienischen Lega Nord erklärte der Dortmunder Polizeipräsident den Straßenstrich zu „Keimzelle“ der organisierten Kriminalität und warnte vor einer „lawinenartigen“ Entwicklung und die Lokalpresse übermittelte den Ratschlag des bulgarischen Bürgermeister von Plovdiv an seine Amtskollegen in Dortmund. Dessen Rat lautet: „Kompromisslos gegen Ro­ma vorgehen“.

 

Doch eine Prostituierte wehrte sich:

Eine Sexarbeiterin klagte gegen die Sperrbezirksverordnung als Beschränkung ihrer Berufsfrei­heit, eine Klage, die es bislang in Deutschland noch nicht gegeben hatte.

Nachdem ein Eilverfahren in beiden Instanzen erfolglos blieb, hatte die Prostituierte vor dem Verwaltungsgericht Gel­senkirchen jedenfalls teilweise Erfolg. Das Verwaltungsgericht stellte fest, dass das gänzliche Verbot der Straßenprostitution außerhalb der Dortmunder Kernstadt und des Bereichs der Ravensberger Straße unwirksam ist. Die Verwaltungsrichter hielten der Bezirksregierung Arnsberg vor, es sei nicht erkennbar, weshalb die Ausübung der Straßenprostitution ausnahmslos und an jedem Ort eine Gefahr für die Jugend oder den öffentlichen Anstand darstelle.

Bei einer großen Stadt wie Dortmund mit einer Fläche von 280 km² spreche eine Vermutung dafür, dass sich bei gründlicher Prüfung und kritischer Abwägung ein Platz finden lässt, an dem ohne Gefahr für Anstand, Kinder und Jugendliche die Straßenprostitution möglich sei – so wie in allen anderen Nordrhein-Westfälischen Städten dieser Größe. Es könne auch nicht darum gehen, Straßenprostitution gänzlich „unsichtbar“ werden zu lassen, auch dann, wenn Prostituierte in einem bestimmten Stadtteil wohnten, bedeutet dies noch keine Gefahr für die Jugend oder den öffentlichen Anstand.

Wohin es führt, wenn Prostituierte in die Illegalität getrieben werden, zeigte sich kurz nach Schließung des Straßenstrichs in Dortmund. Am 17. August 2011 wurde eine Roma, die als Prostituierte arbeitete, von einem Freier aus einem Fenster von dessen Wohnung in der Nordstadt geworfen, nachdem dieser mit einem Messer mehrfach auf sie eingestochen hatte. Schwer verletzt überlebte sie – mit bleibenden Schäden. Und am Ostersamstag 2013 nahmen Neo-Nazis den Kampf gegen die unerwünschte Zuwanderung selbst in die Hand und demonstrierten vor einem Haus, in dem Roma leben.

 

Richard Renz

 

Artikel aus: Graswurzelrevolution Nr. 379, Mai 2013, www.graswurzel.net