»So wird ein Stück Südafrika in die Welt getragen«

Interview mit dem Ausstellungsmacher Reto Ulrich über afrikanische Comics

Reto Ulrich, Mitarbeiter des Dokumentationszentrums Basler Afrika Bibliographien (BAB), hat zusammen mit Corinne Lüthy, Antonio Uribe und einer Gruppe Studierender der Universität Basel eine Ausstellung über Comics aus dem südlichen Afrika kuratiert (siehe iz3w 354). Neben einem Querschnitt über zeitgenössische Comic-Kunst aus afrikanischen Ländern, die von westlichen Verlagen weitgehend ignoriert werden, zeigte die Ausstellung »Kaboom! Afrikanische Comics im Fokus« auch Beispiele jener visuellen Klischees und Stereotype, mit denen westliche Comics Afrikanerinnen und Afrikaner dargestellt haben – und es in vielen Fällen bis heute tun. Alexander Sancho-Rauschel hat mit dem Kurator Reto Ulrich in Basel in den Räumen der Basler Afrika Bibliographien über die kaum bekannte Vielfalt afrikanischer Comic-KünstlerInnen gesprochen.

 

Alexander Sancho-Rauschel (ASR): Was sollte mit diesem Ausstellungsprojekt vermittelt werden?

Reto Ulrich: Zunächst einmal, dass es Comics aus Afrika überhaupt gibt, was gar nicht so selbstverständlich ist. Schaut man sich in einem der hiesigen Comicläden oder in Bibliotheken um, findet man dort eigentlich nur Comics aus Europa, den USA, neuerdings noch aus Japan. Daher war es uns ein Anliegen, einmal authentische afrikanische Comic-Kunst zu zeigen. Und im Umkehrschluss zu untersuchen, wie Afrika in hiesigen Comics dargestellt wird. Viele dieser Comics kannte ich noch aus meiner Kindheit, sie wurden einfach immer konsumiert, aber nicht reflektiert präsentiert. Als ich sie jetzt wieder in die Hand nahm, war ich überrascht und zum Teil schockiert, was für Werte da transportiert werden. Das beginnt in der Kolonialzeit, geht weiter über Werbe- und Sammelbilder des 19. Jahrhunderts mit Bildern aus den Kolonien und setzt sich fort in Kinder- und Jugendbüchern.

ASR: Zeigen sich in und über Afrika denn auch comicspezifische, eigene Bilder und Zeichensysteme?

Ulrich: Einerseits sind Comics eine eigene Kunstform, und doch scheinen sie recht ungebrochen die ganzen alten Stereotype widerzuspiegeln. Nehmen wir als Beispiel den sehr populären Band  «Tim im Kongo« des Belgiers Hergé. Die erste Ausgabe in Schwarzweiss von 1930-31 hat Hergé 1946 umgezeichnet, gekürzt und koloriert. So ist zum Beispiel eine Szene verschwunden, in der Tim mit Dynamit ein Nashorn in die Luft jagt. Aber die diffamierende Darstellung der Bevölkerung ist im Wesentlichen geblieben.

Heute ist der Comicmarkt viel globaler, deshalb lassen sich die Bilder und Klischees nicht mehr so deutlich regional zuordnen. Es gibt mittlerweile durchaus auch westliche Comics, die in Afrika spielen und Bilder ohne Rassismus zeigen, beispielsweise »Der Traum von Olympia« von Reinhard Kleist. Natürlich gibt es die Stereotype immer noch in den Köpfen, aber ich habe viele Graphic Novels und Autorencomics gefunden, die auf Recherchen von Leuten basieren, die sich mit ihren Geschichten auseinandergesetzt haben und authentische Bilder finden.

ASR: Und ab wann finden wir diesen veränderten, offeneren oder realistischeren Umgang mit dem Thema?

Ulrich: Das hängt stark vom jeweiligen Land ab. Länder, die nie afrikanische Kolonien hatten oder diese wie Deutschland früh wieder verloren haben, konnten sich auch früher von bestimmten kolonialen Bildern lösen, während England oder Frankreich noch nach dem Zweiten Weltkrieg Kolonien besaßen und entsprechende rassistische Motive in den Comics sehr beharrlich blieben. Die US-amerikanischen Comics sind hier etwas offener, außerdem haben die dortigen Verlage auch die afroamerikanische Bevölkerung im Blick, weshalb es dort Superhelden wie den »Black Panther« gibt.

ASR: Und mit Blick auf die afrikanische Comicszene, was haben Sie da entdeckt, was für Comics, was für Geschichten?

Ulrich: In vielen afrikanischen Ländern gehen die Comictraditionen nicht so weit zurück. Heute findet man in Afrika einen sehr lebendigen Comicmarkt, aber in manchen Ländern gibt es dennoch fast gar keine eigenen Comics. In einigen Regionen sind die ersten Comics in Missionszeitschriften erschienen, zum Teil bereits von afrikanischen Künstlern, wenn auch oft mit fragwürdigem Inhalt.

In Südafrika gab es bis zum Ende des Apartheidregimes praktisch gar keine Comic-Kultur. Comics wurden auch im Neuen  Südafrika über Jahre als kaum lesenswert erachtet und zensiert, oft auch indiziert. Ab Mitte der 1990er wurden vermehrt Comics mit Bildungsanspruch produziert, was aber nicht funktioniert, wenn die comictypische Erzählweise mit ihrer Text-Bild-Verschränkung nicht etabliert ist. Oder wenn die Geschichten zu pädagogisch herüberkommen, was die Leserschaft als Bevormundung auffasst.

Die Figur des Xiconhoca zeigt jedoch, wie Comicfiguren auch dort funktionieren können, wo Comics bisher keine Tradition haben. Entstanden ist Xiconhoca in den 1970er Jahren in Mosambik. Sie ist  eine faule, am alten Regime hängende Charaktertype, die sich nach dem Sieg der Unabhängigkeitsbewegung nicht am sozialistischen Aufbau beteiligen will. Auch wenn es diese Cartoons mit Xiconhoca nicht mehr gibt, die Figur selbst ist bis  heute bekannt geblieben.

ASR: Welche Besonderheiten fallen mit Blick auf die regionalen Comickulturen im südlichen Afrika auf?

Ulrich: Besonders bei den frankophonen Ländern Afrikas fällt auf, dass sie von den großen Comicmärkten in Frankreich und Belgien profitieren, zum Beispiel von den Ausbildungsmöglichkeiten dort. So waren offenbar auch junge kongolesische ComiczeichnerInnen bei Hergé in Belgien und konnten dort ein Praktikum machen. Andere KünstlerInnen haben angefangen, in Frankreich zu publizieren, oder arbeiten heute sogar dort.

Interessant ist Südafrika, mit vielen jungen ZeichnerInnen, die keine Lust mehr haben, immer nur das Apartheidthema zu bearbeiten, die stattdessen erzählen, wie sie Südafrika heute erleben. Dagegen ist es für afrikanische KünstlerInnen aus dem englischsprachigen Raum schwieriger, in Europa zu publizieren – Großbritannien hat einfach keinen so großen Comicmarkt. Das gilt auch für den lusophonen Raum, dessen Markt ist sehr überschaubar.

ASR: Welche Titel und Geschichten sind Ihnen bei den Recherchen besonders aufgefallen?

Ulrich: Ein Comic, der vielleicht auch hierzulande bekannt ist, nennt sich »Aya« von der Autorin Marguerite Abouet aus der Elfenbeinküste, verlegt in Frankreich, eine afrikanisch-europäische Koproduktion, mit einem französischen Zeichner (siehe Seite 44). Die Stärke dieses Comics liegt in der Darstellung des Alltags in Abidjan. Auch geht es nicht nur um lokale Themen, sondern um Geschichten, die junge Leute zum Beispiel in Europa ähnlich erleben.

Dann die Serie »Supa Strikas« aus Südafrika. Sie zeigt im Grunde keine Superhelden, sondern nur Superfußballer, im Erzählstil und in den Zeichnungen dennoch nah am Superheldengenre. Die Geschichten werden kostenlosen Zeitungen beigelegt und über Werbung finanziert. Allerdings nicht in Form von eigenen Werbeanzeigen zwischen den Zeichnungen. Vielmehr steckt die Werbung – wie im Fußballgeschäft üblich – in den gezeichneten Trikots der »Supa Strikas« oder als Bandenwerbung
am Spielfeldrand. Die Serie gehört mittlerweile zu den meistgelesenen Comics weltweit, die längst auch in Lateinamerika, im asiatischen Raum und in Skandinavien gekauft wird. Fußball ist eben ein Thema, das global verstanden wird. Held der Geschichten ist ein Junge aus Soweto bei Johannisburg. So wird ein Stück Südafrika in die Welt getragen.

ASR: Spannend sehen auch die Zeichnungen von »Bitterkomix« aus …

Ulrich: »Bitterkomix« ist eigentlich eine Buchreihe, 1992 begonnen von dem südafrikanischen, in Kapstadt geborenen Anton Kannemeyer zusammen mit seinem Kollegen Conrad Botes. Ein Underground-Comic, der sich anfangs gegen die Apartheid und das alte rassistische Regime wendete. Inzwischen drehen sich die Geschichten eher um aktuelle Probleme, um die Korruption in der ANC-Regierung etwa. Heute zeichnet Kannemeyer im Stil der Ligne Claire, des Zeichenstils, den Hergé populär gemacht hat. Der Autor sucht und zeigt ganz bewusst Stereotype, seiner Ansicht nach muss man diese subversiv untergraben, um sie zu demontieren. Kannemeyer weiß um die immense visuelle Kraft der Stereotype. Er verstärkt sie, um sie uns bewusst zu machen, oder dreht sie lustvoll um. Und er meinte, die Suche nach dem schwarzen Stereotyp sei für ihn einfach gewesen, schwieriger sei das Stereotyp des Weißen, der bei Kannemeyer übrigens oft Hergés Tim ähnlich sieht. Nur ist er ein wenig in die Jahre gekommen, mit Halbglatze. Und Struppi ist hier nicht so strahlend weiß, sondern schwarz – und heißt Blacky.

Literatur

Corinne Lüthy , Reto Ulrich, Antonio Uribe (2015): Kaboom! Afrikanische Comics im Fokus. Ausstellungskatalog, 62 Seiten, Basler Afrika Bibliographien, 15 CHF.

http://lmcafe.blogspot.lu/2014/09/xiconhoca-2014.html

 

Reto Ulrich ist Mitarbeiter des Dokumentationszentrums Basler Afrika Bibliographien (BAB). Das Interview führte Alexander Sancho-Rauschel.