Auf dem Weg zur Weltwohngemeinschaft

Wolfgang Schaumberg zur Vernetzung von Aktiven in Deutschland und China

Da braucht man schon einen langen Atem: Das »Forum Arbeitswelten – China und Deutschland« will »Handlungsräume für grenzüberschreitende Basiskontakte und solidarische Zusammenarbeit zwischen sich für soziale Gerechtigkeit einsetzenden Individuen, Gruppen und Organisationen ermöglichen und fördern, um Erfahrungen auszutauschen, alternative Zukunftsvorstellungen zu entwickeln, Veränderungsprozesse im globalen Zusammenhang einzuleiten.« (Siehe: www.forumarbeitswelten.de) Seit zehn Jahren haben wir nun viele Erfahrungen bei unseren Gruppenbesuchen in China, in Fabriken, bei NGOs und Workers Centres, an Unis und bei Gewerkschaftstreffen gesammelt, ebenso bei den von uns organisierten Besuchen und Rundreisen von KollegInnen aus China in Deutschland. Für unsere weitere Arbeit, insbesondere für unser jüngstes Projekt, Aktive aus deutschen Belegschaften, deren Unternehmen auch Betriebe in China haben, mit dortigen Belegschaften desselben Unternehmens in Verbindung zu bringen, sind die aktuellen Entwicklungen in Bezug auf neue Erfolgschancen und -hindernisse genauer in den Blick zu nehmen.

 

Vernetzungschancen in China…

Streiks und Protestaktionen nehmen in China zu wie in keinem anderen Land. »Chinas Fa­brikarbeiter werden rebellischer«, konstatiert die Soziologin Anita Chan und zitiert eine Hongkonger NGO, die von Polizeieinsätzen gegen elf Streiks allein im ersten Vierteljahr 2015 berichtet.1 In der südöstlichen Indus­trieprovinz Guandong ist laut Chan eine Transformation der Widerstandsaktionen besonders unter den offiziell 274 Mio. WanderarbeiterInnen – das entspricht rund 60 Prozent der LohnarbeiterInnen in China – festzustellen: Deren Forderungen gehen nach Chan mittlerweile deutlich über das Einklagen des Mindestlohns hinaus. Bei den KollegInnen, die inzwischen überwiegend um die 40 Jahre alt sind und zumeist nicht wieder aufs Land zurückkehren wollen, geht es oft um die Einhaltung ihrer Renten- und Sozialversicherungszusagen. Immer öfter aber verlangen sie auch eine demokratische Wahl ihrer Belegschafts- und Gewerkschaftsvertreter.

Im Oktober 2010 – kurze Zeit nach dem Honda-Streik – konnte ich in der südchinesischen Millionenstadt Guangzhou an einer Debatte von Gewerkschaftsvertretern des ACFTU (der Dachverband hat offiziell 284 Millionen Mitglieder) und von einigen KollegInnen, ProfessorInnen und Studierenden teilnehmen, wo folgende Forderungen diskutiert wurden:

  • Statt der Gewerkschaft soll künftig die Regierung bei Belegschaftsaktionen die Vermittlerrolle spielen. Die Gewerkschaft habe vielmehr eindeutig auf der Seite der Mitglieder zu stehen. Die Zeit der »Drei NOs« bei Streiks – no promotion (kein Anstoßen von Aktionen), no support (keine Unterstützung), no responsibility (keine Verantwortung)« – sei vorüber.

  • Die ArbeiterInnen müssten ihre Repräsentanten selbst wählen können, die Gewerkschaft sei »von unten« aufzubauen. Gewerkschaftsvertreter sollen nicht mehr Mitglieder des Managements sein. Besonders diese Forderung, so wurde berichtet, habe in der Gewerkschaftsbürokratie härtesten Widerspruch provoziert – verständlich bei einer Unzahl von Funktionären in Managerpositionen mit entsprechenden Gehältern.

  • Für die Reform sind neue gesetzliche Regelungen erforderlich. Im Entwurf des Guandonger Volkskongresses wurde verlangt, dass die Gewerkschaft Belegschaftsversammlungen für die Wahl von Delegierten zu organisieren hat. Diese könnten dann – auch durch Streiks! – Verhandlungen (allerdings zunächst nur innerhalb der Firma) für einen Tarifvertrag erzwingen, wenn ein Fünftel der Belegschaft sich auf Forderungen geeinigt hat.

 

Bei uns seit Langem aus der Mode geratene wissenschaftliche Untersuchungen in Fabriken bestätigen diese spannenden Entwicklungen:

Florian Butollo2 weist in seiner detaillierten Untersuchung im Pearl River Delta nach, dass chinesische Unternehmen zwar immer mehr höher qualifizierte und besser bezahlte Leute beschäftigen. Doch ist diese Tendenz mit einer neuen internen Aufgabenteilung verbunden, die wenig anspruchsvolle und schlecht bezahlte Tätigkeiten den WanderarbeiterInnen zuordnet, die nach wie vor in den meisten der untersuchten Betriebe die Mehrheit bilden (S. 24). Es gibt, dafür lässt sich Butollos Studie als Beleg lesen, eben keinen Automatismus zwischen technologischem Fortschritt und sozialer Verbesserung für die Mehrheit der Beschäftigten (S. 359).

Lu Zhang hat in einer auf jahrelanger Forschungsarbeit und zahlreichen Interviews in sieben Autofabriken beruhenden Studie zu den Ursachen steigender Unzufriedenheit und Proteste die Bewusstseinsentwicklung von Automobilbeschäftigten untersucht und dies mit der Frage verbunden, was das revolutionäre Erbe und die Erfahrungen ihrer Väter für die AutomobilarbeiterInnen noch bedeuten.3 Sie kommt in ihrer von der American Sociological Association ausgezeichneten Arbeit zu dem Ergebnis: Die massiven Auslandsinvestitionen in China besonders in der Autoindustrie während der letzten zwei Jahrzehnte haben eine neue Generation von AutomobilarbeiterInnen mit wachsender Verhandlungsmacht am Arbeitsplatz geschaffen. Chinas Eintritt in die globale Konkurrenz der Massenproduktion hat zu schärferen »lean and mean production«-Maßnahmen geführt. Trotz höherer Löhne häufen sich daher, so Zhang, Klagen über steigende Stressbelastung, weniger Job-Sicherheit, Managerwillkür, Mangel an Aufstiegschancen und die untergeordnete Position der »blue-collar-workers« in der Firmenhierarchie. Profitdruck einerseits sowie der noch aus der Tradition begründete staatliche Druck zu mehr Anerkennung der Arbeitenden und zu friedlicher Zusammenarbeit im Betrieb andererseits haben die Manager der großen Autounternehmen offenbar zu einer Politik des »labor force dualism«, also zu der Strategie der Herstellung einer Zweiklassengesellschaft im Betrieb angetrieben: Mit dem massenhaften Einsatz von ZeitarbeiterInnen werden Kernbelegschaftsangehörige unter Druck gesetzt und beide Gruppen gegeneinander ausgespielt. (Vgl. S. 12f.) Beide Belegschaftsgruppen aber zeigen, so Zhang, ein wachsendes Bewusstsein ihrer Lage und haben Protestak­tionen für ihre Interessen durchgeführt. (Vgl. S. 183) Das paradoxe Ergebnis der Herstellung einer Zwei-Klassen-Gesellschaft im Betrieb formuliert sie so: »Mit anderen Worten, Chinas ArbeiterInnen verhandeln tatsächlich ohne Gewerkschaften – sie nutzen den legitimatorischen Hebel über den Staat, um ihren Unternehmen Konzessionen abzuringen.« (S. 187; Übers. d. Red.; an dieser Stelle sei auch die Sondernummer der Zeitschrift Lunapark 21 empfohlen, in der Winfried Wolf einen sehr guten Überblick über Chinas Autoindustrie und die Autogesellschaft China bietet, s. Nr. 10/2015, S. 38ff.)

Alle diese Entwicklungen lassen den Schluss zu, dass es den Unternehmern in China, auch in den größeren Betrieben und Joint Ventures, nicht so leicht gelingt, ihre Belegschaften tatsächlich zu einer Betriebsgemeinschaft zu formieren, also die gewünschte Corporate Identity zu schaffen. Viele KollegInnen werden daher an der sozialen Lage und Entwicklung in Deutschland und den hiesigen Kampferfahrungen heute eher noch interessierter sein, als wir das bei unseren Besuchen dort in den letzten zehn Jahren immer wieder erfahren haben.

Hoffnungen auf zukünftig bessere Möglichkeiten der Zusammenarbeit lassen sich auch an einige allgemeinere Entwicklungen knüpfen:

Die globale Krisenentwicklung erzwingt überall grundsätzliche Fragen zum Wirtschafts- und Gesellschaftssystem. Zudem wird – wie in Deutschland, so auch in China – offiziell zugegeben, dass die Schere zwischen Arm und Reich weiter auseinander geht. Und auch in China nimmt die öffentliche Debatte über die Tatsache zu, dass Konsumwünsche oft an eine Idee von Wachstum mit gefährlichen Schäden für Gesundheit und Umwelt gebunden sind (Atomkraft, Autoverkehr etc.)

Für den Austausch von Erfahrungen und Ideen gibt es auch darüber hinaus eine Reihe von Ansatzpunkten in den neueren Entwicklungen: Manager in größeren Fabriken hier wie in China verlangen Englischkenntnisse. In China wie in Deutschland lernen alle Kinder Englisch von der Grundschule an. Alle Kinder in China lernen außer ihren Schriftzeichen mittlerweile auch die lateinische Schrift zu lesen und zu schreiben, unabdingbar für die Benutzung von Handy und PC. Und nicht zuletzt bietet auch das Internet neue Chancen massenhafter internationaler Verständigung.

Allerdings sind bei unseren Vernetzungsbemühungen auch neue und alte Hindernisse zu berücksichtigen: In China nimmt die Unterdrückung sozialer Bewegungen und Kämpfe ebenso wie individueller Kritikaktionen drastisch zu. Für Projekte internationaler Zusammenarbeit ist besonders die wachsende Kontrolle und Repression von NGOs zu einem zunehmend verunsichernden Faktor geworden. So listet etwa die Resolution der Hongkonger HKCTU-Gewerkschaft vom 4. Juni 2015 jüngste staatliche Unterdrückungsmaßnahmen auf und fordert die Freilassung von inhaftierten AktivistInnen sowie die Einhaltung gesetzlicher Schutzbestimmungen.4

Skepsis ist auch bei den Forderungen nach Gewerkschaftsreformen angebracht. Bei einer Debatte, an der ich 2010 teilnehmen konnte, wurde seitens der Gewerkschaftsvertreter eindringlich festgehalten, dass die führende Rolle der Partei auch in der Gewerkschaft nicht anzutasten ist. Die widersprüchliche Ausrichtung der Reformvorstellungen wurde insbesondere bei der Forderung nach »kollektiven Verhandlungen« deutlich: Unklar sei die Frage, wie die Beschäftigten zu ihren Forderungen kommen sollen, welchen »Spielraum« sie angesichts der wirtschaftlichen Lage »ihres« Betriebes einzukalkulieren hätten. Hier wurde die Erwartung deutlich, dass die Beschäftigten »beide Seiten« – die Lage des Unternehmens sowie ihre eigene – beim Kampf um ihre Forderungen in Deckung bringen sollen. Das Ziel harmonischer Arbeitsbeziehungen sei nicht infrage zu stellen. Hoffnungen auf eine Gewerkschaftsreform mit Machtzuwachs für die Beschäftigten waren auch bei allen unseren Begegnungen in China kaum zu spüren.

Noch beängstigender ist jedoch die allgegenwärtige Nationalismus-Propaganda des chinesischen »Wir«, der »National Identity«. Xi Jingping, seit 2012 Staatspräsident und Generalsekretär der KPCh, hat die »Nation« zum ersten Programmpunkt erhoben: »Die Verwirklichung der Renaissance der großen chinesischen Nation ist der größte Traum der chinesischen Nation seit der Neuzeit«, und: »Dieser Traum ist ein Großmachttraum.«5 Tagtäglich wird dieser »Chinesische Traum« gepredigt. Dem widersprechen zwar die Alltagserfahrungen der Lohnabhängigen, doch inwieweit die Propaganda der Tradition Chinas und der Rückkehr zur Großmacht dennoch wirksam ist, ist zurzeit schwer einzuschätzen.

 

... und hier?

Ähnlich wie in den Vorjahren erhielten Zehntausende von (fest) Beschäftigten in der deutschen Autoindustrie im Frühjahr wieder satte Gewinnbeteiligungsprämien: bei Porsche 8600 Euro, BMW zahlte 8365 Euro, Audi 6 540 Euro, VW 5900 Euro und Daimler 4350 Euro – sicher ein wirksames Bindemittel an »ihren« Betrieb.

Nicht zu unterschätzen: Diese Bindung an den »eigenen« Betrieb – die Corporate Identity wird nach wie vor vom Management mit der überall verbreiteten »Wir«-Sprache angestrebt. Dem entspricht aber auch die gewerkschaftsoffizielle Propaganda, gut nachweisbar bei der mit 2,27 Mio. Mitgliedern größten deutschen Gewerkschaft, der IG Metall, wenn z.B. der neue Vorsitzende Jörg Hofmann, noch in seiner Rolle als zweiter Vorsitzender und designierter Nachfolger Detlef Wetzels kürzlich erklärte: »Viele Betriebsräte kennen die Schwachstellen und wissen, wohin sich ihr Unternehmen entwickeln kann. Sie müssen ihre Ideen und Forderungen einbringen«, so zu lesen in der Mitgliederzeitung metall, Nr. 6/2015, S. 21 – mit einer Auflage von immerhin 2,2 Mio. Exemplaren. Oder wenn Co-Manager im Betriebsrat predigen »Klar ist: Nur wenn es dem Unternehmen gut geht, geht es der Belegschaft gut«, so VW-BR-Boss Osterloh im Interview in der Süddeutschen Zeitung vom 3. März 2014.

Die KollegInnen sind seit Langem gewöhnt an Kompromisse, die durch Verhandlungen ihrer Stellvertreter, von ExpertInnen aus Kreisen der Betriebsrats- und Gewerkschaftsführungen zustande kommen. Mehrheitlich teilt man die unablässig – auch in den Gewerkschaftsorganen – gepredigte Auffassung, dass die Wettbewerbsfähigkeit des »eigenen« Unternehmens nicht gefährdet werden darf.

Zu berücksichtigen ist außerdem die tagtäglich in allen Medien verbreitete Hoffnung auf »die deutsche Wirtschaft«, das deutsche »Wir«. Dem betrieblichen Co-Management entspricht auf nationaler Ebene der Korporatismus der Gewerkschaftsführung: »Die IG Metall kann und will weiterhin zum Erfolg der deutschen Wirtschaft beitragen. Dass uns das gelingt, darauf ist Verlass«, so Detlef Wetzel in der metall (Nr. 2/2015, S. 7) Auch hier wird auf National Identity hin orientiert, bestärkt durch das ohnehin schon verbreitete Gefühl, bei den Krisenentwicklungen im Vergleich zu den Lohnabhängigen der anderen Länder in Europa und darüber hinaus gut davongekommen zu sein.

Andererseits ist festzuhalten, dass die berufliche Zukunft und die soziale Absicherung zumeist eher skeptisch beurteilt werden. Selbst die relativ privilegierten AutomobilarbeiterInnen sehen immer mehr ZeitarbeitnehmerInnen und WerksvertragskollegInnen in ihren Arbeitsbereichen, was u.a. der Kampf der Bremer Daimler-Belegschaft (samt 760 Abmahnungen) deutlich macht. Überall da, wo KollegInnen von Werksschließungen bedroht sind, wird diskutiert, dass und was mit »Hartz IV« auf sie zukommt Selbst hierzulande bekommen die Menschen mit, welche Unsicherheiten mit der Krisenentwicklung verbunden sind und welche Folgen die Armutsentwicklung hat, auch wenn bei vielen der resignative Rückzug hinter die Position »unsereiner kann ja eh nichts daran ändern« vorherrscht.

 

Eine »Andere Welt«?

Für die internationale Solidarisierung gibt es bei allen Schwierigkeiten sowohl hier wie in China also Erfahrungen, an die wir anknüpfen können. Das »Forum Arbeitswelten« sieht sich dabei allerdings noch ziemlich allein auf weiter Flur.

Von linken Betriebsgruppen sind Debatten über China nur spärlich in ihre Belegschaften gebracht worden. Insbesondere Betriebsratsmitglieder hätten eigentlich nach dem Betriebsverfassungsgesetz gute Möglichkeiten, sich über die Lage der Beschäftigten in China zu informieren und die notwendige Zusammenarbeit in ihren Belegschaften zu propagieren, besonders dann, wenn ihr Unternehmen in China aktiv ist, Leute dorthin entsendet oder chinesische Beschäftigte zum Anlernen nach Deutschland einlädt, was angesichts von über 5000 in China tätigen deutschen Unternehmen durchaus häufig der Fall ist.

Unter den sich als »Linke« definierenden Gruppierungen und Einzelpersonen finden sich nur wenige, etwa im Spektrum der Zeitschrift »wildcat« oder unter den fünf Trägerorganisationen des »Forum Arbeitswelten« (express, Labournet Germany, T.I.E., Südwind, WOEK), die kontinuierlich versuchen, den Blick auf die Entwicklung in China zu lenken, die Zusammenarbeit voranzubringen und dabei die Zukunftsperspektive einer »anderen Welt« zu diskutieren

Und wie sieht es mit der offiziellen Gewerkschaftspolitik aus? Schritte zum Zusammenschluss mit Lohnabhängigen in China sind bisher auf wenige Funktionärsreisen und -konferenzen begrenzt, obwohl der DGB als wichtiges Mitglied im Internationalen Gewerkschaftsbund (ITUC) mit seinen weltweit 180 Mio. Organisierten doch gute Möglichkeiten hätte, den Erfahrungsaustausch mit Lohnabhängigen in China zu fördern. Doch DGB wie auch IG Metall haben ihre internationalen Ziele auf folgende Forderungen konzentriert: »Decent work« als berechtigte Reformforderung nach humaner gestalteten Arbeitsplätzen bleibt ideologisch-politisch dabei mit dem unhinterfragten Festhalten an Lohnarbeit verzahnt, »Codes of Conduct«, also »Verhaltensrichtlinien« als berechtigte Forderung an die Multinationalen Konzerne bleiben an die Illusion von »fairem Wettbewerb« gebunden, und die ebenso berechtigte Forderung der Beschäftigten nach demokratischer Mitwirkung wird auf die »Einrichtung von Euro- und Welt-Betriebsräten« zugespitzt im Sinne einer Hoffnung auf beidseitig erträgliche und dauerhafte Regulierung des Widerspruchs zwischen Kapital und Arbeit, womit statt wirklicher Massendemokratie eben auch die Macht der Gewerkschaftsbürokraten unangetastet bleibt.

In China ist eine Unzahl von NGOs mit Solidarisierungsarbeit aktiv, oft finanziert von ausländischen Geldgebern und Stiftungen. Diese besonders kritisch unter die Lupe zu nehmen, fordert David Harvey in seinem letzten Buch: »Der bürgerliche und liberale Humanismus bildet nur eine verschwommene ethische Basis für das weitgehend folgenlose Moralisieren über den traurigen Zustand der Welt und für das ebenso folgenlose Pläneschmieden zur Bekämpfung von Armut und Umweltverschmutzung. (…) Ich halte es für unbedingt notwendig, dass ein säkularer revolutionärer Humanismus formuliert wird …, um die Welt aus den Fängen des Kapitalismus zu befreien.«6

»Corporate Identity« zu bekämpfen und »National Identity« als ausweglose und nur die Macht der Herrschenden stabilisierende Ideologie theoretisch ebenso wie praktisch zu kritisieren ist bei dem Versuch internationaler Basisvernetzung unabdingbar. »Working Class Identity« im weitesten Sinne, nämlich aller Lohnabhängigen und vom kapitalistischen System in Ohnmacht gehaltenen Menschen, bleibt die eigentliche und schwierige Aufgabe, die bei jedem kleinen Schritt von Solidarisierung mit zu bedenken ist, mit dem Ziel einer »anderen Welt«, einer Weltwohngemeinschaft – die allerdings ebenso wenig konfliktfrei bleiben wird wie jede kleine Wohngemeinschaft hier.

 

* Wolfgang Schaumberg war 30 Jahre lang Arbeiter bei Opel Bochum, lange Zeit Betriebsrat, Mitglied der Opel-Betriebsgruppe GoG und arbeitet im Projekt «Forum Arbeitswelten – China und Deutschland« (www.forumarbeitswelten.de) mit, das einen regelmäßigen Austausch mit KollegInnen, Aktiven und ForscherInnen aus China herstellt.

 

Zur Frage, wie Vorstellungen einer anderen Produktionsweise aus den Alltagserfahrungen moderner Produktion zur Diskussion gebracht werden können, siehe Wolfgang Schaumberg: »Eine andere Welt ist vorstellbar? Schritte zur konkreten Vision«, online unter: www.labournet.de; als Broschüre in der Reihe »Ränkeschmiede«, Nr. 16 erschienen und bei express-afp@online.de erhältlich

 

Anmerkungen:

1) Anita Chan: »China’s Factory Workers Are Becoming More Restive«, Artikel für Yale Global vom 21. Mai 2015, online unter: http://yaleglobal.yale.edu

2) Florian Butollo: »The End of Cheap Labour? Industrial Transformation and ›Social Upgrading‹ in China«, Frankfurt a.M. 2014

3) Lu Zhang: »Inside China‘s Automobile Factories. The Politics of Labor and Worker Resistance«, Cambridge university press 2015, siehe auch die Besprechungen und Bestellmöglichkeiten unter: http://admin.cambridge.org

4) Erklärung der Hong Kong Konfederation of Trade Unions vom 4. Juni 2015, online unter: http://en.hkctu.org.hk

5) Zitiert bei Helmut Peters: »China: ›Nationaler Wohlfahrtssozialismus?‹«, in: Sozialismus, Nr. 5/2015, S. 23

6) David Harvey: »Siebzehn Widersprüche und das Ende des Kapitalismus«, Berlin 2015, S. 333f.