PEGIDA in Dresden

Mehr als eine kurze Episode

Von Oktober 2014 bis Januar 2015 schafften es die „Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlands“ (PEGIDA), die Teilnehmendenzahl ihrer sog. Montagsspaziergänge in Dresden von 350 auf 17.500 Personen zu steigern. Zeitweise verging bundesweit kein Tag ohne Berichterstattung über die „neue Bewegung“. Im Januar 2015 erfolgte die Spaltung, wobei der radikalere Teil PEGIDA blieb und der gemäßigtere Flügel die Bürgerbewegung „Direkte Demokratie für Europa“ (DDfE) ins Leben rief.

Keine Neonazis sondern normale National­chauvinistInnen

Die Frage ob es sich bei den OrganisatorInnen von PEGIDA um extreme Rechte handelt, kann wohl am ehesten mit „JEIN“ beantwortet werden. Ein deutliches „Nein“ dazu, dass — im Gegensatz zur vielverbreiteten Vermutung — gerade keine Verwurzelung oder gar Steuerung durch die Neonaziszene bzw. organisierte rechtspopulistische Organisationen wie die AfD besteht. Ein deutliches „Ja“, als dass inhaltliche Positionen verbreitet werden, die klar im (extrem) rechten Bereich liegen und dass selbstverständlich Neo­nazis und RechtspopulistInnen regelmäßige Teilnehmende der Veranstaltungen sind. Fahnen der „Urburschenschaft“, schwarze Fahnen mit Herkunftsort in Frakturschrift und Werbebanner rechtspopulistischer Organisationen waren immer wieder Bestandteil der Demonstrationen. Obwohl jedoch (Führungs-)Mitglieder der NPD, Freien Kameradschaften, der „Identitären Bewegung“ und rechte Hooligans regelmäßig teilnehmen, traten diese selten vor Ort — jenseits von Selfies auf einschlägigen Webaccounts — aktiv in Erscheinung.1

Das zwischenzeitlich in sich zerfallene „Orga-Team“ von PEGIDA beschrieb sich zunächst als eine Gruppierung von zwölf Personen2. Seit Dezember 2014 liegt eine Eintragung des PEGIDA e.V. im Vereinsregister in Dresden vor. In der politischen Selbstverortung bezeichnet man sich als „rechts“ und begründet die Motivation mit der „Liebe zum Vaterland“. Der Großteil des OrganisatorInnenkreises zählt sich inzwischen zum AfD-Wählerkreis, stammt aber ursprünglich aus der FDP oder CDU-Anhängerschaft. Bei der Gründungsgruppe selbst handelte es sich um eine Gemengelage von Freundschaften, Geschäftsbeziehungen im klein- und mittelständigen Bereich, Verbindungen ins Fußball- und Securitymilieu sowie in die (Klein-)Kriminalität.

Bekanntestes Gesicht ist der 41jährige Lutz Bachmann, der als Anmelder und regelmäßiger Hauptredner agiert. Bachmann wurde 1996 wegen 16fachen Diebstahls und Drogenhandels verurteilt, der Haftstrafe entzog er sich durch Flucht  nach Südafrika im Jahr 1997. Von dort  wurde Bachmann 2000 nach Deutschland abgeschoben, wo er schließlich seine Haftstrafe verbüßte. 2008 wurde er erneut wegen mehrfachem Drogenbesitz verurteilt, die Bewährungszeit soll im Februar 2015 abgelaufen sein. Nach Medienberichten stand er zudem wegen diverser anderer Delikte wie Verletzung der Unterhaltspflicht oder Fahren ohne Führerschein im Konflikt mit der Justiz.

Lutz Bachmann (links) und Kathrin Oertel (Mitte) tragen das Fronttranspartent für PEGIDA. | Foto: flickr.com/Caruso Pinguin/CC BY NC 2.0
 

Politisch aktiv in Erscheinung getreten sind aus dem ursprünglichen OrganisatorInnenkreis jedoch nur zwei Personen. Siegfried Däbritz jr. war 2009 als FDP-Stadtratskandidat in Meißen — einer Kleinstadt bei Dresden — angetreten. Däbritz jr., im Sicherheitsgewerbe tätig, war im mittlerweile stillgelegten internen Forum von HoGeSa aktiv, wo er Muslime als „bärtige Ziegenwämser“ bezeichnete und vorschlug, bei Koran-Verteilungen solle man „Schweinefüße in die herausgerissenen Seiten einwickeln“.

Der zweite bereits zuvor politisch in Erscheinung Getretene ist Thomas Tallacker, der in Meißen ein Stadtratsmandat der CDU bekleidete. Dieses musste er 2013 niederlegen, nachdem er auf Facebook in Kommentierung eines Artikels über Asylbewerber_innen Äußerungen  wie „Artgerechte Haltung“, „Gestörter oder Halbverhungerter Ramadan Türke“ oder „Find ich gut, was wollen wir mit dem zu 90 % ungebildeten Pack was hier nur Hartz 4 kassiert und unseren Sozialstatt ausblutet“ hinterlassen hatte (sämtlich sic!).3 Auch Tallacker hat eine kriminelle Vergangenheit — er wurde im September 2014 wegen gefährlicher Körperverletzung und Nötigung zu einer Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt, nachdem er auf diese Art und Weise angeblich offene Rechnungen eines Handwerkers eintreiben wollte.

Die ungute Mitte, wenn Einstellung in Handlung umschlägt

Offensichtlich demonstrieren in Dresden nicht (nur) tausende organisierte Neonazis oder rechte Subkultur und auch nicht bloß extrem rechte Fußballfans. Vielmehr bot sich eine Woche für Woche wachsende Melange rechtsaffiner junger Männer, rechtskonservativer älterer Menschen, die in einem diffusen Weltbild von „Wir“ und „die Anderen“ verhaftet sind, wobei „die Anderen“/„der Fremde“ erst einmal als potentielle Bedrohung angesehen werden.

PEGIDA mobilisierte damit genau jenen Teil der Gesellschaft, der in den Einstellungsforschungen der vergangenen Jahre durch die konstante Zustimmung zu rassistischen und nationalistischen Aussagen auffiel. Der Erfolg von PEGIDA ist es, diese bisher „nur“ am Stammtisch und im Privaten agierende Masse zumindest in Dresden auf die Straße gebracht zu haben. Die MacherInnen von PEGIDA fokussieren in ihrer (bewussten) inhaltlichen Diffusität und Deutungsoffenheit auf jene bisher schweigende Masse. Sie bedienen die Zielgruppe mit interpretationsoffenen Andeutungen á la „Die da oben machen sowieso was sie wollen“, „Die Presse lügt“, „Die Anderen wollen unseren Reichtum oder sind neidisch auf unseren Wohlstand“, „Wir haben es selber geschafft“. Die Argumentationsmuster gleichen jenen von Thilo Sarrazin. Es wird ein vorgebliches Tabu inszeniert, welches es dann zu brechen gilt. Dabei stellt man sich selbst in die Rolle eines „Verfechters“, der gegen den Strom der „Gutmenschen“ anschwimmt. Diese selbstzugeschriebene Underdog-Rolle verknüpft mit „Nationalstolz“ ist identitäres Moment von PEGIDA. Über Grund- und Menschenrechte wird hinweggewischt, mit Verweis auf den „Kampf“ um den Erhalt der eigenen Nation. Jenseits dieser dumpfen, nationalistisch-rassistischen Ausprägung greifen die OrganisatorInnen und Mitlaufenden bei PEGIDA auch demokratische Grund­werte an. Parlamente, Wahlrecht — alles nichts wert, wenn nicht in ihrem Sinne entschieden wird. Presse, die nicht für sie ist — lügt. Minderheiten, die sich nicht an ihre Vorstellungen anpassen — gehören abgeschoben, bestraft, umerzogen. In dieser autoritär geprägten Gemengelage finden sich bei PEGIDA vom rassistischen Stammtisch, elitären Wohlstandsdeutschen, Verschwörungstheoretiker, rechten Fußballfans bis hin zu putinverliebten „Friedensbewegten“ alle zusammen.

Dass die VeranstalterInnen wissen, dass sie es mit einer unzufriedenen Masse zu tun haben, die der Demokratie in weiten Teilen ablehnend gegenübersteht und die den Schein des „Nicht-Rechts-Seins“ schnell torpedieren würde, zeigt sich schon daran, dass bereits seit der dritten Demonstration die Weisung herausgegeben wurde: „keine Parolen“, „keine Sprechchöre“ und „keine Gespräche mit der Presse“. Dass sich an dieses „Schweigegelübde“ gehalten wird, lässt sich damit erklären, dass die Redebeiträge eindeutig genug sind und die Ansprache an die Teilnehmenden nach dem Prinzip der Volksidentität funktioniert. Die Klammer von „Wir sind das Volk“ und die erfolgreiche Ins­ze­nierung einer gemeinsamen Erhebung lässt die Unterschiede und Unzufriedenheit unter den Teilnehmenden verschwinden, die nationale Identität funktioniert als Wohlfühlmetapher. Der nach außen vertretene Appell in Form des Grundsatzpapieres von PEGIDA bleibt dabei bloße Makulatur.

Vor der Spaltung war es PEGIDA gelungen, die vielen „Unzufriedenen“ einzusammeln und dabei sämtliche Brüche und Divergenzen der Teilnehmenden und der OrganisatorInnen unter der Wärmedecke der „deutschen Nation“ zusammenzufügen. Bis dahin führten weder Gewalt- und Redeverbot, noch Opportunismus oder langweilige Veranstaltungen, noch das Ausschlagen von Mitbestimmungsoptionen zu sinkenden Teil­nehmendenzahlen. Es muss aber angemerkt werden, dass das Ansteigen der Teilnehmendenzahl Ende Dezember 2014 auch eine bundesweite Anziehungskraft in der Neonaziszene sowie bei rechtspopulistischen Organisationen entfaltet hatte. Insbesondere im Dezember 2014 und Januar 2015 dominierten Neonazis und rechtsaffine junge Männer die „Spaziergänge“ und traten dort offen bedrohlich und gewaltaffin auf. Insofern können PEGIDA und auch der Leipziger Ableger LEGIDA in dieser Zeit als die bisher größten Neonazidemonstrationen der Bundesrepublik angesehen werden.

Dresden, immer wieder Dresden ...

Trotz der großspurigen Ankündigungen gelang PEGIDA bisher nirgendwo außerhalb von Dresden ein vergleichbarer Mobilisierungserfolg. Dies m­­ag daran liegen, dass sich in keiner anderen Region bisher VeranstalterInnen gefunden haben, die auch bei einem größeren Bevölkerungsteil als anknüpfungsfähig angesehen wurden. Vielfach treten einschlägig bekannte Neonazis auf, die gerade nicht das Image von Lutz Bachmann und Co. als „normale Bürger“ verkörpern können. Dies allein ist es jedoch nicht.

Sachsen mit seiner Landeshauptstadt Dresden bietet ein spezielles Gefilde, welches dem Gedeihen nationalistischer und rassistischer Strömungen nach wie vor einen guten Nährboden bietet. Erst im September 2014 flog die NPD nur knapp mit 4,9 % aus dem Landtag und die AfD schaffte mit 9,7 % den Einzug. In Anbetracht dessen überrascht PEGIDA nicht wirklich.

Rassistische Pogrome, revisionistische Geschichtsschreibung und rechte Gewalt stießen in Sachsen seit jeher auf wenig Widerstand. Vielmehr wird seit 25 Jahren nahezu ununterbrochen eine Politik des strammen Konservatismus zelebriert, in denen Abweichler_innen, insbesondere Linke zu (Staats-)Feinden erklärt werden, wohingegen (extrem) Rechten und RassistInnen — wie auch in der aktuellen Debatte — Verständnis entgegengebracht wird. Während die berühmt-berüchtigte „sächsische Justiz“ bis heute Verfahren in aller Härte gegen Blockierer_innen von Neonazi-Aufmärschen betreibt, erfolgten Einstellungen oder milde Strafen gegen militante Neonazi-Gruppierungen wie „Sturm 34“. Zivilgesellschaftliche Initiativen sehen sich immer wieder mit Mittelkürzungen konfrontiert. Der sächsische Innenminister Markus Ulbig überbietet sich mit Vorschlägen zur Verschärfung des Asylverfahrens während er gleichzeitig das Gespräch mit den PEGIDA-OrganisatorInnen sucht. Er agiert dabei nicht nur als Innenminister sondern auch als Wahlkämpfer, will er doch im Sommer 2015 Oberbürgermeister in Dresden werden.

Dass gerade die Landeshauptstadt zur Hochburg von PEGIDA werden konnte, liegt jedoch nicht nur am politischen Klima des Freistaats sondern auch an der Stadt selbst. Dresden bietet mit seiner restauriert-konservativ-barocken Stimmungslage erneut jenes gesellschaftspolitisches Gefilde, welches bereits die Neonazigroßaufmärsche zum 13. Februar ermöglichte. Als eine der letzten Großstädte noch von einer CDU-Oberbürgermeisterin regiert und seit der Wende Sitz der sächsischen CDU-Regierung, die meist allein oder mit deutlich kleineren Koalitionspartnern (SPD, FDP) auskam, verkörpert die Stadt seit jeher das Image der „heilen Welt“. Ein Kleinod, das aus Sicht einer Vielzahl ihrer Bewohner_innen immer nur dann gestört wurde, wenn es Interventionen von außen gab. In diese Geschichtsschreibung stellt sich PEGIDA, indem ein Zustand imaginiert wird, den es vorgeblich zu bewahren gilt. Denn „von Außen“ droht erneut Gefahr, diesmal in Form von „Islamisierung“ bzw. Auslän­der_innen generell. Der Grund für den Mobilisierungserfolg von PEGIDA ist also auch in der Identitäts- und Mythenbildung der Stadt zu suchen, die lange am Image der „unschuldigen Stadt“ hing, die nach wie vor eher die „randalierenden Linken“ als den größten Naziaufmarsch seit dem Nationalsozialismus (13. Februar) als Problem sieht. Eine Stadt, die bis heute nur wenig zu kritischer Reflexion, Offenheit und lebhafter Debatte in der Lage ist, wenn auch PEGIDA erstmalig eine breite Diskussion in der Bürgerschaft hervorgebracht hat.

Quo vadis PEGIDA?

Im Januar 2015 spaltete sich der OrganisatorInnenkreis von PEGIDA. Einerseits war der Frontmann Lutz Bachmann, nachdem von ihm Fotos mit Hitlerbärtchen und rassistische Beleidigungen aufgetaucht waren, nicht wirklich bereit von seiner Führungsrolle Abstand zu nehmen. Andererseits hatte sich Bachmann, entgegen der Auffassung des gemäßigteren Teils, öffentlich hinter den Leipziger Ableger gestellt. Zuvor hatte sich PEGIDA ausdrücklich von LEGIDA aufgrund deren Weigerung das Thesenpapier zu zeichnen sowie den Angriffen auf Journalist_innen distanziert. Nach einer Kampfabstimmung von fünf zu sechs Stimmen zogen sich die Unterlegenen um Kathrin Oertel und René Jahn zurück und gründeten die Bürgerbewegung „Direkte Demokratie für Europa“ (DDfE).

Dieses Zerwürfnis hat die Anziehungskraft von PEGIDA gebrochen. Das neue gemäßigte Bündnis ist (derzeit) zu unbestimmt und hat bereits angekündigt, zwar rechts von der CDU, aber dennoch nahe an der Partei sein zu wollen. Es dürfte damit jegliche Glaubwürdigkeit als Protestbewegung verloren haben. Nach zwei erfolglosen Kundgebungen mit zunächst 700 und dann nur noch weniger als hundert Teilnehmenden hat DDfE bereits angekündigt nicht mehr demonstrieren zu wollen.

Es bleibt abzuwarten, ob es Bachmann trotz seines nunmehr offen zu Tage getretenen rechten Images gelingt, (erneut) jene RassistInnen und Unzufriedenen einzusammeln, die sich selbst in der „Mitte“ verorten — auch wenn sie es nicht sind. Dass PEGIDA zumindest regional weiter Bestand haben wird, zeigen die Teilnehmendenzahlen der beiden Demonstrationen nach der Spaltung — während am 9. Februar 2015 „nur“ 2.000 DemonstrantInnen dem Ruf Bachmanns folgten, waren es eine Woche später bereits wieder 4.300. Und das, obwohl in Leipzig sowie in Chemnitz zeitgleich „GIDA“ Veranstaltungen stattfanden. Offensichtlich ist, dass PEGIDA weiter nach rechts steuert. So sprachen auf der Kundgebung nach der Spaltung der rechte Verleger Götz Kubitschek und die frühere Hamburger AfD-Politikerin Tatjana Festerling. Bachmann selbst rechtfertigte seine Beleidigungen von Asylbewerber_innen als „Gelumpe“ und „Dreckspack“ mit der Aussage „dass jeder, wirklich jeder von uns sie schon einmal am Stammtisch benutzt hat".

Chance und Gefahr zugleich

Insbesondere aus Richtung der Konservativen scheint es, dass die Debatte zunehmend dazu genutzt wird — unter Verweis auf eine vermeintlich starke rechte „Bürgerbewegung“ — Verschärfungen im Asylrecht durchzusetzen. Durch die Gesellschaft geht eine Spaltung, die sich in der Haltung zur Frage von Einwanderung und des Umgangs mit Geflüchteten manifestiert. Einerseits erhalten PEGIDA oder die AfD großen Zulauf, andererseits etabliert sich bundesweit eine bisher auch in ihrer Breite ungekannte Bewegung zur Unterstützung von Geflüchteten sowie eines Standpunktes von „mehr Einwanderung und Schutz“. Sind die Gründe im Einzelnen auch höchst unterschiedlich, so zeigt sich, dass in dieser Frage eine weitreichende Politisierung eingetreten ist. Die Situation derzeit ist aus Sicht einer linken Bewegung also Gefahr und Chance zugleich. 

  • 1. Am 05.01.2015 drangen 15 Personen der „Identitären Bewegung“ vor der PEGIDA Demonstration in den Sächsischen Landtag ein, posierten vor und in dem Gebäude mit einschlägigen Transparenten für Fotos und solidarisierten sich mit PEGIDA. 
  • 2. Namentlich in Erscheinung getreten sind für das ursprüngliche PEGIDA Orga-Team Lutz Bachmann, Rene Jahn, Siegfried Däbritz, Tom Balazs, Kathrin Oertel, Frank Ingo Friedmann, Thomas Hiemann und Thomas Tallacker.
  • 3. http://www.sz-online.de/nachrichten/ cdu-stadtrat-hetzt-im-internet-gegen-auslaender-2635808.html