Logistik - Leidbranche der Globalisierung

Themenschwerpunkteditorial iz3w 349 (Juli/August 2015)

Ein Nachtrag zum WM-Jahr 2014: Deutschland ist nun auch Logistikweltmeister! Die Weltbank kürte das Land zum leistungsfähigsten Logistikstandort. Ausschlag gab die hervorragende Handels- und Transportinfrastruktur. Im Gegensatz zum Fußball-WM-Titel nahm kaum jemand davon Notiz.

Denn Logistik ist eine unauffällige Sparte. Sie erregt höchstens Aufsehen, wenn sie einmal nicht funktioniert. Die Branche ist von keinerlei Glanz umgeben, man siedelt sie in funktionalen Hallen nahe der Autobahnauffahrt an. Das Image der Branche ist, sagen wir, mittelmäßig. »Import-Export« gilt nicht als Synonym für Seriosität. Das gängige Jobprofil ist von Niedriglohn geprägt oder vom mit dem Schlaf kämpfenden LKW-Fahrer. Auch sonst ist sie fast ein Schmuddelsektor: Sie steht für hohen CO2-Ausstoß zu Luft, Wasser und Land oder für unsinnigen Flächenverbrauch mit ihren eingeschossigen Lagerstätten.

Und sie steht für den Irrsinn der internationalisierten Profitwirtschaft. Das Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie zeigte dies anhand des berühmt-berüchtigten Stuttgarter Erdbeerjoghurts auf. In einer Studie erklärte das Institut, dass dem scheinbar regionalen Produkt weite Wege zugrunde liegen: Erdbeeren kommen aus Polen, Joghurtkulturen aus Norddeutschland, Leim aus Holland, usw. In der Summe brachte es das Joghurtglas auf 9.115 Kilometer. Gängiges Zwischenfazit: Logistik ist böse.

Trotzdem haben Produkte »aus der Region« nicht automatisch die bessere Klimabilanz. Es kommt unter anderem auf die Logistikkette an. Das stellt das Wuppertal Institut ebenfalls klar. Ein weit gereistes Produkt, das eine effiziente Logistikkette durchlaufen hat, hat zumeist eine bessere Ökobilanz als Gemüse, das die StädterInnen per Auto aus dem Hofladen im Umland nach Hause chauffieren.

Also muss man etwas genauer hinsehen. Logistik ist ein relevanter Faktor beim Klimawandel. »Grüne Logistik« und die Vermeidung unsinniger Transporte ist daher klimapolitisch hoch relevant. Genauso unzweifelhaft verbessert die Logistik seit der industriellen Revolution die Lebensverhältnisse. Nahrung und andere Produkte können besser und billiger hergestellt und verteilt werden.

Die Logistik ist heute das Kreislaufsystem der Globalisierung. Ihre Arbeitswelt ist häufig selbst globalisiert, die Besatzungen von Containerschiffen sind meist transnational. Sie sind ein Versuchslabor der Arbeitswelt von morgen – leider auch in Bezug auf die Prekarität der Arbeitsbedingungen. Festanstellungen sind selten, Fälle gänzlich ausbleibender Bezahlung auf Frachtschiffen nicht. Und wenn heute bei Tarifverhandlungen wie etwa bei Amazon gestritten wird, ob die Beschäftigten nach dem Logistik- oder dem Einzelhandelstarif eingestuft werden, so sind die Konditionen in der Logistik garantiert die schlechteren.

Bedeutsam ist die unscheinbare Branche also auch als Arbeitgeber. Sie wächst überdurchschnittlich schnell, aufgrund des derzeitigen Wachstums im Welthandel von jährlich drei Prozent, aufgrund der Internationalisierung und zunehmenden Komplexität der Produktion, aufgrund des anhaltenden Trends zum Outsourcing im produzierenden Gewerbe und nicht zuletzt aufgrund des E-Commerce, dessen Produkte ohne ausgefeilte Transportlogistik nie an die KundInnen kämen. In Deutschland umfasst die Branche etwa 2,8 Millionen Beschäftigte und macht einen Umsatz von 230 Milliarden Euro. Sie ist hierzulande der drittgrößte Wirtschaftsbereich (wenn auch Logistikbereiche innerhalb von Industrie und Handel berücksichtigt werden).

Die Entwicklung der Branche spiegelt auch ein sich veränderndes Verhältnis der Weltregionen. Der chinesische Onlinehandelsriese Alibaba, der 2014 in New York einen Weltmeister-Börseneinstieg hinlegte, überholt den US-Riesen Amazon sowohl beim Umsatz als auch beim Gewinn. Die zehn größten Containerhäfen der Welt liegen fast allesamt in Asien. Dort kann man anhand der wachsenden Hafenkilometer beobachten, in welchen Regionen die Weltwirtschaft boomt. Die weltweit größten Häfen, Singapur und Shanghai, fertigen jeweils um die 30 Millionen Container im Jahr ab.

Logistik ist mehr als das Ausliefern von Gütern. Sie ist integraler Bestandteil aller fortgeschrittenen Produktion. In der Lagerhaltung sind Roboter am Werk, genauso wie in der Produktion von Elektrogeräten. Beide Bereiche vernetzen sich informationstechnisch. Sie fließen sowohl innerbetrieblich wie auch branchen- und länderübergreifend ineinander. Angesichts einer globalisierten Produktion einerseits und genau getakteten Produktionsketten bei schlanker Lagerhaltung andererseits muss die Zulieferung hochintelligent sein und auch die Produktionsprozesse selbst mitdenken. Dabei kann nicht »alle Welt« mithalten.

Und wie soll man sich angesichts solcher Herausforderungen noch ums Klima oder um faire Löhne kümmern? Bei solch wichtigen Aufgaben ist die Logistikwelt keineswegs weltmeisterlich, findet

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