Fregatten-Quartett

Wie sehr Großvorhaben in der Rüstungsbeschaffung der Bundeswehr regelmäßig Stücken aus dem Tollhaus ähneln, ist in diesem Magazin schon des Öfteren thematisiert worden. Dafür stehen die Korvette K 130 und der Kampfhubschrauber Tiger ebenso wie die Drohne Euro Hawk und weitere Beispiele.
All diese Projekte weisen gemeinsame Merkmale auf, die nicht minder befremden als die jeweiligen Arabesken der Einzelfälle:
- Nie langt der ursprüngliche Kostenrahmen, und nie wird es am Ende billiger als geplant. Dafür werden regelmäßig Steuergelder in derart kriminellen Größenordnungen verplempert, dass praktisch nur die Finanzindustrie dies noch zu toppen vermag.
- Nie wird der ursprüngliche Zeitrahmen eingehalten. Die Waffensysteme kommen, wenn überhaupt, mit vieljähriger Verspätung bei der Truppe an. Dafür leisten sie allerdings praktisch ebenfalls nie, was mit den Herstellern ursprünglich vereinbart worden war beziehungsweise was militärisch erforderlich wäre.
- Und nie werden die Verantwortungsträger für ein im virtuosen Zusammenspiel von Pleiten, Pech und Pannen angerichtetes Desaster zur Verantwortung gezogen. Weder in der Beschaffungsbürokratie noch bei den Herstellern. Das hat nicht zuletzt damit zu tun, dass die parlamentarische wie exekutive Kontrolle der Rüstungsbeschaffung der Bundeswehr ebenso unzulänglich erfolgt wie sie nicht von überbordender Kompetenz und einem ausgeprägten Willen zur Kontrolle der Mehrzahl der damit befassten Bundestagsabgeordneten und Militärs sowie Beamten geprägt ist.
Derzeit befindet sich ein weiteres – Bundeswehr, Industrie und einschlägige Medien verwenden bei besonders ambitionierten Vorhaben gern diesen Begriff – „Prestigeprojekt“ in Schieflage: die Fregatte 125, Baden-Württemberg-Klasse; vier Stück sind geplant.
Hier zunächst die Superlative für die Statistiker: Die 149 Meter lange Fregatte (Wasserverdrängung: 7.000 Tonnen, Spitzengeschwindigkeit: 26 Knoten, Besatzung: 120 Mann plus bis zu 50 Mann Spezialeinsatzkräfte) ist nicht nur das größte, seit Kriegsende auf deutschen Werften gebaute Kriegsschiff, es ist vor allem auch das teuerste Waffensystem in der bundesdeutschen Militärgeschichte – als Stückpreis werden derzeit bis zu 660 Millionen Euro aufgerufen. Das muss schon mal deutlich weniger gewesen sein, denn durch die Medien geistert immer noch eine Gesamtsumme von rund zwei Milliarden für das Fregatten-Quartett. Wenn das der ursprüngliche Kostenrahmen gewesen sein sollte, dann dürfte der inzwischen um reichlich 600 Millionen überschritten sein, bevor überhaupt noch einer der Pötte die hohe See erreicht hat. Damit läge die Fregatte dann aber durchaus im Rahmen des bei Großwaffensystemen der Bundeswehr Üblichen.
Die Neue soll ein sogenanntes Marathon-Schiff werden: Sie soll – mit vor Ort wechselnden Besatzungen – 24 Monate non stopp im Einsatz bleiben können. (Herkömmliche Schwesterschiffe müssen häufig schon nach wenigen Monaten wieder nach Hause.) Das klingt nach hoher Einsatzeffizienz, aber womöglich klingt es ja auch bloß danach. Der Bundesrechnungshof kam jedenfalls schon im Jahre 2012 bei einer Untersuchung zu dem wenig schmeichelhaften Fazit: „Mehrbesatzungsmodelle der Marine sind nicht wirksam und unwirtschaftlich“.
Das ficht die Befürworter der Fregatte, die sich eher in den berauschenden Sphären der Selbsttäuschung und des Glaubens denn in den Niederungen der banalen Realität bewegen, natürlich nicht an. Das Schiff hat schließlich noch mehr zu bieten. Auf der Website der Bundesmarine wird von „Missionsflexibilität“ geschwärmt, der „durch Einschiffungskapazitäten für Bordhubschrauber, Spezialkräfte, Verbandsführer mit Stab, Marineschutzkräfte sowie durch die Integration von mehreren Booten Rechnung getragen werden“ soll. Treffgenau soll das Schiff darüber hinaus auch Ziele an Land bis 100 Kilometer Tiefe vernichten und Operationen wie Piratenjagd durchführen können. Und es wird multikulti sein – armiert mit italienischen Kanonen und schwedische Raketen.
Zur Entwicklung hatten die Unternehmen Thyssen-Krupp und Lürssen eine „Arbeitsgemeinschaft Fregatte 125“ (Arge) gebildet. 2005 war das Angebot für die vier Schiffe abgegeben worden; die Indienststellung war ab 2014 vorgesehen. Letztere inzwischen bereits auf 2017 vorgerückt. Ein Schelm – hier drängt sich der Kalauer förmlich auf –, wer Arges dabei denkt.
Ursachen sollen unter anderem Qualitätsmängel beim Bau des Rumpfes gewesen sein. Nach Medienberichten blätterte eine neuentwickelte Brandschutzfarbe im Schiffinneren ab, so dass viele bereits verschweiße Sektionen nochmals geöffnet, eingepasste Rohrleitungen und andere Einbauten wieder entfernt werden mussten, um den Dreck abzuschaben und durch eine geeignetere Beschichtung zu ersetzen. Die für Frühjahr 2013 avisierte Taufe des Flaggschiffs „Baden-Württemberg“ war deshalb kurzfristig abgesagt worden. Die aufwändige Nachbesserung soll Mehrkosten von 100 Millionen Euro verursacht haben. Die kommen zum oben genannten Stückpreis noch dazu, wohlgemerkt; bis zur Stunde ist offen, wer diesen Teil der Zeche zahlt.
Die Taufe wurde dann am 13. Dezember vergangenen Jahres nachgeholt. In einem Anflug exhibitionistischer Offenheit erklärte Hans Christoph Atzpodien, Vorstandsvorsitzender der ThyssenKrupp Industrial Solutions, bei dieser Gelegenheit: „Die F125 ist ein grundlegend neu entwickelter Fregattentyp mit Innovationen auf zahlreichen Technologiefeldern, der geeignet ist, den beteiligten Werften eine solide Grundauslastung über die kommenden Jahre zu sichern […].“ Und so gesehen wird die jahrelange Verzögerung der Übergabe der ersten Einheit an die Marine doch noch zum Segen. Für die Rüstungswirtschaft.
Derweil schwelt weiterer Unbill. Die Spezialeinsatzkräfte der Marine monieren, dass die Fregatten nur unzureichend für die Jagd auf Piraten ausgerüstet würden. Insbesondere wiesen die „Speedboote“ – zehn Meter lange Schlauchboote, mit denen man Piratenschiffen nachstellen und Landeoperationen durchführen will, – gravierende Defizite auf. Die Antennenanlagen seien dermaßen hoch, dass das Anlegen an entführte Schiffe ernsthaft behindert werde. Die hinteren Sitze der Beiboote seien wegen starker Strahlenbelastung durch die Funkgeräte aus gesundheitlichen Gründen unbenutzbar. Überdies hätten Tests mit einem Prototyp ergeben, dass Soldaten mit voller Ausrüstung nicht durch den Mittelgang passten. Angesichts der vorgesehenen künftigen Schwerpunktmissionen der Fregatten sind die Mängel aus Sicht der Spezialkräfte so gravierend, dass von denen gar auf einen generellen Baustopp gedrängt wurde. Das BMVg hat die von den Spezialkräften geäußerte Kritik bestätigt und im Übrigen erklärt: Einsatzboote, die allen Kriterien entsprächen, seien „nicht erhältlich“. Aber das kennt man ja von Zuhause – die irre teuren handgefertigten Treter stehen im Schuhschrank, weil man nicht rechtzeitig an passende Schnürsenkel gedacht hat und die nun nirgendwo zu haben sind. Bestellt wurden trotzdem insgesamt 16 „Speedboote“ für 13 Millionen Euro. Jede Fregatte soll künftig vier davon unter Deck mitführen.
Und als wäre all dies noch nicht mehr als genug, lauern auf dem Weg zur vollen Einsatzbereitschaft der neuen Fregatte weitere böse Fußangeln – etwa im Hinblick auf den Antrieb. Der soll neuartig sein, ein Hybrid aus Diesel- und Elektro-Motor sowie Gasturbine. In der Praxis erprobt worden ist so etwas bei einem deutschen Kriegsschiff dieser Größenordnung noch nicht. Hinlänglich bekannt ist jedoch, dass bei neuen komplexen Systemen Kinderkrankheiten die Regel sind und nicht die Ausnahme. Das dürfte auch für viele der in weit höherem Maße als bisher üblich automatisierten Schiffs-Systeme gelten. Und dann ist da noch der ins Auge gefasste Bordhubschrauber NH-90. Der umgerüstete Armeehubschrauber kann lediglich zu Transport- oder Sanitätszwecken eingesetzt werden. Zumindest theoretisch, wenn nicht, wie bei der Armeevariante, die Funkanlage in der Nähe von Flugplätzen gestört ist oder die Navigationsanlage komplett ausfällt, wie bei Einsätzen in Afghanistan. Als Marineversion verfügt das Gerät über die dafür primär erforderlichen Fähigkeiten – vor allem zur U-Jagd und Seezielbekämpfung – nach heutigem Stande definitiv nicht. Wie es dazu kommen konnte, das ist ein eigenständiges Kapitel.
Jetzt will die Verteidigungsministerin die Rüstungsbeschaffung bei der Bundeswehr neu ordnen. Das hat schon ihr Vorgänger mit vorsichtigen ersten Schritten versucht, und es hat ihn politisch fast den Kopf gekostet. Denn dabei muss man sich mit einem System anlegen, das in Jahrzehnten gewachsen und dessen Natur mit der alten Infanteristen-Regel „Täuschen, Tricksen, Tarnen“ (so Thomas Köter in der Berliner Zeitung) treffend beschrieben ist. Den Begriff für dieses System prägte ein ehemaliger Fünf-Sterne-General, der scheidende US-Präsident Dwight. D. Eisenhower, in seiner Abschiedsrede 1961; er sprach vom „militärisch-industriellen Komplex“.
Ursula von der Leyen hat gerade den Abteilungsleiter Ausrüstung im BMVg von seinen Aufgaben entbunden und den zuständigen Staatssekretär Stéphane Beemelmans geschasst, der – mancher wird sich erinnern – eigentlich schon wegen der Euro-Hawk-Affäre fällig gewesen wäre. Genügen wird das nicht. Denn der Fisch stinkt zwar zuerst am Kopf, in Sachen Großwaffenprogramme düftelt bei der Bundeswehr aber längst der ganze Kadaver.