Übernahmeschlacht im Einzelhandel

Edeka und REWE feilschen um Kaiser's Tengelmann Supermärkte

Die Suche nach einer Lösung für Kaiser's Tengelmann entwickelt sich zur Hängepartie. Noch immer feilschen die Konkurrenten Edeka und Rewe um eine Einigung. Währenddessen müssen die rund 15.000 Beschäftigten der Supermarktkette weiter um ihre Arbeitsplätze bangen.

In der vom ehemaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) moderierten Schlichtung Ende Oktober hatten sich die Parteien in einem Eckpunktepapier darauf geeinigt, dass Edeka Läden mit insgesamt »300 Millionen Euro Bruttoumsatz in Berlin an REWE überträgt.« Im Gegenzug sollte Rewe seine Klage gegen die Ministererlaubnis von Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) zurückziehen, um damit den Weg frei zu machen für die Übernahme von Kaiser’s Tengelmann durch Edeka. Rewe hat zwar zwischenzeitlich die Klage auf Eis gelegt, doch eine Entwarnung ist das nicht.

Endgültig zurücknehmen will der Branchenzweite die Beschwerde erst dann, wenn eine verbindliche Einigung mit Edeka erzielt worden sei. Solange dient der mögliche Rechtsweg als Druckmittel im Poker über die Profitabilität der abzugebenden Berliner Filialen. Während sich die Schlichtungsparteien auf »ein Filialportfolio von durchschnittlicher Qualität« mit einer durchschnittlichen Umsatzrendite von 1,6% einigten, fordert nun Rewe-Boss Capparros eine durchschnittliche Rendite von 6-7%. Hinzu kommt, dass die Ausgleichsfinanzierung der vollständigen Übernahme der NRW-Supermärkte durch Edeka ungelöst im Raum steht.


Gefeilsche auf dem Rücken der Beschäftigten

Dieses Gefeilsche um Marktanteile bzw. Marktbereinigung im Lebensmitteieinzelhandel findet seit zwei Jahren auf dem Rücken der Beschäftigten statt. Die Marktführer Edeka und Rewe[1] kämpfen von Anfang an mit harten Bandagen um die Übernahme der 451 Supermärkte der Kaiser's Tengelmann GmbH in Mülheim/Ruhr.

Die Tengelmann-Gruppe, zu der auch die Obi-Baumärkte und der Textildiscounter KiK gehören, hatte 2014 seine Filialen in Berlin, München und Oberbayern sowie in Nordrhein-Westfalen im Paket an Edeka verkauft. Karl-Erivan Haub, Besitzer und Geschäftsführer der Gruppe, begründete den Verkauf damit, dass er »keine Perspektive mehr« sehe, das seit Jahren defizitäre Supermarktgeschäft wieder profitabel zu machen. Ursächlich dafür ist die schrumpfende Wettbewerbsfähigkeit der Kette, deren Verkaufspreise im Verhältnis zu ihren Konkurrenten u.a. durch eine geringere Einkaufsmacht und die ausgebliebene Modernisierung von Märkten beispielsweise in Nordrhein-Westfalen, zu hoch sind.

Rewe-Konzern-Chef Alain Caporros, der sich bei diesem Deal übergangen fühlte, warf seinem Konkurrenten, Edeka-Chef Markus Mosa, »falsches Spiel« vor, Es sei wichtig, »dass der Abstand zwischen Rewe und Edeka nicht noch größer wird als er jetzt schon ist. Sonst hat Edeka ein Monopol«, verteidigte Caparros sein Vorgehen in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (15.10.2016).

Fakt ist, dass Kaiser's Tengelmann eine der letzten großen Akquisitionsmöglichkeiten im deutschen Lebensmittelhandel ist, der seit Jahren einem fortschreitenden Konzentrationsprozess unterliegt.  Schon heute teilen sich die fünf größten Lebensmitteleinzelhändler in Deutschland rund 80% des Marktes. In 2015 erzielten sie jeweils folgenden Bruttoumsatz: Edeka (incl. Netto) 53,28 Mrd. Euro, Rewe 39,61 Mrd. Euro, die Schwarz-Gruppe (Lidl und Kaufland) 34,54 Mrd. Euro (Schätzung), Aldi Süd und Nord 27,8 Mrd. Euro (Schätzung) sowie die Metro Gruppe (Real, Cash & Carry) 26,13 Mrd. Euro (Schätzung) Kaiser’s Tengelmann spielt mit einem Bruttoumsatz von 7,7 Mrd. Euro eine nachrangige Rolle.[2]

Um den Komplettzuschlag an die Edeka-Gruppe zu verhindern, die für das Gesamtpaket schon einen Kaufvertrag mit Tengelmann unterzeichnet hatte, torpedierte Rewe mit allen Mitteln die Übernahme der Kaiser's-Märkte. An seiner Seite wusste Caparros nicht nur Mitkonkurrenten wie den Lebensmitteldiscounter Norma und die Handelskette Markant sondern auch die »Gralshüter des marktwirtschaftlichen Wettbewerbs« im Bundeskartellamt und der Monopolkommission.

Die Bonner Wettbewerbsbehörde begründete ihr negatives Votum zur geplanten Fusion zum einen mit der »Abnahme der Konkurrenz« – der Zusammenschluss würde zu einer erheblichen Verschlechterung des Wettbewerbs auf zahlreichen ohnehin stark konzentrierten regionalen Märkten im Großraum Berlin, in München sowie in Nordrhein-Westfalen führen und zu »Preiserhöhungen« führen. Allerdings fallen die Preise im Lebensmitteleinzelhandel in Folge eines erbarmungslosen Preiswettbewerbs seit Jahren. Dieser wird vor allem auf dem Rücken der Beschäftigten sowie der Produzenten ausgetragen. Welche Folgen das Drücken der Preise hat, ist seit Wochen wieder bei den Milchbauern zu beobachten.

Das Kartellamt trifft seine Entscheidungen über die Zulässigkeit einer Fusion allein unter dem Blickwinkel des Wettbewerbs und lässt gesellschaftliche und sozialpolitische Ziele wie die Erhaltung von Arbeitsplätzen außen vor. Insofern darf das Abwägen zwischen diesen beiden Zielen nicht allein einer Behörde überlassen werden. Wenn es um die Sicherung von rund 16.000 Arbeitsplätzen geht, sind politische Entscheidungen gefragt. Für solche Fälle gibt es die »Ministererlaubnis«, die Edeka und Tengelmann Ende April 2016 beim Bundeswirtschaftsministerium beantragt hatten.


Gabriel: Im »überragenden Interesse der Allgemeinheit«

Anders wie sein Vorgänger Philipp Rösler (FDP), der im Fall der insolventen Drogeriemarktkette Schlecker eine Bürgschaft für eine Transfergesellschaft verweigerte, mit der Folge, dass tausende »Schlecker«-Frauen arbeitslos wurden, hatte sich Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) entschieden, nicht den Prinzipien des Wettbewerbsrechts, sondern dem Erhalt von Arbeitsplätzen Vorrang einzuräumen, was im »überragenden Interesse der Allgemeinheit« liege.

Der Übernahme der Kaiser’s Tengelmann Supermärkte durch Edeka stimmte er unter der Voraussetzung des Erhalts der Arbeitsplätze, des Fortbestands existierender Tarifverträge und Mitbestimmungsstrukturen zu. Das brachte ihm seitens marktradikaler Leitartikler den Vorwurf ein, dass er sich »über Gebühr in die unternehmerische Freiheit eingemischt« habe. Es sei »anmaßend«, so Jan Willmroth in der Süddeutschen Zeitung, dass der Minister seine Entscheidung mit »Gemeinwohlgründen« rechtfertigte, »als besitze er die Deutungshoheit darüber, was dem Wohl der Allgemeinheit dient.« (19.10.2016)

Tatsächlich schuf Gabriel mit der Ministererlaubnis für die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di eine relativ gute Verhandlungsposition mit dem Übernahme-Interessenten Edeka. Denn ver.di ist in dieser Branche schlecht aufgestellt: Gut zwei Drittel der ArbeitnehmerInnen im Lebensmitteleinzelhandel sind geringfügig oder in Teilzeit beschäftigt und auf unzählige Filialen unterschiedlicher Größe verteilt.

Um die Gewinnmargen trotz des massiven Wettbewerbs zu sichern, wird der Druck auf die Arbeitskosten und somit auf die Arbeitsbedingungen der Arbeitnehmer verstärkt. Ein Tarifvertrag gilt im Westen nur für 36 und im Osten nur für 26% der Beschäftigten.[3] Auch deshalb wird es für ver.di immer schwieriger, die Beschäftigten – in ihrer großen Mehrheit Frauen – vor den Folgen des Wettbewerbs zu schützen.

Mit Rückendeckung des Bundeswirtschaftsministers gelang der Gewerkschaft vorbehaltlich der Übernahme durch Edeka eine umfassende Absicherung: Die Arbeitsplätze der rund 16.000 Kaiser’s Tengelmann Beschäftigten sollen für fünf Jahre erhalten bleiben. Ein Verkauf der Supermärkte an selbstständige Kaufleute wäre verboten. Sollte es nach den fünf Jahren doch zu einer solchen Privatisierung kommen, wären Änderungskündigungen und betriebsbedingte Entlassungen für weitere 24 Monate ausgeschlossen.

Die Beschäftigten des Lieferdiensts Bringmeister GmbH wären erstmals tariflich gebunden. Zusätzlich konnte die Gewerkschaft Nahrung, Genuss, Gaststätten (NGG) die Sicherung für zwei der drei Fabriken des hauseigenen Fleischproduzenten Birkenhof sowie eine Übernahme der Beschäftigten der dritten Fabrik vereinbaren. Gesichert blieben auch Betriebsratsstrukturen, die es bei Kaiser‘s Tengelmann – im Gegensatz zu Edeka – flächendeckend gibt. Zu Recht stellte Hubert Thiermeyer, ver.di-Verhandlungsführer in Bayern, fest: »Ohne die Vorgaben der Ministererlaubnis wäre ein solches Ergebnis am Verhandlungstisch nicht möglich gewesen.«


Marktapologeten zweifeln an Rechtmäßigkeit der Ministererlaubnis

Hauptrivale REWE zweifelte jedoch die Rechtmäßigkeit der Ministererlaubnis an und klagte gemeinsam mit dem Norma und Markant gegen die Übernahme durch den Branchenprimus. Die urteilenden Richter des Oberlandesgerichts Düsseldorf (OLG) sprachen mit Blick auf den Wirtschaftsminister von einer »Besorgnis der Befangenheit«, die einen Verdacht fehlender »Unvoreingenommenheit des Amtswalters« in der Fusionssache begründe. Ihre marktliberale Urteilsbegründung schlägt sich insbesondere in ihrer Wertung nieder, Gabriel begehe einen Fehler, wenn er glaube, die Tarifbindung von Arbeitsplätzen diene dem Gemeinwohl. Das sei keineswegs der Fall.

Das ist ganz offensichtlich krude Ideologie, denn das Gegenteil ist richtig: Gerade dadurch, dass sich ArbeitnehmerInnen organisieren und mit ihrer daraus resultierenden Kraft gemeinsam tariflich gebundene Löhne durchsetzen, dienen sie dem Gemeinwohl eines Landes. Selbst neoliberale Organisationen wie der Internationale Währungsfonds haben inzwischen in Studien nachgewiesen, dass der Niedergang von Gewerkschaften oder die Abschaffung von Mindestlöhnen zu höherer Ungleichheit in den jeweiligen Ländern führen.

Nachdem das OLG die Ministerentscheidung vom März auf Eis gelegt hatte, trat Anfang Oktober auf Initiative der Gewerkschaft ver.di ein »Runder Tisch« zur Zukunft der Kaiser´s Tengelmann Supermärkte zusammen. Während erste Informationen zuversichtlich stimmten, es gebe eine Verständigung über die Rücknahme der Klagen von Rewe sowie Norma und Markant und damit werde die Übernahme durch Edeka möglich, erklärte Tengelmann-Chef Haub plötzlich die Gespräche für gescheitert und kündigte die Zerschlagung der Kaiser´s Tengelmann Supermarktkette an: Interessenten für einzelne der 551 Filialen könnten ab sofort Gebote abgeben.

Die Zerschlagung der Kaiser’s Tengelmann GmbH wäre für die ArbeitnehmerInnen ein Horror-Szenario. Zur Disposition stünden bis zu 8.000 Arbeitsplätze. Allein in NRW wären 80 von 105 Filialen von der Schließung bedroht, das hieße rund 3.000 von 3.500 Beschäftigten in NRW könnten in den nächsten Monaten ihren Arbeitsplatz verlieren. Bei einer Zerschlagung gelten vor allem die Fleischwerke des Unternehmens und die Zentralbereiche Logistik und Verwaltung mit rund 2.000 Beschäftigten als Schließungskandidaten. Trotz des Schröder’schen Schlichtungsspruchs traut der Berliner Betriebsratsvorsitzende von Kaiser’s Tengelmann, Volker Bohne, »dem Braten noch nicht.« Für den Gewerkschafter ist die Rettung der Arbeitsplätze im Unternehmen noch längst nicht sicher.

Für Marktapologeten ist dagegen die sozialpolitische Dimension der Zerschlagung kein Problem. »Nicht für die Kunden, die von der Modernisierung erhaltener Filialen eher profitieren werden. Nicht für die Lieferanten, weil Kaiser's Tengelmann für die meisten zu klein ist, um eine Alternative zu Edeka oder Rewe zu sein. Nur für diejenigen Mitarbeiter, die werden gehen müssen, ist diese Entwicklung wirklich bitter«, kommentiert der Journalist Jan Willmroth zynisch. Wie bitter das wirklich ist, erlebten rund 25.000 Beschäftigte bei der Schlecker-Firmenpleite in 2012. Nur etwa ein Drittel fand einen neuen Arbeitsplatz.

[1] EDEKA und REWE sind die dominierenden Konzerne im Lebensmittelhandel in Deutschland. Den Ursprung und die Basis der Konzerne bilden regionale Genossenschaften. Die genossenschaftliche Struktur geht auf den Grundgedanken des Zusammenschlusses selbständiger Einzelhändler zu regionalen Einkaufsgenossenschaften zurück. Bert Warich, Umstrukturierung im Lebensmittel-Einzelhandel am Beispiel der Handelskonzerne REWE und EDEKA, Arbeitspapier 228 der Hans-Böckler-Stiftung.
[2] Quelle: TradeDimensions/Statista
[3]  Vgl. Johannes Schulten/Jörn Boewe: Das wird teuer, in: Der Freitag, 29.9.2016.