„Wir müssen uns auf einen sehr langen Kampf einstellen.“

Interview mit Anne Roth über Erfahrungen aus dem NSA-Untersuchungsausschuss

prager frühling (pf): Anne, Du warst persönlich im Visier von Überwachungsorganen, nun arbeitest als Referentin für die Linksfraktion im NSU-Untersuchungsausschuss an deren Kontrolle und Aufarbeitung. Wie sicher fühlst Du Dich eigentlich?

Das hängt ein bisschen von meiner Tagesform ab. Sicher vor Überwachung fühle ich mich nicht. Ich glaube, das kann inzwischen niemand mehr, der oder die das Internet benutzt. Und seit Snowden wissen wir: Wer sich konsequent schützt, fällt besonders auf. Wir können bloß wählen, weswegen wir in die Schleppnetze von Staaten und Firmen geraten.

Konkrete Anhaltspunkte habe ich keine, aber es wäre naiv zu glauben, dass die Geheimdienste, um die es im Untersuchungsausschuss geht, sich nicht für alle interessieren, die mit dem Ausschuss zu tun haben. Seit Beginn des Untersuchungsausschusses vor zwei Jahren werden viele Informationen an die Öffentlichkeit geleakt, und seit dem Landesverrats-Verfahren gegen netzpolitik.org wissen wir ja aus den Äußerungen von Verfassungsschutzpräsident Maaßen, dass bei vermutetem Geheimnisverrat immer Ermittlungsverfahren eingeleitet werden. Es ist nicht weit hergeholt, dass davon alle betroffen sind, die über den Untersuchungsausschuss Zugang zu geheimen Dokumenten haben. Damit ginge dann auch eine Überwachung einher.

Und schließlich benutze ich Computer, Internet, Smartphone: da ist das Tracking, also die ‚Nachverfolgung‘ der Nutzer_innen schon fast überall integriert.

pf: Im Rahmen des Untersuchungsausschusses bekommt Ihr einen tiefen Einblick in das Funktionieren oder Nichtfunktionieren von Nachrichtendiensten, in ihre Kommunikation untereinander, aber auch in Verwaltungsabläufe. Sind Geheimdienste eigentlich zu irgendwas gut? Und: wie viel Peinlichkeit tritt zu Tage?

Ob die Dienste zu irgendwas gut sind, lässt sich schwer sagen. Sie behaupten ja gern, ständig Anschläge zu verhindern, aber im Detail könne leider nicht darüber geredet werden. Und die wenigen, die etwa in den parlamentarischen Kontrollgremien ein bisschen darüber erfahren, dürfen nicht darüber reden. Dienste und Regierung fordern einen enormen Vertrauensvorschuss, aber zahllose Affären des BND, der NSU-Skandal und die Snowden-Enthüllungen, geben für Vertrauen überhaupt keinen Anlass.

Peinlichkeiten gibt es dafür jede Menge, kleine und große. Am bekanntesten ist wohl die Überwachung durch den BND in Deutschland, im Auftrag der NSA. Noch peinlicher wohl die Versuche der Bundesregierung, den Skandal auch noch kleinzureden. Das Ausmaß an „Gehen Sie weiter, hier gibt es nichts zu sehen“ hat mich persönlich bei aller sowieso kritischen Haltung der Bundesregierung gegenüber schon überrascht.

Dann etwa die durchsichtigen Ausweichmanöver bei der Frage, ob Deutschland Edward Snowden Schutz bieten könnte, oder müsste, wenn er denn herkommen wollte (und könnte). Wir versuchen seit jetzt zwei Jahren, den Untersuchungsausschuss dazu zu bewegen, den eigenen Beschluss umzusetzen, Snowden als Zeugen zu laden. Union und SPD machen im Ausschuss extreme Verrenkungen, um die nötigen Beschlüsse zu verhindern, während sie sich fünf Minuten später vor die Mikros stellen und erklären, dass sie nichts lieber wollen, als alles aufzuklären. Das Justizministerium weiß bis heute nicht, ob es der Meinung ist, dass Deutschland eigentlich verpflichtet wäre, ihm als politisch Verfolgten Asyl zu gewähren. Kürzlich haben sie, nachdem wir mal wieder nachgefragt haben, eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die das feststellen soll. Soweit ich weiß, erarbeiten die derzeit einen Fragenkatalog, den sie der US-Regierung unterbreiten wollen.

Der BND hat gemeinsam mit dem Kanzleramt wirre Theorien entwickelt. Die Weltraumtheorie etwa besagt, dass Kommunikationsdaten, die per Satellit von A nach B transportiert werden und vom BND in Bad Aibling erfasst, gespeichert und ausgewertet werden, nicht in Deutschland, sondern im Weltraum erfasst werden: am Satelliten nämlich. Für den BND hat das den ungeheuren Vorteil, dass dann bestimmte – für den BND sowieso minimale – Datenschutzregeln nicht gelten, weil das Ganze eben nicht in Deutschland stattfinde. Wie gesagt: die Empfangs-Antennen stehen in Bayern.

Ich könnte jetzt noch ein Dutzend Beispiele aufzählen. Häufig keine ganz großen Skandale, aber in der Masse wirklich enorm.

pf: Früher galt es in der Geheimdienstwelt klar zwischen vermeintlichen Freunden und Feinden zu unterscheiden. Seit dem Bekanntwerden der NSA-Spionagepraxis und der BND-Selektorenlisten ist diese Unterscheidung wohl obsolet geworden. Hat sich hier ein System vollkommen von seinem ursprünglichen Zweck verabschiedet und füttert sich selbst? Anders gefragt: heißt die Konfliktlinie heute nicht mehr West gegen Ost sondern Geheimdienstwelt gegen die mehr oder weniger offenen Gesellschaften?

Auch während des Kalten Krieges haben die Dienste auf beiden Seiten die jeweils eigene Bevölkerung im Auge gehabt, von offenen Gesellschaften lässt sich in der Hinsicht also auch nicht unbedingt reden, auch wenn mir klar ist, dass es weltweit viele deutlich repressivere Gesellschaften gab und gibt als das Westeuropa der Vorwendezeit oder Gesamtdeutschland heute.

Die Entwicklungen nach 1989/90 haben auch die Dienste nicht unberührt gelassen. Es wäre mir zu verschwörungstheoretisch davon auszugehen, dass die Geheimdienste dann neue Bedrohungen aufgebaut haben, aber das neue Feindbild Islam, die Kriege im Nahen und Mittleren Osten und das Anwachsen des islamistischen Terrorismus haben ihnen jedenfalls reichlich neue Beschäftigung gegeben. Dazu kam das Internet und die enormen Möglichkeiten der Überwachung digitaler Kommunikation. Seit Snowden wissen wir — einige ahnten es und fühlten sich vielleicht manchmal bloß paranoid — dass die Möglichkeit der Massenüberwachung viele Begehrlichkeiten geweckt haben und die Regierungen der vermeintlich offenen Gesellschaften sich dem jedenfalls nicht in den Weg gestellt haben.

Die repressiven Regime nutzen die Möglichkeiten noch viel hemmungsloser, häufig unterstützt durch Software aus dem Westen, die hier (noch) verboten wäre.

Das Ergebnis sind Geheimdienste und Geheimdienstverbünde, die ein tatsächlich fast völlig unkontrolliertes Eigenleben führen und Regierungshandeln zur Farce degradiert haben.

pf: Nach den Anschlägen in Paris und früheren vermeintlich vereitelten Anschlägen von Islamisten in Deutschland ist die Forderung nach einer Auflösung nicht mehr besonders populär. Trotzdem bleibt sie auch und gerade nach den Erkenntnissen des NSA-Untersuchungsausschusses auf der Agenda linker Politik. Zu Recht? Wie sollte das Sicherheitssystem aus Deiner Sicht umgestaltet werden?

Ich habe dafür kein Rezept parat. Ich glaube auch nicht, dass sich eins am Reißbrett entwerfen ließe. Aktuell ist die Frage, ob der BND sofort abgeschafft werden müsste, ja eine eher hypothetische: Ich kann überhaupt nicht beurteilen, was geschähe, wenn der BND, wenn die westlichen Auslandsgeheimdienste, oder alle Auslandgeheimdienste plötzlich zugemacht würden. Eine politische Situation, die das auch nur denkbar machte, wäre ganz anders als die, die wir jetzt haben. Entsprechend wären die Konzepte, die wir hätten, anders als Überlegungen, die wir in der jetzigen Situation entwickeln.

Aber wir müssen endlich anfangen, darüber nachzudenken. Kaum jemand in der politischen Landschaft traut sich aktuell, die Abschaffung des BND zu fordern. Für den Verfassungsschutz gibt es solche Überlegungen schon lange, da sind die Aufgaben und die Praxis ein bisschen klarer und viele Grundrechte-Organisationen haben klare Vorstellungen, wie die Alternativen aussehen müssten. Für den BND fehlt das völlig und die Diskussion muss geführt werden – gerade jetzt, wo wir so viel über die Lügen und illegale Praktiken erfahren und noch erfahren werden. Die Verstrickung der deutschen Dienste in den Geheimen Krieg werden wir im Untersuchungsausschuss erst noch gründlich untersuchen und das ist noch mal ein ganz anderes Kaliber als die eher abstrakte Gefahr der Totalüberwachung.

pf: In einem Text hast Du mal gefragt, warum angesichts der vielen Skandale rund um Geheimdienste und Bürgerrechte eigentlich niemand protestiert. Hast Du heute eine Antwort darauf? Sind Bürgerrechte ein Aktivist_innenthema? Oder was fehlt zur Bewegung?

Ich habe auch Antworten gegeben und ich glaube, die sind noch gültig: Nach Snowden haben sich viele angesichts des Ausmaßes an Überwachung hilf- und machtlos gefühlt und das wurde verstärkt durch das Verhalten der Bundesregierung, die seitdem so tut, als gäbe es das erstens gar nicht und zweitens, dass das alles völlig normal sei und dabei ihrer Loyalität gegenüber den USA und Großbritannien alles andere unterordnet. Das erleben wir seit zwei Jahren ständig im Untersuchungsausschuss, wo wir am Argument der Bundesregierung abprallen, dass selbst Vereinbarungen zwischen BND und NSA, oder deutsche Unterlagen der Regierung darüber dem Ausschuss nicht vorgelegt werden könnten, weil die US- und die britische Regierung das nicht erlaubten.

Zurück zur Bewegung: die Bewegung, die es hier ja gab und die ungefähr bis Snowden große Demonstrationen auf die Beine gestellt hat, ist genau zum falschen Zeitpunkt zerbrochen. Ein großer Teil ist in der Piratenpartei verschwunden und war dann mit internen Reibereien beschäftigt. Andere Parteien beschäftigten sich nur unter dem Konkurrenzdruck der Piraten mit digitalen Themen und inzwischen ist das an vielen Stellen leider völlig eingeschlafen.

Mein Eindruck ist, dass ganz viele 2013/14 demonstrieren und protestieren wollten und ein bisschen darauf gewartet haben, dass die, die jahrelang riesige Freiheit-statt-Angst-Demos organisiert haben, das in die Hand nehmen. Aber da war nur noch eine große Lücke übrig geblieben.

Und ganz viele andere waren zwar mit der Überwachung überhaupt nicht einverstanden, hatten und haben aber das Gefühl, dass sich gegen dieses Ausmaß einfach nichts ausrichten lässt. Ich glaube gar nicht, dass Überwachung sich als Thema schlecht eignet, weil sie so unsichtbar sei – ein beliebtes Argument. Atomkraft ist auch unsichtbar und die Gefahr, von einem GAU persönlich betroffen zu sein, gefühlt nicht so groß. Aber es hat eben Tschernobyl UND Fukushima und dazu jahrzehntelange gutorganisierte Proteste gebraucht, um sich mit der lange völlig unrealistisch scheinenden Forderung durchzusetzen, dass die Atomkraftwerke abgeschaltet werden müssen.

Ich glaube, wir müssen uns mit dem Kampf für Grundrechte auf einen sehr langen Kampf einstellen. Aber es gibt dazu keine Alternative. Wollen wir unseren Kindern und Enkel_innen in 10 oder 20 Jahren erzählen, wir hätten einfach zugeguckt, als die kurze Phase der Demokratie beendet wurde?

pf: Welche Instrumente empfiehlst Du im Kampf gegen moderne Überwachungsmethoden von Polizei und Geheimdiensten?

Ganz praktisch? Verschlüsseln! Digitale Kommunikation ist letztlich nie absolut sicher, aber ich bemühe mich jedenfalls, es allen Überwacher_innen möglichst schwer zu machen. Manchmal auch nicht, weil ich gerade keine Zeit habe oder keine Lust, da ist Mut zur Lücke gefragt. Aber Schritt für Schritt lässt sich schon eine ganze Menge machen.

Keine scheinbar kostenlosen kommerziellen Mail-Anbieter wie Google, Hotmail, Web.de benutzen, sondern Posteo, Riseup oder Systemli.org. Google z.B. liest alle Mails mit und niemand weiß, was davon bei der NSA landet.

Open-Source-Browser für’s Internet wie Firefox nutzen und Cookies von Drittanbieter in den Einstellungen deaktivieren.

Plug-Ins verwenden die Überwachung erschweren und das Tracking minimieren verwenden, z.B. HTTPS Everywhere, ‚Noscript‘, Adblocker, Privacy Badger.

Jit.si statt Skype für Internettelefonie nutzen und WhatsApp vermeiden. Bei der Installation nicht alle Kontaktdaten der eigenen Bekannten an WhatsApp verschenken. Korrekt wäre alle erst zu fragen, ob sie einverstanden sind, dass alle Informationen über sie in deinem Adressbuch jetzt einer Firma übergeben werden. Stattdessen als Messenger Signal, Threema oder Surespot benutzen. Am besten alle, damit du das Programm parat hast, was dein Gegenüber vielleicht schon benutzt. Die Installation ist genauso einfach wie bei jeder anderen App.

E-Mails verschlüsseln. Die Installation von GPG ist für Anfänger_innen nicht im Alleingang zu empfehlen, aber wenn’s mal installiert ist, verschlüsselt es Mails per Knopfdruck.

VPN oder Tor benutzen und als Betriebssystem lieber Linux statt Windows oder Mac verwenden.  

Das war jetzt sehr knapp, eigentlich bräuchte jeder Vorschlag ein bisschen mehr an Erklärung, und die Schwierigkeitslevel sind auch sehr unterschiedlich. Letztlich hängt es ein bisschen davon ab, wo sich alle einzeln ihre überwachungsfreie Zone am dringendsten wünschen und dann soll es ja auch noch Spaß machen. Die beste Motivation ist die Lust, mal ein neues Programm auszuprobieren und sich schon mal darauf einzustellen, dass es vielleicht nicht gleich beim ersten Mal funktioniert. Am wichtigsten: fragen, fragen, fragen.

Anne Roth, Bloggerin, Medien- und Netzaktivistin, Referentin im NSA-Untersuchungsausschuss für die Linksfraktion im Bundestag. Die gesamte Ausgabe kann kostenfrei hier gelesen und heruntergeladen werden.