Englisch als ›Welt‹-Sprache im Hightech-Kapitalismus

1. Hegemonie und Sprache*

In der Diskussion um ›Globalisierung‹ melden sich inzwischen auch die Sprachwissenschaftler zu Wort. Es ist nichts Neues, dass Sprecher/innen nicht mit einer Sprache auskommen1, nämlich der, die sie als die ›ihre‹ betrachten. Neu ist, wie sich die Szenarien der Sprachwahlmöglichkeiten einer gegebenen Situation verändert haben. Im unmittelbaren Erleben der Sprechenden sieht es so aus, dass das Englische einen besonderen Status erhalten hat, da es in fast alle Sprachwahlszenarien eingeht. Um mit einem nur scheinbar weit hergeholten Beispiel zu beginnen: Vor vierzig Jahren konnte man davon ausgehen, dass japanische Ärzte und Zahnärzte zumindest etwas Deutsch verstanden, da sie ihre Patientenkartotheken (mit einem deutschen Lehnwort kāto genannt) auf Deutsch führten. Wenn sich ein Sprecher des Deutschen in Tokyo verirrte, konnte er einen Polizisten nach der nächsten Arztpraxis fragen und war sich sicher, dass er dort Hilfe auf Deutsch bekommen konnte. Aber in den 1980er Jahren begannen deutsche Banken in Tokyo von ihren japanischen und deutschen Angestellten zu verlangen, dass sie am Arbeitsplatz ausschließlich Englisch sprechen2. Ein ausländischer Reisender in einem italienischen Krankenhaus könnte durchaus von einem Arzt behandelt werden, der Italienisch spricht, oder auch von einem, der außer Italienisch nur Französisch spricht. Neu ist, dass dieser Arzt wahrscheinlich – unabhängig von der Herkunft des Reisenden – bei Bedarf einen Kollegen als Dolmetscher heranziehen wird, der Englisch spricht.

Ähnlich in der Wissenschaft: Akademische Veröffentlichungen erschienen in Europa noch vor 100 Jahren in einer Vielzahl von Sprachen. Mathematiker publizierten auf Französisch, Biologen und Chemiker auf Deutsch, und so weiter.

In den 1950er Jahren konnte man in Westeuropa nicht Chinesisch studieren, ohne chinesisch-russische Wörterbücher zu benutzen. Noch in den 50er Jahren publizierten japanische Mediziner häufig auf Deutsch; selbst nachdem Deutsch in der Funktion einer Lingua Franca durch Englisch ersetzt worden war, zeigten »impact studies«, dass Veröffentlichungen auf Deutsch weiter eine beträchtliche Aufmerksamkeit genießen (vgl. Maher 2007, 147f), obwohl die Zahl der nicht-deutschen Wissenschaftler, die auf Deutsch publizieren, abnimmt. Je wichtiger die konkurrenzorientierte globale bibliometrische Registrierung akademischer Publikationen für die Bewertung akademischer Einrichtungen und einzelner Forscher wird, zählt nicht mehr, was gelesen, sondern was registriert (allenfalls, zitiert) wird. Hier werden englische Veröffentlichungen unverhältnismäßig öfter sichtbar, was als Zwang aufgefasst wird, auf Englisch zu publizieren (vgl. Gazzola 2012).

Diese Sonderrolle des Englischen zeigt sich auch in der Präsenz der Universitäten und Forschungsinstitutionen im Netz, für die es fast obligatorisch ist, sich auch auf Englisch zu präsentieren. Einsprachige Webseiten findet man im Wissenschaftskontext fast nur in englischsprachigen Ländern. Wenn weitere Sprachen (außer Englisch und der Nationalsprache) repräsentiert sind, hat ihr Erscheinen oft eher symbolische Funktion. Es wird zwar eine Vielzahl von Sprachen in transnationaler Kommunikation verwendet (im Netz steigt der Anteil nicht-englischsprachiger Seiten immer mehr an), aber das Englische spielt fast immer auch eine Rolle. Es mag eine Vielfalt der Vielfalten geben (was mit dem unglücklichen Ausdruck der ›Superdiversität‹ beschrieben werden soll), und der Eindruck, dass Englisch ›die‹ – also die einzige – Lingua Franca der Welt geworden ist, sagt am meisten über die Kurzsichtigkeit derer aus, die diesen Eindruck gewonnen haben. Die Mehrzahl dieser Vielfalten zeichnen sich dadurch aus, dass das Englische in ihnen eine Rolle spielt. Meist kann man zwischen mehreren Sprachen wählen, zwischen der lokalen (oder nationalen) Sprache und anderen, aber eben oft auch Englisch. Diesen Trend erleben viele Sprecher/innen so, dass die ›natürliche‹ Wahl, wenn die lokale Sprache nicht anwendbar ist, aufs Englische fällt. Der Alltagsverstand sagt uns, dass das Englische ›überall‹ anzutreffen ist und die Führung unter den Sprachen übernommen hat.

Sprachen an sich haben keine Macht, doch können sie denen Macht verleihen, die in einer gegebenen Situation die Wahl zwischen verschiedenen Sprachen haben, auf die es ankommt. Das kann ein Vorteil für die Primärsprecher sein (der dann von den anderen, die diese Sprache erst lernen mussten, als unfair empfunden wird). Von der Hegemonie einer Sprache kann die Rede sein, insofern Sprecher anderer Sprachen häufig diese Sprache wählen – weniger aus Zwang als aus Zustimmung, weil es als ›natürlich‹ erscheint. Die Zustimmung zum Englischen als der hegemonialen Sprache ist nicht von den Primärsprechern ›fabriziert‹ worden, obwohl es ihnen unleugbare Vorteile bringt. Sie ist auch nicht von den englischsprachigen Nationalstaaten fabriziert worden, obwohl diese alles dafür tun, sie zu bewahren. Das System reproduziert sich weitgehend selbst, da die Sprecher der anderen Sprachen sich freiwillig fürs Englische entscheiden. Eine große Rolle spielen die Eltern, die ihre Kinder Englisch lernen lassen, und die Regierungen, die dem Englischen eine zentrale Bedeutung im Ausbildungssystem beimessen (Graddol 2006, 112), da ihnen das Lernen von Englisch als gewinnversprechende Investition erscheint.

Für die Primärsprecher ist eine hegemoniale Rolle ihrer Sprache nicht nur von Vorteil. Die hegemonische Stellung des Englischen verleitet seine Primärsprecher zu dem Glauben, sie bräuchten keine Fremdsprachen zu lernen. Das steigert die Kosten des Fremdsprachenlernens in den englischsprechenden Ländern. So sind die Englischsprechenden auf ihren heimischen Arbeitsmärkten einer weltweiten Konkurrenz ausgesetzt, während sie selber auf den Arbeitsmärkten, die die Beherrschung anderer Sprachen verlangen, keine Chancen haben (Van Parijs 2013, 221).

Sprachwissenschaftler sind sich darüber einig, dass es keine inneren Gründe dafür gibt, dass ausgerechnet das Englische zur hegemonischen Sprache geworden ist. Englisch ist weder besonders einfach zu lernen (vgl. Crystal 1997, 6), noch besitzt es eine besonders leistungsfähige Struktur, noch spielen die Größe des Wortschatzes, der Reichtum der englischen Literatur oder die kulturellen und religiösen Traditionen der englischsprachigen Länder eine Rolle (7). Was man beim Englischlernen durch das Fehlen komplexer Beugungsparadigmen gewinnt, wird einem durch ein ungewöhnliches Lautsystem, einen riesigen Wortschatz und einen tückischen Satzbau wieder genommen. »Die formale Einfachheit des Englischen ist in Wirklichkeit eine Pseudoeinfachheit oder verdeckte Komplexität« (Sapir 1949, 115). Die riesige Anzahl von Zweitsprachensprechern des Englischen ist die Folge seines hegemonischen Status, nicht sein Grund.

 

2. Sprachhegemonieprojekte

Den gegenwärtigen Grad der Globalität des Englischen erklärt man gerne mit der politischen Dominanz (oder Hegemonie) der englischsprachigen Nationalstaaten. Umberto Eco verweist auf den britischen Kolonialismus und die US-amerikanische Technologiedominanz (1993, 356). Das passt zu einem Hegemoniebegriff, für den die Rolle von Staaten (und später Nationalstaaten) zentral ist. Hegemonie heißt dann einfach Dominanz eines Nationalstaats über andere. Ursprünglich bezeichnete Hegemonie die ›Führungsrolle‹ eines Staates innerhalb eines Staatenbunds; frühe Beispiele sind die griechischen Stadtstaaten Sparta, Athen und Theben, deren Führungsrolle später von Mazedonien übernommen wurde. Von den italienischen Stadtstaaten (vor allem den Seerepubliken von Genua, Venedig und Amalfi) ging die Führungsrolle erst an die Niederlande und dann an England über. Danach übernahmen die Vereinigten Staaten diese Rolle im Weltmaßstab, und viele Forscher erwarten, dass sich eine ostasiatische Hegemonie entwickeln wird. Im Gegensatz dazu betont etwa Robinson (2005, 561) den transnationalen Charakter von Hegemonieprojekten, wie z.B. der liberalen internationalen Wirtschaft (1789-1873) unter britischer Führung, der Periode der rivalisierenden Imperialismen (1873-1945) und der Pax Americana der Nachkriegsjahre seit 1945. Zwar sind diese Projekte nicht unabhängig von Nationalstaaten und haben sogar einen oder mehrere Nationalstaaten als wichtigsten Träger, sie sind aber nicht Projekte von Nationalstaaten als solchen; sie sind transnational.

Ich möchte die Kritik des auf den Nationalstaat fixierten Begriffs von Hegemonie auf das Feld der Sprachhegemonie anwenden, in Übereinstimmung mit David Graddols Warnung davor, die Rolle des Englischen als Sprache transnationaler Kommunikation und ihre Folgen bloß im Rahmen eines Imperialismus von Nationalstaaten zu sehen, obwohl Akteure in diesen Staaten durchaus und – wie u.a. bei Phillipson (2012) dokumentiert – ganz offen erklärt haben, dass sie die Rolle der englischen Sprache bei der Verfolgung imperialer Ziele als zentral ansehen. Einerseits kann diese Sichtweise den ironischen Nebeneffekt haben, dass sie die Rolle der von Hause aus Englischsprechenden übertreibt und ihnen eine Relevanz zuschreibt, die sie längst verloren haben. Andererseits kann sie von neuen Formen der Hegemonie ablenken, die nicht einfach im Rahmen der Konkurrenz von Nationalstaaten untereinander verstanden werden kann (Graddol 2006, 112). Die Frage ist aber, ob Sprachhegemonieprojekte etwas anderes sind als ein Anhang der politischen, militärischen und wirtschaftlichen Hegemonieprojekte. Dagegen spricht zunächst, dass Sprachen nicht immer ein einziges, starkes Zentrum haben, das sich im späteren Nationalstaat verkörpert; das macht es schwer, den politischen Ausgangspunkt eines Sprachhegemonieprojekts zu identifizieren. Englisch ist ein gutes Beispiel: Sein gegenwärtiger hegemonischer Status ist sowohl mit der früheren (im Rückgang befindlichen) britischen Kolonialmacht als auch mit der Pax Americana der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts verbunden (die uns auch den US-Dollar als ›Weltwährung‹ beschert hat). Zum anderen hinken Sprachhegemonieprojekte hinter den politischen Hegemonieprojekten her. Der Weg des Englischen zur Weltsprache wurde von den Armeen und der britischen Kolonialverwaltung geebnet, obwohl sie nicht unbedingt alle zu Englischsprechern machen wollte, im Gegenteil, manchmal ging es gerade darum, der Entstehung lokaler Eliten vorzubeugen, die sich des Englischen bedienen könnten (vgl. Haberland 2005, 924; Kirkpatrick 2007, 340).

Trotzdem hat das Englische im 20. Jahrhundert seine heutige Globalität erst wirklich erreicht, als das britische Weltreich nur mehr ein Schatten seiner selbst war. Der Vergleich mit zwei andern europäischen Sprachhegemonieprojekten, dem griechischen und lateinischen, zeigt die gleiche Phasenverschiebung. Das Griechische wie das Lateinische waren in der damals für Europa relevanten Welt ›globale‹ Sprachen, behielten diese Rolle aber lange, nachdem das Reich Alexanders des Großen zerfallen und das Römische Reich untergegangen war.

Von Europa aus gesehen war die griechische postklassische Gemeinsprache (koiné) im 3. Jahrhundert v.u.Z. die erste ›Welt‹sprache.3 Die Koiné spielte noch lange Zeit eine wichtige Rolle sowohl in der griechisch-orthodoxen Kirche als auch in der Verwaltung des byzantinischen und oströmischen Reiches und sogar der mehrsprachigen griechisch-orthodoxen Gemeinschaft (Rûm millêt) bis zum Ende des Osmanischen Reiches (vgl. Tsoukalas 1977). Nach Griechisch kam Latein, die Sprache des römischen Reiches. Es wurde durch die römischen Eroberungen weit verbreitet und war für Jahrhunderte die Sprache der Pax Romana, wo es in vielen Fällen die vorher gesprochenen Sprachen ersetzte. Als gesprochene Sprache der täglichen Kommunikation wurde es bald von den neuen lokalen (romanischen) Sprachen überlagert, aber es wurde weiterhin in Diplomatie und Gerichtswesen verwendet, in der Kirche (als Sprache von Liturgie, Gelehrsamkeit und Verwaltung), und im Bereich des weltlichen Lernens. In fast allen diesen Bereichen wurde es aber auch nach und nach von den lokalen Sprachen verdrängt, obwohl Latein selbst heute eine Rolle in der katholischen Kirche spielt.

Vor allem lebte das lateinische Sprachhegemonieprojekt in der akademischen Welt weiter, als ihm keine politische Hegemonie mehr entsprach. Die mittelalterliche Universität war international, denn sie lehrte auf Lateinisch, der Sprache des Unterrichts und der Wissenschaft. Dieses Latein war weder Sprache eines Landes noch Muttersprache. Es verlor seine Stellung nur langsam, erst in der Forschung, dann in der Lehre, zuletzt in zeremoniellen Funktionen (vgl. Bull 2004; Mortensen/Haberland 2012). In der Verwaltung und zumindest in den reformierten Kirchen herrschten die Volkssprachen, die man jetzt Nationalsprachen nennen konnte. Das bedeutete nicht, dass andere Sprachen keine Rolle spielten – transnationaler Verkehr fand in ihnen statt, und während man sich vorher damit begnügen konnte, Latein zu lernen, erforderte die neue Situation das Lernen von mehr Sprachen. Die Periode von der Gründung der Alma Mater Berolinensis (die noch einen lateinischen Namen hatte4) im Jahre 1810 bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges kann man in der akademischen Welt einer gemeinsamen europäischen Sprachhegemonie mit Französisch, Deutsch und – zeitlich etwas verschoben – Englisch als führenden Sprachen zuordnen; die Periode fällt mehr oder weniger mit zwei von den von Robinson genannten Hegemonieprojekten zusammen, der liberalen internationalen Wirtschaft (1789-1873) unter britischer Führung und der Ära der rivalisierenden Imperialismen (1873-1945). Hier ist daran zu erinnern, dass die deutsche Sprache in dieser Periode eine wichtige Rolle in der Arbeiterbewegung spielte. Deutsch war die Sprache der Internationale, und selbst die Kommunistische Internationale hielt ihre ersten beiden Kongresse auf Deutsch ab.

Erst im letzten Jahrhundert nahm das Englische die Rolle als Weltsprache an und initiierte damit das gegenwärtige Hegemonieprojekt. In der akademischen Welt – jedenfalls der europäischen – wurde die hegemonische Rolle des Englischen durch die Einführung der Reformen besiegelt, die in der Bologna-Erklärung von 1999 empfohlen wurden. Das Wort »Englisch« taucht im Text der Erklärung nicht auf, und es gibt keinen Hinweis darauf, dass transnationale Studentenmobilität durch die Einführung des Englischen als Unterrichtssprache erleichtert werden sollte. Trotzdem geschah genau dies. Der Alltagsverstand diktiert die Einführung des Englischen, was keiner weiteren Erklärung bedarf. Es ist ›selbstverständlich‹, dass man z.B. italienische Studenten nur nach Island bringen kann, wenn die dortigen Universitäten Studiengänge auf Englisch anbieten.

Was unser Jahrhundert angeht, könnte man sich fragen, ob das nächste Sprachhegemonieprojekt das Chinesische zur ›Welt‹-Sprache machen wird. Vorläufig scheinen die Chinesen eher entschlossen zu sein, von dem englischen Hegemonieprojekt als Trittbrettfahrer zu profitieren. Der forcierte Ausbau des Englischunterrichts in China selber und der Druck, Unterricht auf Chinesisch an der Chinese University of Hong Kong durch Unterricht auf Englisch zu ersetzen (Lin/Man, 2011), scheint in diese Richtung zu deuten. Die Volksrepublik betreibt Sprachverbreitungspolitik; aber das haben viele Einzelstaaten getan und tun es weiter, wie man an den Goethe-, Cervantes- und jetzt Konfuzius-Instituten sehen kann. Aber eine solche Sprachverbreitungspolitik, wie sie in kleinerem Maßstab von vielen Staaten betrieben wird, ist nicht zu verwechseln mit einem Sprachhegemonieprojekt, dem es nicht um Verbreitung einer Sprache allein geht, sondern darum, die Wahl einer Sprache in der transnationalen Interaktion und als Lingua Franca als ›Selbstverständlichkeit‹ zu verankern. Die Entwicklung des Chinesischen (d.h. der Pǔtōnghuà, des Standardmandarin) zur regionalen Lingua Franca in Südostasien ist kein Teil der Sprachpolitik der Volksrepublik. Das Chinesische spielt zwar regional eine wichtige Rolle als Lingua Franca, hat aber längst nicht den Grad an Globalität erreicht wie das Englische. Ein Grund, weshalb das Chinesische nicht als Weltsprache taugen sollte, ist durch die Computertechnologie allerdings hinfällig geworden. Die Schreibmaschine war eine Technologie, die der transnationalen Verbreitung des Chinesischen (und anderer Sprachen, die chinesische Schriftzeichen verwenden, wie des Japanischen) im Wege standen. Der Computer ist dagegen zur Ein-, Wieder- und Ausgabe von chinesischem Text in der Lage.

 

3. Die Zukunft des sprachlichen Globalismus

Wenn »›Globalisierung‹ ein operationeller Mythos des Neoliberalismus« geworden ist, so deshalb, weil die Neoliberalen ihre Politik »hinter dem Mythos eines [...] mit eherner Notwendigkeit ablaufenden Prozesses« verbergen, »der allen Völkern die Konkurrenz gegen alle andern Völker aufzwingt« (Haug 1999, 18). Mit Ulrich Beck können wir ›Globalisierung‹ als historischen Prozess sowohl von ihrem Resultat – dem immer größer werdenden Grad der Globalität – als auch von ihrer Ideologie, dem Globalismus, unterscheiden (1997, 26). Das Neue am Anfang des 21. Jahrhunderts sind also nicht so sehr die Globalisierungsprozesse – deren Elemente schon früher zu beobachten waren5 –, als vielmehr die Bedeutung der Ideologie des Globalismus. Nach Beck ist Globalismus »die Auffassung, dass der Weltmarkt politisches Handeln ersetzt oder verdrängt, d.h. die Ideologie der Weltmarktherrschaft, die Ideologie des Neoliberalismus« (ebd.). Das Gegenstück zur Ideologie des politisch-wirtschaftlichen Globalismus wäre dann der sprachliche Globalismus, die Auffassung, dass die englische Sprache den sprachlichen ›Weltmarkt‹ erobert habe und die anderen Sprachen als transnationale Mittel kommunikativen Handelns ersetzt und verdrängt hat.

Was aber ist falsch am sprachlichen Globalismus? Schließlich soll man die Bedeutung eines gemeinsamen Hintergrundes (»die gleiche Sprache sprechen«) in transnationaler und transkultureller Kommunikation nicht unterschätzen. Chomskys Missverständnis, die Sprache diene dazu, sich auszudrücken (statt ein Instrument

sozialen Handelns zu sein), hat seltsamerweise zu der Vorstellung geführt, jeder solle das Recht haben, sich in seiner eigenen Sprache auszudrücken. Es wurde gesagt, dass man nicht bloß weniger intelligent klingt, wenn man eine fremde Sprache spricht, sondern auch weniger intelligent ist. Da es bei der transkulturellen Kommunikation nicht darum geht, seine eigene Intelligenz auszustellen, sondern sich verständlich und gemeinsames soziales Handeln möglich zu machen, folgt daraus nicht, dass man immer seine eigene Sprache sprechen sollte. Das Recht auf Verwendung der eigenen Sprache sollte man deshalb nicht in den Vordergrund stellen.

Die Einzelsprachen sind (aus offensichtlichen Gründen) für transnationale Kommunikation nicht ausreichend. Grundsätzlich gibt es vier Möglichkeiten: Übersetzen bzw. Dolmetschen; von ausländischen Partnern erwarten, dass sie die eigene Sprache lernen; die Sprache des ausländischen Partners lernen; schließlich Verwendung einer ›neutralen‹ Sprache, einer Lingua Franca, wobei dies eine dritte Sprache oder eine Hilfssprache wie das Esperanto sein kann (vgl. Ammon 1991, 12f). Letzteres scheint am attraktivsten, erfordert es doch nur das Erlernen einer einzigen Sprache (etwa des Englischen), für die Sprecher dieser Sprache noch nicht einmal das. Oft wird aber übersehen, warum manchmal in der Tat das Prinzip ›einer Lingua Franca für alle Zwecke‹ anwendbar ist und manchmal nicht. Wenn die Bezeichnung wichtiger ist als die Bedeutung, der deskriptive Aspekt der Sprache wichtiger als der interpretative (vgl. Wilson/Sperber 1988), kommt es nicht so sehr darauf an, welche Sprache man wählt. Wenn es darum geht, zu erklären, wie man eine Pizza aus der Gefriertruhe zubereitet, ist Sprachwahl eine praktische Frage: in welcher Sprache kann sich der Verfasser ausdrücken, die der Empfänger auch versteht? Kulturelle und kognitive Unterschiede beschränken sich weitgehend auf Triviales wie die Wahl zwischen metrischen und britisch-amerikanischen Maßeinheiten. Aber wo es von Bedeutung ist, dass wir uns nicht durch eine Sprache ausdrücken, sondern in einer Sprache6, ist Sprachwahl nicht bloß eine praktische Frage, sondern beeinflusst den übermittelten Inhalt.

Selbst in Handelsbeziehungen kann man die Frage des Verhältnisses von Sprache, Kultur und Denken nicht einfach beiseite schieben. Man sagt, dass der Käufer immer eine Lingua Franca verwenden kann, dass aber der Verkäufer die Sprache des Kunden sprechen sollte. Es geht um den Unterschied zwischen deskriptivem und interpretativem Sprachgebrauch. Der Verkäufer benützt das, was Karl Bühler die Appellfunktion der Sprache nennt, und orientiert sich am interpretativen Sprachgebrauch. Der Käufer andererseits hat kein besonderes Interesse daran, überredet zu werden und kann sich deshalb an einem deskriptiven Sprachgebrauch orientieren. Ironischerweise bedeutet das, dass die Ideologie des sprachlichen Globalismus, aus dem naiven Glauben an die Macht der Marktkräfte entstanden, den Marktinteressen einen Bärendienst erweist.

 

4. Gegenhegemonien und -strategien

›Globalisierung‹, im Unterschied zu ›Globalismus‹, bezieht sich auf »die Prozesse, in deren Folge die Nationalstaaten und ihre Souveränität durch transnationale Akteure, ihre Machtchancen, Orientierungen, Identitäten und Netzwerke unterlaufen und querverbunden werden« (Beck 1997, 28f). Beck redet nicht von anderen Nationalstaaten als Akteuren, sondern von transnationalen Akteuren, also in erster Linie transnationalen Konzernen. Die Globalisierungsprozesse haben, in immer höherem Maße »unrevidierbar« (11), zur Formierung einer Weltgesellschaft beigetragen.

Was als Widerstand gegen die Globalisierung abgebildet wird, ist oft eher Antiglobalismus.7 Gruppen wie ATTAC wenden sich vor allem gegen den Globalismus, also gegen die Ideologie, die den globalen Ersatz politischen Denkens und Handelns durch Marktprinzipien für ›natürlich‹ ansieht. Sie begreifen sich daher als »Altermundialisten«. Widerstand kann aber auch die Form der Forderung nach Protektionismus annehmen. Damit wird die Prämisse des Globalismus letztlich übernommen und reproduziert. Beck unterscheidet drei Arten anti-globalistischer Protektionisten – schwarze, grüne und rote. »Schwarze Protektionisten beweinen den Werteverfall und Bedeutungsverlust des Nationalen, aber betreiben […] die neoliberale Destruktion des Nationalstaates« (1997, 17). Grüne Protektionisten sehen den Nationalstaat als eine vom Aussterben bedrohte, schutzbedürftige Gattung. Die roten Protektionisten verstehen Globalismus als nichts anderes als eine Fortsetzung des Klassenkampfes. Allerdings fällt die Verteidigung des Nationalstaates durch die Zapatisten – bei manchen Vertretern der Linken »höchst unpopulär« (Haug 1999, 17) – kaum unter diesen ›roten Protektionismus‹, da er aus den historisch spezifischen Bedingungen der armen Länder zu verstehen ist, für die der Nationalstaat der einzige Schutz gegen den neoliberalen Aufmarsch ist. Auch in der Diskussion über den Sprachimperialismus oder die Hegemonie des Englischen kommen immer wieder protektionistische Argumente für die Rettung der Nationalsprachen auf.

Von nationalistisch-konservativer (und rechtspopulistischer) Seite wird in manchen Ländern verlangt, die Verwendung des Englischen z.B. an Universitäten per Gesetz zu verbieten. Grüne Bewegungen versuchen, die nationalen Umweltstandards gegen den Weltmarkt zu schützen, aber eine parallele Verteidigung der Nationalsprachen (und nur der Nationalsprachen) gegen das Englische zeichnet sich nicht ab, vielleicht weil die Nationalsprachen selber dem grünen Protektionismus suspekt sind (da Minderheitssprachen gegen sie verteidigt werden müssen). Einen roten Protektionismus kann ich in der Debatte über das globale Englisch nicht ausmachen.

Sprachprotektionismus welcher Farbe auch immer kann auf kurze Sicht Symptome eindämmen, auf lange Sicht kann er Veränderungen nicht verhindern. »Eigener Drache schützt vor fremdem Drachen«, heißt es in Jewgeni Schwarz’ Stück Der Drache von 1943. Die Furcht vor ›fremden Drachen‹ kann dazu führen, dass man eigenen Drachen aufsitzt. Protektionismus als die einzige Form des Widerstandes, als Verteidigung des heimischen Ententeichs, ist keine sinnvolle Antwort auf die Herausforderung der Hegemonie des Englischen: Eine Hegemonie wird durch eine andere ersetzt. Eine Lösung liegt eher in Richtung der Sprachenvielfalt – nicht als bloße Bewahrung dessen, »was nun einmal so ist«, sondern als Strategie, die eine Zusammenarbeit über die Sprachgrenzen hinweg im Sinne zumindest rezeptiver Mehrsprachigkeit ermöglicht. Denn »wir können nicht darauf warten, dass die anderen alles für uns ins Englische übersetzen«8.

Wenn transnationale Informations- und Diskursflüsse vorzugsweise über das Englische abgewickelt werden, wird Buchverlagen, Fernsehsendern, Zeitungen und Nachrichtenagenturen, die auf Englisch arbeiten, eine unverhältnismäßig zentrale Rolle bei der Auswahl und Regulierung dieser Informationsflüsse zugestanden. Sie brauchen nicht unbedingt in englischsprachigen Ländern verankert zu sein; die hegemoniale Rolle des Englischen erklärt gerade, warum niederländische wissenschaftliche Verlage auf Englisch publizieren und Al-Jazeera auf Englisch sendet. Es braucht sich auch nicht um direkte Manipulation, Zensur und Sprachregelung zu handeln, obwohl beides durch diese Struktur der Informationsflüsse leichter gemacht wird. Das Problem liegt eher darin, dass Missverständnisse und Fehlinterpretationen nicht mehr aufdeckbar sind, wenn sich niemand mehr auf die Originaltexte bezieht oder beziehen kann. Ein Schulbeispiel dafür findet sich in Wolfgang F. Haugs Kritik von David Harveys Marxvermittlung (Haug 2012). Die sprachliche Form ist ihrem Inhalt nicht äußerlich und deshalb ist die Idee ›der‹ Welt-Lingua-Franca – bestechend, wie sie klingen mag, und einleuchtend, wie sie dem Alltagsverstand scheinen mag – letztlich nicht konsequent durchführbar.

Die hegemonische Rolle des Englischen, die vom Alltagsverstand als Rolle ›der‹ einen Weltsprache erlebt wird, hat sich als zeitlich verschobene Folge des britischen Imperalismus und später der militärischen, politischen und technologischen Dominanz der USA entwickelt, dient aber heute nicht einfach bloß den Interessen dieser beiden Nationalstaaten. Auch der Hightech-Kapitalismus ist zum einen der Nutznießer einer Sprache globaler Präsenz, ist aber andererseits trotz seines globalen Charakters weniger abhängig von dieser einen Sprache, als es frühere Formen des Kapitalismus waren, eben weil die Hochtechnologie mit dem Vorkommen mehrerer Sprachen nebeneinander besser zurecht kommt als ihre Vorgänger. Strategisch gesehen ist die Hegemonie des Englischen weder ›gut‹ noch ›schlecht‹, sollte weder befördert noch bekämpft, sondern zunächst einmal richtig verstanden werden.

 

Literatur

Ammon, Ulrich, Die internationale Stellung der deutschen Sprache, Berlin 1991
Beck, Ulrich, Was ist Globalisierung?, Frankfurt/M 1997
Benjamin, Walter, »Über die Sprache überhaupt und über die Sprache des Menschen«, in: Angelus Novus. Ausgewählte Schriften 2, Frankfurt/M 1988, 9-26
Bull, Tove, »Dagens og gårsdagens akademiske lingua franca. Eit historisk tilbakeblikk og eit globalt utsyn«, in: Språk i kunnskapssamfunnet. Engelsk – elitenes nye latin? Oslo 2004, 35-45
Crystal, David, English as a Global Language, Cambridge 1997
Eco, Umberto, La ricerca della lingua perfetta nella cultura europea, Bari 1993
Gazzola, Michele, »The Linguistic Implications of Academic Performance Indicators: General Trends and Case Study«, in: International Journal of the Sociology of Language, Nr. 216, 2012, 131-56
Graddol, David, English next, London 2006
Haberland, Hartmut, »Research Policy«, in: Sociolinguistics. An International Handbook of the Science of Language and Society, 2., erw. Aufl ., Bd. 2, hgg. von Ulrich Ammon, Norbert Dittmar, Klaus J. Mattheier u. Peter Trudgill, Berlin-New York 2005, 917-29
ders., »English – the Language of Globalism?«, in: Rask 30, Odense/DK 2009, 17-45
Haug, Wolfgang Fritz, Politisch richtig oder Richtig politisch? Linke Politik im transnationalen High-Tech-Kapitalismus, Hamburg 1999
ders., »David Harveys amerikanischer Marx«, in: Das Argument 297, 54. Jg., 2012, 373-87
Kirkpatrick, Andy, »Linguistic Imperialism? English as a Global Language«, in: Handbook of language and communication: Diversity and change, hgg. v. Marlis Hellinger u. Anne Pauwels, Berlin-New York 2007, 333-64
Lin, Angel Y., u. Evelyn Y. F. Man, »The Context and Development of Language and Knowledge Production in Universities in Hong Kong«, in: Davis, Katherine (Hg.), Critical Qualitative Research in Second Language Studies: Agency and Advocacy on the Pacific Rim, Greenwich/Conn. 2011, 99-113
Maher, John, »Remains of the Play: Language Orphans and the Decline of German as a Medical Lingua Franca in Japan«, in Coulmas, Florian (Hg.), Language Regimes in Transformation. Future Prospect for German and Japanese in Science, Economy and Politics, Berlin 2007, 141-54
Mortensen, Janus, u. Hartmut Haberland, »English — the new Latin of Academia? Danish Universities as a Case«, in: International Journal of the Sociology of Language, Nr. 216, 2012, 175-97
Phillipson, Robert, »Linguistic Vitality Under Pressure: German in a Neoimperial Age«, in: Oberreuter, Heinrich, Wilhelm Krull, Hans Joachim Meyer u. Konrad Ehlich (Hg.), Deutsch in der Wissenschaft. Ein politischer und wissenschaftlicher Diskurs, München 2012, 217-31
Robinson, William I., Sprachgerechtigkeit für Europa und die Welt, Frankfurt 2013
Sapir, Edward, »The Function of an International Auxiliary Language« (1931), in: Selected Writings of Edward Sapir in Language, Culture and Personality, hgg. v. David G. Mandelbaum, Berkeley 1949, 110-21
Tsoukalas, Konstantinos, Eξάρτηση και αναπαραγωγή. Ο κοινωνικός ρόλος των εκπαιδευτικών μηχανισμών στην Ελλάδα (1830-1922). Athen 1977 (»Abhängigkeit und Reproduktion. Die soziale Rolle der schulischen Apparate in Griechenland«)
Van Parijs, Philippe, Sprachengerechtigkeit für Europa und die Welt, Frankfurt/M 2013
Wilson, Deirdre, u. Dan Sperber, »Representation and Relevance«, in: Kempson, Ruth (Hg.), Mental Representations, Cambridge 1988, 133-53

 

* Dieser Aufsatz stützt sich auf Haberland 2009.
1 Die Vorstellungen darüber, inwieweit Einsprachigkeit oder Mehrsprachigkeit der Normalfall ist, sind historisch veränderlich. Obwohl man geneigt sein mag, die Idee, dass jeder Sprecher seine oder ihre »eigene« Sprache hat, als späte Erfindung aufzufassen, gibt es eine Diskussion des Gegensatzes von ›unserer‹ und ›eurer‹ Sprache bereits im homerischen Aphroditehymnus.
2 Florian Coulmas, persönliche Mitteilung.
3 Es wurde bis in den tadschikischen Teil des Ferghanatals gesprochen, wo Alexander der Große Alexándria Eschátē gründete, das »Fernste Alexandria« (heute Khujand, früher eine Zeit lang Leninabad).
4 ›Humboldt-Universität‹ (heute ohne Bindestrich) heißt sie erst seit 1949.
5 Fontanes Stechlin sagt bereits am Ende des 19. Jahrhunderts: »Und dabei diese merkwürdigen Verschiebungen in Zeit und Stunde. Beinahe komisch. Als anno siebzig die Pariser Septemberrevolution ausbrach, wusste man’s in Amerika drüben um ein paar Stunden früher, als die Revolution überhaupt da war. Ich sagte: Septemberrevolution. Es kann aber auch ’ne andre gewesen sein; sie haben da so viele, dass man sie leicht verwechselt.«
6 So verstehe ich jedenfalls Walter Benjamin: »Es ist fundamental zu wissen, dass dieses geistige Wesen sich in der Sprache mitteilt und nicht durch die Sprache.« (1988, 10)
7 »Gegen Globalisierung zu sein, ohne diese unterschiedlichen Bedeutungen auseinanderzunehmen, führt in die Falle eines geschichtsfeindlichen konservativen Historismus.« (Haug 1999, 18)
8 Prorektorin Hanne Leth Andersen, Roskilde, in einer Diskussion im Januar 2012.

 

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