Charlie Hebdo, oder: das friedliche Gesicht des Westens

Menschen werden gespießt, gepfählt, in großen Bottichen gegart, in Pfannen durchgebraten, mit glühenden Zangen gezwickt, wenn nicht filetiert – keine Spielart der Folter hat der Maler vergessen. Es ist kein islamisches Bild. Selbst wenn im Islam kein Bilderverbot herrschte, wäre es keines. Es ist ein christliches Bild: das der christlichen Hölle – zu finden in der Jesuitenkirche von Quito, in einer dunklen Ecke mehr versteckt denn präsentiert, früher an einem prominenten Platz. Denn es diente als Lehrtafel – nicht nur zur Abschreckung, sondern auch als Anleitung zur Praxis – für die Bestrafung der sieben Todsünden; alle Opfer tragen die Züge der Urbevölkerung der Anden.
Mit Schwert und Feuer ward, wo spätestens seit 1493 ein kolonialer Eroberer seinen Fuß hinzusetzen geruhte, das Christentum erst ins Fleisch und dann in die Seelen gebrannt. Jeder Massenmörder – der professionelle wie der in spe –, der von Europa zum Beutemachen auszog, hatte nicht nur einen Koch, sondern mindestens auch einen Pfarrer bei sich.
Mancher Volksstamm freilich überlebte das nicht – allen voran die slawischen Pruzzen, an denen im Rahmen der Ostexpansion schon zuvor, bis hinein ins 14. Jahrhundert, der christliche Massenmord geübt wurde. Die Eroberer ließen den Namen übrig – und eigneten ihn sich an: Preußen. Ob 30-jähriger Krieg, ob Hexenverfolgungen – keine Kultur steht auf so großen Leichenbergen wie die sogenannte abendländisch-christliche, neuerdings von „offizieller” deutscher Politik um das jüdische Element erweitert, das damit aber nun wirklich nichts zu tun hat. Die Juden haben nie „missioniert”, weder mit noch ohne Schwert. Ähnlich der Islam.
Am Kalifat, an seiner Unterjochung und Ausbeutung der Bevölkerungen des südlichen Mittelmeeres, Spaniens und des Balkans kleben Hekatomben Blut – das zu leugnen, wäre naiv, wenn nicht unlauter. Die Ausbreitung des Islam – es wurde nicht religiös missioniert –  hält jedoch einem Vergleich mit der Christianisierung in keinem Fall stand. Die Unterworfenen traten, so man sie ließ, zur dritten Buchreligion eher aus Nützlichkeitserwägungen über – es war der sanfte, der soziale Druck, der Muslime erzeugte…
Der kolonial-christlichen Eroberung folgte die neokoloniale Ausbeutung: Unserem „Wohlstand” werden täglich Kinder und Greise geopfert, die an den Folgen von Unterernährung sterben; täglich werden Menschen aller Generationen, nicht zuletzt schwangere Frauen, in den Kämpfen um die Verteilung dessen, was wir bisher verabsäumt haben, aus ihren Ländern herauszusaugen, hingemetzelt. Die Maschine läuft lautlos. Von der christlichen Missionierung sind allenfalls christliche „Missionen” übrig geblieben, in denen – trotz aller Aussichtslosigkeit – zum Teil Übermenschliches geleistet wird; auch das sei nicht vergessen.
Die Linke, einst angetreten, einen irdisch-humanen Weg aus dem Jammertal zu finden, hat seit 1914 Katastrophe auf Katastrophe getürmt – und ihren gern und oft genug auch lauthals verkündeten eigenen Anspruch um jegliche Glaubwürdigkeit, von Ausstrahlung gar nicht zu reden, gebracht. In diese selbstverschuldete Lücke sind früh Ideologen gesprungen, die in ihren Auslagen eine vermeintliche Vergangenheit feilbieten. Nach dem Ersten Weltkrieg waren das in Europa faschistische Bewegungen; heute es ist der sogenannte islamistische Terror. Während jedoch in Deutschland der Faschismus weniger Anleihen bei der christlichen Religion als bei deren mörderischer Kirchengeschichte – Kreuzzug, Antisemitismus (nicht erst seit Luther) et cetera – nahm, hatte der Islam da wenig zu bieten. Deshalb bedarf der sogenannte islamistische Terror eines Ideologieeintopfes, zusammengerührt aus verschiedensten Versatzstücken. Im Koran findet sich alles – wenn auch nicht so stringent Mord, Verrat, Blutrache, Pädophilie, Inzest, Sodomie wie im Alten Testament. Würde das ungeschönt verfilmt, wäre P 18 als oberste Ausschlusskategorie kaum haltbar; Menschen mit Bluthochdruck müssten ohnehin draußen bleiben.
Seine treuesten Künder findet der sogenannte Islamismus übrigens nicht in den „Hasspredigern”, sondern in „unseren” – in Anführungsstrichen, denn es sind nicht meine – Medien. Nicht Pegida ist im Moment die eigentliche Gefahr – so gefährlich diese Menschen auch noch werden mögen, denen die vorteilhafte Spiegelung in einem imaginierten Gegner, gestern „im Juden”, heute „im Muslim”, die therapeutische Behandlung ihrer Ich-Schwäche ersetzen soll. Es sind die Subtilen, jene, die den Islam im Halbdunklen lassen: Ulrich Deppendorf spricht vom „friedlichen Gesicht des Islam”, Claus Kleber, stets getrieben, Halbbildung durch Unterstellungen zu kaschieren, verabsäumt es beim Thema „Terror und Islam“ selten, mit großem Augenaufschlag: Ja, aber… zu lispeln. Die Botschaft: Es muss also doch etwas dran sein – sagt ja selbst der Kleber. (So wirkt es nicht zuletzt auch auf jene jungen Muslime, die noch schwanken.)
Natürlich muss der Terror bekämpft werden, selbstverständlich war es richtig, die Mörder der „Charlie Hebdo“-Journalisten zu verfolgen; ein Prozess wäre mir allerdings lieber gewesen, doch diese armen Wesen hatten es wohl wirklich auf die 70 Jungfrauen abgesehen. Auch zur Niederringung des Nationalsozialismus, lange Zeit von den Westmächten geduldet, wo nicht gefördert – so wie der islamistische Terror viele Jahre durch die verschiedenen US-amerikanischen Regierungen – bedurfte es eines blutigen Krieges, vor allem der Völker der Sowjetunion, die nun am allerwenigsten für den Nationalsozialismus verantwortlich zu machen waren.
Doch anders als beim Nationalsozialismus wird es nicht genügen, die Resultate zu niederzukämpfen. Dabei werden – anders als im Zweiten Weltkrieg – nicht einmal Waffenfabriken zu zerstören sein (soweit damals solche zerstört wurden). Die wenigsten dieser Menschen können fehlerfrei Glasscheiben herstellen, geschweige denn Zielfernrohre. Die Waffen liefern wir. (Den Einspruch, der jetzt hier folgt, kennen wir alle – im Augenblick mal nicht von der SPD –: Es geht schließlich um Arbeitsplätze…)
In Zukunft wird es wohl kaum gehen, ohne die Axt an die Wurzel zu legen: Wer nicht über den Kapitalismus, also über uns selbst reden will, sollte beim Thema Islamismus schweigen. Es ist unser – dieses Mal ohne Anführungsstriche, es ist auch mein – System, das täglich Zulauf zum Terror produziert.
Viel Hoffnung auf Änderung habe ich nicht, leben wir doch alle sehr gut von und in diesem System. Außerdem tragen wir alle ein friedliches Gesicht.

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