Basisdemokratie auf österreichisch

Die EU-Sanktionen gegenüber Österreich zeitigen entgegen allen Prognosen doch erste Wirkungen: In der Alpenrepublik ist inzwischen echte Basisdemokratie angesagt.

Die EU-Sanktionen gegenüber Österreich zeitigen entgegen allen Prognosen doch erste Wirkungen: In der Alpenrepublik ist inzwischen echte Basisdemokra-tie angesagt. Längst nämlich werden FPÖ-Parteilinie und Wiener Politik nicht mehr von autoritären Parteivorständen oder gar Ministerrunden bestimmt, son-dern nur mehr durch "ein einfaches Kärntner Parteimitglied" namens Haider. Selbiges hat der Bevölkerung via Boulevardpresse und Regierungsverlautbarun-gen inzwischen weitgehend klarmachen lassen, daß die Sanktionen sich keines-falls nur gegen die Regierungsbeteiligung einer extrem rechtsstehenden Partei richten, sondern gegen alle Österreicherinnen und Österreicher schlechthin und daß darum alle im selben Boot sitzen, unterschiedslos beleidigt werden und folg-lich alle gleich sind - mit Ausnahme natürlich von Roten, Grünen, Demonstran-ten, streikenden Eisenbahnern, Gewerkschaftern, Frühpensionisten, Fäkalkünst-lern, Kranken und anderen Sozialschmarotzern oder Landesschädlingen, die verboten gehören, weil sie dem Feind EU zuarbeiten.

Nun soll die Basis, also Haiders gesunde Volksgemeinschaft als ganze, öf-fentlich, einheitlich und unmißverständlich per Volksbefragung ihre Meinung zu den Schicksalsfragen der Nation kundtun. Damit dies einfacher wird, hat die Regierung fürsorglich die richtige Meinung gleich vorformuliert; sie will sie der Bevölkerung demnächst als in sechs Artikel gegliedertes Manifest vorlegen. Man braucht dann nur noch ein Ja anzukreuzen. (Für ein aus Regierungssicht unerwünschtes, jedoch theoretisch immerhin noch mögliches Nein-Kreuzchen soll es dem Vernehmen nach wegen der Demokratie und wegen des Ansehens Österreichs im Ausland auch noch ein Plätzchen auf dem Stimmzettel geben.)

Weil der Text der angestrebten Volksresolution jeder nur auszugsweisen Be-schreibung spottet, sehe ich mich gezwungen, ihn trotz der notorischen Platznot unseres OSSIETZKY in vollsaftiger Länge zu zitieren:

Soll die Regierung im Zuge der bevorstehenden Reform des EU-Vertrages mit allen geeigneten Mitteln sicherstellen, daß

1. die von den anderen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union gegen Öster-reich ungerechtfertigt verhängten Sanktionen sofort aufgehoben werden,

2. die Europäische Union als umfassende Gemeinschaft gleichberechtigter Staa-ten allen Mitgliedsländern die gleichen Rechte und Pflichten garantiert und nicht die Vorherrschaft einiger weniger Staaten über die anderen möglich wird,

3. die Europäische Union das Grundrecht jedes Landes auf freie demokratische Wahl seiner Regierung garantiert und den freien Wettbewerb und die Rechte al-ler demokratischen Parteien sowie die Einrichtungen der direkten Demokratie achtet,

4. eine klare Aufgabenteilung zwischen der europäischen Ebene und den Mit-gliedsstaaten eingeführt wird und die Regionen aufgewertet werden,

5. alle Einrichtungen der Europäischen Union verpflichtet werden, die Grund-regeln des Rechtsstaates und der Menschenrechte der Bürger einzuhalten,

6. ein rechtsstaatliches Verhalten bei behaupteter Verletzung von Grundwerten der Union mit richterlicher Kontrolle in den EU-Vertrag aufgenommen wird?

Grammatisch gesehen handelt es sich bei diesem Spruchbandwurm um einen einzigen Fragesatz, der mit einem einzigen Fragezeichen beendet wird und in-folgedessen auf die unterschiedlichen Fragestellungen logischerweise auch nur eine einzige pauschale Antwort zuläßt. Klassisches Muster: "Angeklagter, wol-len Sie nicht endlich aufhören zu leugnen und dafür versprechen, zukünftig die Gesetze zu achten? Antworten Sie mit Ja oder Nein!"

Inhaltlich geht es nicht anders: Gemeinplätze, Unverbindlichkeiten, Pauscha-lierungen, Unterstellungen, Sprechblasen und Selbstverständlichkeiten. Hüb-scher wäre eigentlich nur noch: "Soll die Regierung mit allen geeigneten Mitteln für das Gute, Edle und Schöne eintreten, gegen das Unrecht kämpfen, die To-desstrafe für die Landesverräter wie Klestil, Klima und Fischler einführen und sonntags Freibier ausgeben lassen?" Nur eine Antwort möglich: Ja oder Nein.

Dabei sind die vier Worte "mit allen geeigneten Mitteln" durchaus eine ernst zu nehmende Drohung. Juristisch gesehen läßt diese Gummiformulierung der Regierung alle Möglichkeiten offen. Eine Ermächtigung zu allem und jedem: "Das Volk will es so." Was "geeignet" erscheint, wäre schließlich beliebig in-terpretierbar.

Die FPÖ ist in den Umfragen der jüngsten Zeit erdrutschartig auf knapp 17 Prozent gesackt. Das einfache Parteimitglied in Klagenfurt weiß nur zu genau, daß die Volksbefragung exakt das Gegenteil dessen bewirken wird, was sie vor-gibt erreichen zu wollen, weil der manipulative Stil und der drohende Ton die Sanktionen geradezu bestätigen. Braucht er die Konfrontation, um, mit der "Er-mächtigung durch das Volk" im Rücken, einer "durch die Not zusammenge-schweißten Schicksalsgemeinschaft als Führer aus dem Dunkel" zu erscheinen? Wäre es anders, müßte man bei Haider einen gravierenden Verlust des Realitäts-sinns annehmen.

Was den Wiener Fragebogen ein wenig sinnvoller machen könnte, wäre wohl eine ebenfalls pauschal mitzubeantwortende Zusatzfrage: "Soll die Regierung wegen durchsichtiger, unzumutbarer Suggestivfragen an ihr Volk und damit Be-leidigung der Intelligenz und des Urteilsvermögens mündiger Staatsbürgerinnen und -bürger sofort ihren Hut nehmen?" Viele österreichische Wahlberechtigte versichern glaubhaft, es würde ihnen dann wesentlich leichter fallen, der nach Presseberichten bereits vorbereiteten FPÖ-Kampagne ("Volksbefragung? - Ja!" oder so ähnlich) Gehör zu schenken. Zwei Fliegen mit einer pauschalen Klappe: Die Sanktionen wären so mit Sicherheit erfolgreich abgeschmettert.

Mit voller Härte könnten EU-Strafmaßnahmen dann verdientermaßen endlich die Bundesrepublik Deutschland treffen, wo sich nicht mehr vertuschen läßt, daß hier aus rassistischen Motiven täglich Menschen gedemütigt, angegriffen, ver-letzt, erschlagen oder verbrannt werden; wo in den letzten Jahren die Zahl der Opfer von Nazi-Terroristen längst die der durch Kampfhunde Verletzten und Getöteten bei weitem übertrifft, ohne daß sich die Regierenden zu ähnlich spek-takulären Maßnahmen wie im Fall der Pitbulls veranlaßt sehen, sondern - wie in der Kärntner Landeshauptstadt Klagenfurt, Haiders derzeitigem Regierungssitz - säuberlich zwischen "uns nützenden und uns ausnützenden Ausländern" unter-scheiden. Würden EU-Sanktionen vielleicht in Deutschland zum Umdenken füh-ren? - Ach, eitle Hoffnung. Sanktionen unter im Prinzip Gleichgesinnten brin-gen ja nichts. Das weiß jeder Schengener.

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