Ende der Zurückhaltung

     

Noch im Jahr 2015 hatten sich hochrangige internationale Forscher_innen für ein Moratorium für Genome Editing an menschlichen Embryonen ausgesprochen. Schon auf dieses hatten sie sich jedoch nicht endgültig einigen können. Nun gab eine Stellungnahme der US-amerikanischen Wissenschaftsakademien den Startschuss für das Ende der Zurückhaltung - auch für deutsche Wissenschaftler_innen.

 

Im Februar 2017 veröffentlichten die Nationalen Wissenschaftsakademien der USA einen 300-seitigen Bericht, in dem sich das Komitee für menschliches Genome Editing der Organisationen prinzipiell für Genome Editing an Embryonen ausspricht.1 Zwar sollen potenzielle klinische Studien einem Kritierienkatalog entsprechen, den die 22 Wissenschaftler_innen verschiedener Fachrichtungen erarbeitet haben. Jedoch ist dieser so vage formuliert, dass es kaum einzuschätzen ist, wie er real umgesetzt werden könnte.

Viele Fragezeichen

So sollen sich die Studien an globalen Prinzipien wie Transparenz, verantwortungsvolle Wissenschaft, Fairness, Respekt und Gesundheit ausrichten. Somatisches und vererbbares Genome Editing sollen sich zum jetzigen Zeitpunkt auf die Behandlung oder Prävention von Erkrankung und Behinderung beschränken. Vererbbare Veränderungen sollen nur in den „überzeugendsten“ Fällen vorgenommen werden. Dazu zählen die Autor_innen „schwere Erkrankungen oder Behinderungen“. Klinische Studien sollen in diesen Fällen streng reguliert und überwacht werden. Eine fortlaufende Neubewertung und Öffentlichkeitsbeteiligung soll vor jeder klinischen Anwendung von vererbbarer Veränderung des Genoms stehen. Die vermeintliche Verbesserung des Erbgutes, das Enhancement, wird ebenfalls nicht grundsätzlich abgelehnt, hierfür halten die Autor_innen zunächst eine öffentliche Debatte für notwendig.

Ein Kapitel widmet sich der Grundlagenforschung. Hier betonen die Autor_innen die Wichtigkeit der Forschung an Embryonen. Aufgrund der großen Unterschiede zwischen den verwendeten Versuchstieren und menschlichen Zellen sei es notwendig, menschliche embryonale Zellen zu verwenden. Die Forschung würde zu einer Verbesserung von reproduktiven Techniken wie In-Vitro-Fertilisation (IVF), Pränataldiagnostik (PND) und Präimplantationsdiagnostik (PID) führen, die Behandlung von Unfruchtbarkeit ermöglichen und schließlich die Grundlage für den therapeutischen Einsatz von Genome Editing an Embryonen schaffen.

Keine Standards möglich

Die Publikation beschäftigt sich nicht nur mit Genome Editing von Keimzellen und Embryonen, sondern auch mit somatischen Therapieansätzen, von denen einige bereits jetzt in klinischen Studien getestet werden. Die Autor_innen empfehlen diesen Einsatz und erläutern die Vielfältigkeit der methodischen Ansätze. Die großen Unterschiede zwischen den zu behandelnden Zuständen, betroffenen Gewebe- und Zelltypen und die verschiedenen Einbringungsformen der Genome-Editing-Mechanismen erlaubten es nicht, zu diesem Zeitpunkt schon Standards zu definieren oder Vorschläge zu entwickeln, wie unintendierte Veränderungen (Off-Target-Effekte) gemessen, evaluiert und verhindert werden sollen. Wie die notwendige Nutzen-Risiko-Abwägung aussehen soll, bleibt unklar: Präklinische Tests sollen diese Parameter individuell vor Studiendurchführung ermitteln. Die fehlenden Konkretisierungen verwundern angesichts der Tatsache, dass in den USA mehrere klinische Studien mit CRISPR-Cas und anderen Genome Editing-Methoden kurz vor dem Beginn stehen. Für diese Therapien müssten also schon genügend präklinische Daten vorhanden sein, um eine solche Abwägung zumindest exemplarisch treffen zu können.

Nur „schwere Fälle“?

Das kontroverseste Thema des US-amerikanischen Diskussionspapieres ist Genome Editing an Keimzellen oder frühen Embryonen, dessen Ergebnisse vererbbar und daher mit hohen multigenerationalen Risiken behaftet wären. Die Autor_innen versuchen zu definieren, in welchen Fällen diese Anwendung vertretbar wäre. Da die „Alternative“ PID wegen des Embryonenverbrauchs nicht allgemein akzeptiert wäre, könne die Korrektur der Genvarianten mittels Genome Editing eine Lösung sein. Dieses Argument übersieht, dass Embryonen auch nach einer solchen Behandlung per PID auf erwünschte und unerwünschte Veränderungen überprüft und selektiert werden müssten. War in der Einleitung noch von „schweren Behinderungen“ die Rede, nennen die Autor_innen im Weiteren Achondroplasie als Beispiel, eine Form des genetisch bedingten Kleinwuchses. Die gravierendste Konsequenz für die Betroffenen besteht vermutlich in der gesellschaftlichen Diskriminierung, die nicht einfach wegzueditieren ist. Dieses Beispiel verdeutlicht, aus welcher Perspektive und mit welchem Bild von Gesundheit der Bericht geschrieben ist.

Als weiteres Anwendungsfeld nennen die Autor_innen bestimmte Fertilitätsprobleme. Risiken, Kosten und Unannehmlichkeiten von wiederholten Hormonbehandlungen für erfolglose IVF-Zyklen könnten durch Genome Editing vermieden werden. Zusammenfassend, so die Autor_innen, würde die Anwendungsmöglichkeit von embryonalem Genome Editing nur eine kleine Anzahl Menschen betreffen, aber deren Sorgen müsse man ernst nehmen - ein klassisches Tabubrecher-Argument.

Klinische Studien an menschlichen Embryonen seien zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht durchführbar, da das Problem von Off-Target-Effekten noch nicht gelöst sei, zumindest müsse sich die Häufigkeit des Auftretens dieser Effekte im Rahmen der Häufigkeit natürlicher Mutationen bewegen. Wie bei den somatischen Therapieansätzen möchten die Autor_innen jedoch kein konkretes Level an Off-Target-Effekten spezifizieren, bei der sie eine Anwendung für akzeptabel befinden. Eine weitere Voraussetzung für klinische Studien wäre die Einplanung von Langzeitbeobachtung. Um die Konsequenzen und Sicherheit der Methode abschätzen zu können, müssten Studien mehrere Generationen umfassen. Zukünftige Kinder und deren zukünftige Kinder müssten einbezogen werden, die nie ihre Einwilligung gegeben haben, Teil der Studie zu sein. Zwar könne man diese nicht zur Teilnahme an einer solchen Studie zwingen, der Bericht geht jedoch davon aus, dass diese durch „Ermunterung“ ausreichend motiviert werden könnten. Ansonsten bleibt er aber äußerst vage.

Der Bericht beschäftigt sich auch mit möglichen ethischen und sozialen Problemen von vererbbarem Genome Editing - die Sorge vor einer eugenischen Entwicklung der Bevölkerungsverbesserung wird als unbegründet abgetan. Als Kronzeugen werden Menschen mit Behinderung angeführt, die vorgeburtlichen genetischen Screenings nicht ablehnend gegenüberstehen.

Beteiligung der Öffentlichkeit?

Immer wieder betont der Bericht die Wichtigkeit der Beteiligung der Öffentlichkeit am Prozess. Die Autor_innen begründen dies damit, dass bei der Entwicklung und Einführung der Agro-Gentechnik große Fehler gemacht worden seien, vor allem die Intransparenz hätte irreparable Schäden für die gesellschaftliche Wahrnehmung von Gentechnik hinterlassen. Beteiligung ist hier jedoch offensichtlich nicht als Austausch gemeint, sondern mehr als einseitiger Informationstransfer. Ansonsten hätte man die  Öffentlichkeit bereits für den vorliegenden Bericht beteiligen können. Das behauptete Bedürfnis der Öffentlichkeit nach Genome Editing kann ebenfalls nicht belegt werden. Umfragen, die vor dem Tod von Jesse Gelsinger im Rahmen einer Gentherapie 1999 durchgeführt wurden, zeigen Zustimmungswerte über 75 Prozent.2 In einer Umfrage aus dem Jahr 2016 befürworteten jedoch nur 26 Prozent der Befragten den Einsatz von Genome Editing, um eine spätere schwere Erkrankung eines Kindes zu verhindern.

Dem Bericht gelingt es vor allem, die Leerstellen im Wissen um Genome Editing aufzuzeigen. Viel Grundlagenforschung sei noch notwendig, um die Basis für klinische Studien schaffen zu können. Dies ist jedoch im Moment in den USA schwer möglich, da Forschung an embryonalen Zellen von staatlicher Forschungsförderung ausgenommen ist. Zwar kann sie aus privaten Quellen oder von einzelnen Bundesstaaten finanziert werden, doch vielerorts ist diese Forschung generell verboten. Im April 2015 bekräftigte der Leiter des Nationalen Gesundheitsinstituts NIH, Francis Collins, die Forschungsförderungssperre und bezeichnete Keimbahnmanipulation als „Linie. die nicht überschritten werden sollte“.3 Zusätzlich beschloss der US-Kongress im Juni 2015, dass die US-amerikanische Behörde für Lebens- und Arzneimittel FDA keine Ressourcen dafür verwenden darf, Anträge über klinische Studien für therapeutisches Genome Editing an Embryonen zu bearbeiten. Dies gilt bis zur nächsten Budgetüberprüfung im April 2017 (nach Redaktionsschluss für diesen GID).

Druck auf den Gesetzgeber

Der US-amerikanische Bericht ist also ein Versuch der Wissenschaftsakademien, Druck gegen die staatliche Förderungssperre für embryonale Forschung aufzubauen. Ähnlich liest sich das Diskussionspapier von elf Mitgliedern der deutschen Leopoldina, das wesentlich weniger umfassend ist und sich auf embryonales Genome Editing beschränkt.4 Auch hier wird betont, dass die Ergebnisse aus Tierexperimenten nur bedingt übertragbar seien und Forschung an embryonalen Zellen für die Verbesserung reproduktiver Techniken und Behandlung genetischer Erkrankungen notwendig sei. „Hochrangigen Forschungszielen“ soll die Forschung dienen. Diese werden schwammig definiert als „Erweiterung medizinischer Kenntnisse bei der Entwicklung diagnostischer, präventiver oder therapeutischer Verfahren zur Anwendung am Menschen“.

Genome Editing an Embryonen und reproduktiven Zellen soll laut Autor_innen beim jetzigen Wissensstand zwar unterbleiben. Sollte sich das Risiko von Off-Target-Effekten aber dem Risiko der genetischen Erkrankungen einmal angleichen, so sollte dieser therapeutische Ansatz genutzt werden. Die empirische Grundlage für diese Einschätzung könne nur durch Forschung geschaffen werden. Die Autor_innen sprechen sich für eine „eng begrenzte Weiterentwicklung“ des deutschen Rechtsrahmens aus und betonen, dass ihr Vorschlag, „verwaiste“ Embryonen zu verwenden, die ursprünglich für IVF hergestellt wurden, ein „vernünftiger“ sei. Es ist jedoch wenig wahrscheinlich, dass diese „verwaisten“ Embryonen den Bedarf der Forscher_innen decken könnten. Der geforderten ersten Aufweichung des Embryonenschutzgesetzes würden also vermutlich weitere folgen. Klar wird, dass es den Wissenschaftler_innen vor allem darum geht, den internationalen Anschluss an den Forschungshype nicht zu verlieren. Der FAZ sagte der Mitautor und Medizinjurist Jochen Taupitz,  die Liberalisierungstendenzen anderer Länder „zwingen uns, neu nachzudenken”.5 Die internationale Entwicklung um Genome Editing - wie die Stellungnahme der US-amerikanischen Wissenschaftsakademien im Februar - scheint aber weniger ein Zwang, als eher  ein willkommener Anlass zu sein, an den hiesigen Regulierungen zu rütteln.

 

 

Bartram, Isabelle

Weitere Infos: www. gen-ethisches-netzwerk.de/gid241