Küsten-Koalition abgewählt – kein »Schulz-Effekt« für die SPD

Die Landtagswahlen in Schleswig-Holstein

Die schleswig-holsteinischen WählerInnen haben die Küsten-Koalition aus SPD, GRÜNEN und SSW abgewählt. Gegenüber der Landtagswahl 2012 stieg die Wahlbeteiligung von 60,1% auf 64,2%, oder in absoluten Stimmen: 137.196 Wahlberechtigte kamen wieder zurück an die Wahlurnen.

Die schleswig-holsteinischen WählerInnen haben die Küsten-Koalition aus SPD, GRÜNEN und SSW abgewählt. Gegenüber der Landtagswahl 2012 stieg die Wahlbeteiligung von 60,1% auf 64,2%, oder in absoluten Stimmen: 137.196 Wahlberechtigte kamen wieder zurück an die Wahlurnen. Deutliche Gewinnerin der Wahl ist die CDU, die erst in den letzten Wochen in den Umfragewerten die SPD überholen konnte. Sie hat mit ihrem Spitzenkandidaten Daniel Günther wohl am besten die Stimmung im Land getroffen mit ihren drei Hauptthemen Bildung, Innere Sicherheit und Verkehr. Beim Thema Bildung setzte sie auf eine Abkehr des auf acht Jahre verkürzten Abiturs (G8) zurück zum alten neun Jahre währenden Lernens bis zum Abitur (G9). Bei der Infrastruktur sind die Probleme im Land derart offenkundig: Marode Straßen und der schlechte Zustand der Schulbauten sind vor jeder Haustür zu besichtigen. Der Investitionsstau im öffentlichen Sektor ist von allen Landesregierungen der letzten Jahrzehnte, nicht nur von der Küsten-Koalition, zu verantworten, aber der CDU ist es gelungen, den Unmut der WählerInnen über die im Alltag auffälligsten Mängel aufzugreifen.

Sie hat 61.739 Stimmen gegenüber 2012 hinzugewonnen und ist mit 32% (470.312 Stimmen) im Land wieder stärkste Partei. Nachdem die CDU nach Verlust der Regierungsmacht 2012 in eine veritable Orientierungs- und Führungskrise geraten war, hat sie mit der Entscheidung für Daniel Günther als Spitzenkandidaten in den Augen der WählerInnen wieder Regierungsfähigkeit zurückgewonnen. Dabei hat sie insbesondere ehemalige CDU-WählerInnen, die sich 2012 für Wahlenthaltung entschieden hatten, aktivieren können.

Der SPD in Schleswig-Holstein war im Vorfeld der Wahl bewusst, dass es am Ende ein knappes Ergebnis werden würde. Schon 2012 war sie nicht stärkste Partei, sondern lag um 0,4% hinter der CDU. Die Krise der CDU einerseits, und die Bereitschaft von GRÜNEN und der Partei der dänischen Minderheit, SSW, mit der SPD eine Koalition zu bilden, führten zur Küsten-Koalition mit nur einer Stimme mehr im Landtag.

 

Fragwürdige Wahlstrategie der SPD

Noch wenige Wochen vor der Wahl zeigten sich eine 2/3 Mehrheit der Befragten zufrieden bis sehr zufrieden mit der Regierungsarbeit. Allerdings verzichtete die Sozialdemokratie im Wahlkampf darauf, die Probleme im Land zu benennen und insbesondere auch beim Thema soziale Gerechtigkeit zu verdeutlichen, was das an konkreter Politik in der nächsten Legislaturperiode bedeutet hätte.

Strukturpolitik und Zukunftskonzeption waren für die Küstenkoalition keine wirklich wichtigen Themen. Stattdessen demonstrierten der Ministerpräsident Torsten Albig (SPD) und der SPD-Landesvorsitzende Ralf Stegner gegenüber jedweder Kritik die Arroganz der Macht. Die Krönung war zum Wahlkampfende die Home-Story von Albig in der »Bunten«, die den Eindruck vermittelte, die privaten Verhältnisse des Kandidaten seien wichtiger als die Probleme des Landes. So konnte der CDU-Spitzenkandidat Günther im direkten Vergleich den Abstand zu Albig von 35% noch in der zweiten April-Hälfte auf nur noch 14% bei den Wahlen verkürzen.

Letztlich hat die SPD gegenüber der Wahl 2012 zwar »nur« 3.148 Stimmen verloren, aber die größere Mobilisierungsfähigkeit der CDU einerseits, und eine in den letzten Wochen doch nicht zu übersehende Selbstgefälligkeit haben zur Niederlage beigetragen. Allein die Partei der sozialen Gerechtigkeit sein zu wollen, ist dann doch konzeptionell zu wenig. 3,2% Verlust (knapp 70.000 Stimmen weniger als die CDU) sind zwar kein herber Einbruch, zeigen aber, dass die Landes-SPD nicht vom Bundestrend der Partei profitieren konnte. Allerdings hat sich der positive Bundestrend zuletzt auch deutlich abgeschwächt. In den aktuellen Umfragen pendelt die SPD auf Bundesebene um die 30%, der Abstand zur CDU ist wieder auf 8% gestiegen.

Zu Recht weist Horst Kahrs in seiner Wahlauswertung darauf hin: »Bundespolitisch wird das Wahlergebnis als starker Rückenwind für die Union und Kanzlerin Merkel sowie zu einem herben Rückschlag für die Ambitionen des SPD-Vorsitzenden und Kanzlerkandidaten Martin Schulz gedeutet werden, eine Deutung, die am kommenden Wahlsonntag in Nordrhein-Westfalen Bestätigung finden könnte.«

 

Freude bei den Grünen und der FDP, Frust bei den Linken

Die GRÜNEN haben mit ihrem Wahlkampf voll auf das Landesspitzenduo Heinold/Habeck gesetzt und sich auch deutlich von der Bundespartei abgegrenzt. Robert Habeck, bisher Landwirtschaftsminister der Küsten-Koalition, hat maßgeblich den Wahlkampf mitbestimmt. In Schleswig-Holstein laufe es für die GRÜNEN, weil sie den Mut hätten, eine Grenze zur Bundespartei zu ziehen – weil sie keine Verbotspartei seien und auch nicht so wahrgenommen würden. Sie wollten Politik machen »nicht nur für ein kleines Milieu«, sondern für die ganze Gesellschaft. »Der Vorwurf, wir sind abgehoben, wir sind elitär, eine Nischenpartei, der trifft hier Null. Hier sind wir eine kleine Volkspartei.« Mit 12,9% (14.976 Stimmen mehr als 2012) ist diese Rechnung wohl auch aufgegangen. Als »kleine Volkspartei« werden die GRÜNEN sich auch nicht allzu lange zieren, dem Angebot der CDU, eine »Jamaika«-Koalition mit der FDP zu bilden, zu folgen.

Auch die FDP hat dank ihres Platzhirsches Wolfgang Kubicki deutlich zulegen können. Mit einem ganz auf ihn zugeschnittenen Wahlkampf »Man muss nicht nur wollen, sondern auch können!« hat sie 59.619 Stimmen gegenüber der Wahl 2012 hinzugewinnen können und 11,5% erzielt. Für Kubicki, der im Herbst in die Bundespolitik wechseln will, ist die Präferenz klar: Jamaika soll es sein. Er sieht die Differenzen zu den GRÜNEN nicht als unüberbrückbar.

Der SSW hat deutlich an Zustimmung verloren. 12.081 Stimmen gingen gegenüber der Wahl 2012 verloren, was sich in einem deutlich niedrigeren Stimmenanteil von 3,3% niedergeschlagen hat. Für die Interessenvertretung der dänischen und friesischen Minderheit in Schleswig-Holstein gilt die Fünf-Prozent-Hürde nicht. Im Mai 2012 hatte die Partei 4,6% der Stimmen erhalten und stellte drei Abgeordnete im Kieler Landtag. »Eine erneute Regierungsbeteiligung des SSW gibt es nur mit SPD und Grünen«, sagt SSW-Chef Flemming Meyer.

Der Einzug der AfD in den Landtag ist nicht unerwartet, aber die 86.275 Stimmen (5,9%) sind doch weit hinter dem selbst gesetzten Ziel, zweistellig zu werden, zurückgeblieben. Acht von zehn Wahlberechtigten (81%) werfen der AfD vor, sich nicht genug von rechtsextremen Positionen zu distanzieren. Ebenso viele ziehen in Zweifel, dass die AfD aufgrund ihrer parteiinternen Konflikte ernsthaft Politik mitgestalten kann. Die Mehrheit der Wahlberechtigten in Schleswig-Holstein (72%) findet es nicht gut, dass die AfD den Zuzug von Ausländern und Flüchtlingen stärker begrenzen will als andere Parteien. Die AfD zieht zwar in den Landtag ein, doch mit dem prozentual schlechtesten Ergebnis aller Landesverbände.

DIE LINKE verpasst den Einzug in den Kieler Landtag erneut, auch wenn das Ergebnis besser ausfällt als 2012 (25.965 Stimmen dazu gewonnen, 3,8% WählerInnenanteil). Das große Defizit der Partei ist, dass es ihr nicht gelungen ist, zu den wirklich drängenden Problemen des Landes überzeugende alternative Konzepte vorzulegen. In der summarischen Kompetenzbewertung, wer die wichtigsten Aufgaben im Bundesland lösen kann, liegt die LINKE bei 1%.

Einen anderen Aspekt nennt Horst Kahrs in seiner Wahlanalyse: »Bereits 2012 hatten wir im Wahlnachtbericht analysiert, dass der Einzug in den Landtag 2009 nur im Windschatten der gleichzeitig stattfindenden Bundestagswahl gelungen war und anschließend keine angemessene Parteiorganisation und Mitgliederdichte aufgebaut werden konnte. 2017 scheint sich daran wenig geändert zu haben, auch wenn die überdurchschnittlichen Ergebnisse bei jüngeren Wählern und in städtischen Regionen (Flensburg 7,0%; Kiel 7,2%; auf die Anziehung ehemaliger Piratenwähler und generell einer neuen, jüngeren Generation hindeuten. Insofern reiht sich das Wahlergebnis in die Reihe etlicher anderer Ergebnisse seit 2011 ein – als zartes Hinweis auf einen beginnenden Wechsel in Mitglied- und Wählerschaft, der aber noch keine politische Durchschlagskraft entwickelt.«

 

Weitere Absage an eine reformpolitische Alternative

Es ist festzuhalten: Die WählerInnen haben sich von der, wenn auch unzureichenden, Konzeption einer Mitte-Links-Koalition verabschiedet und das politische Feld nach rechts verschoben. Im neuen Landtag kann es aufgrund der neuen Sitzverteilung eigentlich nur noch zu einer Jamaika-Koalition kommen (CDU 25, GRÜNE 10 und FDP 9 Mandate). Theoretisch ist auch eine klassische Ampel mit der SPD denkbar, sollten die Differenzen zwischen den GRÜNEN und der CDU sich als unüberbrückbar erweisen. Aber eine Ampelkoalition mit einer SPD, die mit 21 Mandaten als Wahlverlierer dasteht, scheint angesichts der Herausforderungen eines drohenden Haushaltsdebakels (HSH-Nordbank) und der nicht gelösten Baustellen im Land nicht belastbar und könnte vorzeitig zerbrechen.

Bundespolitisch markiert die Schleswig-Holstein-Wahl einen weiteren deutlichen Rückschlag für die Chancen einer reformpolitischen Alternative, die sich mit der Wahl von Martin Schulz als neuem Bundesvorsitzenden der SPD und Kanzlerkandidaten verbunden hatte. Der »Schulz-Effekt« hat sich deutlich abgeschwächt, auch weil der Hoffnungsträger in Sachen sozialer Gerechtigkeit bisher weitere konkrete Impulse schuldig geblieben ist. Sollte sich der Trend der Saarland und Schleswig-Holstein-Wahlen am kommenden Wochenende auch in Nordrhein-Westfalen fortsetzen, wird Rot-Rot-Grün schon rein rechnerisch keine Option mehr sein. Dieser Umstand sollte auch für DIE LINKE Anlass zu selbstkritischen Reflexionen sein.