Buchrezension: “Schattenstrategen, Kriegstreiber und stille Profiteure“

2014 ist im Verlag zeitgeist das Buch von Wolfgang Effenberger und Willy Wimmer „Wiederkehr der Hasardeure – Schattenstrategen, Kriegstreiber, stille Profiteure 1914 und heute“ erschienen. Schon der Titel gibt den Ton an. Damit man die „Wiederkehr der Hasardeure“ nicht etwa (auch) auf die Wiederkehr deutscher Großmannssucht, das Streben deutscher Politiker und Kapitalvertreter nach weltweiter Geltung und mehr „Verantwortung“ beziehe, prangt vorne auf dem Schutzumschlag eine Karikatur des britischen „Imperialisten und Unternehmers“ Cecil Rhodes (1853-1902). Die Erläuterung dazu auf der Impressum-Seite:

„Die Ausbeutung der Rohstoffe Afrikas stellte für ihn den ersten Schritt zur Vorbereitung der Weltherrschaft der ‚angelsächsischen Rasse‘ dar. Die von Rhodes mitinitiierten Burenkriege (1880/81 sowie 1899-1902) sollten den Masterplan für viele spätere Kriege bilden.“

Eigentlich scheint jetzt bereits alles klar zu sein: Die Hasardeure – das waren und sind die imperialistischen Briten und US-Amerikaner. Sie bereiten schon wieder einen Krieg um die Weltherrschaft vor – wie 1914.

Aber die beiden als Motto dem Buch vorangestellten Zitate tun ein Übriges. Zuerst eine Stelle aus der Antigone von Sophokles, in der von der verderblichen Wirkung des Geldes die Rede ist: „Es wandelt auch die redliche Gesinnung um und lehrt sie (die Männer – R.D.) hässlichen Geschäften nachzugehn; es unterweist die Menschen in Verschlagenheit, und auch Verbrechen nicht zu scheun bei ihrem Tun.“ 

Das zweite Motto stammt von Winston Churchill. 1945 hatte er nicht nur bedauernd festgestellt: „Wir haben das falsche Schwein geschlachtet“, sondern auch, wie hier zitiert wird, gemeint, der Zweite Weltkrieg sei nur ausgebrochen, weil man „unter dem Druck der Amerikaner und neumodischer Gedankengänge die Habsburger aus Österreich-Ungarn und die Hohenzollern aus Deutschland“ vertrieben hatte. Das so entstandene Vakuum habe es Hitler ermöglicht, „aus der Tiefe der Gosse zum leeren Thron zu kriechen“.

Halten wir also schon einmal fest: Geschichte erscheint in diesem Buch immer noch oder immer wieder als Sache großer Männer – von Cecil Rhodes bis zu Hitler und Churchill. An den beiden Weltkriegen hatte Deutschland offenbar deutlich weniger Schuld, als Schulbücher und Medien es uns erzählen. Am Ende waren es die Angelsachsen und ihre Masterpläne, die auch das 3. Reich auf ihrem Gewissen haben. Und immer ging es ums Geld und um „hässliche Geschäfte“ – wie schon seit den Zeiten der antiken Geldwirtschaft im alten Athen. 

Dieser erste Eindruck bestätigt sich bei der weiteren Lektüre des Buches. Im Vorwort heißt es: „Die gleichen Kreise, die vor hundert Jahren nationale Konflikte für ihre Interessen instrumentalisierten, sind heute wieder am Werk“. In der Einleitung schreibt Wolfgang Effenberger folgerichtig, die Arbeiten des Historikers Fritz Fischer und seiner Schule zu Deutschlands „Griff nach der Weltmacht“ 1914 ff. seien „wissenschaftlich abgetan“. Es versteht sich da von selbst, dass ein Standardwerk wie „Europastrategien des deutschen Kapitals“ von Reinhard Opitz (1977) nicht einmal in der ansonsten sehr umfangreichen Literaturliste erwähnt wird.

Den weitaus größten Teil des Buches bestreitet Wolfgang Effenberger. Mit einem Rückgriff bis ins 17. Jahrhundert beschreibt er zunächst die Vorgeschichte des Ersten Weltkrieges mit vielen Details und Exkursen, die im Einzelnen ganz spannend zu lesen sind. Aber Geschichte ist bei ihm wie zu früheren Zeiten in erster Linie die Geschichte von „Haupt- und Staatsaktionen“ – nicht eine Geschichte sozialer Strukturen und der ihnen innewohnenden Widersprüche, geschweige denn eine Geschichte von Klassenkämpfen. Auf den Machenschaften in den Hinterzimmern der Macht liegt der Fokus der Betrachtung.

Wenn dann endlich auf S. 107 das Unterkapitel „Ökonomische Dimensionen“ auftaucht, argumentiert Effenberger wie folgt: „Ging es Bismarck im deutschen Einigungskrieg von 1870/71 noch um Annexion und Eroberung, machten sich nun Kaufleute, Banker und Industrielle auf der ganzen Welt gegenseitig Absatzmärkte, Eisenbahnaufträge, Anleihen und Minenkonzessionen streitig. Konnte man sich nicht verständigen, griff man zur Ultima ratio der Waffen“ (S. 109). Fast scheint es, als seien diese neuen Kriege für Kapitalinteressen „unehrenhafter“ gewesen als die alten für feudale und dynastische Interessen: „Für diese Kriege der ‚Dividenden‘ musste die jeweilige Propaganda den Gegner dämonisieren. Diese Aufgabe übernahm – und das in allen Ländern – eine wenn nicht käufliche, doch zumindest kritik- und gedankenlose Presse und erleichterte es damit der Geldoligarchie, ihre Geschäftskriege zu führen. Das galt besonders für die durch ihre Lage und Geschichte bevorzugten Briten…“ (S. 109). 

Der Dreh- und Angelpunkt dieser Argumentation: Zwar werden objektive, systembedingte Interessen an imperialistischer Politik und Kriegsführung benannt, aber sogleich wieder, anstatt sie näher zu analysieren, einzelnen Personengruppen (der „Geldoligarchie“) zugeschrieben, deren Verhalten dann quasi moralisch verurteilt wird. Schließlich wird – scheinbar ganz objektiv – das britische Empire als damals führende, durch jahrhundertelangen „Raub“ fremder Territorien entstandene Weltmacht kraft seiner Dominanz zum Hauptschuldigen am Ersten Weltkrieg erklärt, während das Deutsche Reich eher als verfolgte Unschuld dasteht: „Deutschland war indes ohne natürlichen Schutz und von rivalisierenden Völkern umgeben“.

Das Kapitel endet mit einer beinahe zu Tränen rührenden Episode „in den schattigen Wäldern Potsdams“ Ende Mai 1914. Dort entdeckt ein Schriftsteller „mit jüdischen Wurzeln“ bei einem Spaziergang unvermutet den deutschen Kaiser, auf einem Baumstumpf sitzend: „Er starrte vor sich hin, als sähe er das Unheil voraus, aus dem es kein Entrinnen gab, nicht für ihn, nicht für uns…“ (S. 114). 

Hier ist Christopher Clark mit seinen „Schlafwandlern“ nicht weit, dem Effenberger selbstverständlich seine Reverenz erweist. Seine eigene Darstellung des „schicksalhaften“ Gangs in den Krieg ist aber noch mehr als die Clarks darum bemüht, die deutschen Eliten, den Kaiser an der Spitze, eher als Getriebene denn als Treiber erscheinen zu lassen, um so die „Kriegsschuldlüge“ (ein Begriff, den er nicht verwendet, aber vermutlich im Sinn hat) zu widerlegen.

Dafür kommt die in unseren Schulbüchern der 1950er Jahre beliebte Erklärung ins Spiel, dass „Versailles“, der Diktatfriede der Siegermächte des Ersten Weltkrieges, die Ursache für den Aufstieg des deutschen Faschismus und damit auch für die Verbrechen der Nazis, den Zweiten Weltkrieg, den Völkermord an den Juden und an den Sinti und Roma gewesen sei. Dies hatte und hat nicht nur den Zweck, die Deutschen von der Verantwortung für ihre eigene Geschichte und ihr eigenes Tun weitgehend freizusprechen – gleichsam als Umkehrung der immer schon unsinnig gewesenen Kollektivschuld-These. Es dient auch und vor allem dazu, die eigenständigen imperialistischen Bestrebungen des deutschen Reiches in einem milderen Licht erscheinen zu lassen. 

Bis dahin könnte man das Buch für einen weiteren der zahlreichen Versuche halten, die Geschichte ein wenig umzuschreiben, damit die Deutschen nicht weiter „in Sack und Asche“ gehen müssen. Je mehr es aber vor allem im zweiten, von Willy Wimmer verfassten Teil des Buches in die Gegenwart geht, desto deutlicher wird, dass es sich um die neuartige Kombination eines solchen Versuchs mit der nur allzu berechtigten Kritik an der Globalstrategie der USA nach 1945 und vor allem seit dem 11. September 2001 handelt.

Als langjähriger CDU-Bundestagsabgeordneter, der einige Jahre auch parlamentarischer Staatssekretär im Verteidigungsministerium war, rechnet Wimmer gnadenlos mit den vorgeschobenen Begründungen für den Kosovo-Krieg und das westliche Eingreifen in Afghanistan ab. An beidem war und ist die Bundeswehr beteiligt, die eigentlich, dem Grundgesetz zufolge, nur zur Verteidigung des Landes da sein sollte. Wimmer ist umso glaubwürdiger, als er schon seinerzeit gegen die Kriegseinsätze protestiert und seine Haltung in Briefen an Bundeskanzler Schröder dargelegt hat. Diese Briefe sind in dem Band ebenso dokumentiert, wie eine an Helmut Kohl adressierte Denkschrift zur „Wiedervereinigung“.

Wimmers Argumentation läuft vor allem auf eine Mahnung hinaus, sich im Fall der Ukraine nicht erneut von den USA für ihre imperialen Interessen instrumentalisieren zu lassen. Diesmal handele es sich, angesichts eines wieder erstarkten Russland, das sich nicht mehr, wie unmittelbar nach dem Zerfall der Sowjetunion, alles bieten lasse, um nichts weniger als die Gefahr eines dritten Weltkrieges. Die Kriegsgefahr, so wird Altkanzler Helmut Schmidt aus einem schon 2007 mit ihm geführten Interview zitiert, gehe heute viel mehr von den USA als von Russland aus. 

Diesen Schlussfolgerungen kann man ohne weiteres zustimmen, weil sie gut begründet und plausibel sind. Das Unbehagen, das den kritischen Leser dennoch schon bei der Aufmachung des Buches und bei der Lektüre des ersten Teils erfasst, soll hier noch einmal konkretisiert werden.

Es erscheint äußerst problematisch, die Situation von 1914 mit der heutigen zu vergleichen, so wie es die beiden Autoren tun. Vor allem, wenn sie meinen, die Lage des wilhelminischen Reiches von damals mit der gegenwärtigen Lage Russlands gleichsetzen und in beiden Fällen denselben Aggressor ausmachen zu können.

In ihrem gemeinsamen Schlusskapital „Visionen vom Frieden“ versuchen sie die von den USA mit weltweiten kriegerischen Interventionen und Aktionen zum „regime change“ angestrebte „New World Order“ folgendermaßen zu belegen: „In der Tat findet sich die Phrase ‚Novus ordo seclorum‘ seit 1782 auf der Rückseite des Großen Siegels der Vereinigten Staaten und seit 1935 auf der Rückseite der Dollarnote“ (S. 525). Dieser symbolische Beweis für die ihrer Auffassung nach von Anfang an geplante Weltherrschaft der USA wird nun aber leider auch auf den sich im Internet rasant vermehrenden verschwörungsmythischen Webseiten verbreitet. Da kommen dann noch das „Gottesauge“ und die Pyramide auf dem Dollarschein als angebliche geheime freimaurerisch-illuminatische Zeichen hinzu.

Dabei heißt „Novus ordo seclorum“ wörtlich übersetzt nicht etwa „Neue Weltordnung“, sondern „Eine neue Ordnung der Zeitalter“. Das soll auf eine Zeile bei Vergil zurückgehen. Vermutlich war dies von den Gründungsvätern der USA als positiver Bezug auf die Epoche der Aufklärung und auf die damals proklamierten Menschenrechte gemeint. Was hat es für einen Sinn, es mit dem „Menschenrechts-Imperialismus“ von heute gleichzusetzen? Dass die „westlichen Werte“ mittlerweile zur Begründung von Weltordnungskriegen herhalten müssen, ändert nichts daran, dass sie seinerzeit ein großer Fortschritt gegenüber dem feudalen Absolutismus waren. Auch heute noch können sie eine emanzipatorische Bedeutung haben, wenn beispielsweise eine Kundgebung gegen Rechtspopulismus und Rassismus in Frankfurt am Main mit der Forderung „Freiheit, Gleichheit, Geschwisterlichkeit“ veranstaltet wird.

Wie problematisch und anschlussfähig nach rechts dagegen eine oberflächliche Kapitalismus- und Imperialismuskritik ist, die sich immer wieder und hauptsächlich ums Geld, die Geldordnung, den Zins und das Bankwesen dreht, dafür hier noch ein Beispiel aus dem Buch von Effenberger und Wimmer. Die Passage ist so typisch und charakteristisch, dass sie nachfolgend in voller Länge zitiert sei: 

 „Dem angelsächsischen ‚Finanzadel‘ war es im Verlauf der letzten 400 Jahre also gelungen, der ganzen Welt sein Währungs- und Geldsystem ‚überzustülpen‘. Dieses System stellt sich – auf einen simplen Nenner gebracht – wie folgt dar: Je mehr Kredite Staat und Wirtschaft aufnehmen, desto größer deren Abhängigkeit vom Kapitalgeber. Heutzutage mischen die durch und durch angelsächsisch geprägten Ratingagenturen zusätzlich als ‚Steuergröße‘ mit, die mit einer drohenden Herabstufung der Bonität ganze Länder erzittern lassen können.

Ganz im Sinne der Plutokraten ist es, stets neue Spekulationsblasen entstehen zu lassen, die sobald sie platzen, von ihnen genutzt werden können, um gigantische Realvermögen umzuverteilen. Zu ihren Gunsten, versteht sich – zuletzt in der Finanzkrise 2007. Und doch bleibt dieses System für den Nichteingeweihten völlig intransparent. Henry Kissinger spricht in diesem Zusammenhang überraschend deutliche Worte: ‚Wer das Öl kontrolliert, der beherrscht die Staaten – wer die Nahrungsmittel kontrolliert, der beherrscht die Völker – und wer das Geld kontrolliert, der beherrscht die Welt!‘

Der Unternehmer Henry Ford fand es gut, ‚dass die Menschen der Nation unser Geld- und Bankwesen nicht verstehen. Würden sie es nämlich, hätten wir eine Revolution noch vor morgen früh.‘ Doch diese Gefahr hatten die Gebrüder Rothschild schon am 28. Juni 1863 für vernachlässigbar gehalten: ‚Die Wenigen, die das System verstehen, werden dermaßen an seinen Profiten interessiert oder so abhängig von seinen Vorzügen sein, dass aus ihren Reihen niemals eine Opposition hervorgehen wird. Die große Masse der Leute aber, geistig unfähig zu begreifen, wird ihre Last ohne Murren tragen, vielleicht sogar ohne Verdacht zu schöpfen, dass das System ihnen feindlich ist.‘ Und vom Gründer der Rothschild-Banken-Dynastie, Mayer Amschel Rothschild (1744-1812), ist überliefert: ‚Gib mir die Kontrolle über das Geld einer Nation, und es interessiert mich nicht, wer ihre Gesetze macht.‘“ (S. 429 f.) 

Hier haben wir sie wieder, die gute alte Unterscheidung zwischen Geld schneidendem, spekulativen, „raffenden“ Kapital und angeblich „schaffendem“ Produktiv-Kapital. Von letzterem ist in diesem Abschnitt gar keine und auch sonst im Buch kaum die Rede, weil dann die alltägliche Ausbeutung in den Betrieben, auch denen, in die kein „fremder Spekulant“ Geld investiert hat, zur Sprache kommen müsste. Also die Kapitalverwertung und Mehrwertheckerei selbst, die schon in der Produktion, nicht erst in der Zirkulation, nicht erst im Handel und Bankwesen stattfindet.

Dass die Passage ihren Höhepunkt in einem Zitat von Mayer Amschel Rothschild findet, ist sicherlich auch kein Zufall.

 Wolfgang Effenberger / Willy Wimmer:
„Wiederkehr der Hasardeure  – Schattenstrategen, Kriegstreiber, stille Profiteure 1914 und heute“
Verlag zeitgeist, Höhr-Grenzhausen 2014
636 Seiten, 29,90 Euro
ISBN 978-3-943007-07-7

Zum Autor:

Reiner Diederich war bis 2006 Professor für Soziologie und Politische Ökonomie an der Fachhochschule Frankfurt am Main. Er ist Redakteur von BIG Business Crime und Vorsitzender der KunstGesellschaft e.V.

s. auch: Reiner Diederich: Krieg als Wirtschaftsverbrechen

Zuerst erschienen in der Drei-Monats-Zeitschrift BIG BUSINESS CRIME 02/2015

WeitereBeiträge in BIG Business Crime 02/2015 u.A.:

http://www.businesscrime.de/wp-content/uploads/2015/04/Titelbild-BIG-2015_02-150x150.jpg

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