Friedensprozesse

Themenschwerpunkteditorial iz3w 369 (November/Dezember 2018)

Die Kriege im Jemen und in Syrien haben ihren Ausgangspunkt in innergesellschaftlichen Konflikten: Diktatur versus Protest, auch ethnische und religiöse Spaltungen spielen eine wichtige Rolle. Hinzu kommen Stellvertreterkriege. Schon diese beiden Kriege (um die es in diesem Themenschwerpunkt jedoch nicht geht) verweisen auf einen historischen Wandel: Seit dem Zusammenbruch der Warschauer-Pakt-Staaten ab 1989 prägen nicht zwischen-, sondern innerstaatliche Kriege das Gewaltgeschehen.

Exzessives Morden und Vertreiben geschieht derzeit auch gegen die Rohingyas in Myanmar, beim Bürgerkrieg in der DR Kongo oder beim Machtkampf im Südsudan. Auch hier müssen nicht »einfach« die Interessen zweier Staaten ausgeglichen, sondern die komplexeren inneren Spaltungen in einem Bürgerkriegsland gemildert werden. Im Kongo (siehe S. 24) streitet man meist um ökonomische Ressourcen, in Myanmar ist die Konfliktursache rassistischer Hass gegen eine Minderheit. Auch Sprachgrenzen können einer Spaltung zugrundeliegen (etwa in Kamerun, S. 7). Innergesellschaftliche Zerklüftungen, wie sie durch die Ethnisierung des Sozialen in den Jugoslawienkriegen verursacht wurden, erfordern ebenfalls eine spezifische Konfliktbearbeitung (siehe zu Bosnien S. 28).

Es gibt also keine Blaupause für Friedensprozesse, sondern diese müssen den jeweiligen Gegebenheiten angepasst sein. Und noch eine weitere These wird in diesem Themenschwerpunkt immer wieder aufgestellt: Ohne Gerechtigkeit und Fortschritte bei sozialen Fragen ist an Frieden nicht zu denken. Wenn beispielsweise in abgehängten Regionen wie im Ostkongo die einzige Verdienstmöglichkeit die Zugehörigkeit zu einer bewaffneten Miliz ist, dann hilft nur eine ökonomische Perspektive.

Es braucht also zwingend zivilgesellschaftliche und kollektive staatliche Initiativen des Peacebuildings. Friedensschaffung und Friedenssicherung sind eigentlich Zielsetzungen nationaler und internationaler Politik. Ihnen liegt die Charta der Vereinten Nationen zugrunde. Sie bindet ihre Mitglieder – aus denen sich die klassischen Kriegsparteien rekrutieren – an die Bestimmungen des Völkerrechts. Hiermit ist eine institutionalisierte Interventionsmöglichkeit in (Bürger-)Kriege gegeben. Solche Interventionen sind vielerorts dringend nötig, weil das Machtgefälle und die Straffreiheit in Kriegsgebieten fast immer mit schweren Menschenrechtsverletzungen einher gehen. Von einer zufriedenstellenden Umsetzung des internationalen Rechts kann allerdings keine Rede sein.

Trotz aller Defizite muss aber auch gesagt werden, dass bewaffnete Konflikte immer wieder verhindert, gestoppt und heruntergekühlt werden können. Die Welt ist auch deshalb noch nicht in die Luft geflogen, weil viele Konflikte auf zivile Weise ausgetragen werden. Die damit verbundenen Friedensprozesse sind nicht so laut wie der Krieg, aber erstaunlich oft erfolgreich.

Befriedet wurde beispielsweise der Nordirlandkonflikt. Er erinnert uns daran, dass kriegerische Auseinandersetzungen auch im als friedlich imaginierten Europa des späten 20. Jahrhunderts stattfanden. Doch auch wenn die Mehrheit in Nordirland sich inzwischen vom alten Grabenkampf republikanischer KatholikInnen gegen großbritische ProtestantInnen abgewandt hat, bleibt der Frieden prekär: Eine durch den Brexit geschaffene harte Grenze zwischen den beiden Irlands würde die Karten neu mischen.

Ein weiteres Beispiel für erfolgreiche Befriedung ist Indonesien (siehe S. 30). Auch hier gibt es weiter Konflikte, doch auf den 17.508 Inseln des Landes läuft der Alltag heute weitgehend friedlich ab. Fast jeder Staat dieser Erde ist multiethnisch und multilingual. Kommt es zum Bürgerkrieg, heißt es gleich: Ja, ja, der Vielvölkerstaat. Sicher, der global institutionalisierte Nationalismus bringt in »Vielvölkerstaaten« wie Indonesien allzu oft Bürgerkriege hervor. Aber genauso bemerkenswert ist, dass solche bewaffneten Auseinandersetzungen eigentlich die Ausnahme sind. Auch in einer wenig perfekten Welt läuft das Zusammenleben vorwiegend ohne Gewalt ab. Tagtäglich werden unzählige Konflikte friedlich geregelt – nicht nur in Indonesien.

Zivile Initiativen tragen maßgeblich zu solchen Friedensprozessen bei. Anerkennung erfahren sie derzeit durch die Verleihung des Friedensnobelpreises an den kongolesischen Arzt Denis Mukwege und die jesidische Menschenrechtsaktivistin Nadia Murad. Beide wenden sich gegen sexualisierte Gewalt in Bürgerkriegen (siehe iz3w 363). Der Gynäkologe Mukwege behandelt unermüdlich Frauen, die im kongolesischen Bürgerkrieg systematisch vergewaltigt werden. Er nennt den »genitalen Terrorismus« die »billigste Form der Kriegsführung«. Die jesidische Aktivistin Nadia Murad erlebte selbst, wie ihre Familie in Syrien vom »Islamischen Staat« ermordet wurde. Mit ihren Vorträgen und Interviews kämpft sie gegen »die organisierte Zerstörung des jesidischen Volkes« durch den IS.

Beide AktivistInnen haben die Heilung von Kriegswunden zu ihrer Lebensaufgabe gemacht. Sie fordern nicht nur ein Ende der Gewalt, sondern auch den Schutz der Bevölkerung sowie die Bestrafung der Täter. Die Frage der Gerechtigkeit lässt sich von Friedensprozessen eben nicht trennen.

die redaktion