Die langfristigen Ursachen der Depression

Der Neoliberalismus und die drohende Krise des Weltkapitalismus

Marxistische Ökonomen sind berühmt dafür, daß sie x-mal die eine und letzte internationale Wirtschaftskrise akkurat vorausgesagt haben. Vielleicht deswegen waren viele in letzter Zeit darum besorg

Heute aber sind Vorhersagen überflüssig. Außer in den USA und Europa, vielleicht in 50% der Welt, befindet sich die internationale Wirtschaft bereits im ökonomischen Abwärtstrend, und zwar ärger als je seit den 30er Jahren.

Außerhalb der USA und Europas fielen die Aktien zwischen Juli 1997 und Juli 1998 fast überall um 50 bis 75%, und die Werte der aufstrebenden Märkte gaben allein im letzten August und September um weitere 33% nach. In Indonesien ist der Hunger alltäglich geworden; in Rußland, wo die Lebenserwartung schon um fünf Jahre zurückgegangen war, wurde der Lebensstandard um 50% oder mehr beschnitten; in Ostasien werden Millionen entlassen und in Armut gestürzt.

In Lateinamerika, das sich erst seit kurzem von dem katastrophalen "verlorenen Jahrzehnt" der 80er Jahre zu erholen begann, zeigen sich neuerdings dieselben Effekte mit zunehmender Intensität.

Zu allem Übel steckt die US-Wirtschaft, zuvor Haupttriebkraft des Einstiegs in einen internationalen zyklischen Aufschwung, in ernsten Schwierigkeiten.

Noch im Juni 1998 hatte Alan Greenspan, der Chef des Federal Reserve Board (die Notenbank der USA), in einer Anhörung vor dem Kongreß sogar Wirtschaftsjournalisten in Erstaunen versetzt, als er meinte: "Womöglich haben wir uns ... ›über die Geschichte hinaus‹ bewegt", d.h. den Konjunkturzyklus überwunden und dauerhaftes Wachstum erzielt. Aber bis Mitte Oktober hatte derselbe Alan Greenspan im Bestreben, zunehmend starken internationalen Deflationsdruck abzuwehren, den Leitzins zweimal gesenkt.

Inzwischen schockierte sein Amt die Wall Street damit, daß es die Rettungsaktion für einen milliardenschweren Hedge-Fonds koordinierte. Wie Greenspan erläuterte, geschah dies, weil ein Kollaps des Fonds mit großer Wahrscheinlichkeit einen weltweiten Finanzschwund ausgelöst hätte. Die US-Wirtschaft rutscht jetzt in Richtung Rezession, und wenn zugelassen wird, daß sich das materialisiert, könnte es für die Weltwirtschaft katastrophal ausgehen.

Die Frage des Tages ist natürlich: Was steckt hinter dem anschwellenden internationalen Tumult?

Bis in die jüngste Zeit, das bleibt zu betonen, hatten weder der Mainstream der ökonomischen Profession in den Vereinigten Staaten noch die Wirtschaftsjournalisten der USA oder irgendein Massenmedium irgendwelche Antworten auf diese Frage. Dies deswegen, weil sie nicht zugeben wollten, daß es für die US-Wirtschaft überhaupt ein wirklich ernstes Problem geben könne.

Das war so, obwohl - entgegen der Medienpropaganda - die Wirtschaftsleistung der USA im Langfristvergleich wahrhaft trübe aussieht. Im letzten Vierteljahrhundert belief sich das Wachstum der Arbeitsproduktivität - Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Stunde - in den USA durchschnittlich auf weniger als 1% pro Jahr, das heißt, auf weit unter die Hälfte des Mittelwerts für das Jahrhundert davor.

Während desselben Vierteljahrhunderts von 1973 bis 1998 lag das Reallohnwachstum niedriger als je in der USA-Geschichte seit dem Bürgerkrieg, die Große Depression mit einberechnet. 1997 lag der reale Stundenlohn für Produktionsarbeiter (ohne Gewinnbeteiligung) ebenso hoch wie 1965.

Am meisten verblüfft vielleicht, daß während des zyklischen Aufschwungs der 90er Jahre, als die USA-Wirtschaft angeblich in ein "Neues Zeitalter" eintrat und die Vorzüge des "angelsächsischen Modells" gegenüber allen anderen außer Zweifel stellte, die Wirtschaftsleistung der USA nach fast jedem gängigen makroökonomischen Indikator - Zunahmen von Produktion, Investitionen, Produktivität und Löhnen - schlechter war als in jedem anderen zyklischen Aufschwung der Nachkriegszeit.

Ökonomen, Wirtschaftspublizisten und Medien konnten an der kläglichen Realleistung der US-Wirtschaft vorbeisehen, weil die Inflation den Bedürfnissen des Finanzsektors entsprechend niedrig gehalten wurde, weil die Profitraten nach langwährendem Tiefstand ein signifikantes (wenn auch unvollständiges) Comeback erlebten und vor allem weil der Aktienmarkt alle Rekorde brach.

Bruch im Washingtoner Konsens

Allerdings kam es in den letzten Monaten zu bedeutsamen Ausbrüchen aus dem Washingtoner Konsens. Während die Asienkrise den russischen Kollaps katalysiert und die Weltwirtschaft zu packen droht, rennen führende Ökonomen aus dem Zentrum des politischen und ökonomischen Establishments der USA - darunter gerade solche, die wie Jeffrey Sachs am stärksten auf "Schocktherapien" und uferlose Liberalisierung gedrängt hatten - in Deckung.

Diese Ökonomen suchen, sehr zum Erstaunen, die Schuld an dem sich ausweitenden Großbrand bei dem jetzt so genannten Komplex US-Schatzamt - Wall Street - Internationaler Währungsfonds (IWF).

Sie bringen zwei zusammenhängende Punkte vor. Zum einen war die Intervention des IWF in Ostasien katastrophal kontraproduktiv. Ihres Erachtens war nach der massiven Kapitalflucht, die die Krise in Asien katalysierte, eine Geldspritze fällig, um zu verhindern, daß die Liquiditätskrise die Basis der betroffenen Wirtschaften ruiniert.

Das wäre eine großangelegte Injektion von Billiggeldern geworden, wie sie die FED und die Japaner zur Zeit des 1987er Börsencrashs verabreicht hatten. Aber der IWF verordnete das Gegenteil. So wie Herbert Hoover nach dem Börsencrash von 1929 verlangt hatte, den Haushalt auszugleichen, drückte der IWF routinemäßig hohe Zinssätze und ökonomische Sparmaßnahmen durch.

Das Ergebnis war eine zunehmende Panik unter internationalen Investoren, die noch schneller flüchteten. Inzwischen kam es zu einer katastrophalen Kettenreaktion von Firmenpleiten mit Ausfällen bei der Bedienung von Krediten und zunehmender Arbeitslosigkeit, die weitere Pleiten nach sich ziehen, usw.

Außerdem sagen diese Ökonomen, daß die Quelle der internationalen Krise in der Deregulierung von kurzfristigen Kapitalbewegungen liege. Gelder strömten nach Ostasien, als die Aussichten günstig schienen, flossen aber noch schneller ab, als sich das Geschäftsklima zu verschlechtern schien. Das stürzte die dortigen Realwirtschaften in eine Depression, die sich nun auf die übrige Welt auszubreiten droht.

Jetzt ist offensichtlich, daß auf die Dauer die krisenhafte Entwicklung selbst am meisten dazu beitragen wird, die neoliberale Weltsicht sowohl unter Intellektuellen als auch allgemein unter den Bürgern zu verändern. Ebenso offenkundig ist darüber hinaus, daß diese Ökonomen des Establishments nur die Spitze des Eisbergs sehen. Dennoch sollte, so meine ich, auch ihre sehr partielle und oberflächliche Analyse von der Linken nicht außer Acht gelassen werden.

Erstens ist ihre Kritik am freien Markt für kurzfristige Darlehen so weit, wie sie eben geht, richtig. Massive, unregulierte kurzfristige Kapitalflüsse haben die Ostasienkrise radikal verschärft, wenn sie auch nicht ihre letzte Quelle waren.

Zweitens hilft uns die Kritik dieser Ökonomen an den Vergabekonditionen, die der IWF in Ostasien durchgesetzt hat, den unverblümt imperialistischen Charakter der IWF-Intervention in jener Region bloßzustellen.

Bei dieser Intervention ging es nicht nur darum, hohe Zinsen und Sparmaßnahmen durchzudrücken. Sie zielte - besonders deutlich in Korea - darauf ab, ein System ökonomischer Regulierung und Protektion zu zerstören, das zu einer der spektakulärsten Wachstumsbahnen in der Weltgeschichte beigetragen hatte.

Aber gerade weil die ostasiatischen Wirtschaften selbst nach den eigenen Kriterien des IWF so erfolgreich gewesen waren, entlarvte sich der IWF mit seinem sogenannten Reformprogramm vielleicht deutlicher als je zuvor als Werkzeug des internationalen Kapitals, das die neoliberalen Marktstrukturen mit voller Wucht aufzwang, um diese Wirtschaften für das Eindringen der Großbanken und multinationalen Konzerne zu öffnen.

Drittens, und das ist vielleicht das Wichtigste, hat die Kritik jener Ökonomen erhebliche ideologische Bedeutung. Sie stellen nämlich implizit und gewiß unabsichtlich das in Frage, was zum zentralen Dogma unserer Zeit geworden ist: daß von Bereitstellungen durch den freien Markt generell der garantiert bestmögliche Ausgang der Ereignisse zu erwarten sei.

Jene Ökonomen beschränken ihre Kritik am freien Markt allerdings auf den Markt für kurzfristige Anlagen. Doch sobald nicht mehr einfach als gegeben und als erstes Prinzip gelten kann, daß Bereitstellungen durch den freien Markt von selbst immer das bestmögliche Resultat erbringen werden, ist der Weg offen zum Hinterfragen der Eignung der Allokationsfunktion des Marktes in allen Bereichen des Wirtschaftslebens - von langfristigen Anlagen, von Waren und selbstverständlich ganz zentral von Arbeitskräften.

Mit anderen Worten: Der Linken bietet sich eine kleine, aber wichtige intellektuelle Öffnung für die erneute Wahrnehmung der fundamentalen, aber sehr schwierigen Aufgabe, unsere zentrale Behauptung geltend zu machen - eine Behauptung, der viele nach dem Zusammenbruch des Kommunismus und dem Aufstieg des Neoliberalismus nicht mehr vertrauten: daß der Sozialismus - d.h. die demokratische, gesellschaftliche Kontrolle über die Wirtschaft von unten, durch die arbeitende Klasse - für jede menschliche Gesellschaftsordnung unentbehrlich ist.

Der Konsensstandpunkt der Linken

Nun würde die Linke auf jene Ökonomen aus dem Mainstream einmütig erwidern, daß deren Erklärung der internationalen Wirtschaftskrise durch bloßes Eingehen auf die ungehinderten und unverantwortlichen kurzfristigen Anlagen eine sehr partielle und oberflächliche Analyse liefert.

Die Freiheit für kurzfristige Kapitalbewegungen gehört offensichtlich zu einem weit umfangreicheren neoliberalen Programm, das seit Ende der 70er Jahre in Schwung gekommen ist. Dieses Programm zielt darauf, einerseits möglichst weitgehende Freizügigkeit für Kapital und Waren in der Welt zu schaffen und andererseits den mühsam errungenen, vom Wohlfahrtstaat gebotenen Schutz der Werktätigen vor dem Markt zu zerstören.

In der Linken besteht Konsens darüber, daß dieses neoliberale Gesamtprogramm in der Tat für viele Probleme, die heute die Weltwirtschaft bedrängen, verantwortlich zu machen ist und daß die gegenwärtige Krise in erheblichem Maß aus der Umsetzung des neoliberalen Programms entsprang.

Der Konsensstandpunkt der Linken, wie er genannt werden könnte, wäre etwa dies:

Die zentrale Tendenz, die wir besonders seit Ende der 70er Jahre erleben, ist die zunehmende Dominanz des Finanzkapitals. Das Grundprinzip der neoliberalen Politiken bestand daher darin, das Feld der Profitmacherei für das Finanzkapital und die multinationalen Konzerne zu sichern, zu schützen und zu erweitern. Aber die zur Sicherung der Interessen des Finanzkapitals erforderlichen Politiken gingen zu Lasten der zugrundeliegenden Wirtschaft im allgemeinen und der arbeitenden Klasse im besonderen.

An erster Stelle haben die kapitalistischen Staaten also, um die Rückflüsse aus Krediten vor Inflation zu schützen, strikte makroökonomische Politiken, strikte Kreditvergaben und Haushaltsausgleiche verfolgt. Aber gerade diese Politiken wurden zu zentralen Ursachen des langsamen Wachstums und der hohen Arbeitslosigkeit in den Wirtschaften der Welt seit Ende der 70er Jahre.

Zweitens wurden, damit sich das Finanzkapital die bestmöglichen Erträge sichern konnte, die Hürden für die Mobilität des Kapitals abgebaut, so daß es rasch auf den Märkten auftreten und rasch wieder abtreten kann. Diese Mobilität des Kapitals hat jedoch die Gestaltung nationaler Wachstumspolitiken viel schwieriger gemacht und insbesondere stimulierende Politiken mit Defizitfinanzierung und Billiggeld zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit erschwert.

Drittens hat, wie sogar Jeffrey Sachs & Co. allmählich zugeben, die Freigabe der Kapitalmärkte zwar dem Kapital ermöglicht, rasch ein Feld zu betreten, wenn die Aussichten günstig stehen, und beim leisesten Anzeichen von Schwierigkeiten ebenso rasch wieder abzutreten, es aber zugleich erschwert, jeglichen längerfristigen Prozeß ökonomischer Entwicklung besonders in der Dritten Welt aufrechtzuerhalten.

Denn ökonomische Entwicklung ist offensichtlich abhängig von langfristiger Bindung produktiver Ressourcen in gegebenen Produktionslinien, und sie kann den plötzlichen Abzug von Kapital, der in der neoliberalen Ordnung zu einer alltäglichen Erscheinung geworden ist, nicht vertragen.

Überkapazität und Überproduktion

Nun erscheint mir die obige Annäherung an die gegenwärtige ökonomische Situation so weit ganz vernünftig. Dennoch könnte sie ohne gewisse Qualifizierungen - ohne erweiterten Kontext - meines Erachtens potentiell irreführen.

Um es grob zu sagen: Der Aufstieg des Finanzkapitals und des Neoliberalismus sollte weit mehr als Ergebnis denn als Ursache der internationalen Wirtschaftskrise betrachtet werden, selbst wenn er diese Krise bedeutend verschärft hat. Ihrerseits findet die internationale Wirtschaftskrise ihre tiefen

Wurzeln in einer langfristigen Rentabilitätskrise, die aus fortdauernder Überkapazität und Überproduktion im internationalen Fertigungsprozeß entstand.

In erster Linie war der große Schwenk des Kapitals zum Finanzsektor die Folge der Unfähigkeit der realen Wirtschaft, besonders der Verarbeitenden Industrie, eine angemessene Ertragsrate zu bieten. Somit wurde der Anstieg von Überkapazität und Überproduktion, der seit den späten 60er Jahren zum Rentabilitätsschwund in der Verarbeitenden Industrie führte, zur Ursache des immer schnelleren Aufstiegs des Finanzkapitals seit den späten 70er Jahren.

Zweitens setzte die Wende zum Neoliberalismus, die auch am Ende der 70er Jahre begann, erst ein, nachdem sich die keynesianischen Politiken der Nachfragesteuerung als unfähig erwiesen hatten, die Rentabilität wiederherzustellen und die Kapitalakkumulation neu zu starten. Vom Standpunkt des Kapitals waren der Monetarismus und, allgemeiner gefaßt, der Neoliberalismus somit eine Antwort auf das Scheitern der ersten Option, der keynesianischen Defizitfinanzierung.

Drittens waren die Politiken der Kreditverknappung und des Haushaltsausgleichs, diese Höhepunkte des neoliberalen Programms, zwar zum Teil von dem Bestreben motiviert, die Profite des Finanzkapitals zu verteidigen. Ihr Ausgangspunkt und Hauptprinzip war es jedoch, das Wachstum der Nachfrage einzuschränken und so die Rentabilität im Gesamtsystem auf zwei Wegen wiederzubeleben: erstens durch vermehrte Arbeitslosigkeit, um die Gewerkschaften zu schwächen und Lohnerhöhungen einzudämmen; zweitens durch Hinausdrängen von kostenintensiven, schwach profitablen Firmen aus dem System, so daß kostengünstige, hochprofitable Firmen marktbeherrschend bleiben und die Durchschnittsprofitrate ansteigt.

Schließlich hat jedoch, selbst wenn der Aufstieg des Finanzkapitals und des Neoliberalismus mehr als Folge denn als Ursache langfristiger ökonomischer Stagnation und Instabilität zu verstehen ist, die volle Übernahme des neoliberalen Programms im Gesamtsystem eine fundamentale Rolle gespielt, indem sie den Übergang von langfristigen Rentabilitätsproblemen und anhaltender Stagnation zur gegenwärtigen heftigen Krise entschied. Das geschah erst in den 90er Jahren, als der Schwenk von Reagans Rekorddefizitfinanzierung zu Clintons Bemühen um Haushaltsausgleich den Weg zu weit größeren Wachstums- und Instabilitätsproblemen öffnete.

Im folgenden möchte ich den obigen Thesen mehr Substanz verleihen und dazu einen schematischen Bericht von Anstieg, Fortdauer und Verschärfung der Überkapazität und Überproduktion der Verarbeitenden Industrie im Weltmaßstab geben sowie deren Rolle in der gegenwärtigen Krise skizzieren.

Tiefe Wurzeln der Stagnation

Meiner Ansicht nach liegen die Wurzeln der langanhaltenden Stagnation und der gegenwärtigen Krise in dem Druck auf die industriellen Profite, der aus dem Anstieg von Überkapazität und Überproduktion in diesem Sektor resultierte, was wiederum Ausdruck der verschärften internationalen Konkurrenz war.

Seit der zweiten Hälfte der 60er Jahre haben Spätentwickler, nämlich kostengünstige Produzenten in Deutschland und besonders in Japan, ihren Ausstoß rasch gesteigert. Indem sie ihren kostenintensiveren Konkurrenten ihre niedrigeren Preise aufzwangen, vermochten deutsche und japanische Firmen sowohl ihre Anteile an den internationalen Fertigwarenmärkten zu erhöhen als auch ihre Profitraten zu halten, während sie die Marktanteile und Profitraten ihrer Rivalen herabdrückten.

Das Ergebnis waren Überkapazität und Überproduktion im Verarbeitenden Sektor, die sich in rückläufiger Rentabilität dieses Bereichs für die Gesamtheit der G7-Wirtschaften äußerten. Kostenintensive Produzenten in den USA trugen anfangs die Hauptlast dieses Rückgangs, der zwischen 1965 und 1973 die Rentabilität in der Verarbeitenden Industrie um etwa 40% und in der Wirtschaft als Ganzes um 25 bis 30% schmälerte.

Um 1973 waren jedoch Japan wie auch Deutschland bereits gezwungen, einen Teil der Lasten aus der Rentabilitätskrise zu übernehmen. Sie mußten nämlich enorm ansteigende Kosten hinnehmen, weil ihre Währungen zur Zeit der internationalen Währungskrise und des Zusammenbruchs des Bretton-Woods-Systems (1971 bis 1973) gegenüber dem Dollar stark aufgewertet wurden.

Der starke Fall der Rentabilität in den USA, Deutschland, Japan und der fortgeschrittenen kapitalistischen Welt insgesamt - der sich nicht aufholen ließ - war verantwortlich für die gedrückten Raten der Kapitalakkumulation, den Ursprung der langfristigen ökonomischen Stagnation während des letzten Vierteljahrhunderts.

Niedrige Kapitalakkumulationsraten brachten niedrige Wachstumsraten für Ausstoß und Produktivität; schwaches Produktivitätswachstum bedeutete schwachen Lohnzuwachs; zunehmende Arbeitslosigkeit folgte aus dem schleppenden Wachstum der Produktion und der Investitionen.

Die fundamentale Frage, die sich sofort aufdrängt, ist jedoch die nach dem Grund für das Fortdauern der Überkapazität und der Überproduktion, die hinter der anhaltend geschmälerten Rentabilität standen. Anders gefragt: Weshalb sind Firmen, die unter sinkender Rentabilität in ihren Branchen zu leiden hatten, nicht - wie gewöhnlich erwartet - so weitgehend auf andere Produktionsbranchen umgestiegen, daß der Kapazitätsüberhang zurückgegangen wäre? Auf diese Frage gibt es, wie mir scheint, drei allgemeine Antworten.

Erstens schienen die großen Konzerne der USA, Deutschlands und Japans, die weltweit den Verarbeitenden Sektor dominierten, weit günstigere Aussichten auf Verteidigung und Verbesserung der Rentabilität zu haben, wenn sie erhöhte Konkurrenzfähigkeit in den eigenen Branchen anstrebten, statt in andere neu einzusteigen.

Sie hatten in den eigenen Branchen große, bereits abgeschriebene Bestände an fixem Kapital; sie hatten lange eingefahrene Beziehungen zu Lieferanten und Kunden, die sich nicht ohne weiteres in anderen Branchen nachbilden ließen; und sie hatten in langen Zeiträumen hart errungene technologische Spezialkenntnisse entwickelt, die nur in den eigenen Branchen zu nutzen waren. In den 70er Jahren und danach räumten die US-amerikanischen, deutschen und japanischen Konzerne ihre Positionen generell nur dann, wenn sie dazu gezwungen waren, mit dem Ergebnis, daß die Abgänge nicht ausreichten und die Überkapazität im Verarbeitenden Sektor nur wenig zurückging.

Zweitens fanden es besonders in Ostasien ansässige kostengünstige Produzenten trotz der geschmälerten Rentabilität in der Verarbeitenden Industrie der Welt profitabel, in etliche dieser Branchen einzusteigen, wie es ihre Vorgänger aus Japan getan hatten. Es gab daher zu viele Zugänge und damit noch wachsende Überkapazitäten.

Schließlich trugen die keynesianischen Politiken, die in den 70er Jahren Allgemeingut wurden und in den USA bis in die frühen 90er Jahre andauerten, faktisch zur Verewigung von Überkapazität und Überproduktion bei und verhalfen so zu weiterhin insgesamt niedrigen Profitraten.

Durch Steigerung der Nachfrage erlaubten Defizitfinanzierung und billiger Kredit dabei vielen kostenintensiven, schwach profitablen Firmen, die sonst Pleite gemacht hätten, im Geschäft zu bleiben und Positionen zu halten, die sonst kostengünstige, hochprofitable Produzenten besetzt hätten. Der Keynesianismus hat so gewiß den langen ökonomischen Abschwung gemildert, ihn aber auch verlängert, eine Depression wie in den 30er Jahren abgewendet, dafür aber die Systemdynamik geschwächt, indem er Firmen im Geschäft ließ, die niedrige Profite machten und wenig investierten.

Von der Stagnation zur Krise

Die endgültige Trennung vom Keynesianismus, das bleibt zu betonen, fand erst in den 90er Jahren wirklich statt. Als sie jedoch kam, wurde sie offenbar zur entscheidenden Bedingung für die ökonomischen Erschütterungen von heute. Sie bahnte der internationalen Wirtschaft den Weg zur Wende von der langfristigen Stagnation zur heftigen Krise.

Die geringere Rentabilität, die aus Überkapazität und Überproduktion herrührte, hatte natürlich verringerte Kapitalakkumulation bewirkt - daher das geringere Wachstum der Investitionsnachfrage seit 1973. Etwa seit derselben Zeit hatten die Unternehmer, auf die geringere Rentabilität reagierend, ihre Arbeiter gezwungen, ein deutlich verlangsamtes Wachstum der Löhne hinzunehmen, was zu geringerem Wachstum auch bei der Konsumnachfrage führte.

Als Fed-Chef Volcker und Margaret Thatcher am Ende der 70er Jahre das knappe Geld durchgesetzt hatten, deprimierten hochschnellende Realzinsen die Wirtschaft noch weiter. So ist fraglich, ob die Weltwirtschaft ohne die erhöhte staatliche Nachfrage, die aus Ronald Reagans massiv gesteigerten Rüstungsausgaben resultierte, in den 80er Jahren und speziell zur Zeit der internationalen Schuldenkrise von 1981-1982 und danach an einer realen Depression vorbeigekommen wäre.

Aber als Bill Clinton die Macht ergriff, schwenkten die USA um auf Haushaltsausgleich samt knappem Geld, und diese definitive Umarmung des Neoliberalismus markierte offenbar einen Wendepunkt. Denn damit beendeten die USA die Rolle, die sie lange gespielt hatten - jene der Stabilisierung der Weltwirtschaft durch Nachfragesteigerung vermittels stark defizitärer Staatshaushalte.

Außer dem bereits gebremsten Wachstum der Konsum- und der Investitionsnachfrage gab es nun auch ein gebremstes Wachstum der staatlichen Nachfrage. Waren die Staatsausgaben der USA während der vorangegangenen dreißig Jahre im Mittel um 2,4% pro Jahr gestiegen, so wuchsen sie in den 90er Jahren nur noch um durchschnittlich 0,1%.

Da die Regierungen in Europa beim Wettlauf zur Währungsunion auch immer schärfere Sparmaßnahmen durchsetzten, wurde das Wachstum der Binnenmärkte in der ganzen fortgeschrittenen kapitalistischen Welt abgebremst bis zum Kriechen. Zum Ausgleich blieb den Produzenten überall kaum eine andere Wahl als die radikal verstärkte Exportorientierung. Aber da Exporte meist aus Fertigwaren bestehen, wurde im Endeffekt das seit langem anstehende Problem der Überkapazität im Verarbeitenden Sektor noch potenziert.

Das Heranreifen der gegenwärtigen Krise

Die Zunahme der Überkapazitäten bereitete den Boden für die Ereigniskette, die zu der jetzigen Krise führte.

Während des größten Teils der 90er Jahre hatten die USA praktisch als einziges unter den führenden kapitalistischen Ländern eine florierende Wirtschaft. Das sicherte ihnen eine sehr erhebliche, wenn auch unvollständige Erholung der Rentabilität besonders in dem lange Zeit dahindümpelnden Sektor der Verarbeitenden Industrie.

Aber die Erholung der USA erfolgte größtenteils zu Lasten der internationalen Wirtschaft. Erzielt wurde sie nämlich weitgehend durch stark gesteigerte Exporte, die dank stark erhöhter Konkurrenzfähigkeit möglich wurden. Im Kontext langsam wachsender internationaler Nachfrage und insbesondere übersättigter Fertigwarenmärkte errangen die US-Produzenten ihre Gewinne also hauptsächlich auf Kosten ihrer führenden Rivalen in dem inzwischen entstandenen Nullsummen-Ringen um die Märkte.

Insbesondere sicherte der industrielle Sektor der USA seine Wiederbelebung weithin dadurch, daß der Dollar in einem Zehnjahres-Zeitraum gegenüber der Mark und dem Yen um 40 bis 60% abgewertet wurde. Während die USA-Wirtschaft in der ersten Hälfte der 90er Jahre wieder auflebte, bekamen deutsche und besonders japanische Hersteller Schwierigkeiten im Export und erlebten ihre ärgsten Krisen der Nachkriegszeit.

Um 1995, als 80 Yen auf den Dollar kamen statt 240, wie noch zehn Jahre zuvor, stand die japanische Wirtschaft in der Tat kurz vor dem Kollaps. Gerettet wurde Japan nur durch die im Frühjahr 1995 getroffene Vereinbarung der US-amerikanischen, deutschen und japanischen Regierungen, den Dollar aufzuwerten und den Yen stark abzuwerten.

Die Rettungsaktion für Japan hatte jedoch unvorhergesehene Konsequenzen, und zwar inbesondere die Asienkrise. Denn Gewinne für Produzenten aus der einen Wirtschaft - speziell einer so großen und mächtigen wie der japanischen - konnten abermals nur durch Verluste bei anderen zustandekommen.

Die Wirtschaften Ostasiens hatten ihren so spektakulären Boom in der ersten Hälfte der 90er Jahre Seite an Seite mit der US-Wirtschaft - und auf Kosten der in Japan ansässigen Produzenten - nur deswegen durchhalten können, weil ihre Währungen Dollarbindung hatten und ihre Kurse daher mit dem Dollar gegenüber dem Yen gefallen waren. Im besonderen hatte Korea ständig seine Konkurrenzfähigkeit in dem Maße verbessert, wie der Dollar und folglich der koreanische Won gefallen waren, und die Investitionen in Korea waren in die Höhe geschossen, als ob der Markt ohne Grenzen gewesen wäre.

Als jedoch der Yen schließlich ab 1995 gegenüber dem Won und anderen ostasiatischen Währungen zu stürzen begann, stellte sich heraus, daß die koreanische und mit ihr die anderen Wirtschaften Südostasiens massiv überinvestiert waren. Sie standen mit gewaltigen Kapazitätsüberhängen da und fanden wegen der Kostensteigerung, die ihre aufgewerteten Währungen ergaben, sehr schwer profitablen Absatz.

Als internationale Geldgeber im ersten Halbjahr 1997 allmählich merkten, daß die Rentabilität ostasiatischer Produzenten absackte und deren Exportzuwachs relativ zum Importanstieg abfiel, begannen sie um die Wette das Weite zu suchen. Infolgedessen verloren die ostasiatischen Währungen rapide ihren Wert, was besonders katastrophal war, weil sich die Produzenten Ostasiens inzwischen bei jenen Geldgebern so hoch verschuldet hatten.

An diesem Punkt machte der IWF alles noch viel schlimmer. Mit dem Durchsetzen stark erhöhter Zinssätze sorgte er dafür, daß die bereits vorhandenen Schuldendienstprobleme der Firmen verschärft wurden. So bahnte er den Weg zu einer Abwärtsspirale: Ausbleibende Kreditbedienung führte zu Bankrotten und Massenentlassungen, damit zu weiterer Zahlungsunfähigkeit usw. Auf diese Weise wurde die Ostasienkrise zur ostasiatischen Depression.

Der Rest der Geschichte ist ziemlich gut bekannt. 1996 hatte die ostasiatische Region als Ganzes ebensoviel investiert wie die weit größeren USA. Als Ostasien in die Depression geriet, konnte das Ergebnis daher nur folgenschwer sein. Die ostasiatischen Märkte kollabierten, und Ostasiens Exporte schnellten hoch.

Die japanische Wirtschaft hatte in den 90er Jahren versucht, sich durch Neuorientierung auf Ostasien aus der eigenen Krise herauszuwinden. Angesichts der schrumpfenden ostasiatischen Märkte befand sie sich nun in der Sackgasse und konnte, um selbst wieder in Schwung zu kommen, nur auf Exportsteigerungen in andere Richtung hoffen. Gleichzeitig setzten jedoch auch Deutschland und Europa insgesamt auf Export als Ausweg aus der Rezession.

Der Brennpunkt all dieser Exportstrategien konnte nur die eine Wirtschaft sein, die gewachsen war und ihren Binnenmarkt erweitert hatte: die USA. 1997 war die US-Wirtschaft endlich in den Genuß beschleunigten Binnenwachstums und sogar steigender Löhne gekommen, hatte dies aber nur aufgrund zunehmender Fertigwarenexporte erreicht. Die Fortdauer ihrer Dynamik war daher sofort in Frage gestellt, als die unvermeidliche Begleiterscheinung des ökonomischen Erfolgs der USA eintrat, der erneute Kursanstieg des Dollars. Als im ersten Halbjahr 1998, vom hohen Dollarkurs unterstützt, Importe in die Vereinigten Staaten zu strömen begannen und zur gleichen Zeit die US-Exporte, vom hohen Dollarkurs getroffen, angesichts der schrumpfenden asiatischen Märkte nicht weiter wuchsen, mußten die industriellen Profite in den USA fallen und der Boom in diesem Land auslaufen.

Das Ende des Booms im industriellen Sektor war die unmittelbare Ursache dafür, daß die US-Wirtschaft einer Rezession oder Ärgerem entgegenglitt. Während des ersten Halbjahrs 1998 wurden die Profite im Verarbeitenden Sektor, die mehrere Jahre lang eindrucksvoll gewachsen waren und den Boom in den USA gespeist hatten, niedergedrückt. Unter den weitreichenden Auswirkungen auf die Gesamtwirtschaft war die Wichtigste das Platzen der Blase auf dem Aktienmarkt.

Steigende Börsenkurse, selbst stark gestützt von steigenden Profiten der Verarbeitenden Industrie, hatten zusammen mit den rasch wachsenden Exporten das Wachstum in den USA stimuliert, indem sie Anlaß zu steigenden Konsumausgaben wie auch steigenden Investitionen gaben. Bei so hohen Börsenkursen hatten die Konsumenten gemeint, ihr Wohlstand habe sich dermaßen vermehrt, daß sie nicht mehr zu sparen brauchten, und durch gründliche Zurücknahme ihrer Sparquote hatten sie in den letzten Jahren das Konsumwachstum stark gesteigert. Bei so hohen Börsenkursen konnten sich die Konzerne durch Aktienemission viel billiger Geld verschaffen, und daher wurde beschleunigt investiert. Aber bei fallenden Börsenkursen schlugen diese "Wohlstandseffekte" ins Gegenteil um.

Laut Schätzung der US-Notenband beläuft sich der Wertverlust aller Finanzprodukte der USA seit dem Börsenhöchststand vom Juli 1998 auf netto 1,5 Billionen Dollar. Weil die Menschen sehen, daß ihr Wohlstand erheblich geringer ist, als sie noch vor kurzem meinten, gehen sie unvermeidlich daran, mehr zu sparen und weniger zu konsumieren. Weil die Aktienkurse der Firmen fallen, wird die Geldbeschaffung für sie teurer, und ihre Investitionstätigkeit flaut ab.

Zu allem Übel brachte das Verschwinden der spekulativen "Blase" auf den Aktienmärkten einen enormen Vertrauensschwund im Geschäftsleben, und die Geldgeber, die an der Rückzahlungsfähigkeit ihrer Schuldner zweifeln, ziehen ihre Außenstände in panikartigem Streben nach Liquidität ein. Das bedeutet Risikovermeidung und knappes Geld. Eine heraufziehende "Kreditkrise" erschwert es daher Aktiengesellschaften wie Einzelpersonen, sich Darlehen zu verschaffen, so daß sowohl neue Produktion wie auch neue Konsumtion in starkem Maß unterhöhlt werden.

Es ist auch kaum zu hoffen, daß die Exportkrise und generell die Krise der Verarbeitenden Industrie, der Urquell des Tempoverlusts in den USA, überwunden werden. Im Gegenteil. In den meisten Weltregionen stockt das Tempo der Produktion, schrumpfen die Märkte, wird Kredit schwerer erhältlich, sind lokale Produzenten für ihr Überleben selbst immer mehr auf Export angewiesen.

Fakt ist, daß die Weltwirtschaft eine ganze Weile lang die US-Wirtschaft als ihre Triebkraft angesehen hat. Da nun die US-Expansion unter dem Anprall der weltweiten Flut von Exporten zu Ende geht, ist schwer zu erkennen, wo sich Kräfte finden werden, die einer tiefen Rezession wehren können.

Robert Brenner ist Mitherausgeber von Against the Current und Autor von "The Economics of Global Turbulence", in New Left Review, 299. Dieser Artikel ist eine leicht überarbeitete Fassung (fertiggestellt am 15.10.1998) des Eröffnungsvortrags auf dem "Zweiten Kongreß Marx International: Kapitalismus, Kritik, Widerstand, Alternativen", den die Zeitschrift Actuel Marx in Zusammenarbeit mit dem französischen Nationalzentrum der wissenschaftlichen Forschung (CNRS) veranstaltet hat. Der Vortrag wurde am 30. September 1998 an der Sorbonne in Paris gehalten. Aus dem Amerikanischen von Joachim Wilke (Zeuthen). Wir danken dem Autor und Actuel Marx für die Abdruckgenehmigung.