"Politische Anliegen in Sachthemen unterbringen"

Der gemeinsame Bundesausschuss und die Bluttest-Erprobung - Interview mit Martin Danner

Über die vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) eingeleitete Erprobung pränataldiagnostischer Bluttests (siehe Kasten unten) und die Rolle der PatientInnen- und Behindertenvertretung in dem Verfahren sprach der GID mit Martin Danner, Geschäftsführer der Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe (BAG Selbsthilfe) und Sprecher der Patientenvertretung im G-BA.

Interview mit Martin Danner

 

Wie positionieren sich die VertreterInnen der PatientInnen- und Behindertenverbände im G-BA zum Erprobungsverfahren?

Überwiegend sind wir gegen die breite Anwendung solcher Tests. Aber die Patientenvertretung umfasst ein breites Spektrum an Verbänden und damit auch an Haltungen zu den Fragen rund um den PraenaTest. Auf der einen Seite sind da Behindertenorganisationen, die den Test prinzipiell ablehnen, weil sie eine Selektion mit ethischen Fernwirkungen befürchten: Dass damit mittelbar die Wertigkeit von Menschen mit Behinderung angegriffen wird. Auf der anderen Seite gibt es Verbände, die über den Wissenszuwachs froh sind, der mit neuen Diagnose- und Behandlungsmethoden verbunden ist. Ich hatte zum Beispiel einmal eine Diskussion mit Vertreterinnen und Vertretern der Allianz Chronischer und Seltener Erkrankungen, der ACHSE, wo gesagt wurde: Für Eltern, die schon ein Kind mit Behinderung haben und noch ein weiteres möchten, sind solche Tests gut, weil sie sich darauf einstellen können, was sie erwartet.

 

Also hat die PatientInnenselbsthilfe im G-BA in dieser Frage mehr Gewicht gehabt als Behindertenverbände?

Nein, der Eindruck täuscht. Die Bundesvereinigung Lebenshilfe beispielsweise ist intensiv eingebunden, wenn solche Fragen diskutiert werden. Es gibt ja über 100 Patientenvertreter im GBA, und je nach Thema wird geschaut, wer sich wo einbringen will und kann. Und bei den pränatalen Bluttests sind die Behindertenverbände entsprechend beteiligt. Es kann durchaus Behindertenorganisationen geben, die solche Verfahren aus prinzipiellen Erwägungen erst gar nicht begleiten wollen, aber darüber weiß ich nichts. Ich hab jedenfalls keine böse Post bekommen, in der uns jemand dazu aufgefordert hätte, uns an dem Verfahren nicht zu beteiligen.

 

Aber so ein Protest wäre doch kaum möglich. Die Diskussion im Vorfeld des Beschlusses zur Erprobung unterlag doch der Geheimhaltung.

Ja, das ist ein Verwaltungsverfahren, im Prinzip dasselbe wie ein Bauantrag - es unterliegt dem Verwaltungsgeheimnis.

 

Darauf hat der Pressesprecher des G-BA auch verwiesen, als ich ihn gefragt habe, wie viele Hersteller das Verfahren beantragt haben ... Wissen Sie das?

Dann dürfte auch ich Ihnen das jetzt nicht sagen ...

 

Gab es denn VertreterInnen von Behindertenverbänden, die sich gegen den Beschluss gewandt haben?

Es gibt die beschriebene kritische Haltung solchen Tests gegenüber. Aber letztendlich geht es bei einem solchen Verfahren im G-BA ja darum, sich einzubringen und konkrete Interessen von Betroffenen zu vertreten. Wenn zum Beispiel der Gesetzgeber die Kostenregelung für Fahrten zum Arzt einschränkt, dann können wir als Patientenvertreter zwar sagen, wir finden das grundfalsch; im G-BA geht es dann aber darum, für eine am Patienten orientierte Fahrtkostenregelung zu kämpfen, bei der zumindest nicht alle Einschränkungen, die laut Gesetz möglich wären, umgesetzt werden. So ähnlich ist das jetzt auch: Möglicherweise wird der Test von einzelnen Verbänden generell abgelehnt, aber beim G-BA geht es darum, sicherzustellen, dass die Voraussetzungen für eine Erprobung bestehen und dass dann in dem Erprobungsverfahren Punkte wie die Aufklärung der Schwangeren oder die Qualifikation der Ärzte hinreichend berücksichtigt werden. Der G-BA fällt keine ethischen Urteile: Ein Erprobungsverfahren wird ausschließlich zu dem Zweck eingeleitet, die medizinische Wirkung neuer Diagnose- und Behandlungsverfahren zu bewerten.

 

Aber das Verfahren wird ja nur eingeleitet, wenn der G-BA ein „Potenzial” dafür sieht, dass eine Methode die Gesundheitsversorgung verbessert ...

Das ist richtig. Wird ein Potenzial bejaht, dann geht es auch darum, wie die Erprobung aussehen soll. Insofern müssen jetzt die Patientenvertreterinnen und -vertreter versuchen, auf das Design der Erprobung Einfluss zu nehmen, also die Erprobungs-Richtlinie, die in dem eingeleiteten Verfahren erstellt wird, entsprechend begleiten. Denn dabei geht es um die Rahmenbedingungen, unter denen der Test dann in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen käme.

 

Wie werden die Patientenvertreterinnen und -vertreter das konkret versuchen? Werden Sie sich zum Beispiel für eine Beschränkung der Studienpopulation auf so genannte Risikoschwangere einsetzen oder eher dafür, dass der Test an Schwangeren aller Altersgruppen erprobt wird?

Also welche Teilnehmerinnen aus Patientensicht für die Erprobung rekrutiert werden sollten, haben wir noch nicht diskutiert, da bin ich derzeit überfragt. Grundsätzlich sollte es eine für die GKV-Versicherten repräsentative Gruppe sein, die an so einer Erprobung mitwirkt; sicherlich müssen wir aber auch sensibel und im Detail schauen, wer mit dem Begriff der Risikoschwangerschaft gemeint ist. Wie schon erwähnt: Wir müssen verschiedene Haltungen repräsentieren. Deshalb legen wir immer großes Gewicht auf Aufklärung und Information, sowohl der PatientInnen wie der ÄrztInnen. So ein Test muss mit umfassender Information und Aufklärung verbunden sein, wenn er in den Leistungskatalog kommt und nicht einfach so den Leuten angeboten oder gar angeraten werden. Wie jetzt im Detail Qualitätsanforderungen aussehen sollten, haben wir - zumindest im großen Kreis der PatientInnenvertreter - noch nicht besprochen, aber unsere Grundlinie ist klar: Die anbietenden ÄrztInnen müssen hinreichend informiert sein. Es muss Maßnahmen geben wie zum Beispiel Merkblätter und Informationsschreiben, damit gute Aufklärungsgespräche stattfinden können. Aus meiner Sicht muss klar sein, dass ein Kind mit Behinderung keine dramatische Wendung des Lebens ist, sondern dass es mindestens genauso dramatisch sein kann, ein Kind zu töten oder gar nicht erst zur Welt zu bringen.

 

Aber transportiert ein routinemäßiger Test des Fötus auf eine nicht behandelbare Beeinträchtigung wie Trisomie 21 nicht beinah automatisch, dass es normal ist, bei positivem Befund die Schwangerschaft abzubrechen? Wie können Aufklärung und Beratung gegen solche Konstellationen helfen?

Diese Situation haben wir mit der Nackenfaltenmessung per Ultraschall doch auch schon. Deshalb ist ja das Aufklärungsgespräch zwischen ÄrztIn und Schwangerer so wichtig. Nur so kann gerade gerückt werden, was durch Industrieaussagen und vielleicht auch durch den gesellschaftlichen Zeitgeist an die Leute herangetragen worden ist an Vorstellungen. Die Schwierigkeit in Gremien wie dem G-BA besteht darin, solche letztlich politischen Anliegen in den Sachthemen, die dort verhandelt werden, unterzubringen. Darin besteht im Prinzip die Aufgabe.

 

Herr Danner, der GID dankt für das Gespräch!

Das Interview führte Uta Wagenmann.

 

Kasten:

Der G-BA und die Erprobung von nicht-invasiven Bluttests

Der G-BA ist das Beschlussgremium der gemeinsamen Selbstverwaltung von Ärzteschaft, Krankenhäusern und -kassen und entscheidet unter anderem darüber, welche Behandlungen (Arzneimittel, Diagnostika, Methoden) von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen werden. Solchen Entscheidungen voraus geht eine Nutzenbewertung; nur wenn der G-BA zu dem Schluss kommt, dass sich die Gesundheitsversorgung durch die Behandlung verbessert, kommt sie in den Leistungskatalog, das heißt deren Kosten werden von den Kassen übernommen. Seit 2012 ist es dem GBA erlaubt, für diese Bewertung selbständig Studien zu initiieren, wenn der Nutzen einer Behandlung „noch nicht hinreichend belegt“ ist (Paragraf 137e SGB V). Ein solches Erprobungsverfahren kann - wie das jetzt eingeleitete zu den Bluttests - auch von Herstellern beantragt werden.

Auf die am 8. Mai 2014 vom G-BA verkündete Entscheidung, den „nichtinvasiven molekulargenetischen Pränataltest zur Bestimmung des Risikos von fetaler Trisomie 21 bei Schwangeren, deren Ungeborenes hierfür ein erhöhtes Risiko hat“ zu erproben, folgt jetzt die Diskussion der konkreten Ausgestaltung der Studie. Am Ende dieser Beratungen steht ein Richtlinienentwurf, der nicht nur das genaue Studiendesign festlegt, sondern auch den Herstelleranteil an den veranschlagten Kosten und die mit der Studie zu beauftragende wissenschaftliche Institution. Der G-BA muss Fachgesellschaften, Heilberufekammern und Herstellern mindestens vier Wochen Zeit für eine Stellungnahme zu dem Entwurf geben. Dann berät er die Richtlinie abschließend und legt sie dem Bundesgesundheitsministerium zur Prüfung vor. Wird dort nichts beanstandet, beginnt die Studie, und wenn sie zu dem Ergebnis kommt, dass die pränatalen Bluttests „andere aufwändigere, für den Patienten invasivere (...) Methoden“ ersetzen können, wird der Bluttest in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen übernommen. Das ist zwar wahrscheinlich - gegenüber der Fruchtwasserpunktion ist der Bluttest weniger invasiv - aber es kann noch dauern: Allein der Zeitraum bis zum Beginn der Studie wird derzeit mit 12 bis 17 Monaten veranschlagt.

Organisationen von PatientInnen, allen voran der Deutsche Behindertenrat, in dem 46 Verbände - unter ihnen die BAG Selbsthilfe, die Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben oder der Bundesverband für körper- und mehrfachbehinderte Menschen - zusammengeschlossen sind, entsenden die etwa 100 PatientenvertreterInnen im G-BA, die zwar ein Mitberatungs- und Antrags-, aber kein Stimmrecht haben. Von ihnen hat niemand Kritik an der Erprobung der Bluttests geäußert.

(uw)