Handel in der Sahara: Alltägliche Sorgen und internationale Ängste

in (14.07.2016)

Seit einigen Jahren ist der Trans-Sahara-Handel wieder zurück in den Schlagzeilen; aber obwohl wenige wissen was wirklich in der Sahara vor sich geht, der "transsaharische Drogen- und Waffenhandels" wird scharf verurteilt, und ohne Beweise mit dem "internationalen Terrorismus" (von dem man auch sehr wenig weiß) gleichgestellt.

Der Sunday Telegraph schreibt am 26. Januar 2013, dass das "Kokain, das in den britischen Pubs und Clubs gesnifft wird, zur Finanzierung der al-Qaida Fraktionen beiträgt, die hinter der algerischen Geiselnahme und der islamischen Machtübernahme in Nord-Mali stehen". Mit minder sensationslüsternen Worten werden ähnliche Vorstellungen in allen Medien in Großbritannien und dem Rest Europas zum Ausdruck gebracht. Danach wäre in den "unregierbaren Einöden" der Sahara ein "Schmuggel" von Drogen, Gewehren und Migranten herangereift, der die unsäglichen Aktivitäten der bärtigen Bösewichte finanziert - Berichte also, die die beliebtesten öffentlichen Feinde unserer Tage in ein zusammenhängendes Narrativ einweben

Seit der Krise in Nord-Mali und, in geringerem Maße, dem Zusammenbruch der libyschen Regierung haben solche Assoziationen zunehmend eine ernsthafte politische Analyse oder selbst einfache Versuche, Fakten vor Ort zu sammeln, ersetzt. Ohne Zweifel geht es bei bewaffneten Kämpfen in der Sahara heute, wie immer schon, zum Teil um die Kontrolle der Bewegung von Menschen und Gütern, in einem Kontext, wo wir "eine Theorie des Raumes, die die Bewegung an erste Stelle setzt" brauchen (Retaillé and Walther 2013: 596). Desgleichen scheint es so zu sein, dass die "islamistischen Autoritäten" in Nord-Mali, solange sie an der Macht waren, Handel besteuerten, wie es andere vor ihnen getan haben bzw. weiterhin tun werden; und dass es bei einem Teil der gewalttätigen Konflikte im Süden Libyens um die Kontrolle lukrativer grenzüberschreitender Handelsrouten geht 1. Doch sind die meisten dieser Konflikte von langer Dauer und werden zwischen lokalen Gruppen und unter lokalen Bedingungen ausgetragen: die unmittelbare Beziehung zwischen "Schmuggel" und "Terror" ist noch zu beweisen. Darüber hinaus sind beide Begriffe weit davon entfernt, sozio-ökonomische und politische Realitäten vor Ort angemessen zu beschreiben, wo "Schmuggler" gemeinhin als Händler betrachtet werden und "islamistischer Terror" in vielen Fällen ein neuer Wechselbegriff für lang anhaltende Spannungen ist. Der vorliegende Artikel möchte den historischen und zeitgenössischen Hintergrund des erstgenannten Begriffes etwas erhellen, indem er zeigt, wie über die Sahara hin die Handelsbeziehungen ein alter und inhärenter Bestandteil lokaler Wirtschaften und Gesellschaften sind. Dies in Bausch und Bogen zu kriminalisieren ist nicht nur irreführend, sondern hat auch konkrete politische Implikationen, weil hier, wie in so vielen anderen Fällen - der des länderübergreifendem "Schleusers" kommt einem am ehesten in den Sinn - das Problem, um dessen Bekämpfung es angeblich geht, dabei geschaffen wird.

Das Leben in der Sahara beruht auf dem Austausch von Gütern, Tieren, Menschen oder Ideen. Handel und andere Formen des Verkehrs von Gütern und Werten sind somit für eine menschliche Ansiedlung wesentlich und oft ihr wichtigster Anlass. Obwohl europäische Forscher lange Zeit transsaharische Perspektiven bevorzugt haben - den legendären Goldhandel von Timbuktu, oder die verrufene Grausamkeit des transsaharischen Sklavenhandels - war dieser Handel in Wirklichkeit zumeist nur regional und bestand in dem alltäglichen Austausch von Grundnahrungsmitteln gegen lokale Erzeugnisse. Zeitweise haben trassaharische Unternehmen und Händler einige dieser Regionen erhöhten Austausches miteinander verbunden und so transsaharische Geschäfte - oft mit von außerhalb der Sahara selbst stammenden Finanzmitteln - möglich gemacht. Aber sie waren dabei immer auf die regionale Infrastruktur angewiesen; der Handel blieb stets regional und bestand in Waren für den lokalen Verbrauch. Obwohl heute nahezu der gesamte saharische und transsaharische Handel motorisiert ist, lebt diese regionale Natur des Handels weiter; und der Großteil des saharische Handel besteht weiterhin im Austausch von Vieh gegen Grundnahrungsmittel, die lange in den Ländern des Maghreb (besonders in Algerien und Libyen) subventioniert wurden. Und wie in der Vergangenheit sind transsaharische Unternehmungen periodisch auf dieses Netzwerk aufgepfropft, wenn die Umstände es erlauben. Seit den 1970er Jahren sind so gefälschte Zigaretten durch die Sahara nach Europa geschmuggelt worden; und seit Beginn unseres Jahrtausends nehmen südamerikanische Drogen manchmal den weiten Weg von der West-Sahara Richtung Osten und dann nach Norden. Doch bleiben diese Erscheinungen marginal für den Sahara-Handel und für die sozio-ökonomischen Infrastrukturen die ihn möglich machen, da für die meisten Menschen die Strategien der Lebenssicherung weiterhin durch herkömmliche Werte und Beschäftigungen geprägt sind: Investition in den regionalen Handel mit Grundnahrungsmitteln wie z.B. Vieh, eine gute Ehe und bequeme Wohnverhältnisse in einem nordafrikanischen Land.

 

Die Notwendigkeit regionalen Austausches

 

Oasen in der Sahara, notwendigerweise durch menschliche Arbeit geschaffen oder zumindest unterhalten, sind selten autark. Wie Paul Pascon nach einem gründlichen Studium lokaler Dokumente des Rechnungswesens in der zâwiya (religiöser Stützpunkt) von Ilîgh in Süd-Marokko bemerkte:

"Die erheblichen Investitionskosten, die zu Beginn der Bewässerung der kleinsten Parzelle nötig sind, die Kosten der Erschließung und des Unterhalts einer intensiven Gartenbauwirtschaft inmitten einer massiven Trockenheit sind weder in ihrer finanziellen Rentabilität noch in der allgemeinen Ökonomie gerechtfertigt ... Darüber hinaus stellt man sehr oft fest, dass aus verschiedenen Motiven (politischen, militärischen, demographischen usw.) die Oasen zugrunde gehen noch bevor sie das investierte Kapital wieder eingebracht haben. Man könnte sich also über den Optimismus und guten Willen der Schöpfer von Oasen wundern oder letztendlich über ihre Naivität, wenn man nur den ökonomischen Vorteil in Betracht zieht. Es muss also wohl eine andere als finanzielle Entlohnung geben, andere Vorteile oder noch andere Verpflichtungen eines Systems, in dem die Produktion des landwirtschaftlichen Sektors nur ein notwendiger Teil ist, sei er auch defizitär." (Pascon, 1984: 9).

Obwohl viele Teile der Sahara sich über Grundwasser erstrecken, bleibt der Zugang zu Wasser meist schwierig, da Quellen oder andere spontan auftretende Oberflächen-Reservoire selten und oft extrem salzig sind. Die Bewässerungsmechanismen in der Sahara sind unterschiedlich und kontextspezifisch, aber fast immer arbeitsaufwändig. Dementsprechend erlauben nur wenige Gebiete in der Sahara eine permanente Ansiedlung ohne künstliche Bewässerung. In der Geschichte wurde Arbeitskraft zumeist aus dem Süden durch Sklaverei importiert: ein Unternehmen, das selbst Kapital, Transport, Geduld und Voraussicht verlangte.

Hinzu kommt, wie Pascon bemerkte, dass Oasen selten das eingesetzte Kapital wieder eingebracht zu haben scheinen, wenn sie auch gelegentlich einen beträchtlichen Gewinn abwarfen. Die meisten kolonialen und vorkolonialen Beschreibungen gehen darin zusammen, dass lokale Ressourcen, für sich genommen, selten ausreichten, um die lokale Bevölkerung zu ernähren (siehe z.B. Martin 1908: 306-8 zu Süd-Algerien). Dies war bereits im 14. Jh. der Fall, als Ibn Battuta eine der Hauptoasen im Süden Algeriens mit folgenden Worten beschrieb:

Dann erreichten wir Buda, eins der größten Dörfer von Tuwat. Sein Land besteht aus Salz und Salzpfannen. Es hat viele Datteln, die nicht gut sind ... Es gibt dort weder Landwirtschaft noch Butter noch Öl. Öl wird dorthin nur aus dem Maghrib importiert. Die Nahrung der Bewohner besteht aus Datteln und Heuschrecken. Diese sind bei ihnen im Überfluss vorhanden; sie lagern sie ein wie Datteln und nutzen sie als Nahrung (in Hopkins and Levtzion 1981: 304).

Im Allgemeinen waren Oasenbewohner auf den Austausch mit Wanderhirten angewiesen, die Getreide, das sie in der Nähe des Mittelmeeres oder in der Sahel-Zone fanden, gegen Datteln und Salz tauschten. Weder Hirten- noch Gartenbaugemeinschaften konnten unabhängig voneinander überleben und Grenzen zwischen beiden lagen nicht fest. "Zumindest im Shati", schreibt Despois (1946: 192) über das am nördlichsten gelegene Tal im Fazzan (jetzt im südlichen Libyen), "(haben) nomadische Familien oft eine so enge Beziehung mit Oasenbewohnern, dass es nicht immer leicht ist, sie voneinander zu unterscheiden". Übergänge von der einen zur anderen Lebensweise waren somit häufig, wie auch Zwischenformen: in der ganzen Sahara haben Sesshafte lange Zeit jede Möglichkeit ergriffen, Nomaden zu werden (siehe z.B. Chapelle 1957: 146, 181 zum nördlichen Tschad), während Hirten, durch Viehzucht und Handel reich geworden, sich leicht entscheiden können, ihre Tage im Komfort städtischen Lebens (Bonte 1998, 2000) zu beenden oder ihre nomadisches Leben aus religiösen Gründen aufzugeben (Cleaveland 2002).

Die Interdependenz zwischen sesshafter Landwirtschaft, nomadischem Pastoralismus und Handel war aus Sicht der Nomaden gleichermaßen ausgeprägt. Die Sahara ist zumeist zu trocken, um autarke Weidewirtschaft zu erlauben. Hirtennomaden waren darum auf Güter und Tätigkeiten angewiesen, die durch den Handel und sesshafte Landwirtschaft bereit gestellt wurden, um ihr Einkommen zu ergänzen und insbesondere Risiko zu streuen und ihr Geschäft zu erweitern. Der saharische Handel bestand in der Folge in seinem Umfang und Wert weitestgehend im einfachen Tausch von weidewirtschaftlicher Produktion gegen Getreide, das an den Rändern der Sahara angebaut wurde, bzw. von Getreide, das von Hirtennomaden im Zuge ihres saisonalen Weidewechsels importiert wurde, gegen Datteln in den Oasen der Sahara. Wo diese Formen des Tausches scheiterten (wie es in Buda zur Zeit von Ibn Battuta's Besuch), waren die Menschen in den Oasen dem Hunger ausgeliefert: sie "versuchten durch Jagd auf Wild in der Wüste zu überleben", wie Martin (1908: 383), offensichtlich ohne Ironie, es ausdrückte, nachdem solcher Handelsaustausch im frühen 20. Jh. infolge der militärischen Eroberung durch Frankreich unterbrochen war. Dieser notwendige und regelmäßige Austausch von Grundnahrungsmitteln schaffte Regionen gegenseitiger Abhängigkeit, deren Umrisse im Laufe der Zeit sich veränderten, aber ähnliche Strukturmuster bildeten. Diese inneren Regionen bedeckten Distanzen, die der regulären saisonalen Wanderung oder der gewöhnlichen Karawanenreise entsprachen, die weder das Leben des Reisenden noch das seiner Kamele in Gefahr brachte und einen regulären Austausch sowie die Bildung dauerhafter sozialer Kontakte möglich machte. Sie alle hatten ihre ökologischen und ökonomischen Besonderheiten, aber sie waren gegenseitig erkennbar. Wollten wir sie in eine Karte der Sahara eintragen, ergäbe sich der Eindruck, dass alle Teile der Sahara durch Gebiete regionaler Wanderung abgedeckt wären, die Kommunikation und Transport erleichtern (Scheele 2012).

Der transsaharische und saharische Handel war dieser zugrunde liegenden Struktur, die ohne ihn nicht existieren konnte, aufgepfropft. Doch stellte dies nur einen Aspekt der komplexen und weitreichenden Interdependenz-Muster dar. In Wirklichkeit waren diese beiden Handels-Formen so sehr voneinander abhängig dass es oft schwer ist, sie voneinander zu unterscheiden. Einerseits waren spezialisierte transsaharische Händler nicht immer in erster Linie mit transsaharischen Gütern beschäftigt (McDougall 2005, siehe z.B. Haarmann 2008, Pascon 1980). Andererseits deutet die Tatsache, dass gewisse Güter letztlich die Sahara durchquert hatten, nicht immer auf die Präsenz transsaharischer Händler hin, da Hirtennomaden, zumeist bemüht, gute Weiden zu beschaffen und Datteln gegen Getreide zu ihrer eigenen Versorgung zu tauschen, immer auch etwas Platz für "Parfüm, Juwelierwaren, Schnickschnack, Kaffee, Tabak, Kleidung, Straußenfedern, Weihrauch und Moschus" fanden, die sie in abgelegenen saharischen Siedlungen feilboten (Geoffroy 1887) - womit sie ihre Transportkosten niedrig halten oder vielmehr unberücksichtigt lassen konnten. Bis in die 1940er Jahre, so lange nahezu sämtlicher Transport in der Sahara auf Packtiere angewiesen war, kann diese regionale Struktur des transsaharischen Handels leicht unter Verweis auf technische Engpässe erklärt werden. Wegen Veränderungen im Weideland und der Natur des Terrains, wurden Kamele, die es schwierig finden, mit unvertrauten Weideland und Boden fertig zu werden, als regionale Spezialisten gezüchtet (z.B. Fuchs 1961: 92). Das führte dazu, dass Kamele selten die Sahara auf direktem Wege durchquerten (McDougall 2012: 47); und dass transsaharische Händler, die selten ihre eigenen Packtiere besaßen (Newbury 1966: 239, Baier 1980: 237, Austen 1990), Unterverträge mit regionalen Viehhirten abschließen und ihre Zulieferer von der einen Region zur nächsten wechseln mussten. Aber die Gründe für die regionale Natur des saharischen Handels waren ebenso sozial und politisch: in einer Gegend, wo keine zentralen politischen Institutionen für übergrei fende Sicherheit sorgen konnten, waren die Menschen auf persönliche Netzwerke für Information, Sicherheit und Zuflucht angewiesen; und diese Netzwerke, untermauert durch Eheverträge, reichten territorial nur so weit.

 

Heutiger Handel

 

In den 1940er Jahren begann die Motorisierung des saharischen Transportwesens - zumeist dank infrastruktureller Investitionen im Verlauf des Zweiten Weltkriegs und der relativen Verfügbarkeit von Fahrzeugen danach (Guitart 1998). Doch blieben für lokale Händler und Viehhirten, die es sich nicht leisten konnten, in Lastwagen zu investieren, Karawanen eine gangbare Option (Clauzel 1960). Das gilt auch noch heute. Im nördlichen Tschad zum Beispiel, wo das Straßennetz besonders ärmlich ist, wird grob geschätzt ein Drittel der Dattelernte der nördlichen Oase von Faya-Largeau gegen Getreide eingetauscht, das von Hirtennomaden auf den Rücken von Kamelen aus dem Zentrum des Landes gebracht wird. Deren Reisen machen ökonomisch und soziologisch Sinn, weil sie ihrem herkömmlichen Grundmuster saisonaler Migration entsprechen. Darüber hinaus stellen Kamele ein wichtiges, wenn nicht das wichtigste Exportgut in den Maghreb dar. Wenn auch Großunternehmer es sich leisten können, Vieh auf Lastwagen durch die Sahara zu bringen, machen dies viele andere zu Fuß, was zwar länger dauert, aber weit billiger ist 2. Es ist wichtig, hier daran zu erinnern, dass selbst der motorisierte Transport durch die Sahara zwangsläufig langsam bleibt, und dass auf schnellen Fahrzeugen nur hochwertige Güter und kleine Ladungen mit akzeptabler Geschwindigkeit transportiert werden können. (Vierradantrieb ist für Fahrzeuge in der Sahara Pflicht) Statt mit einem markanten Gegensatz zwischen "modernem" und "traditionellem" Transport haben wir es mit einer Skala von Möglichkeiten zu tun, wobei viele Transporteure in mehrere Optionen investieren und je nach den gegebenen Bedingungen von der einen zur anderen wechseln. In ähnlicher Weise sind die sozialen und politischen Gründe für das Übergewicht regionaler Netzwerke heute so gültig wie einst. Denn praktisch der gesamte transsaharische Handel ist illegal, da er Grundnahrungsmittel betrifft, die in Nordafrika subventioniert sind und folglich einem Exportverbot unterliegen und da, jedenfalls in großen Teilen der (südlichen) Sahara, der Schutz, den Zentralregierungen bieten könnten, nur stückwerkhaft und sporadisch ist.

Der meiste Handel betrifft immer noch Grundnahrungsmittel, die gegen Vieh getauscht werden und ohne die das Leben in Oasenstädten wie in den Zeltlagern der Nomaden unmöglich wäre. Dies gilt, obwohl diese Handelsaktivitäten weniger durch Fragen der komplementären Produktion als durch unterschiedliche Importbestimmungen und staatliche Subventionen zwischen den relativ wohlhabenden ölproduzierenden Ländern Nordafrikas und des Sahel motiviert sind. Dieser Handel steht jedem offen, der ein Fahrzeug hat - oder auch nur ein paar Kamele, oder, wie einige leicht überspitzt sagen, "einen alten Esel" - und ein Netz von Freunden und Verwandten auf beiden Seiten der Grenze (was seit den Dürren der 1970er und 1980er Jahren bei fast allen Tamacheq- und Arabisch-Sprachigen Einwohnern von Nord-Mali und Niger der Fall ist). Diese Art des Handels ist “ demokratisch“ organisiert: die Profite sind klein, einige sagen sogar nicht vorhanden, aber Reisen sind ein fester Bestandteil der Unterhaltung sozialer Beziehungen und lokaler moralischer Wirtschaft:

"Dein kleiner Schmuggler, er sitzt da mit seinem 4x4 (Wagen mit Vierradantrieb) und hat nichts zu tun. Dazu kommt, dass er nicht rechnet: er verkauft seine Grieß-Säcke und seine Nudel-Pakete und verdient 100 Francs hier und 1000 Francs dort und ist zufrieden; er kauft sein Benzin in Algerien und lässt die Abnutzung seines Fahrzeugs außer Betracht. Im Gegenteil, er ist glücklich zu fahren, einfach so, zumindest hat er den Eindruck, für etwas gut zu sein ..."3

Diesem Handel haftet nichts Fragwürdiges an. Frauen und Kinder fahren auf "Schmuggler"-Wagen und Lastern kostenlos mit. Die Warenmenge ist beachtlich, da nordafrikanische Grundnahrungsmittel für die meisten Menschen in Nord-Mali, Niger und im Norden des Tschad tägliche Speise sind: Emmanuel Grégoire (1998: 98) schätzte den Gesamtwert dieses inoffiziellen Handels zwischen Algerien, Mali und Niger 1994 auf 98 Milliarden F CFA. Er ist regelmäßig und notwendig, obwohl er von Zeit zu Zeit, je nach den politischen Verhältnissen, in seinem Umfang auf Spitzenwerte klettern oder aber einbrechen kann. In den 1990er Jahren hat sich die unter Druck des IMF getroffene Entscheidung der algerischen Regierung, die Subventionen für Grundnahrungsmittel in Algerien einzustellen, im Sahel spürbar bitter ausgewirkt: während der Zusammenbruch von Qadhdhafi's Regime in Libyen 2011 zu einem gewaltigen Überschuss an Weizenmehl führte, das in Libyen eingelagert und während des Krieges geplündert worden war. Im nördlichen Tschad, "jeder" begann plötzlich eine "garâj" bzw. Lagerraum aufzumachen, wo infolge sinkender Preise Hunderte von Säcken Mehl in der Sonne verrotteten.

Parallel zu dem Handel in Grundnahrungsmitteln - vor Ort nach dem Markennamen eines algerischen Milchpulvers als al-frûd al-lahda bekannt - haben besonders jüngere Männer die Möglichkeit, als Fahrer für Zigarettenhändler zu arbeiten, die in der Regel ziemlich gut organisiert sind und, zumindest im nördlichen Niger, den Schutz der Regierung und Armee genießen. Dieser Handel ist weniger sichtbar und verbindet sich seltener mit dem gewöhnlichen Transport von Menschen, stellt nichtsdestoweniger aber eine respektable Beschäftigung dar. Drogen- und Waffenhandel ist dagegen ein anderes Geschäft. Es ist ersichtlich von "Mafias" geführt, die "wie Staaten organisiert" sind, individuell rekrutieren und darum als schädlich für die sozialen Bindungen, Hierarchien und die gute Ordnung der Dinge gelten. Daher erklären besonders Frauen, dass man nicht wissentlich einen Drogen-Fahrer heiraten sollte, da so eine Ehe notwendig kinderlos bliebe, da sein Brautgeld höchstwahrscheinlich rechtswidrig - harâm - und so auch die Ehe ungültig wäre. Verstöße gegen die "rechte Ordnung der Dinge" - im nördlichen Mali z.B. soziale Hierarchien, die Menschen in "Noble" und "Gefolgsleute" aufteilen, oder Beispiele von exzessiver Gewalt - werden der Beschäftigung des Täters im Drogenhandel zugeschoben. In Wirklichkeit jedoch investieren Angehörige derselben Familien oft in beidem und oft liegt die Unterscheidung eher im Lebensstadium des Betreffenden als in seiner Identität. In der Sahara wie anderswo, junge Männer sind eben junge Männer, die solchen Handel, obwohl öffentlich verurteilt, intern als eine Gelegenheit schätzen ein hohes Maß an Selbständigkeit gegenüber der eigenen Familie zu gewinnen und Männlichkeit und Mut zu beweisen.

Lokal stehen sich also al-frūd al-halāl (erlaubter Schmuggel) und al-frūd al-harām (unerlaubter Schmuggel) gegenüber - weniger im Blick auf die Art der transportierten Güter als auf die Bewegungsmuster und der durch sie geschaffenen sozialen Bindungen; doch in Wirklichkeit ist es oft schwer, die beiden voneinander zu trennen. Im Ergebnis ist es unmöglich, eine Gruppe hartgesottener Schmuggler für die Kriminalisierung einer ansonsten gesetzestreuen Bevölkerung verantwortlich zu machen: diese Kategorien sind abgeleitet von Staaten, die lokal zumeist als unterdrückend erfahren werden, und bedeuten lokal wenig. Umgekehrt müsste jeder Außenstehende, der sich den transsaharischen und saharischen Handel in anderen Formen als der sporadischen Besteuerung mit vorgehaltenem Gewehr nutzen wollte, tief in die lokale Sippe und die regionalen Handelsnetze einbezogen und auf die moralische Ökonomie des regionalen Handels eingestellt sein. Wenn sie über die Verwicklung von "Islamisten" in der regionalen Ökonomie gefragt werden, betonen alle umgehend mit einem Grinsen, dass diese "Islamisten" dazu nicht nur die Gegend ausnehmend gut kennen, sondern sich auch lokal verheiraten müssten. Das haben natürlich einige auch getan (wenn sich nicht selbst aus lokaler Herkunft sind), was sie für die Bevölkerung vor Ort in einer Weise verantwortlich macht, die von politischen Analysten selten beachtet wird. Jedenfalls aus lokaler Sicht versuchen die Händler meistens ihren Lebensunterhalt unter schwierigen Bedingungen zu sichern und so den Anschein persönlicher Autonomie und Kontrolle über ihr Schicksal in einem Umfeld zu wahren, wo regionale Spannungen und erhöhte internationale Interessen dies zunehmend erschweren. Heute wie früher hätte eine Analyse, die sich allein auf transsaharische Angelegenheiten konzentriert und zu dem Ergebnis kommt dass jeglicher Handel unterdrückt werden sollte, verheerende Konsequenzen für die Versorgung der lokalen Bevölkerungen, die bereits schwer unter der fragilen politischen Situation leiden.

Judith Scheele, All Souls College, University of Oxford. Aus dem Englischen von Manfried Wüst.

1 Siehe z.B. B. Olesky, ‘The other frontier warriors’, Libya Herald, 13 Januar 2013; ferner International Crisis Group (2012). Bensaâd (2012: 101) erinnert uns daran, dass diese Konflikte den aktuellen Konflikten im südlichen Libyen zeitlich vorausgehen.

2 Für eine Beschreibung einer solchen Karawane, siehe Clanet (2004).

3 Interview mit dem Präsidenten der Handelskammer in Kidal, Nord-Mali, im Januar 2008.

 

Literaturverzeichnis

 

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