Wie die Eurokrise nicht verstanden werden kann

In der linken Debatte über Wege aus der tiefen Krise der Europäischen Währungsunion finden sich auch Versuche, diese Krise nicht aus dem Scheitern eines Währungssystems zu erklären, sondern direkt aus dem internationalen Kapitalismus abzuleiten. Ein Beispiel dafür liefert Bernd Riexinger.[1]

Er meint, dass »die EU in ihrer gegenwärtigen neoliberalen Gestalt durch die Kräfteverhältnisse zwischen Kapital und Arbeit auf dem Weltmarkt und die Kräfteverhältnisse zwischen den Staaten in der imperialen Konkurrenz geprägt (ist)«. Das legt den Schluss nahe, es müsse zunächst über den internationalen Kapitalismus und nicht über die Europäische Währungsunion geredet werden. Wer so über die Krise einer Währung redet, hat den Charakter einer Währungsunion nicht verstanden.

Insofern bleibt die Unterstützung von Joachim Bischoff und Björn Radke[2] für Riexinger gegen die Kritik von Heiner Flassbeck ein Rätsel. Der Kritiker, so die Replik von Bischoff/Radke verenge den Blick auf das Währungssystem und auf die nationalen Unterschiede in der Entwicklung der Lohnstückkosten. Gegen einen so verengten Blick wird eingewandt, dass doch die Produktivitätsdifferenzen für die Eurokrise verantwortlich sind.

Egal, ob die nationalen Unterschiede zwischen den Ländern in der Eurozone von der Angebotsseite (Produktivität) oder von der Nachfrageseite (Löhne als wichtigste Größe der aggregierten Nachfrage) gesehen werden: Das ändert nichts an der Bedeutung der Währung für die Konkurrenz zwischen den Nationen, weil die Entwicklungen der Wechselkurse über den Preis der Produkte entscheiden.


Produktivitäts- und Lohnstückkostenthese

Folgen wir der Produktivitätstheorie von Bischoff/Radke und Riexinger, so wirkt eine gemeinsame Währung wie ein System mit festen Wechselkursen und verhindert einen Ausgleich der Preise über flexible Wechselkurse. Mit weltweiten Kräfteverhältnissen zwischen Kapital und Arbeit, wie Riexinger heraushebt, hat das kaum etwas zu tun. Die gelten ganz grundsätzlich, können aber die Eurokrise nicht erklären.

Wenn über unterschiedliche Produktivität gesprochen wird, so hat das mit der Produktion in unterschiedlichen nationalen Kapitalismen zu tun. Es war Marx, der darauf hingewiesen hatte, dass das Wertgesetz in seiner internationalen Anwendung dadurch modifiziert wird, dass auf dem Weltmarkt die produktivere nationale Arbeit als intensivere Arbeit zählt, sooft die produktivere Nation nicht durch die Konkurrenz gezwungen wird, die Preise der Waren auf den Wert zu senken (siehe hierzu Karl Marx, Das Kapital, Band 1, in MEW 23: 584).

In einer Währungsunion wird diese Preiskonkurrenz über die Abwertung der Währungen der weniger produktiven Nationen ausgehebelt. Der relative Wert des Geldes wird ohne eine gemeinsame Währung in verschiedenen Ländern verschieden sein. Auch wenn der Produktivitätsthese gefolgt wird, ändert das nichts an der Bedeutung einer Währung für die relativen Preise.

Wird die Rolle der gemeinsamen Währung ernst genommen, so kann gesehen werden, dass niedrige Lohnkosten die Preise senken und über die Senkung der Preise eine reale Abwertung in der Währungsunion stattfindet, die faktisch wie eine nominale Abwertung wirkt und darüber die Wettbewerbsbedingungen zugunsten des Landes mit niedrigen Lohnstückkosten verändert. Ein vergleichbarer Effekt wird erzielt, wenn die Produktivität eines Landes über dem internationalen Durchschnitt liegt. Der proklamierte Gegensatz zwischen der Produktivitäts- und der Lohnstückkostenthese besteht daher nicht, wenn es um die nationale Wettbewerbsposition geht.

Riexinger dagegen müsste klar sein, dass der Verweis auf eine national verschiedene Produktivität in der Eurozone sein Beharren auf den internationalen Kräfteverhältnissen zwischen Kapital und Arbeit von selbst erledigt. Nach wie vor werden die Löhne auf der nationalen Ebene bestimmt und die Bedingungen des Weltmarktes kommen erst über die über Währungen vermittelte Konkurrenz hinzu. Über den verengten Blick auf die Währung hinaus zu kommen, kann nicht heißen, die fundamentale Bedeutung der Währung herunterzuspielen, möglicherweise bis zu der neoklassischen Doktrin von der Neutralität des Geldes.

Auch die Vorstellung, dass sich die übrigen europäischen Nationalstaaten unter dem Druck des neoliberalen Projekts (Was soll das sein?) organisieren, verkennt die tiefe Spaltung in der EU. Es handeln gerade nicht alle Euroländer neoliberal, sondern, um das mit Riexinger zu sagen, national-keynesianisch. Auch die deutsche Regierung handelt in einer besonders bornierten Form national-merkantilistisch und verstößt damit gegen fundamentale Grundsätze einer Saldenökonomie. Ihre ordoliberale Politik wird auf europäischer und internationaler Ebene heftig kritisiert.

Über diese Spannungen und Konflikte die Einheitssoße des Neoliberalismus zu gießen, verrät eine ausgesprochene Realitätsfremde. Diese basiert auf gravierenden theoretischen Fehlannahmen über einen vermeintlich internationalen Kapitalismus und über die Beschränktheit eines nationalen Keynesianismus. So wie der Euro konstruiert ist, werden zentrale wirtschaftspolitische Entscheidungen mit Ausnahme der Geldpolitik noch auf der nationalen Ebene getroffen. Insofern muss eine rationale Eurokritik daran ansetzen. Dass die Rolle der deutschen Lohnpolitik für die Auseinanderentwicklung in der Eurozone heruntergespielt bzw. ignoriert wird, komplettiert diese Fehlorientierung.

Um die Krise des Euro zu verstehen, müssen wir verschiedene Ebenen auseinanderhalten. Einmal die Währungsunion selbst. Die Eurozone ist kein optimaler Währungsraum. Deshalb müssen bestimmte institutionelle Mechanismen eingeführt werden, die diesen Mängeln Rechnung tragen können und die fehlende politische Union ausgleichen. Dafür sind eine restriktive Fiskal- und eine restriktive Geldpolitik, also die Eintrittsbedingungen Deutschlands völlig ungeeignet.


Maastricht II eine Fehlkonstruktion

Insofern war bereits Maastricht II eine Fehlkonstruktion. Das hätte im Verlauf der Währungsunion korrigiert werden können. Es ist bereits ab 2000 insbesondere durch die Politik der deutschen Regierung das gerade Gegenteil exekutiert worden (Steuersenkungen, Verstoß gegen die Regel der Lohnkoordination). Nach der Finanzkrise wurden die Konvergenzkriterien durch die Fiskalbremse weiter radikalisiert. Die Dominanz Deutschlands und die politische Schwäche von Frankreich und Italien komplettieren diese Konstellation.

Es sind daher zwei Voraussetzungen der Euro-Krise zu erklären. Die unzureichende Konstruktion der Währungsunion und die falsche Wirtschaftspolitik Deutschlands. Das zu korrigieren, wird zur Aufgabe von nationaler und europäischer Politik in einer postkeynesianischen Perspektive, nicht aber von internationalen Klassenkämpfen. Letzteres läuft auf eine Verharmlosung der deutschen Politik in der EU hinaus. Hier trifft sich die schwäbische Hausfrau mit dem schwäbischen Klassenkämpfer.

[1] Gegen-Macht und linke EU-Kritik statt Exit-Illusionen. Auf dem Weg zu Alternativen zum Neoliberalismus gibt es keine Abkürzungen über die Währungsfrage. Beitrag in der Ausgabe Oktober 2016 des prager frühling. Auch dokumentiert auf der Website des neuen deutschland am 29.10.2016.
[2] Joachim Bischoff / Björn Radke: Das Ende der marktliberalen Weltordnung; SozialismusAktuell vom 16. November.