(K)eine Liste

 Bereits die zweite Veröffentlichung detaillierter Daten durch ein zertifiziertes PID-Zentrum rüttelt am Geheimhaltungsgebot und bereitet den Weg für eine Indikationsliste. WEITERE INFOS: gen-ethisches-netzwerk/gid238

Der befürchtete Dammbruch ist bisher ausgeblieben“, schrieb Heike Korzilius im Deutschen Ärzteblatt im August beruhigend.(1) Diese Bilanz der Legalisierung der Präimplantationsdiagnostik (PID) ignoriert allerdings die deutlichen Bemühungen, die Gesetzesauslegung liberaler zu gestalten. Die relativ restriktive Gesetzgebung wird auf zwei Wegen angegriffen - zum einen durch Veröffentlichungen von Diagnosen, zum andern durch den Versuch, verschiedene Techniken und Diagnosen als nicht unter die Gesetzgebung fallend zu erklären. Beide Methoden wendet eine neue Veröffentlichung der Freiburger PID-Zentren im Frauenarzt an. Bereits vor einem Jahr waren die für die Region Nord zertifizierten Zentren in Lübeck und Hamburg vorgeprescht und hatten in der gleichen Zeitung einen ausführlichen Bericht der bis dahin genehmigten und durchgeführten Fälle von PID vorgelegt. Darüber hatte der GID schon im Oktober des letzten Jahres berichtet und bei den zuständigen Ärztekammern und Behörden nachgefragt, wie sie diese Veröffentlichung bewerten.(2)

Behördenreaktionen

Der Pressesprecher der Hamburger Behörde für Gesundheit und Verbraucherschutz (BGV), Rico Schmidt, antwortete uns, die Behörde habe sich „gegenüber der Ärztekammer Hamburg (ÄKH) sehr kritisch in Bezug auf den Inhalt des Artikels und zur Frage des rechtskonformen Verhaltens der Autoren geäußert“. Die „Veröffentlichung von Einzeldiagnosen“ sei „nicht zulässig“, da sie den Datenschutzvorschriften widerspreche. Zum einen bestehe durch die Veröffentlichung die „konkrete Gefahr der Identifizierbarkeit der Antragsteller“. Darüber hinaus soll aber auch „der Entstehung einer sogenannten Indikationsliste vorgebeugt werden“. Mit dem im Dezember 2011 in Kraft getretenen Gesetz zur Regelung der Präimplantationsdiagnostik (PräImpG) hat der Gesetzgeber ein explizites Verbot der PID in das Embryonenschutzgesetz (ESchG) eingefügt. In einer Ausnahmeregelung erklärt der neue Paragraf 3a des ESchG die PID für „nicht rechtswidrig“, wenn für potenzielle Nachkommen eines Paares das „hohe Risiko einer schwerwiegenden Erbkrankheit“ besteht. Ferner darf die PID zur „Feststellung einer schwerwiegenden Schädigung des Embryo“ durchgeführt werden, wenn diese „mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer Tot- oder Fehlgeburt führen wird“. Die Erstellung einer Liste derjenigen Behinderungen, die als schwerwiegend gelten, wurde im Gesetzgebungssprozess explizit verworfen, da dies einem Werturteil über bestimmte Konditionen und das Leben mit ihnen gleich komme. Durch die Veröffentlichungen im Frauenarzt sowie den Austausch der genehmigenden Ethikkommissionen und der durchführenden Humangenetiker_innen untereinander besteht jedoch die reale Gefahr, dass eine inoffizielle Liste entsteht.(3) Genetische Dispositionen, die in einem Fall bereits genehmigt worden sind, gelten dann auch den anderen Ethikkommissionen als schwerwiegend genug und werden kaum abgelehnt werden können. Ergeben sich aus der Veröffentlichung negative Konsequenzen für die Zentren? Das PID-Zentrum Lübeck wurde vom zuständigen Ministerium für Soziales, Gesundheit, Wissenschaft und Gleichstellung des Landes Schleswig-Holstein darauf hingewiesen, „dass datenschutzrechtliche Belange grundsätzlich einzuhalten sind“, so der stellvertretende Pressesprecher Frank Strutz-Pindor. „Zulassungsrelevant“ sei der Vorgang jedoch nicht, weswegen keine rechtlichen Schritte eingeleitet worden seien.(4) Etwas anders sieht es in Hamburg aus: Dort gibt es seit Mitte vergangenen Jahres kein zugelassenes PID-Zentrum mehr, da die Einrichtung umgezogen ist. Am neuen Standort wurde noch keine Akkreditierung beantragt. „Die angesprochene Veröffentlichung in der Zeitschrift Frauenarzt wird für uns Anlass sein, zukünftig im Bescheid über die Zulassung eines PID-Zentrums Handlungsoptionen (zum Beispiel einen Widerrufsvorbehalt) vorzusehen, so dass auf nicht rechtskonformes Verhalten angemessen reagiert werden kann“, schrieb Rico Schmidt dem GID Anfang August.(5)

Freiburger Details

Das verbreitete Unbehagen mit den Details der Veröffentlichung des Vorjahres hielt die Zeitschrift Frauenarzt nicht davon ab, im Juli diesen Jahres den in Freiburg akkreditierten Zentren die Gelegenheit zu geben, ihre bisherigen Ergebnisse detailliert darzustellen. Die Fachzeitschrift wird vom Berufsverband der Frauenärzte e.V. (BVF) sowie der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe e.V. (DGGG) herausgegeben. Mitautorin des Beitrags ist die bekannte und sich notorisch für eine Liberalisierung der PID einsetzende emeritierte Juristin Monika Frommel.(6) Der Artikel stellt die neun durchgeführten Fallkonstellationen in allen Einzelheiten dar. Bis zum 30. Juni waren 16 Stimulationszyklen bei neun Frauen durchgeführt worden. Beschrieben werden die genauen genetischen Dispositionen, die Betroffenheit der Wunscheltern sowie die Vorgeschichte inklusive vorheriger Aborte - alles Umstände, die bei der gesetzlich vorgeschriebenen Ethikkommission unter eine strenge Schweigepflicht fallen. Schon der erste Bericht der Bundesregierung meldete diesbezüglich „datenschutzrechtliche Bedenken“ an.(7) Auf der Suche nach der Lücke im Gesetz und einer präimplantativen Untersuchungsmethode, die ohne vorherige Bewertung durch eine Ethikkommission durchgeführt werden kann, behauptet der Artikel mehrere offene Rechtsstreitigkeiten. Die Autor_innen stellen in Frage, ob eine PID bei einem hohen Risiko für eine Fehl- oder Totgeburt überhaupt einer Genehmigung durch die Ethikkommission bedarf - ein Blick in das Gesetz hätte diese Frage beantworten können. Die Diagnostik ist in allen Fällen mittels Throphoblast-Biopsie durchgeführt worden. Die telefonische Nachfrage bei der als verantwortliche Autorin genannten Frauenärztin Birgit Wetzka vom CERF in Freiburg ergab, dass keiner der Fälle einer Ethikkommission vorgelegt wurde. Der juristische Beistand der Kliniken habe dies unbedenklich gefunden.(8) Das Verwaltungsgericht München sieht das allerdings anders: Anfang September erging ein Urteil mit Präzedenzcharakter gegen ein Münchner Labor. Dieses hatte gegen die Stadt München geklagt, die dem Labor die Anwendung der Diagnostik ohne vorherige Einschaltung einer Ethikkommission untersagt hatte. Die Anwältin des Labors argumentierte, dass der Embryo durch die Untersuchung nicht geschädigt werde und sich die untersuchten Zellen selbst sowieso nicht weiterentwickelt hätten. Damit fiele diese Diagnostik nicht unter das Embryonenschutzgesetz - ein Argument, wie es sich auch in dem Frauenarzt-Artikel wiederfindet. Das Gericht befand jedoch, auch die genetische Untersuchung der Blastozyste, einem frühen Stadium der Embryoentwicklung, sei PID im Sinne des Gesetzes und müsse von einer Ethikkommission genehmigt werden. Der Richter wies die Klage des Labors zudem mit der Begründung ab, der Gesetzgeber habe mit dem PID-Gesetz „entschieden, jede Möglichkeit einer Selektion zu unterbinden“.(9) Eine Indikationsliste sei natürlich nicht das Ziel der Autor_innen, erklärt Wetzka im Gespräch. Eine solche würde „die Möglichkeiten ja auch eher einengen”. Allerdings: „In der Beratung wäre es aber natürlich hilfreich, den Paaren sagen zu können, worauf sie sich einstellen können." Dieses Ziel hatten auch die Autor_innen der Nord-Zentren vor einem Jahr formuliert. Nur: Legal ist das eben nicht und die Selbstverständlichkeit, mit der hier Gesetze übertreten oder zumindest gedehnt werden, um den „Paaren mit großem Leidensdruck zu helfen", wie Wetzka formuliert, ist schon erstaunlich. Auch wegen dieses Artikels hat das Gen-ethische Netzwerk beim zuständigen Sozialministerium nachgefragt. Wir gehen davon aus, dass weder die Tests ohne Genehmigung einer Ethikkommission noch die Veröffentlichungspraxis gesetzeskonform sind. Die Zentren haben sich nach Aussage dvon Wetzka vor der Veröffentlichung nicht abgesprochen. Die Anbieter von PID verbindet aber ein offensichtliches Interesse an einer Ausweitung und Liberalisierung der Genehmigungspraxis. Zu fragen bleibt: Was nützt ein restriktives Gesetz, wenn den Versuchen, es zu umgehen und zu untergraben, nichts entgegengesetzt wird?

Kirsten Achtelik ist Sozialwissenschaftlerin und freie Journalistin.

Fußnoten:

(1) Heike Korzilius: Präimplantationsdiagnostik: Der Wunsch nach einem gesunden Kind, www.aerzteblatt.de oder www.kurzlink.de/gid238_l.
(2)
Vgl. Kirsten Achtelik: PID-Zentren wollen mehr, GID 232, S. 37 - 38, www.kurzlink.de/gid238_m.
(3) Auf diese Gefahr hat Uta Wagenmann nach ihrem Besuch der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Humangenetik im März 2016 in Lübeck hingewiesen. Vgl.: Wissenstransfer und Entscheidungszwang, GID 235, S. 6 - 7, www.kurzlink.de/gid238_n.
(4) Mail vom 08. August 2016.
(5) Mail vom 02. August 2016.
6) B. Wetzka u.a.: PID bei monogenetischen Erkrankungen. Klinische Erfahrungen dargestellt in neun Kasuistiken, in: Der Frauenarzt Nr. 7, 2016, S. 670-78. (7) Erster Bericht der Bundesregierung über die Erfahrungen mit der Präimplantationsdiagnostik, Drucksache 18/7020, 10.12.15, http://dipbt.bundestag.de/doc/btd/18/070/1807020.pdf.
8) Dies und nachfolgende Zitate: Telefongespräch mit Birgit Wetzka am 22.09.16.
(9) N.N.: Künstliche Befruchtung: Gericht beschränkt Diagnosemethode, online unter www.pharmazeutische-zeitung.de oder www.kurzlink.de/gid238_o und Nina Gut: Ethikkommission muss immer prüfen, online unter www.ovb-online.de oder www.kurzlink.de/gid238_p.