Interviewgespräch mit Gerburg Treusch-Dieter

am 6. Juni 1997

AN "ALASKA"

Z Offenbar besteht heute, wo die etwa nach 1960 Geborenen langsam ins "maßgebliche Erwachsenenalter" kommen, keine politische Euphorie. Die Hoffnungen, im Ganzen etwas ändern zu können, beziehen sich ja, wenn überhaupt, darauf, daß eine für notwendig gehaltene Anpassung gelingen möge. War das bei den um 1940-50 herum Geborenen, also auch bei Dir, im Übergang der 60er in die 70er Jahre anders? Oder sind wir da "nostalgisch" und 68 war auch nur ein Scheingefecht von Bürgerkindern? Wurden wirkliche Veränderungsmöglichkeiten über gewisse Modernisierungen hinaus verpaßt?

G Verpaßt? Meinst Du, sie sind spurlos vorbeigegangen, oder sie wurden verpaßt?

Z Die Frage ist, ob in der Anlage etwas enthalten war, was sich später nicht mehr verwirklicht hat?

G Ich denke zunächst, daß die Gesellschaftsform, in der wir uns bewegen, unendlich integrationsfähig ist. Kritik und Krise bedingen sich, das heißt, die Kritik selbst hat bereits die Funktion, das, was sie kritisiert, auf irgendeine Weise zu reformieren. Letztendlich berührt das den Streit zwischen Revolution und Reform. Für diese Dialektik, die aus dem neunzehnten Jahrhundert in das Zwanzigste hineireicht, gilt ja, daß alle Revolutionen bestenfalls Reformen geworden sind. Und diese Reformen haben von der Seite der Emanzipation her die schlechten Verhältnisse ihrerseits weitergetrieben. Diese Ernüchterung liegt heute, finde ich, bar auf der Hand. Selbstverständlich könnte man jetzt nostalgisch zurückblicken und sagen, "ja, damals haben wir noch an das und das geglaubt", aber das hieße, diesen dialektischen Mechanismus, der sich letzten Endes als hermeneutischer Zirkel erwiesen hat, zu affirmieren, als ob da noch "Reserven" drinstecken, die heute "mobilisiert" werden müßten - ein paramilitärisches Vokabular, nichts weiter. Wir befinden uns heute in einer Situation der Wende, von der bekannterweise gilt, daß die großen Oppositionen Kapitalismus/Sozialismus in sich zusammengebrochen sind. Die dialektischen Mechanismen Reform/Revolution, Kritik/Krise, undsoweiter, sind mit diesen Gegensätzen verquickt, die sich im Laufe des neunzehnten Jahrhunderts formieren. Im Feindbild des Nationalsozialismus, der sich nicht nur gegen den Bolschewismus, sondern gegen den "jüdischen Bolschewismus" wendet, werden sie aufs Äußerste, bis hin zum paranoiden Kampf gegen eine "Weltverschwörung", zugespitzt, das heißt, noch der Nationalsozialismus ist durch diese Gegensätze des neunzehnten Jahrhunderts konstituiert, die heute zusammengebrochen sind. Ausgehend vom mythischen Datum 68, fand eine eine Wiederaufnahme dieser Fragen statt. Kapitalismus/Sozialismus, Reform/Revolution - all das wurde heiß diskutiert, aber: subjektiv gewendet. Beispielsweise wurden die Eltern als die Schuldigen angegriffen unter dem Aspekt, "sie geben es nur nicht zu". Die sogenannten 68er brachten das Geschichtsverbrechen des Nationalsozialismus unter individuellen, sozusagen, unter sozialisationskritischen Gesichtspunkten ins Spiel. Mythisches Datum 68 sage ich deshalb, weil da, genaugenommen, die Bewegung zu Ende war. 68 setzt die neue Frauenbewegung ein, da flogen die Tomaten, während die entscheidenden Daten der Protestbewegung in die Jahre 66 - 68 gehören. 68 folgt die Spaltung und eine weitere Dialektik, die über die Männlich-Weiblich-Schiene gepowert wird: "Schluß mit den sozialistischen Eminenzen und ihren bürgerlichen Schwänzen". Seitens der Frauen wurde eine Front innerhalb der Front der Protestbewegung eröffnet, die diese zum Erliegen brachte. Gleichzeitig kam durch die neue Männlich-Weiblich-Opposition der hermeneutische Zirkel dieser Dialektik an den Tag, in dem die Frauen, blickt man heute auf die sich kurzschließenden Kämpfe und Abspaltungen zurück, gefangen blieben. Die sozialen Bewegungen danach waren der Versuch, jenseits dieses hermeneutischen Zirkels Probleme der "Zivilgesellschaft" im ökologischen Zusammenhang aufzunehmen. Mit der Reform, ohne Revolution, wird als "Initiative" ernst gemacht in der Hoffnung, daß man dann dem immer schon implizierten Gegenteil entrinnt.

Z Du meinst jetzt in den 80ern?

G Ja, ich meine jetzt in den 80ern. Foucault sagt ja, daß bereits die Frauenbewegung eine Identitätsbewegung ist, was auch für die sozialen Bewegungen gelte. Ob das so stimmt, lasse ich mal dahin gestellt, aber ich denke, daß spätestens an diesem Punkt, wo es um Identitätsproblematiken geht, das Politische in einer Weise enggeführt wird, daß es vom Sozialen nicht mehr zu unterscheiden ist. Man kann das negativ oder positiv sehen - sicher ist, daß an diesem Punkt die Fragen neu gestellt werden müssen, das heißt, nicht mehr so gestellt werden können, wie sie bisher gestellt worden sind.

Z "Chancen und Risiken" ...

G ... Chancen und Risiken, wahrscheinlich. Aber ich finde ihn eigentlich ganz gut, diesen Nullpunkt, an dem sich heute die gesellschaftspolitische Diskussion befindet. Ich finde, daß das eine gute Form der Ernüchterung ist. Man müßte eben jetzt mal gucken: was kann es heißen, mit dieser Ernüchterung umzugehen, die an sich sehr positiv ist, nachdem sich alles andere als ideologische Mythen, oder mythische Ideologien erwiesen hat?

Z Würdest Du sagen, daß diese Dialektik von Reform und Revolution nur noch einmal nachgespielt worden ist? Wir hatten ja die Tendenz in die Frage gelegt: war eine Revolution möglich, oder nur eine Reform? - Aber diese Frage wäre dann ja falsch, weil die Dialektik nicht mehr funktioniert, sondern in diesem hermeneutischen Zirkel leerläuft. Dann wäre das in gewissem Sinne noch ein Anlaß zu mehr als "nur" der Revolution, die sich ja auch als integrierbar erwiesen hat? Würdest Du sagen, daß diese Erkenntnis nicht auch aus Erfahrungen dieser Zeit resultiert, die Du gemacht hast? Oder stimmt das nicht, stammt das aus späteren Erfahrungen?

G Nein, nein. Der Begriff der "Veränderung" war hochpathetisch aufgeladen, es gab kein Gespräch Ende der 60er und durch die 70er hindurch, was nicht auf die Veränderung der Verhältnisse, oder gar auf ihre Sprengung drängte. Ich würde aber dem, was Du herausgehört hast, recht geben, daß da etwas nachgespielt wurde. Da wurde etwas im doppelten Sinne nachgespielt. Zum einen war die neue Frauenbewegung, aus dem heutigen Blick, eine große Nachlauf-Bewegung, eine Art Selbstmodernisierung der Frau aus strukturellen Gründen, da in den Geschichtsperioden davor ein weibliches politisches Subjekt nie in Rede stand. Zum zweiten aber wurde dieses weibliche politische Subjekt analog dem männlichen konstruiert, das heißt, die Dialektik von Reform und Revolution wurde noch einmal auf der Ebene männlich/weiblich nachgespielt. Das Männliche wurde der Seite der Herrschaft zugeschlagen und das Weibliche sollte der revolutionäre, oder kulturrevolutionäre Faktor sein. Ich habe das schon damals vielfach kritisiert, es ist also nicht so, daß das nur rückblickende Überlegungen sind. Aber spätestens heute hat sich das vollends entmystifiziert. Für heute gilt eine Individualisierung, die sich in dem Maß negativ verhält, wie sie aus Bewegungszwängen entläßt. Es gibt keine paradigmatischen Streitfragen mehr wie beispielsweise die, inwiefern der linke Feminismus vom Kulturfeminismus, oder, um den größeren Gegensatz zu nehmen, inwiefern der Stalinismus vom Nationalsozialismus unterschieden ist. "Links" und "rechts" sind heute keine gesicherten Kategorien mehr.

Z Aus der heutigen Sicht, besonders im "Historikerstreit", z.B. in der Interpretation des "Hitler-Stalin-Paktes" fallen ja im Grunde die Feindbilder auch schon gegenseitig ineinander und werden eben zu dieser Unununterscheidbarkeit gemacht.

G Ja, eben. Das ist der Punkt. Nach Foucault gibt es den großen Ort der Revolution nicht mehr, und nach Baudrillard sind wir am Ende der Geschichte. Damit ist nicht gemeint, daß die Zeit, entsprechend unserer Zeitmessung, nicht weiter vorrückt. Wir können selbstverständlich weiterhin von der Vergangenheit eines Geschehens sprechen, aber unser Begriff von Geschichte, der wesentlich säkularisierte Heilsgeschichte gewesen ist, ist an sein Ende gekommen. Das meine ich eben mit Ernüchterung, das finde ich ganz erfreulich. Die letzten, die die Fackel noch mal aufgesteckt haben im Sinne eines Sich-bewegens, eines Sich-mobilisierens, eines Fanals, das noch einmal am großen Ort der Revolution aufleuchten sollte, das waren eben die Frauen, die aber etwas nachspielten, was sich selbst schon ad absurdum geführt hatte. Die großen Oppositionen "links/rechts" und ihre jeweiligen Wiederholungen durch Spaltungen, die stets aufs Neue entlang diesen Frontlinien verliefen: "Wer ist 'Rechter', wer ist 'Linker'"? Das war ja in jeder 'linken' Bewegung das Problem, wen rechnet man den "Revis", wen den "Anarchos", wen den "Dogmatikern" zu ...

Z ... Beinhaltet die Eliminierung der Gegensätze nicht eine gefährliche Anschlußfähigkeit, wie es ja auch trivial aufgegriffen wird, wenn es um die Frage geht, "Der Kapitalismus als beste aller möglichen Welten". Also: Das Ende der Geschichte ist jetzt, das hieße dann: Der Ex-Juso Gerhard Schröder als Kanzler oder eine grün-schwarze Koalition?

G Nein. Ich denke, daß keine der Fragen gelöst ist, die nun zwei Jahrhunderte bewegt haben und Blutbäder in einem Ausmaß mit sich brachten, wie sie sonst geschichtlich nicht zu finden sind. Ich denke allerdings auch, daß sie auf diese Weise nicht mehr zu lösen sind. Die neue Form der Apokalypse heute, "nun steht alles still, der Kapitalismus hat gesiegt", ist eine öde Replik. Sollte die europäische Vereinigung kommen, dann werden die Fragen, selbst wenn diese Vereinigung vorerst nur als Währungsunion kommt, in einem neuen Umfang gestellt. Beispielsweise finden die Gewerkschaften dann eine Basis vor, die den nationalen Rahmen überschreitet, der sich mehr oder minder erschöpft hat, sei es, daß die Gewerkschaften eingeschlafen sind, sei es, daß sie zu sehr mit den Unternehmern paktiert oder einfach nur noch ihre Pfründe gesichert haben, kurzum, auf dieser Basis werden sie langsam wieder aufwachen. Eine Perspektive des Internationalismus kündigt sich auf der Ebene von Organisationsmöglichkeiten an, die es vorher so nicht gegeben hat, nicht nur, weil die nationalen Grenzen dazwischen waren, sondern auch, weil alles in diesen Oppositionen "Kapitalismus"/"Sozialismus" rotierte. Ich denke, daß dieser Internationalismus sich, sozusagen, sachlich fundieren kann, daß er also auf post-christliche Träume wie Urkommunismus, Ende der Privateigentums, Ende des Finanzkapitals, "Zurück zum Naturalientausch" und einer Moralökonomie des Mangels, wie sie nicht zuletzt der Sozialismus in der DDR praktizierte, nicht mehr angewiesen ist. Man kommt heute nicht darum herum, sich dem Wirtschaftssystem und seinen technologischen Möglichkeiten zu stellen, die selbstverständlich vom Kapital abhängig sind. Ein ideologisches Weihnachten, ein Nicht-Erwachsensein, das sich den Staat als großen, sozialistischen Mutterschoß vorstellt, der irgendeine "Urgemeinschaft" gebiert, ist heute einfach nicht mehr drin.

Z Wir könnten ja hypothetisch unterstellen, daß der Kapitalismus nun gesiegt habe und das eben der Pluralismus, der ja als Parole äußerst wichtig ist, als Mittel der Abwehr oder der Beschleunigung von Eingemeindung von Opposition dient. Was Du ja vorhin auch schon gesagt hast. Jetzt ist es natürlich so, daß du darauf ja schon geantwortet hast und der Tendenz der Frage etwas widersprochen hast, in dem du sagtest, daß man sich dem eigentlich stellen muß, daß es ein Faktum ist, im Grunde genommen. Dazu fällt mir, polemisch überspitzt, ein, daß Horkheimer gesagt hat: "Lieber noch den Adenauerstaat als den Faschismus, und was besseres als diese Demokratie können wir eigentlich nicht mehr erhoffen" Aber so weit würdest du ja wohl nicht gehen?

G Nein. Aus meiner Sicht hängt alles davon ab, wie mit der Frage der Arbeit, im Zusammenhang mit Technologie und Kapital, umgegangen wird. Die Klage, der postindustriellen Gesellschaft sei die Arbeit ausgegangen, ist doch grotesk, beziehungsweise, wenn dem so sein sollte, dann wären ja die Hände frei für jene "Träume" - paradox gesprochen.

Z Ich sehe hier zwei Fragen. Einmal die, inwiefern das ganz moderne Phänomen des integrativen Pluralismus eigentlich allen Möglichkeiten den Garaus macht, indem sie eben sofort genutzt werden. Wie kann man dem entgehen, dieser sofortigen Nutzbarmachung?Wie kann man sich, in diesem Milieu der repressiven Toleranz, überhaupt nocht oppositionell verhalten? Die zweite Frage bezieht sich eigentlich direkt auf Dich, also inwiefern, ausgehend von diesen Thesen und Voraussetzungen, sich dies auf Deine wissenschaftliche und politische Arbeit auswirkt? Wie tritts Du auf, was hat sich verändert? Du hast ja vorhin auch schon "die Wende" zitiert. Was ist mit denen, die etwas verloren haben durch den Wegfall des "Ost-West-Konflikt", oder mit Anderen, wie Dir, die etwas hinzugewonnen haben?

G Das ist alles sehr komplex und verwoben. Außerdem ist es sehr schwierig, zugleich gesellschaftliche Aussagen zu machen und etwas über sich selbst zu sagen. Die eigene Biographie ist ja nie identisch mit dem, was gesellschaftlich abläuft. Ich kann nur an diesen Punkt festhalten, daß der Augenblick der Ernüchterung gekommen ist, daß wir jenseits von Oppositionen sind, und daß wir uns keinen Lagern zuschlagen können, die sagen, "von da aus geht der Zug ins Paradies". In dem Augenblick, wo man sich dem stellt, wird es selbstverständlich noch komplexer und schwieriger. Ich gehe davon aus, daß wir uns in einer neuen Akkumulations-Phase befinden, sozusagen einer dritten "ursprünglichen Akkumulation". Die erste war die der Enteignung von Arbeitskraft, die zweite die der Enteignung von Arbeitsmitteln, also die Formierung des Fabriksystems, und die dritte ist heute die Enteignung von Lebensinformation. Auf der Ebene der Arbeit setzt sich ein neuer Schub von Kompetenzverlust und Disqualifizierung durch, wie das vielleicht bisher geschichtlich so noch nie gewesen ist: Fragmentierung von Biographien, Teilzeitarbeit, Flexibilität - in sich konsistente Berufsbilder wird es immer weniger geben. Soziologisch sind diese Dinge ja schon zur Genüge analysiert, die sich inzwischen Stück um Stück realisieren ...

Z ... Obwohl sich das ja doppelt artikuliert. Einerseits handelt es sich um die Enteignung von, wie Du es genannt hast, Lebensinformationen, oder Wissen oder Wissen um die Zusammenhänge, die Komplexität oder überhaupt um einen stringenten Lebenslauf, aber andererseits auch um die Einforderung von sozialen Kompetenzen, von Selbstverantwortung, von "Selbstmanagement", von Flexibilisierung. Die Forderung, daß du überall einsetzbar bist, daß du dich immer ganz einbringst - natürlich nur das, was effizient ist und das wirklich intime, was nicht verwendbar oder verwertbar ist, sollst du draußen halten. Der neue Arbeitsbegriff versteht sich ja schon, in perverser Weise, so, daß er eben den ganzen Menschen haben will, die ganze Substanz, mit allen sozialen und beruflichen Kompetenzen. Das muß eben ständig auch verändert werden. Du kannst eben nicht sicher sein, daß du da auch bleibst, wo du eingesetzt wirst, sondern du mußt eben eigentlich alles können und alles machen.

Insofern würde ich eben sagen, daß sich eine paradoxe Situation ergibt: Das du einerseits immer weiter fragmentiert wirst, andererseits aber doch eine sehr stringente und vielfältig kompetente Persönlichkeit oder Person sein mußt. Aber ist das ein Widerspruch?

G Nicht unbedingt, es weist nur darauf hin, daß die heute eingetretene Ernüchterung damit zusammenfällt, daß sich der Produktionsbereich von innen her auflöst und der Arbeitsbegriff, der als abstrakte Arbeit immerhin noch auf einen Gebrauchswert verwies, in sich zusammenbricht. Man könnte sagen, daß die Arbeit zum Dienst regrediert, der wesentlich Wartung und Steuerung ist, das heißt, die Form der Vergegenständlichung durch Arbeit fallen weg, während sie sich über "Teleworking" in die Haushalte hineinfrißt, was weitere Vernetzungen und weitere Kontrollen, bis in den Schlaf, mit sich bringt. Wenn bisher die Betriebe rund um die Uhr liefen und dies eine Errungenschaft des Produktionsbereichs war, dann wird es jetzt möglich sein, daß die Haushalte rund um die Uhr die Rechner bedienen.

Z Also eine starke Diffusion von Privatem und Öffentlichem, oder von Arbeit und Freizeit?

G Ja. Alle großen sozio-ökonomischen Achsen, um die sich Geschichte bisher bewegt hat - Geschichte als säkularisierte Heilsgeschichte; alle diese Achsen sind heute fundamental in Frage gestellt. Lyotard spricht in "Patchwork der Minderheiten" von einer Partikularisierung oder Molekularisierung der Gesellschaft, was nicht anderes, als diese Entstrukturierung der großen Achsen und ihres Bindungspotentials meint. Die negative Individualisierung, die heute greift, wird als das Auftauchen eines "multiplen Selbst" erzählt, dessen "Person" mit "Persönlichkeit" nichts mehr zu tun hat, ganz im Gegenteil, es ist fraglich, ob man von "Person" überhaupt noch sprechen kann, da dies ein Rechts-, kein Existenzbegriff ist. Wahrscheinlich tritt an die Stelle des Individuums inzwischen das "Dividuum", das Geteilte, das ein sich selbst weiter Aufteilendes ist. Sicher, das kann auch "kreative" Effekte haben, angesichts dessen, daß dieses "Dividuum" aus der modernen Form der Subjektivierung entlassen ist. Es kann, nein, es soll seine Existenz heute qua "Selbsthilfe" und "Selbstorganisation", statt qua "Selbständigkeit", begründen, was nicht per se Opferstatus heißt, aber es verweist gleichzeitig auf jenes Eindringen von Steuerungsmechanismen in die Körper, denn gesellschaftliche Synthesis wird heute technologisch performiert, sie wird nicht mehr über Ideologie, sondern über Technologie vollzogen, und das scheint mir ein völlig neuer Stand der Dinge zu sein, der heute faktisch wird. Das Transplantationsgesetz, das heißt, das Gesetz, daß jede und jeder seine Organe der Gesellschaft zur Verfügung zu stellen hat, ist ein Beispiel dafür, weil damit etwas ganz anderes, als die bisherige Regelung, in kraft tritt, die dies dem Einzelnen und seinen privaten Spende-Motiven überließ. Jetzt ist der Körper, überspitzt gesagt, schon vor der Geburt der Ausschlachtung preisgegeben, weil ein Gesetz Allen, a priori, vorausgesetzt ist. Das ist eine völlig neue Situation, die es so noch nicht gegeben hat.

Z Die "neue Pluralität", also die Wahlfreiheit, die damit angedeutet wird, entpuppt sich ja damit als Zwang. Ich denke, das ist ja sehr deutlich zu benennen.

G Ja, es geht darum, daß Du Dich Stück um Stück...

Z ... verkaufst ...

G ... ausverkaufst, aber ohne Bezahlung.

Z Das war ja vorhin schon die Anspielung auf "Selbstmanagement", was ja noch mal auf diesen "Pluralismus" zurückführt, sozusagen Pluralisums als Herrschaftsmittel...

G Ja. Pluralismus und Partikularisierung, bis hin zur Fragmentierung, was in die Dimension der Enteignung von Lebensinformation hineinführt, die in letzter Konsequenz den genetischen Code ins Spiel bringt, weil das im Augenblick die äußerste Form des "Dividuums" und seiner Aufspaltung ist. Es geht also um zwei Ebenen, einmal um die Ebene der Arbeit und ihre neuen Teilungspraktiken, zum andern um die Ebene des genetischen Codes, der vorgeburtlich im Bereich der pränatalen Diagnostik, oder der fötalen Gentherapie als Analyseinstrument zum Einsatz kommt. Wie auf diese dritte Phase der "ursprünglichen Akkumulation" geantwortet werden soll, das ist mir im Augenblick noch nicht ganz klar, aber mit einem reinen "Anti" wird es nicht gehen, denn dieses "Anti" verweist wieder auf die großen Oppositionen zurück, die heute abgedankt sind. Wir bewegen uns inzwischen jenseits von "Sozialismus" und "Kapitalismus", ob dafür die Metapher der Informationsgesellschaft, der Dienstleistungsgesellschaft, der Kulturgesellschaft ...

Z ... oder der Risikogesellschaft ...

G ... eingesetzt wird. Der Neoliberalismus basiert auf diesen neuen Formen der Teilungspraktiken, die, umgekehrt, Vergesellschaftung über eine, bis in die Poren, bis in die Molekularstruktur eindringende Technologie betreiben. Ein "Anti" ist unter diesen Bedingungen nicht mehr möglich, sondern es stellt sich die Frage nach einer Kritik, die ihren eigenen, hermeneutischen Zirkel durchbricht.

Z Woran liegt es, daß gegenwärtig nichts so unpopulär ist wie Feminismus und Technologiekritik? Also die technologiekritische Feministin als Paradebeispiel der Ewiggestrigen, die nicht dazulernen will, weil sie es nicht kann? Sie gilt dem nichtakademischen wie akademischen Volksmund ja als verbittert, dogmatisch oder schwer pathologisch.

G Als ob sie ihr eigener Rückfall, angesichts eines von ihr nicht geleisteten Fortschritts sei, folglich identisch mit der "Zurückgebliebenheit" der Feministinnen selber?

Z Wobei: Feministin ja auch ein vager Begriff ist, wenn wir uns vor Augen führen, wie viele Differenzen es da gibt, wie viele Fraktionen, Bewegungen und Motive. Aber wir meinen eben diese, die sich auch der Technik noch verschließen.

G Wobei ich gerade überlege, ob das so stimmt? Vielleicht hast Du da nur eine Seite im Blick, das heißt, die Feministinnen, die aus der Latzhosen-Tradition zur neuen Mütterlichkeit übergingen und nun in irgendeiner Weise Ökosophie betreiben?

Z Die haben wir nicht im Blick. Die Frage zielte auf etwas anderes ab. Wir sympathisieren ja mit dieser technologiekritischen Feministin und sagen aber, auch sie, natürlich auch andere Feministinnen, aber eben gerade sie, gilt sozusagen als diejenige, die am weitesten zurückliegt. Also die Feministinnen, die sich wenigstens noch der Computerkultur annehmen und diese als neue Spielwiese für progressive Frauen auffassen, das ist noch in Ordnung, denen wird zwar partiell auch mißtraut und im Hintergrund bleibt ein "irgendetwas stimmt da nicht", aber jedenfalls: die feministische Technologiekritikerin ist in doppelter Hinsicht veraltet, hat keinen "Anschluß" mehr.

G Wenn das stimmt mit der Nachlauf-Bewegung und dem Nachspielen der Dialektik von Reform/Revolution im Sinne dessen, daß frau die männliche Seite der Herrschaft, und die weibliche der Rebellion zuschlug - dann ja. So gesehen, hätte auch der Feminismus als "Ismus", im Kontext vom "Kapitalismus" und "Sozialismus", abgedankt. So gesehen, könnte man sagen, zwar sind irgendwelche Relikte übriggeblieben, aber die Frauen, die sich ab den 80ern identitätspolitisch eingereiht haben nach dem Motto, "Nationalstaat der Schwestern" à la USA: Ein Motto, was zu Gruppen und Grüppchen und Mini-Nationalstaatskriegen führte - das alles ist heute ohne Relevanz. Ansonsten muß man sich, was jenen fehlenden "Anschluß" angeht, die Kulturgeschichte und ihre geschlechtsspezifische Arbeitsteilung anschauen, die nicht erst in der Moderne über die Gleichsetzung des Männlichen mit Produktion, des Weiblichen mit Reproduktion funktionierte. Männliches wurde mit Körperkraft, Weibliches mit gebärfreudigem Becken gleichgesetzt, und da muß man sich nicht wundern, daß der Mann, faul wie er ist (und er ist unendlich faul), um sich und seinen Körper zu schonen, die Technik entwickelte. Jedenfalls wurde die technische Entwicklung männlicherseits, vor allem im Zuge von Kriegsunternehmungen, vorangetrieben, das heißt, Frauen hatten es schon immer mit den Technikfolgen zu tun, ohne daß sie aktiv an der technischen Entwicklung beteiligt waren. In dem Maß aber, wie die technische Entwicklung das handelnde, männliche Subjekt von seinem Handeln entlasten sollte, in dem Maß gilt, daß die technische Entwicklung, ihrer Tendenz nach, ohne handelndes Subjekt, beziehungsweise, ohne Täter funktioniert. Das heißt, sie ist paradoxerweise, je mehr sie sich automatisiert, desto mehr "weiblich" verfaßt. Heute wird von intelligenter Technik gesprochen, die nicht nur in die Körper eindringt, sondern auch die Gesellschaft mit ihren Netzen durchzieht: Alles weibliche Metaphern, die auf einen "objektivierten", symbiotischen Mechanismus verweisen, an den die Individuen heute sowohl im nachgeburtlichen als auch im vorgeburtlichen Stadium angeschlossen werden. Wenn aber die Technik, die in ihrer Verbindung mit Wissenschaft, längst zur Technologie geworden ist, in ihrer Subjektlosigkeit analog dem Weiblichen konstruiert ist, dann muß man sich wiederum nicht wundern, daß Frauen es bei einer "Technik-Kritik" schwerer als die Männer haben, denn sie müssen in dem Maß ihr eigenes Unbewußtes entziffern, wie sie der Bewußtlosigkeit der Technologie auf die Spur zu kommen versuchen, die desto mehr zu ihrer eigenen Enteignung von Lebensinformation führt, je mehr die Technologie die Tendenz hat, wie eine Mutter zu funktionieren - eine Tendenz, die inzwischen die Trennung von Produktion und Reproduktion in der Reproduktionstechnologie aufgehoben hat. Sie schließt beide Bereiche zusammen. Dabei wird die Unterscheidung aufgelöst, die in der symbolischen Ordnung der Geschlechterdifferenz durch die Vaterposition gegeben ist, womit alle männlich/weiblichen Unterscheidungen gefährdet sind, was mit der Perspektive der Klonung, die, seit Dolly, näherrückt, zusammenstimmt. Wir haben also ein Funktionieren der Technologie im "weiblichen" Sinn. Männliche Körperkraft ist nicht mehr erforderlich, die Körper werden freigesetzt, was einerseits mit der strukturellen Arbeitslosigkeit, andererseits mit der Organtransplantation korrespondiert, während die Frauen genau jetzt, wo die Technologie sich in ihrer "weiblichen" Funktionsweise totalisiert, insbesondere überflüssig werden: Schon sind sie, per In vitro-Fertilisation, technisch ersetzbar geworden. Andererseits gibt es vor allem von Frauen eine "Technik-Kritik", die keineswegs den "Anschluß" verloren hat. Dies gilt nicht nur für den Bereich der Gen- und Reproduktionstechnologie, sondern beispielsweise auch für das Cyborg-Manifest von Donna Haraway, auch wenn es hier nicht so populär wie in den USA geworden ist.

Z Ich denke, es ist schon relativ populär. Wenn man z.B. die Romane von Marge Piercy nimmt, deren banale Reproduktion von Geschlechterklischees als kritisch-feministische Aneignung von Technologie verkauft wird, dann kann das als trivialisierte Version von Haraways Thesen aufgefaßt werden.

G Die Frage ist selbstverständlich, wie, angesichts der Enteignung von Lebensinformation, eine Umstrukturierung vorgenommen werden könnte, denn die Logiken, die sich seit Jahrhunderten einen "weiblichen" Techno-Körper konstruieren, sind männliche.

Z Als Beispiel einer technologiekritischen Feministin standest eigentlich Du uns vor Augen. Wenngleich Du Dich selbst vielleicht gar nicht so bezeichnen würdest?.

G Ich versuche Technologie, ausgehend vom Zusammenhang Zeugen - Erzeugen, zu denken, wobei das Paradigma des Zeugens immer das Erzeugen ist.

Z Wir erfahren im studentischen Umfeld, in den Umbrüchen im feministischen universitären Raum oder bei Alltagserfahrungen bei der Arbeit, daß das mit den Frauen jetzt endgültig vorbei ist, daß sie jetzt [angeblich] bekommen haben, was sie sollten und wollten; es gibt keine echten gesellschaftlichen Probleme mehr für sie und sie sollen nur zusehen, daß sie sozialtechnologisch am Ball bleiben und das mit den Computern ist sowieso nur wunderbar und praktikabel.

G Ich denke auch, daß im Augenblick eine Art PC, das heißt, eine Political Correctness, bis hin zum schlechten Gewissen sogenannter "ehemaliger Linker", läuft, die fast im Sinne einer Abschwörung postulieren, man müsse nun umdenken, es sei höchste Zeit das Internet als basisdemokratische Utopie zu propagieren.

Z Das technisch Progressive ist doch eigentlich im Grunde keine neue linke Position. Das Setzen auf Produktionsmittel ist ja in den Marxismus eingeschrieben und zwar als neutraler Wert, also im Grunde nicht kritisch hinterfragt. Das hat sich dann geändert, nachdem die ganzen geschichtsteleologischen Vorhersagen nicht eingetreten sind und die Arbeiterschaft, statt sich zu solidarisieren, im ersten Weltkrieg aufeinander schießt. Da hat sich der links-progressive Bereich der Produktionsmittelsphäre zugewandt und hat gesehen, daß Technik und Wissenschaft die primären Produktionsmittel sind und hat angefangen, zumindest teilweise, Wissenschafts-, Positivismus- und Technologiekritik zu forcieren, zu betreiben. Eine Sparte, die sonst eher durch konservative Theorien gestützt worden ist, wenn man sich z.B. auf Heidegger, "Metaphysik ist Technologie", bezieht und diesen Zusammenhang stiftet zwischen symbolischer Ordnung und ihrer Umsetzung als Moderne. Es hat also ein Umdenken eingesetzt und man wurde technologiekritisch und hatte aber das Problem, daß man da mit der traditionellen marxistischen Theorie und auch deren Folge und Erweiterungen, besonders in dem Versuch ihrer Anwendung auf den Nationalsozialismus, nicht zurecht kam. Man konnte sich dann entscheiden und entschied sich zumindest teilweise gegen die rein marxistische Position, meinetwegen ab der "Dialektik der Aufklärung" - aber es gab für Linke kaum eine andere Möglichkeit als daran festzuhalten oder z.B. bei der Erklärung des Phänomens des Nationalsozialismus mit Zusatzhypothesen zu arbeiten, wie bei Lukacs. Man kam aber nicht zu Rande und das theoretische Fundament, von dem aus man kritisiert hatte, zerbröckelte. Jetzt ist die Frage: kann man eine Technologiekritik heutzutage nicht nur oberflächlich, also Folgen sichtbar machen und diese kritisieren, sondern kann man grundsätzlich Wissenschaft und Technik überhaupt als Bewegendes, als gesellschaftlicher Veränderung zugrundeliegendes, theoretisch fassen?

Da war ja die Frage, ob der Feminismus diese Möglichkeit in sich berge und eine Technologiekritik formulieren könne, die nicht unbedingt marxistisch orientiert ist, das zwar teilweise rezipiert hatte, aber doch intelligent genug war, die Fehler (Neutralität der Produktionsmittel, geschichtsteleologische Vorhersagen, sogar die Arbeitswerthypothese, das Wertgesetz selbst, das Setzen auf Wissenschaft etc.) zu sehen, die darin waren und jetzt von sich aus eine Position formulierten konnte, die technologiekritisch sein konnte, ohne daß man am Ende doch im konservativen Lager landete?

G Ich denke, daß dieser Ansatz von "Technik-Kritik" bisher noch nicht über die Stigmatisierungen hinaus ist, die mit der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung verbunden sind. Ich denke, daß das "Anti" da noch immer eine große Rolle spielt. Ebenso denke ich, daß kein Verhältnis zur Technik von seiten der Qualifikation gegeben ist -Ausnahmen eingeschlossen. Also das mit der "Zurückgebliebenheit" trifft irgendwie zu, trotz verschiedener, feministischer Ansätze. Ansonsten wird eben der Begriff des Patriarchats durch Begriffe wie "Pharmakratie" oder "Technokratie" ersetzt, aber der hermeneutische Zirkel einer Kritik, die das reproduziert, was sie angreift, wurde nicht durchbrochen. Ich selbst gehe davon aus, daß Kultur, Zivilisation und Technik unabdingbar zusammenhängen und die Frage aufwerfen: Welche Logiken werden in der Technik verbaut, was sind die soziologischen Konstruktionsprinzipien? Beispielsweise die Elektrifizierung Ende neunzehntes Jahrhundert - statt dezentral, wurde sie zentralistisch organisiert, warum? Vielleicht liegt der ganzen Energiepolitik noch immer ein monotheistisches Konzept zugrunde, das sich, trotz aller Aufklärung, von einer himmlischen Lichtquelle noch immer nicht lösen kann. Umgekehrt, entsprechen die AKW's abgeworfenen Atombomben, als ob "friedlich" bewiesen werden müsse, daß sie nicht zerstörerisch sind, was, meiner Meinung nach, auf eine Schuldproblematik hinweist, die unter Wiederholungszwang steht. Oder, vielleicht wird in die neuen, "weichen" Techniken nicht investiert, weil die Entlastung von Körperkraft, die in die technische Entwicklung eingeht, noch immer in der Weise weiterwirkt, daß nur den "harten" Techniken vertraut wird, die Gigantomanisches imitieren. Die ganze Technikentwicklung ist auf eine Traumatisierung fixiert, die aus ihrer "Vorgeschichte" resultiert und die noch in keiner Weise abgegolten ist, wobei die Verteufelung der Technik im Sinne dessen, daß Gott der Schöpfer, der Satan aber der "Macher" als Widersacher des Schöpfers war, sicher eine entscheidende Rolle spielt. Insofern ist die feministische Kritik nicht falsch, wenn sie den Begriff des Patriarchats durch andere Begriffe ersetzt, weil es bei der Technikentwicklung in erster Linie um Herrschaft, das heißt, um die Frage geht: Wie ist Herrschaft zu stabilisieren, oder gar zu automatisieren, damit sie selbsttätig funktioniert? Gleichzeitig ist die Technologie heute wirklich zu intelligent, als daß man dabei stehen bleiben könnte, denn, Herrschaft ist starr, die List der techné aber, die in die Technologie eingeht, ist flexibel. Sie ist hinterlistig, wie man es den "Weibern" nachsagt, die das männliche Begehren, mittels seiner technischen Konstruktionen, unter Kontrolle bringen wollte. Irgendwie sind heute die Möglichkeiten der Technologie noch unter einem Schuttberg der Geschichte der Geschlechterdifferenz verborgen - einer Geschichte, die in erster Linie die eines geschichtslos konzipierten Monotheismus war, der "im Schweiße des Angesichts" arbeiten und "unter Schmerzen" Kinder gebären hieß. Ich denke nicht, daß man mit dieser Schuld- und Strafkonzeption, samt ihren monotheistischen Bomben, undsoweiter, heute noch weiterkommt. Die Theo-als Techno-Logik hat ausgedient. Technophilie hier, und Technophobie dort, sind nichts weiter als theo-techno-logische Folgeerscheinungen, die den Krieg zwischen Schöpfer und "Macher" weiterführen unter dem Aspekt, daß der Mann als "Mensch" es nie gewesen sein wollte, der das Weibliche, die Natur, oder was sonst noch die Namen für das "Leben" sind, maschinisierte, um seine Ressource mit immer weniger Aufwand zu sichern - eine Ressource, die immer über den Tod hinausreichen sollte. Die Unsterblichkeit mittels Technik ist heute theo-techno-logisch erreicht: Die Samen- und Eizellen sind einzufrieren. Unglaublich, wenn man soziologisch bedenkt, daß dies alles Effekte eines Glaubens sind, der schließlich Gott auf eine Glühbirne reduzierte, in der die Gebärmutter, wie sie im Mittelalter dargestellt wird, wiederkehrte, um noch einmal auf die Elektrifizierung, undsoweiter, zu kommen. Wenn man jetzt das "Kreative" der Individualisierung nähme, was Du angesprochen hast, indem man es mit einer dezentralen Verfügung über die Technologie verbände, dann könnte das, in der Tat, satanische Dinge hervorbringen. Ich gehe davon aus, daß auch Du jetzt das Gruseln kriegst, angesichts der strukturellen Gewalt, die mit der Zentralisierung der Technologie verbunden ist, an die wir uns längstens, als lägen wir in "Abrahams Schoß", gewöhnt haben ...

Z ... Das ist ja jetzt genau im Grunde die Anschlußfrage. Ob "Technophilie" oder "Technophobie", das entscheidet sich ja im Grunde dadurch, daß man den Konstitutionsprozeß von Technik versteht oder verstehen lernt. Wie beschreibst Du den Zusammenhang zwischen einer Politik oder Analyse der Gegenwart mit der mythischen, "archaischen" oder konkret historischen Herkunft unserer Gesellschaft? Wie gelingt es Dir, ein so intensives Verhältnis beider, wie es in vielen Deiner Texte ausgedrückt ist, herzustellen? Welche Methoden verwendest Du dabei und welche Ansprüche an die Form ergeben sich aus einem radikalen Denken? - Was ich eben bei Deinen Texten sehr ausdrücklich finde, ist, daß du ja nicht einfach eine Sammlung wissenschaftlich beglaubigter Fakten oder einen Tatsachenbericht schreibst, sondern daß Du ja mit sehr vielen verschiedenen Formen arbeitest. Du schreibst in "Ästhetik und Kommunikation" anders als in der "Freitag" und wiederum anders z.B. in Deiner Habilitation. Also ganz verschiedene Orte des Schreibens [für die Du] m. E. zum Teil poetische Formen gefunden hast, die starke flottierende Momente an sich haben und auf das Unbewußte ansprechen, Subtexte produzieren und eine Fülle von Zitaten verschiedenartigster Quellen verarbeiten.

G Ich setze darauf, daß die Sprache sich selbst ausspricht, das heißt, je nachdem, was man sagen will, setzt man die Sprache verschieden ein und läßt sie dann zum Gegenstand sprechen, sei es, daß man sich auf einen Autor/eine Autorin stützt, sei es, daß aus den Materialien selbst heraus die Dinge laut werden. Es handelt sich um nichts weiter, als um Relektüren verschiedenster Art. Wie ich das "aufziehe"? Ich gehe davon aus, daß alle Zivilisationstatsachen produzierte sind. Sie sind gemacht. Sie bergen kein Geheimnis, um mit Camus zu sprechen. Sie sind gemacht und als diese kann man sie untersuchen, sofern man mit Camus im Mythos von Sisyphos annimmt, daß die Atempause das Entscheidende ist, nicht der den Berg hochgerollte Stein. Was mich interessiert sind "Artefakte", die eine Problemlösung sein sollen, von der man sich jedoch erholen muß, um sie zu wiederholen. Die Geschlechterdifferenz ist ebenso ein Artefakt wie alle Formen von Maschinerie oder Gesellschaftsorganisation. Die Frage ist, in welchen gesellschaftlichen Zusammenhängen werden diese Artefakte konstruiert? Da interessieren mich bestimmte Formen des gesellschaftlichen Handelns, beispielsweise das sexuelle Handeln. Es ist ein Artefakt und ich meine, daß gerade am sexuellen Handeln gezeigt werden kann, wie das Zeugen oder Nicht-Zeugen sich durch das Erzeugen bestimmt. Was mich interessiert, ist ein kulturelles Handeln, das in erster Linie rituelles Handeln ist. Also: Wie wird gesellschaftliche Bindung erzeugt? Welche Gefahren liegen in der Entbindung? Wie wurde das gesellschaftlich gehandhabt unter Bedingungen, die noch nicht über dieses Ausmaß an Technologie verfügten. Was ist im rituellen Handeln technisches Handeln? Das interessiert mich als Zusammenhang von Mythologie und Technologie, von Zeugen und Erzeugen - wie, warum, unter welchen Bedingungen? Dabei ist die Frage des Opfers unvermeidlich, da Vergesellschaftung nie ohne Gewalt möglich ist. Aus der Struktur der Geschlechterdifferenz geht hervor, daß der Versuch über das weiblich hervorgebrachte Leben Vergesellschaftung zu praktizieren, eine Gewalt einschloß, die zur Opferung der Frau im Zusammenhang mit Regeln führte, die an Tabu und Enttabuisierung, an Gesetz und Verbot gebunden waren. Das sind Fragen, die geschichtlich periodisiert werden können, wobei ich mich an das sogenannte Abendland und an den Zusammenhang zwischen Antike und Moderne halte. Das neunzehnte Jahrhundert hat ja die Antike wieder aufgenommen, weil in ihr ein gesellschaftlicher Umbruch zu verzeichnen ist, denn die Polis ist ein Fremdkörper innerhalb der großen theokratischen Binnenstaaten. Also, dieses geschichtliche Experiment der Polis, das gescheitert ist, fundiert schließlich die Natur- und Staatsrechtstheorien der bürgerlichen Gesellschaft im neunzehnten Jahrhundert: Die Polis wurde zum Zentrum der bürgerlichen Ideologie, und da frage ich mich, was hatten die für eine Revolution? Die Polis wurde in die größeren Territorien des Hellenismus integriert, aber es ist zu keiner Regeneration der griechischen Kultur mehr gekommen. Das ist wirklich interessant. Was war das für eine Revolution? Meiner Meinung nach geht es um die Frage der Abschaffung des weiblichen Opfers, das heißt, um einen Abstraktionsschnitt und -schritt, der noch nicht begriffen ist. Vor kurzem habe ich dazu ein Buch herausgebracht, es heißt: "Die heilige Hochzeit. Studien zur Totenbraut" (im Centaurus-Verlag).

Z Es geht um die Konstruktion, die da lautet: "abendländischer Sonderweg". Letztlich setzt man da ja an. Die Polis als eine charakteristische Erscheinung dieses Weges wird erst einmal als politischer Begriff gesetzt und die abendländische Geschichte wurde primär als politische Geschiche begriffen. Aber was ist, wenn man die Erforschung der Konstituion des Abendland systematisch noch auf andere Bereiche, wie Ökonomie und Geschlechterverhältnis, ausdehnen würde? Es also nicht nur politisch begriffe, dann wäre es natürlich die Staatsstruktur, die Entwicklung von Rechtssystemen, Institutionen, von Öffentlichkeit und Privatheit. Wo kann man z.B. den Übergang vom "Mythos" zum "Logos" ansetzen? Ich dachte da auch an Deinen Text "Von Platon bis Tschernobyl", wo Du ja zeigst, daß die Wissenschaft in unerser heutigen Gestalt immer noch platonisch fundiert ist und es für mich auf die Frage hinausläuft: Wie müßte Wissenschaft und Naturwissenschaft stattdessen aussehen, wenn sie nicht in der Katastrophe enden soll?

Z Uns scheint es, daß Du bei deiner Archäologie der Opferkulte und deren historischen Remythisierungen von einer unhintergehbaren Heterosexualität ausgehst. Glaubst Du nicht, daß andere sexuelle Lebensformen auch spezifisch andere Kulturen und Beziehungen ermöglichen?

G Ich gehe von einer spezifischen, unsere Formen der Heterosexualität produzierenden Geschichte des Begehrens aus, die sich mit dem Opfer verbindet. Diese Geschichte ist in die Strukturierung der Libido so tief eingegraben, daß keine sexuelle Praktik sich bisher vom Opfer gelöst hat. Im Gegenteil, vielleicht sind alle sexuellen Praktiken, wie immer sie sich selbst verstehen, oder wie immer sie definiert werden, nur verschiedene Umgangsweisen mit dem Opferproblem. Die Frage ist selbstverständlich: Was soll geopfert werden - und wie wird es geopfert? Es ist ein Unterschied, ob eine Braut, zeremoniell geschmückt, zum Opfer- als Hochzeitsritual geführt wird, oder ob ich mein Begehren zu opfern habe. Das sind höchst verschiedene Praktiken, dort Kult-, hier Selbstpraktiken, die sich mit der Opferung verbinden. Jedenfalls brachte die Revolution, die sich in der Antike vollzog, keine Ablösung vom Opfer, sondern sie brachte nur seine Negierung und Rationalisierung, das heißt, wenn die Frau vorher getötet wurde, dann geht es nachher darum, sie am Leben zu lassen, aber ihr Leben strukturiert sich als aufgeschobener Tod. Der Umgang der Frau mit sich selbst entkommt noch heute dieser Weiblichkeitskonstruktion nicht, zu der gehört, daß die Frau ihr "Geschlecht" zu opfern hat: Sie hat es an sich selbst, bezogen auf Fortpflanzung und Lust, durchzustreichen. Sie hat sich selbst zu negieren, soweit die mit dem Opfer verbundene Geschichte der Heterosexualität zu einer symbolischen Ordnung geworden ist, die das "Weibliche" in allen sexuellen Praktiken verwirft, was nicht aus-, sondern einschließt, daß dieser verfemte Teil das Faszinosum dieser Praktiken abgibt, ob sie schwul, lesbisch, transvestitisch, oder sonstwie im Spiel sind, denn für diese symbolische Ordnung der Heterosexualität gilt ja prinzipiell, daß sie gar kein heteron kennt.

Z Obwohl wir Dir auf jeden Fall alle zustimmen und sich dies für das heterosexuelle Konzept, das sich natürlich auch in homosexuellen und autosexuellen und anderen Konzepten findet, immer sagen läßt, ist die Frage eben trotzdem: Was gibt es für Möglichkeiten, gibt es eine Möglichkeit mit dem Opfer zu Ende zu kommen? - ohne es endgültig zu töten - und, wenn ja, inwiefern hängt das eben mit den Praxen zusammen? Der Körper ist beteiligt an dieser mythologischen Wiederholungstat, durch den Akt und seine Wiederholung wird er ja erzogen, dadurch überhaupt erst geschaffen - der Körper im Prozeß, im Akt - insofern also stellt sich die Frage, inwiefern andere sexuelle Praxen auch andere Schnittstellen, Zäsuren oder vielleicht auch nur andere Schwerpunkte schaffen? Oder muß es immer die Wiederholung des Opfers geben, gleichgültig welche Konstellationen bestehen?

G Der Lust besetzte Schmerz ist für unsere Kultur so zwingend, daß, bekannterweise, die dafür entscheidende Ikone, das Kruzifix, in den Schulen nicht abgehängt werden darf: Alle haben täglich ihren Blick auf diese Selbstopferung zu richten, mit der das paradoxe Versprechen verbunden ist, daß sie von allen Opfern erlöse. Zu diesem Versprechen verhält sich Hitlers paradoxe Argumentation strukturgleich, daß der Weltfrieden erst dann eintreten wird, wenn der letzte Pazifist erschossen ist. Trotzdem - oder eben deshalb? - hoffen wir noch immer auf opferlose Perspektiven des Erotischen, das heißt, auf sexuelle Praktiken, die nicht auf eine symbolische Tötung zielen. Vielleicht leuchtet beim ersten Kennenlernen, solange die beiden, die es miteinander versuchen, noch unbelastet sind, vorübergehend so etwas auf: "Zwischen uns könnte es ohne Opfer, ohne Verletzung gehen". Und dann beginnen die ersten Erzählungen - Erzählungen aus der Kindheit, Erzählungen von den Beziehungen vorher - und schon reden sich beide, "Hals über Kopf", in die Struktur hinein, der sie entrinnen wollten, und entronnen schienen. Die Geschichte des Begehrens, die mit dem Opfer verbunden ist, holt sie mit ihren Geschichten wieder ein, und auf einmal tauchen die Schnitte wieder auf, die Verletzungen. Ich denke, es gibt so vielfache Formen des Versäumens der erträumten, opferlosen Situationen, daß innerhalb des Miteinanderlebens ein ungelebtes Leben anwächst - und plötzlich, eines Tages, schlägt die Schuld über beiden zusammen. Haß und Wut, alles das, was dann aufbricht, ist in erster Linie ein Sich-wehren gegen diese Schuld, die apersonal wirksam ist. Keiner wollte sie, und doch ist sie da.

Z Es ist eben die Frage, ob sich in lesbischen oder schwulen Beziehungen, die bestimmt nicht opferlos sind, wenigstens ein anderes Opfer ereignet. Ob sie, durch die Praxis der phantastischen Aneignung und Verrückung von "Sex" und "Gender", einen Punkt setzen, der mit der von Dir geschilderten Form des Opfers bricht?

G Judith Butler versucht das beispielsweise über die Interpretation des Mangels als Überschuß: Der verfemte, bisher geopferte Teil soll jetzt als "Überflüssiges" zugelassen sein. Dabei geht auch sie von einem nicht einholbaren Verlust aus, der aber nicht als Mangel wirksam wird, denn an seine Stelle tritt eine Identifikation mit dem Verlorenen, die sich mimetisch verhält. Das Verlorene wird nicht als Mangel reproduziert, sondern es wird wieder-geholt - in neuer Form. Auf dem Papier klingt das alles ganz schön, aber bei einer Trennung hat man erst mal wenig davon, weil sie immer Einschnitt, Verletzung, Zurückweisung ist, die männlicher- und weiblicherseits, was die symbolische Ordnung angeht, immer den Punkt der Kastration oder der Kastrierung trifft, also den Punkt, der symbolisch über das Verbot funktioniert, das, umgekehrt, mit dem "Gesetz des Vaters" zusammenhängt. Auch wenn dieses Gesetz heute nicht mehr über die Vateridentifikation aufzurichten ist, indem für den kleinen Jungen der "Ödipuskomplex" untergeht, während das kleine Mädchen in denselben "wie in einen Hafen" einläuft: Auch wenn dem nicht mehr so ist, bleibt die Differenz der Geschlechter doch am Punkt des Verbots als Verletzung eingeschrieben. Die Frage ist, wie man ein solches Strukturmoment, das an den Lust besetzten Schmerz gebunden ist, außer kraft setzen kann? Butler schlägt die Parodie der Geschlechterdifferenz vor, die sich auch in den nicht über sie definierten Beziehungen abspielt, weil die Geschlechterdifferenz nur eine Maskierung von Macht-Ohnmachts-, Sieg-Niederlage-, oder von Herrschafts- und Unterwerfungs-Problemen in der Dimension des verbotenen oder erlaubten, immer aber schuld- und strafbesetzten Begehrens ist. Eine Parodie der Geschlechterdifferenz, ihrer Rollen und Funktionen, schlösse folglich ein, daß man mit Angst, Schuld und Strafe anders umgeht, was unglaublich schwierig ist, jedenfalls aber einen Blick auf sich selbst von außen erfordert, der einem sagt, daß das "Innen", mit dem man sich da abmüht, ein Effekt dieser Konstruktionen ist, die in erster Linie auf den Lust besetzten Schmerz der Kastration oder der Kastrierung abzielen, damit der Wiederholungszwang, der mit den "Geschlechtsrollen" verbunden ist, innerhalb der vorgesehenen, die symbolische Ordnung stabilisierenden Mechanismen rotiert. Mit psychotherapeutischen oder psychoanalytischen Diskursen wird man sich von diesem Wiederholungszwang nicht lösen können, obwohl mir Freud zu seiner Aufklärung weiterhin unverzichtbar scheint. Heute kommt man aber, glaube ich, weiter, wenn man die bedeutungsschwangeren Zeichen der Geschlechterdifferenz dekonstruiert, damit das ungeheure Potential der Selbstzerstörung, was mit ihnen verbunden ist, bloßgelegt wird. Ich finde es also richtig, wenn Butler meint, daß man diesen Zeichen ihre Bedeutung nehmen muß. Mit dieser Depotenzierung der Bedeutungsproduktion kann man sich allerdings nicht alleine beschäftigen, denn Du kannst von Deiner Intention her noch so opferlos drauf sein, wenn Dich der oder die Andere zum Opfer machen will, dann ist es eben passiert. Mit Hannah Arendt gilt, daß Du Dich nur auf der Ebene wehren kannst, auf der Du angegriffen wirst. Ich bin der Meinung, man sollte wieder ein offensives Modell des Kampfes entwickeln, und damit meine ich keineswegs die abgeschmackten und gesellschaftlich vielfach ausgenutzten Formen des "Geschlechterkriegs", sondern das Gegenteil - das Duell, in dem Auge in Auge gefochten wird. Genau das aber ist heute ungeheuer schwierig, weil es keine konsistenten Codes mehr gibt. Laut Luhmann geht es nur mehr um die "Semantik des Problems", also um die Reproduktion des Problems, das gelöst werden soll, sich aber in einem circulus vitiosus bewegt, innerhalb dessen jedes Heraustreten unmöglich ist. Seine Mechanismen beschleunigen sich in dem Maß, wie sie auf der Stelle treten, so daß sich das Problem schließlich "festfährt", was bei der Technik des Duells nicht möglich ist. Man müßte eine Rhetorik des Eros entwickeln, um aus dem Lust besetzten Wiederholungszwang des Schmerzes herauszukommen, der immer mit Stummheit, immer mit Redeverbot, immer mit Abwehr, immer mit Flucht, immer mit Panik und entsprechenden Projektionen verkoppelt ist: Vielleicht ist das der Überschuß, der an die Stelle des Mangels tritt? Aber das scheint ja völlig tabuisiert, denn die geltenden Postulate heißen, hast Du eine Verletzung erfahren, dann hast Du das mit dir selbst abzumachen, beziehungsweise in die Therapie zu gehen. Genau an diesem Punkt bist Du nämlich für niemand mehr interessant, schon gar nicht für die Person, von der die Verletzung ausging. Genau da wird der Schnitt, der in der symbolischen Ordnung vorgegeben ist, endgültig gesetzt. Da gibt es überhaupt keine Verpflichtungen mehr auf dieser Ebene. Da herrscht der "Schuß aus der Hüfte" und es ist nur noch die Frage: Wer schießt schneller? Desillusioniert würde ich sagen: das Wort "Liebe" können wir streichen, weil sie nur eine Verkappung dieses "Naturrechts" auf Verletzung ist. Den Anspruch der Opferlosigkeit kannst Du vielleicht ein paarmal durchhalten, indem du, mehr oder minder, ein Außen, ein Heraustreten schaffst. Sobald du aber einen identifizierbaren "Ort" einnimmst und unvermeidliche Alltagsmechanismen innerhalb von Strukturen bedienst, in denen Du Dich bewähren mußt, wird es unmöglich sein, das Opfer zu vermeiden, das in diese Kultur genau da "einprogrammiert" ist, wo sie von "Liebe" spricht. Ich glaube, daß Beziehungen sich am selben Punkt konstituieren, wo ihr Problem ist. Sie sind paradox strukturiert, weil sonst gar kein Spannungsgefüge, was sich selbst trägt, entsteht. Vielleicht sollte man sich, statt nach "Liebe", nur noch danach fragen, mit wem es Spaß macht, zu kämpfen? Genau daraus sollte man vielleicht endlich mal selbstbewußte Konsequenzen ziehen. Statt dessen geht es immer um Pazifierung, Harmonisierung und Therapeutisierung, was ohne Selbstnegierung nicht zu machen ist.

Geht das aber nicht auch von dem psychoanalytischen Dogma aus, daß das Kind sich in der Ablösung als Individuum konstituiert und damit diese Variante, daß das Subjekt, das Individuum, oder "Dividuum" sich nur in dieser Abgrenzung konstituieren kann; daß dies die einzige Möglichkeit ist und das es keine anderen Mechanismen gibt?

Ich wollte gegen diese Zwangsnotwendigkeit argumentieren, daß eine Bindung immer auf Verletzung beruhen muß.

Wenn Du von Subjekt sprichst, dann glaube ich nicht, daß man den Begriff anders besetzen kann. Wie soll die Internalisierung sonst ablaufen, die ja das Subjekt schafft? Das das freiwillig geschieht ist ja kaum denkbar.

Die Frage ist: Was war vorher? Welches Subjekt wird geschaffen? Da wird eine Theorie aufgebaut, die sich auf eine Struktur bezieht die vorher "da war". Damit habe ich auch wieder eine Theorie.

Das ja, aber wir gehen ja von einem Bruch in der Antike aus und Du weißt ja erst mal nicht, was dieser Bruch bedeutet. Eventuell läßt es sich theoretisch fassen, aber das irgendwann in der griechischen Lyrik bei Archilochos um 600 vor irgendjemand aufsteht und "Ich" sagt, das hast Du vielleicht vorher im Ansatz bei Hesiod um -700, gleichzeitig ja auch eine Tendenz zum Monotheismus, bei Homer hast Du es so nicht. Das da jemand wirklich auftaucht und "Ich" sagt, zeigt, daß etwas Entscheidendes passiert ist, nämlich der Bruch mit einem magisch-mythischen Weltverständnis und -verhältnis. Wenn man es als Bruch bezeichnet, vorher ist kein Ich da und danach doch, dann hast Du einen Erklärungsnotstand. Weil Du das erklären mußt, wie der auf einmal dazu kommt, daß er sagt "Ich" und "Ich schmeiß' mein Schild weg", d.h. ich mache mich unabhängig von den Gegenständen, Bedingungen und Beziehungen, die mein Dasein bis dahin ausmachten - die Entzauberung, die darin steck, bei gleichzeitiger Verzauberung durch neue Inhalte, wie die von ihm proklamierten souveränen Subjekte. Das ist der springende Punkt.

Z Welche Theoretiker und Theoretikerinnen sind für Dich wichtig? Welche Verschiebungen haben sich während Deiner Arbeit ergeben? Haben sich Dir möglicherweise durch theoretische oder auch lebenspraktische Neuentdeckungen Perspektiven aufgedrängt, die zu einer Revision früherer Ansätze führten? Wie bist Du, sozusagen, "mit der Geschichte mitgewachsen", also von Deinen ersten Arbeiten von 65 bis jetzt. Was sind die zentralen Momente des Anschubs gewesen?

G Mir fielen die Schuppen von den Augen, als ich die "Dialektik der Aufklärung" las. Damals war ich noch am Theater und beschloß, "Klügeres" zu tun, als Theater zu machen. Heute würde ich das durchaus wieder umgekehrt sehen: "Klügeres", als die Theorieproduktion, ist die Theaterarbeit, aber man kann nicht beliebig die Bereiche wechseln, weil es eben Arbeitsteilungen gibt. Weiter war ein kleiner Aufsatz für mich ausschlaggebend, durch den ich begriff: Man kann sich auch als Frau selbst befragen. Das war ein Aufsatz von Karin Schrader-Klebert zum Kulturcharakter der Frau. Ich habe 69 mit dem Theater abgeschlossen - hier in Hannover, denn ich dachte, jetzt gilt nur mehr die "Bühne" der Straße, jetzt müssen die ganz großen Dingen passieren, die mich dann letztlich 73 zum Studium führten. Mein Sohn ging zur Schule, ich zur Uni, wo ich meine "Aha-Erlebnisses" mit Kant, Hegel, Marx, Freud, schließlich mit Foucault und der feministischen Theoriebildung fortsetzte, die ab 75 in Hannover ankam, was zu meiner Mitbeteiligung an der Übersetzung von Luce Irigaray's "Speculum de l'autre femme" (Spiegel des anderen Geschlechts) führte. Im Zuge dieser Übersetzung habe ich beschlossen, mich um den Zusammenhang von Antike und Moderne zu kümmern, zu dem jetzt das schon erwähnte Buch vorliegt. Ansonsten lese ich einfach alles, ich lege mich nicht auf Diskurse fest. Selbstverständlich gibt es Vorlieben, zu denen Bachmann und Camus zählen, um zwei Stichworte zu nennen. Gleichzeitig denke ich, daß das Spannendste weiterhin ist: Gebrauchsanweisungen, Hausordnungen, Werbeslogans, die tägliche Zeitung, das Mitgeschriebene beim Fernsehen oder beim Funkhören, Partikel aus Gesprächen. Ich gehe davon aus, daß jeder Diskurs zu verwenden ist, wenn man eine eigene Frage hat.

Z Wie würdest Du den Zusammenhang von Gen- und Reproduktions- bzw. Informationstechnologien fassen? Hältst Du die Reproduktionstechniken für konstitutiver für zukünftige Gesellschaftsbildung als die Informationstechniken? Es geht also um die Frage Deines Schwerpunkts, daß Du ja sehr viel zu Gen- und Reproduktiontechniken gemacht hast und, mir jedenfalls nicht bekannt, nicht so viel zu Informationstechnologie. Können wir daraus schließen, daß Du dem ersteren Feld einen bindenderen oder Basis-stiftenderen Einfluß zusprechen würdest?

G Ja, das würde ich, zweifelsohne. Die Frage der Gen- und Reproduktionstechnologie führt ja zurück auf die Frage der Erbbiologie, der Bevölkerungspolitik und der Kontrolle der Fortpflanzung, also auf das neunzehnte Jahrhundert, das dem zwanzigsten Jahrhundert die Frage vermacht: Kann man die Fortpflanzung technisieren? Eine Frage, die auf die Kultur des sogenannten Abendlandes zurückverweist und wiederum die für meine Arbeit entscheidende Relation von Zeugen und Erzeugen, ebenso die des sexuellen Handelns, ins Spiel bringt, weshalb die Gen- und Reproduktionstechnologie bisher für mich gegenüber der Informationstechnologie Vorrang hatte, obwohl das eine vom anderen nicht zu trennen ist. Wie wird mit der Frage des Lebens umgegangen, das ist das, was mich im Kontext der Geschlechterdifferenz und der Technologisierung der Körper interessiert. In welcher Weise werden heute die Logiken des "bios" politisch verwertet? Selbstverständlich greift diese Frage auch in die der Medien ein, mit denen ich mich darum nicht im abgetrennten, nicht im spezialisierten Sinn, sondern innerhalb dieses Zusammenhangs beschäftige.

Z Überschätzt Du die Gentechnik, hinsichtlich ihres tendenziellen Anspruchs auf reibungslose Perfektion, nicht ebenso wie es ihre Befürworter tun?

G Ich gehe davon aus, daß das Phänomen "Leben" seiner technologischen Kontrolle entwischen wird. Auf dem Weg dahin aber wird ein großer Reparaturbetrieb entstehen, der mit Humankapital operiert und in dem gentechnisch immer auf der Ebene der Reproduktionstechnologie operiert wird, sonst lohnt sich der manipulative und patentierte Eingriff nicht. Wahrscheinlich geht es um das, was Foucault schon gesagt hat, daß die Humanwissenschaften bereits im neunzehnten Jahrhundert kein anderes Ziel, als das der Kontrolle der Kontrolle verfolgen, wobei ihr transzendental-empirisches Schema vor allem heute, im Stadium ihrer technologischen Reproduzierbarkeit, beliebig auszunutzen ist, da die Behauptung eines, seiner endlosen Zerteilung vorausgesetzten, ursprünglichen Begriffs des Menschen auch dann noch aufrechtzuerhalten ist, wenn molekularbiologisch nichts mehr von ihm übrig, oder er durch die Implantation von Mikrosystemen, bis hin zum Cyborg, verändert ist. Das heißt, im Namen des Menschen wird der Mensch, getreu dem Doppelspiel, aufgelöst, daß er sich selbst Ursprung und Gegenstand innerhalb eines technologischen Getriebes ist, was meiner Meinung nach a-telelogisch funktioniert. Sollte dieses Getriebe dennoch Zielsetzungen haben, dann wohl nur die der Enteignung und der Kapitalisierung von Lebensinformation. Was allerdings die Reproduktionstechnologie betrifft, da glaube ich nicht, daß sehr viel weiter gegangen werden soll, als es jetzt schon möglich ist, denn das Billigste bleibt weiterhin, wenn Frauen selbst die Kinder kriegen. Doch um so teurer wird es sie in Zukunft kommen, Genkontrollen im pränatalen Bereich zu durchlaufen, falls nicht überhaupt auf die In vitro-Fertilisation und die Rückverpflanzung des Embryos à la longue umgestellt wird, was die Frauen dann noch teurer kommt und auch sozial eine noch viel entscheidendere Kontrolle über den weiblichen Körper, als bisher, möglich macht. Denn sozial können die Frauen über ihren "Kinderwunsch" in jeden nur denkbaren Zugzwang gebracht werden und sei es der, daß die Eierchen bereits bei der Konfirmation oder Kommunion abzugeben sind, ganz zu schweigen davon, daß Prüfungen, Anstellungen, Partnerwahl undsoweiter mit dem "Kinderwunsch" und seinem gen- und reproduktionstechnologischen procedere zu verkoppeln sind. Vielleicht kriegt eine Frau ihre befruchtete Eizelle erst dann zurück, wenn sie ihre Referendarszeit als Lehrerin durch hat? Aber auch die Möglichkeit, daß eine Frau eine solche Eizelle "vergißt", muß einbezogen werden, das heißt, es stellt sich ebenso das Problem, wie eine Rückbindung an das extrakorporale Leben, das irgendwo im Eis gelagert ist, aufrechterhalten werden kann? Kontrolle der Kontrolle der Kontrolle, mehr sehe ich als Entwicklung nicht, die implizit, angesichts der Herausnahme der Lebensentstehung aus dem weiblichen Körper, zu einer elternlosen Gesellschaft führen könnte.

Z Aber das religiöse Ideal ist doch eine Zurückführung auf ein Ur-Ehepaar nach der Art von Adam und Eva. Der Umschlag würde doch dann eigentlich erst das "perfekte Verbrechen" ermöglichen, wenn man jetzt von elternlosen Nachkommen sprechen würde. Solange die Bindung, der Nachkomme, immer noch über den Körper der Frau läuft, sehe ich schon das tendenziell anvisierte "perfekte Verbrechen" sich eine ethische Schranke setzen, die ich bezweifeln würde, weil ich sage, das Ideal zielt auf die elternlosen Nachkommen ab, weil sie leichter hantierbar sind, weil man mit ihnen eben andere Sache machen kann, vom rechtlichen Status aus, als man es machen könnte, wenn noch eine Person dort dahintersteht, die in irgendeiner Weise fleischlich gebunden ist.

G Ich denke, daß zu dem, was auf der gen- und reproduktionstechnologischen Ebene funktioniert, eine gegenläufige Tendenz seitens der Gesetzgebung im Spiel bleiben wird, die sich um das Intaktbleiben der symbolischen Ordnung der Geschlechterdifferenz auch dann noch bemüht, wenn die sexuelle Fortpflanzung, die an sich mit ihr verbunden ist, abgeschafft sein sollte. Das heißt, die Gesetzgebung wird gegenüber der Perspektive einer elternlosen Gesellschaft eine ethische Schranke aufrechterhalten, die sich jedoch rechnen, die Humankapitalgewinn abwerfen muß. Sie wird nach dem alten Spruch, "alles, was recht und billig ist", verfahren, denke ich, denn die Ethik der Technisierung des Lebens ist der Utilitarismus, sonst nichts.

Z Was erfährst Du als Lehrende von den Veränderungen innerhalb der Studierendenschaft. Ist es leichter oder schwieriger als vor, sagen wir, zehn oder fünfzehn Jahren, etwas über die Interessen, Leidenschaften und Motive der Studierenden auszusagen? Welche Beziehungen können wir uns zwischen den einzelnen Gruppen, den Studierenden, den Lehrenden und denen die für beide sorgen, an der Universität wünschen?

G Noch ein alter Spruch, denn ich würde sagen: "Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es heraus". Bist Du selbst langweilig, während du vorne was erzählst, langweilen sich auch die Anderen, also wirst Du von den Studierenden auch nichts Neues erfahren. Setzt Du Dich ein, was mehr tun, als bekannt, und auch ich versuche es, dann stellt sich stets auf unterschiedliche Weise die Situation her, in der man ebensoviel zurückbekommt, wie man hineingegeben hat, falls nicht sogar mehr. Routinearbeit nach einem neuesten Motto zur "heutigen Jugend" eignet sich für so einen Austausch nicht. Für mich ist die Lehre, wegen dieses Austauschs, eine Art Elixier. Sie bringt zwar wenig Geld, außer man ist fest institutionalisiert, aber sie bringt eine Fülle von Bezügen, die sonst gesellschaftlich nicht zu haben sind. Ich meine darum, daß die Lehre eine der vertretbarsten Arbeitsformen ist, wenn man sich dabei in dem Maß selbst befragt, wie man in Frage stellt. Übrigens bin ich noch immer etwas aufgeregt, ob die Vorlesung oder das Seminar etwas wird, weil es innerhalb des situativen Ablaufs etwas gibt, was nicht durch Vorbereitung vorwegzunehmen ist. Es geschieht "vor Ort" als Denken in actu, oder es geschieht nicht. Und von da aus gilt, daß eine Rede über die Studierenden wie die, "früher waren sie besser, heute sind sie schlechter", immer auf die Lehrperson selbst verweist.

Z Wahrscheinlich waren sie immer gleich schlecht. So wird's wohl sein. Es ist ja immer reaktionär, zu sagen, "Heute ist es schlechter, als es vor zwanzig Jahren war". Das kannst du so nicht diskutieren. Du kannst natürlich sagen, daß sie immer so schlecht wie heute sind: so desinteressiert, so launisch, so konsumistisch etc. - oder Du sagst optimistisch, sie sind eben heute genauso vereinzelt motiviert, informiert und begeisterungsfähig, wie sie eben vor zwanzig Jahren waren.

G Davon gehe ich aus und sehe es auch an mir selbst und an anderen, mit welcher Begeisterung ich zur Schule gegangen bin und wirklich wissen wollte, und daß Kinder von einer unfaßlichen Neugier sind, das ist ja täglich zu erfahren. Die Frage, ob Studierende sich für die Inhalte interessieren, mit denen sie konfrontiert sind, oder nicht - diese Frage weist doch schon daraufhin, daß dieses Interesse infrage steht. Von da aus stellt sich dann weiter das Problem, daß dieses Interesse, sei es, durch die Lehrenden, sei es, durch die Studienpläne, sei es, durch den ganzen Unibetrieb, kaputtgemacht wird.

Z Aber von der Seite der Studierenden ja auch. Du kannst das nicht so monologisch auffassen.

G Nein. Aber noch die letzte strickende Studentin, die übrigens leider gar nicht mehr auftaucht, also, noch die letzte Cola light trinkende Studentin, die vielleicht außerdem noch einen Reformhausriegel ißt - es wird immer gelingen, sie zu einer Unterbrechung zu motivieren, wenn etwas fällt, was sie interessiert. Dazwischen liegt eine Grauzone der Erwartung, etwa, "da kommt ja eh nichts", bis dann eben doch etwas kommt, wo diese Studentin, oder eine andere, aufmerksam wird. Mal ab davon, finde ich das verständlich, daß man mit dem Kopf woanders ist, einfach, weil bereits ein Riesenunterschied zwischen Reden und Zuhören besteht. Ein Eins-zu-Eins-Verhältnis gibt es da nicht.

Z Das Interesse müßte aber ja so geweckt werden, daß es über den Konsum hinaus geht. Da sehe ich das Problem. Weil die Konsumauswahl ja nach Interesse stattfindet. Das Interesse soweit zu wecken, daß es konsumiert wird, kann ich mir noch ganz gut vorstellen. Nur das Interesse, darüber hinauszudenken, da beginnt, denke ich, schon die Schwierigkeit , daß teilweise gar nicht mit diesem Vorsatz rangegangen wird, sondern daß das von der Struktur der Institution als z. B. unwissenschaftlich abgeblockt wird.

G "Die Sinne die man nicht gebraucht, sterben ab", hat, glaube ich, Marx gesagt. Stellt eine Gesellschaft nicht die Möglichkeit bereit, Neugierde im weitreichenden Sinn zuzulassen, beispielsweise, indem man am Arbeitsplatz oder in Bezug auf seine Lebenssituation etwas verändern, etwas wirklich selbst in die Hand nehmen kann, oder aber die Gelegenheit hätte, hier oder dort bestimmte Formen der Initiative zu ergreifen: Wäre das möglich, dann würde genau dieser Effekt des Konsumismus nicht eintreten. Alles was abgeschnitten wird, schlägt auf dich zurück, als Herzattacke, als versteinernde Niere, oder in der Form einer Vergeßlichkeit, die neuerdings "Alzheimer" heißt, oder als Bulimie oder Magersucht, dort wird das "Konsumierte" erbrochen, hier wird der "Konsum" verweigert undsoweiter. Es schlägt zurück, weil keine äußeren Möglichkeiten, weil keine Möglichkeiten der Entäußerung, oder des Außen geboten sind. Es ist klar, daß Du dann erlahmst, daß Du nachläßt und sagst: "Wozu?" Diese Resignation ist leider in der Ernüchterung mit drin, von der wir anfangs gesprochen haben. Und zwar mehr denn je, das finde ich schon. Nimmt man die berühmten 68er, die heute so aus der Mode gekommen sind - da gilt schon, daß die Perspektive, "Wir verändern die Gesellschaft", "Wir besetzen ein Haus", "Wir gründen ein Jugendzentrum", "Wir machen einen 'Club Voltaire' auf", "Wir setzen uns auf die Geleise, damit der Fahrtarif billiger wird", da gilt, daß es noch einen Zusammenhang zwischen Wunsch und Handeln gab, was heute offensichtlich ausgeschlossen ist. Da haben die "Herrschenden", wie sie damals hießen, dazugelernt, was sich heute in einer gesamtgesellschaftlichen Depressivität auswirkt. Meine Prognose aber, daß es auf der Euro-Ebene neu und anders losgeht, halte ich trotzdem aufrecht.