Weder beliebig noch dogmatisch

Interview zu Peoples' Global Action (PGA), deren Entstehung und Ziele

in (12.04.2001)

Wie ist Peoples' Gobal Action entstanden?

Die PGA hat ihre Wurzeln in den Interconti-Treffen. Dort gab es eine kleine Gruppe von Leuten, die sich von der Kampagne gegen die FAO-Konferenz kannten, die haben den Anfang gemacht. Die Idee ist auf dem zweiten Interconti-Treffen in Spanien vorgestellt worden. Die Gruppe bestand aus ungefähr 40 Leuten, gegründet wurde die PGA im Februar diesen Jahres, mit ungefähr 300 Delegierten aus ca. 70 Ländern.

Zur Entstehungsgeschichte des Manifests ist folgendes zu sagen: zu jedem Kapitel gab es einen Arbeitskreis, also thematisch aufgeteilt, der drei Tage lang diskutierte und sich überlegte was wichtig wäre, es dann auf kleine Kärtchen schrieb. Es wurde ein Ausschuß gewählt, der die Kärtchen ausgewertet hat und eine zusammenhängenden Text verfasste, das Manifest. Deswegen wirkt es auch ein bißchen bunt zusammengewürfelt bezüglich der Begriffe zum Beispiel. Das soll auch nichts Fertiges und Endgültiges sein. Bei jeder Konferenz soll das überarbeitet werden. Kritik kann man dorthin mailen und es wird dann versucht, das miteinzubeziehen.

Was die Struktur angeht, ist es so, daß die PGA permanent von sich behauptet keine Organisation zu sein. De facto ist sie eine und das mit ziemlichen internen Hierarchien, die vor allem aus einem Informationsgefälle resultieren. Das muß man gerechterweise sagen.

Aus welchen Ländern sind die Leute, die sich dort engagieren?

Aus allen fünf Kontinenten. In Australien sieht es ein bißchen dünner aus. Da gibt es Organisationen von Maoris und den Aborigines. Im Mai als die Proteste gegen die WTO waren, wurde in Sydney eine Demo mit ungefähr 4000 Leuten organisiert. Dafür, dass es dort relativ dünn besiedelt ist und von sozialen Bewegungen auch nicht so viel zu sehen ist, sind die schon relativ stark. Es gibt nun ein Conveners-Committee*, da ist es so gedacht, dass von jedem Kontinent mindestens eine Bewegung repräsentiert wird. Große treibende Kraft ist zum Beispiel Indien. Da gibt es die Karnataka-Farmers-Association. Die sind sehr stark, die haben in ihrem Bundesstaat, der 50 Millionen Einwohner hat, über 10 Millionen Mitglieder und dementsprechend stark sind die. Sie berufen sich auf die Gewaltfreiheit ganz nach Ghandi-Tradition, aber was die unter Gewaltfreiheit verstehen ist wirklich interessant. Die haben die Gentechnik auf dem Kicker, schließlich sind sie davon ganz existenziell betroffen. In den letzten Jahren haben sie Cargill das Leben schwer gemacht. Sie sind da eben mal so mit 1000 Leuten reingestürmt und haben dort alles kurz und klein geschlagen und die Computer aus dem Fenster geschmissen und haben ein Feuerchen entfacht und haben gesehen, dass sie wieder wegkommen. Das ist dann gewaltfreier ziviler Ungehorsam. Und Cargill ist raus.

Gibt es da keinen Stress?

Ich weiß auch nicht wie sie das regeln, aber sie sind ziemlich stark und gut organisiert. Und wenn da einzelne Leute eingeknastet werden, dann kümmern sich die anderen auch wirklich darum.

Gut , das ist jetzt eine Organisation die vor Ort einen hohen politischen Druck erzeugen kann. Wie sieht es denn mit politischen Druck von PGA insgesamt aus? Was hat man denn davon sich zu vernetzen? Erhöht es die Schlagkraft vor Ort oder kann es auch überregional effektiv werden?

Es geht ja von der Einschätzung aus, dass es auf nationalstaatlicher Ebene kaum noch möglich ist, sich wirkungsvoll zu organisieren, wenn man allein ist. Und zwar deswegen, weil der Mythos der nationalen Revolution endgültig gescheitert ist und das auch zu recht. Eine Auseinandersetzung mit dem Staat ist überholt. Für mich ist es ganz wichtig auch diese Staatsfixierung los zu werden, im Positiven wie im Negativen. Es ist ganz egal, ob du den Staat als deinen Primärfeind betrachtest oder als Lösung aller Probleme. Und wenn alle von Globalisierung reden, also dass alle relevanten Machtfaktoren sich längst auf internationaler Ebene organisiert haben, dann ist es auch sinnvoll den Gegendruck auch auf dieser Ebenen zu etablieren.

Wird es denn so gesehen, dass der Staat als Akteur nicht mehr vorhanden ist?

Momo: Er verliert als Bezugspunkt für soziale Kämpfe an Bedeutung, aber als Akteur fällt er natürlich nicht völlig heraus, gerade als ein Akteur, der Repression organisiert.

Wie werden in der PGA Entscheidungen gefällt? Gibt es einen Kopf oder einen Ausschuß? Wie entstehen Grundlagen?

Diese Köpfe gibt es natürlich, obwohl es die eigentlich theoretisch nicht geben sollte. Aber es ist so, dass das Conveners-Comitee* keine Direktivmacht hat. Sie können den einzelnen Leuten vor Ort nicht vorschreiben wie ihre Politik auszusehen hat. Und es gibt den obersten Grundsatz, dass es nicht darum gehen kann, irgendwelche allgemeingültigen Wahrheiten zu etablieren, geschweige denn, dass eine Bewegung in einem bestimmten Land, von sich ausgehend, eine bestimmte Politikform entwickelt und bestimmte Schwerpunkte setzt und dem eine andere Organisation Vorschriften machen könnte.

Wie sind eigentlich die Zusammenhänge mit den Anti-MAI-Aktionen? Da gibt es ja wohl eine andere Einstellung zum Staat. Da geht es doch auch darum den Nationalstaat wieder zu stärken. Steht das nicht dann im Widerspruch zu euren Gegenmachtvorstellungen?

Dazu muß man sagen, dass das relativ getrennte Spektren sind. Die Anti-MAI-Kampagnen sind wesentlich von etablierten NGOs getragen worden, zum Teil auch von Leuten, die parteiförmig organisiert waren und weniger von Basisgruppen. Das gilt zumindest für die OECD-Länder. Das hat ja hauptsächlich in den OECD-Ländern stattgefunden, während PGA ein deutliches Übergewicht auf der südlichen Seite hat. Vom Norden sind da relativ wenige Bewegungen daran beteiligt.

Diese NGOs haben die Vorstellung, die Globalisisierung zurückzufahren und dem Staat wieder mehr Regulierungsmacht einzuräumen. Wenn man sich das genauer anguckt, ist der Widerspruch vor allem darin zu sehen, dass diejenigen, die verhandeln, Abgesandte der Nationalstaaten sind und nicht irgendwelche Konzernchefs. Der Staat ist Täter und Opfer zugleich. Sehr viele NGOs sehen den Staat in erster Linie in der Opferrolle und das resultiert aus der Sichtweise den Staat grundsätzlich als Garant für das Gemeinwohl schlechthin zu halten, der eben von dem bösen Privatkapital bedroht ist. Aber wenn man sich das näher anguckt waren es immer die Vertreter der Nationalstaaten, die diese Verträge geschlossen haben Das ist ja im Gegensatz zu dem, was uns immer glauben gemacht werden soll, kein naturgesetzlicher Prozeß. Das waren bewußte politische Entscheidungen. Und das auch nicht erst seit den 90er Jahren, sondern dieser Prozess ist seit mindestens 25 Jahren zu erkennen. 1975 war der erste Weltwirtschaftsgipfel. seit mindestens 73 ist diese Tendenz zu erkennen und die treibenden Kräfte waren das Kapital, aber die schließlich diesen Prozess möglich gemacht haben, das waren Vertreter der Nationalstaaten. Und es ist auch nicht so, dass die Macht des Staates unheimlich im Schwinden wäre, seine Handlungsspielräume im Wirtschaftspolitischen schwinden, aber dafür gewinnt in anderen Bereichen. Da muss man sich nur mal ansehen, wie die öffentliche Sphäre und auch das Privatleben der Bürger eingeschränkt wird. Es handelt sich eher um eine Machtverlagerung.

Es wird also zwischen Basisbewegung und NGOs differenziert?

Es gibt eine ziemlich deutliche Konfliktlinie zwischen NGOs und Basisbewegung, die in der PGA organisiert sind. Weil der Vorwurf der Basisbewegung an die NGOs lautet: Ihr redet ständig in unserem Namen, aber ihr redet nicht mit uns, ihr redet mit den Reichen und Mächtigen, und hört überhaupt nicht zu, was unsere Nöte und Probleme sind.

Ich war auch neulich in Paris Delegierte bei dem NGO-Strategy-Meeting, wo es unter anderem darum ging, wie weiter mit der Anti-MAI-Kampagne. Da wurde u.a. darüber diskutiert - also die WTO macht jetzt diese millenium-round in Washington, und da sollte auch ein Treffen mit NGO-Vertretern staatfinden. Da habe ich gesagt, dass ich die Gefahr der Instrumentalisierung sehe, die können hinterher sagen, ja wir haben mit der internationalen Zivilgesellschaft gesprochen, wir haben deren Sorgen und Probleme mit aufgenommen und bedenken das alles. Und damit legitimieren und stabilisieren wir diesen Prozess zusätzlich. Das ist die Frage, wer hat denn das Recht im Namen der internationalen Zivilgesellschaft zu sprechen.

Ich finde es trotzdem wichtig den Kontakt zu NGOs nicht abreissen zu lassen, denn wir sind einfach auch auf sie angewiesen. Es sind wunderbare Informationsquellen, sie schreiben zum Teil brillante Analysen, auch wenn ich ihrem Standpunkt nicht unbedingt zustimme. Und sie haben direkte Drähte zu den Herrschenden und kommen an wichtige Informationen heran. Deswegen ist eine Zusammenarbeit wichtig. Außerdem gibt es durchaus auch NGOs, denen an einer Zusammenarbeit mit den Betroffenen gelegen ist, und die deren selbständige Organisation unterstützen.

Um das nochmal festzuhalten gibt es eine starke Abgrenzung zu den NGOs, wo doch bislang darunter alles subsummiert wurde. Also die Basisbewegung hier, soweit noch vorhanden wurde ja darunter gefasst. Das scheint sich verändert zu haben. Nach deiner Einschätzung haben sie bestenfalls einen Bindeglied-Charakter, weil sie für bestimmte Belange nützlich sind.

Das steht hier auch bei den Grundsätzen im Manifest. Lobbyismus wird abgelehnt. Das ist eine direkte Anspielung auf die NGOs. Es wird hier festgestellt, daß das nicht gewollt ist.

Wenn man dieses Manifest liest, fällt auf, dass es am ehesten als ökonomistisch zu bezeichnen ist, also die Machtverhältnisse entlang der kapitalistischen Ausbeutung beschrieben werden. Was ist mit Rassismus, Sexismus, warum kommt der nur untergeordnet vor? Eigentlich sind die sozialen Bewegungen in ihrer Analyse doch weiter, wenn auch die Suchprozesse wahrlich nicht abgeschlossen sind. Gibt es denn ein Revival der Hauptwiderspruchthese, gerade auch von jüngeren AktivistInnen?

Ja, diese Kritik gab es auch und es wichtig, daß man sich damit auseinandersetzt, dann wird es beim nächsten auch berücksichtigt. Aber man kann nicht sagen, dass es gerade die jüngeren wären, die dafür verantwortlich sind. Es ist sehr unterschiedlich, vor allem auch deshalb, weil die Bewegung, die daran beteiligt sind, eher aus den südlichen Länderen kommen. Also wird in so einem Manifest das niedergeschrieben, wovon sie am ehesten und existentiell betroffen sind und das ist nun mal der Kapitalismus oder nenn' es Globalisierung. Man darf nicht vergessen, dass am Tag über 100.000 Menschen an Hunger und an den Folgen der Unterernährung sterben.

Trotzdem ist es doch nicht möglich Unterdrückungsverhältnisse voneinander zu trennen, quasi eins herauszuoperieren.

Die Kritik ist auch absolut berechtigt und wurde schon von verschiedenen Seiten formuliert. Ich hoffe, dass das auf der nächsten Konferenz deutlich miteinbezogen wird. Nicht nach dem Motto: Frauen sind eben besonders von der Globalisierung betroffen, sondern das Patriarchat ein eigenständiger Unterdrückungszusammenhang ist. Ich wollte das auch nicht rechtfertigen, sondern eher erklären, und es sind auch viele Frauenorganisationen daran beteiligt.

Das macht die Einordnung auch schwierig, bei der Frage, wie sich Widerstandsbewegung heute definieren. Was ist anders geworden und wo weht es eher rückschrittlich herüber? Die zapatistischen Bewegungen unterscheiden sich in dem Punkt ja schon, dort gab es nicht den alleinigen Focus wieder auf das Kapital.

Ja, die hatten ja schon ihre interne Revolution hinter sich. Da haben sich die Frauen entsprechend durchgesetzt. Deswegen ist es auch so problematisch mit den traditionellen Strukturen, da entsteht sehr schnell so ein folkloristischer Blick. Das ist immer abzuwägen, auf der einen Seite darf es nicht eurozentristisch gesehen werden, alles und jedes an unseren Maßstäben zu messen, und auf der anderen Seite keine Glorifizierung und Projektion auf das Authentische, auf das Echte, auf das Traditionelle und Revolutionäre im Süden.

Gibt es denn eine spürbare Prägung nach sozialistischen Prämissen, oder ist es eine relativ junge Bewegung, die davon nicht mehr beeinflußt hat?

Das ist für die ganze PGA schwer zu sagen. Im Unterschied zu sozialistischen Vorstellungen gibt eine Abkehr von einem einheitlichen Modell, welches denen, die heute nur noch als "Kostenfaktoren" oder "Surplus-people" bezeichnet werden, eine Identität gab, indem sie mit der Durchsetzung des Sozialismus eine historische Mission zu erfüllen hatten. Stattdessen geht es um eine Rückeroberung der Fähigkeit das eigene Leben zu organisieren. Aber die Debatten fangen eigentlich gerade erst an. Es gibt zunächst eine Zusammenarbeit aufgrund von gemeinsamer Interessens- oder Problemlagen. Es ist nicht möglich zu sagen, die PGA hat die und die Standpunkte.

Gibt es den wirklich eine größere Auseinandersetzungsbreitschaft als in der hiesigen Basisbewegung?

Auf jeden Fall. Vom Umgang miteinander ist es viel angenehmer. Es gibt eine generelle Offenheit für Kritik und ein Wille sich auseinanderzusetzen. Das erfordert auch eiserne Disziplin, denn wenn du dich an einem Wochenende aus ganz Europa triffst, mußt du das durchdiskutieren, wofür du normalerweise eine Woche brauchst. Ich habe schon 16-Stunden-Plena erlebt.

Und der Grundsatz, dass niemand das Recht hat, irgendwelche allgemeingültigen Wahrheiten zu etablieren und sich über andere zu setzen. Das schlägt sich im Diskussionsverhalten und in der Art der Auseinandersetzung und auch im Zwischenmenschlichen nieder. Das ist der Minimalkonsenes für alles, der Respekt gegenüber Widersprüchen ohne darüber hinzwegzugehen. Es ist dann nicht so, dass es in so eine postmoderne Beliebigkeit hinwegrutscht. Es wird versucht über die praktische Auseinandersetzung auch zu eine theoretischen zu kommen. Denn diese Orientierungslosigkeit macht mir persönlich sehr zu schaffen. Aber es ist auch eine Chance, daß da etwas Neues entsteht, was du von Anfang an aktiv mitbeeinflussen kannst und nicht als Individuum in einer höheren Ordnung aufzugehen.

Walter Benjamin hat mal gesagt: "Marx meinte, dass Revolutionen der Motor der Geschichte sind, aber vielleicht sind Revolutionen nicht anderes als der verzweifelte Griff des im Zug reisenden Menschengeschlecht nach der Notbremse." Das ist auch das zapatistische "Ya basta!" Es reicht! Nicht weiter auf diesem Weg. Es braucht erstmal wieder eine Verständigung, wo es überhaupt hingehen soll. Für die Herrschenden ist es längst ausgemacht.

* Einberufungs-Komitee

Momo ist in der und für die PGA aktiv und studiert in Bremen Politikwissenschaft.

Informationen über die PGA gab es in der letzten alaska Nr. 223 S. 50

weitere Infos und das Manifest über:

Play Fair Europe (Adresse siehe Kasten)

oder:

freier zusammenschluß von studentInnenschaften (fzs)

Reuterstr. 44

53113 Bonn

Fon: 0228/262119

Fax: 0228/2420388

eMail: fzs@studis.de

http://studis.de/fzs/

Aktuellen Projekte der PGA

Die nächste PGA-Konferenz findet vom 1.-4. April 99 in Bangalore/Indien statt.

Vom 22. Mai 99 bis zum 20. Juni 99, also bis zum Beginn des

Weltwirtschaftsgipfels in Köln wird eine Karawane (ICC = Intercontinental Caravan) mit ca. 500 Leuten von KRS und anderen quer durch Europa ziehen und Aktionen gegen den Neoliberalismus veranstalten.

Wer an einer Beteilung interessiert ist kann sich melden bei der Redaktion der alaska oder bei

Play Fair Europe,

Turmstr. 3,

52072 Aachen

Fon: 0241/803792

Fax: 0241/8888394

eMail: jorge@asta.rwth-aachen.de

Manifest und Infos: