Die Luftangriffen gegen Irak führen in eine gefährliche Sackgasse

Dossier 37: Irak-Sanktionen

Was ist das Völkerrecht Linken, Grünen, Friedensbewegten noch wert? Diese Frage stellt sich angesichts der Debatte über die schweren US-amerikanisch-britischen Luftangriffe auf Ziele

Was ist das Völkerrecht Linken, Grünen, Friedensbewegten noch wert? Diese Frage stellt
sich angesichts der Debatte über die schweren US-amerikanisch-britischen Luftangriffe auf
Ziele im Irak vom 16. Februar .Selbst KritikerInnen dieser Maßnahmen ließen erschreckende
Ahnungslosigkeit erkennen beziehungsweise die Verdrängung einiger simpler Tatsachen, an
die hier noch einmal erinnert sei als Grundlage für alle folgenden Erörterungen: Die
Luftangriffe waren ein eindeutigvölkerrechtswidriger Kriegsakt. Es gibt keine Resolution des
UNO-Sicherheitsrates oder irgendeine andere völkerrechtliche Grundlage für diese oder
andere militärische Maßnahmen gegen Irak. Dasselbe gilt für die Einrichtung und
Durchsetzung der "Flugverbotszonen" und damit auch für das von den USA und
Großbritannien reklamierte "Recht" ihrer Kampfpiloten auf "Selbstverteidigung" gegen
irakische Flugabwehrraketen. Auch die Resolution 688 des Sicherheitsrates zum Schutz der
irakischen Kurden und Schiiten sieht weder militärische noch andere Zwangsmassnahmen
vor. Die Angriffe von 16. Februar gegen Ziele in der Nähe Bagdads und außerhalb der beiden
"Flugverbotszonen" bedeuten eine militärische Eskalation. Zumindest im Vergleich mit den
letzten 26 Monaten, in denen amerikanisch-britische Kampfflugzeuge "lediglich" zwei bis drei
mal wöchentlich (und von der Weltöffentlichkeit weitgehend ignoriert) irakische Bodenziele
ausschließlich innerhalb der beiden "Flugverbotszonen" bombardierten. Mitte Dezember 98
hatten die Amerikaner und Briten vier Tagelang Ziele im ganzen Land und auch in der Stadt
Bagdad bombardiert. Öffentlich begründeten die Regierungen in Washington und London die
Luftangriffe vom 16. Februar zunächst mit der Behauptung, der Irak habe in der Region um
Bagdad in den letzten Monaten neue Militäranlagen in Betriebgenommen und den
Luftabwehrbeschuss gegen amerikanische und britische Kampfflugzeuge verstärkt. In den
Tagen nach den Luftangriffen wurden zur weiteren Rechtfertigung ausgesuchte Medien und
Journalisten (in Deutschland: FAZ und Welt) mit angeblichen "neuen Erkenntnissen" des CIA,
des britischen Geheimdienstes sowie des Bundesnachrichtendienstes versorgt. Laut diesen
"neuen Erkenntnissen" habe das Regime von Saddam Hussein seit 1999 Rüstungsprogramme
für atomare, chemische und biologische Waffen reaktiviert und über Tarnfirmen u.a. in Indien
eine rege Aktivität zum Einkauf von Materialien für diese Programme entwickelt. Zudem habe
das Regime neue Raketenabschussbasen an der Grenze zu Syrien installiert, von denen sich
Israel erreichen lasse. Die Verbreitung dieser "neuen Geheimdiensterkenntnisse" hatte
außerdem den Effekt, die Bedrohungsbehauptungen zu untermauern, mit denen Washington
die Notwendigkeit eines Raketenabwehrsystems begründet. All die Behauptungen und
Rechtfertigungen Washington und Londons für die Luftangriffe lassen sich international nicht
überprüfen, da die UNO-Waffeninspektoren Irak infolge der amerikanisch-britischen
Luftangriffe vom Dezember 1998 verlassen mussten. Es fallen jedoch einige Widersprüche
auf. So hat die CIA auf ihrer Internet-Webseite noch im letzten Jahr erklärt, es gebe keine
Anzeichen für eine Wiederaufnahme irakischer Massenvernichtungsprogramme.

Welche Interessen Washington und London tatsächlich mit den Luftangriffen verfolgten, ist
unklar. Offensichtlich ist nur, dass US-Präsident Bush gleich zu Beginn seiner Amtszeit Härte
demonstrieren wollte. Dafür spricht auch die offensive Art, mit der die Angriffe in Washington
publik gemacht wurden. Darüber hinaus ist aber zunächst keine kohärente Strategie der neuen
Administration erkennbar - weder hinsichtlich des Irak-Problems, noch mit Blick auf den damit
eng und unlösbar verknüpften israelisch-palästinensischen Konflikt. Stattdessen wurden
Widersprüche deutlich. Außenminister Colin Powell ließ deutlich werden, dass er - im
Unterschied zu Verteidigungsminister Donald Rumsfeld und Vizepräsident Dick Cheney -
zumindest zu diesem Zeitpunkt gegen die Eskalation der Luftangriffe war. In weiten Teilen
der US-Luftwaffe gelten die Luftangriffe schon lange als ein militärisch nutzloses und äußerst
kostspieliges Unternehmen. Allein die Maßnahmen zur Durchsetzung der südlichen
"Flugverbotszone" kosteten im Haushaltsjahr 2.000 über 1,4 Milliarden US-Dollar. Powell hat
verlauten lassen, er strebe eine "Modifizierung" der Sanktionen an: Die Importe humanitärer
und anderer ziviler Waren in den Irak sollen erleichtert, die Maßnahmen gegen die Einfuhr
militärischer Güter verschärft werden. Hardliner im Kongress lehnen dieses Vorhaben als
"Aufweichung" der Sanktionen ab. Ähnliche Vorbehalte kamen von Cheney und Rumsfeld.
Dabei müssten der Vizepräsident und der Verteidigungsminister ähnlich wie Präsident Bush
ebenfalls eine Modifizierung des Sanktionsregimes gegen Irak anstreben. Denn alle drei sind in
hohem Maße den Interessen der US-amerikanischen Erdölindustrie verpflichtet. Diese will die
Ausbeutung der irakischen Erdölvorhaben nicht weiter europäischen, russischen und
asiatischen Konzernen überlassen, die im Zuge der seit rund zwei Jahren laufenden "illegalen"
Unterminierung der Sanktionen bereits wieder ins Geschäft mit dem Irak gekommen sind bzw.
ihre Ausgangsbasis für künftige Geschäfte erheblich verbessert haben. Die Luftangriffe vom
16. Februar haben die Chancen für eine vom UNO-Sicherheitsrat offiziell abgesegnete und
von den USA kontrollierte Modifizierung der Sanktionen allerdings eher verringert als erhöht.
Die Reaktionen fast in der gesamten arabischen Welt fielen weit kritischer aus, als die Bush
Administration einkalkuliert hatte. Die in Washington schon seit geraumer Zeit mit Argwohn
beobachtete politische und wirtschaftliche Annäherung Syriens, Ägyptens, Jordaniens und
anderer arabischer Staaten an Irak wurde durch die Angriffe weiter forciert. Saddam Hussein
fühlt sich bestärkt und zeigt sich noch weniger bereit, über eine Wiederzulassung von
Waffeninspektoren auch nur ernsthaft zu diskutieren. Das wurde bei den Gesprächen des
irakischen Außenministers mit UNO-Generalsekretär Kofi Annan Ende Februar in New York
deutlich. Eine Wiederzulassung von Waffeninspekteuren wäre aber wiederum die
Vorbedingung, die Bagdad erfüllen müsste, damit Powell in Washington eine Modifizierung der
Sanktionen durchsetzen kann. Führende Vertreter der Republikaner im Kongress legen die
Schwelle für eine Zustimmung Bagdads sogar noch höher mit ihrer Forderung, ein künftiges
Waffeninspektionsteam solle nur noch aus Amerikanern und Briten bestehen. Mit ihrer neuen
Politik hinsichtlich des israelisch-palästinensischen Konflikts hat die Bush-Administration das
Regime in Bagdad zusätzlich bestärkt. Saddam Hussein nutzt bereits die Intifada seit
September letzten Jahres dazu, sich in der arabischen Welt - wie bereits Ende der
80er/Anfang der 90er Jahre - als Führer im Kampf gegen Israel zu profilieren. Nachdem die
Bush-Administration klargemacht hat, dass sie den Oslo-Prozess aufgegeben hat und die
Regierung Sharon nicht einmal zur Einhaltung der Zusagen ihrer Vorgänger drängen wird, hat
die Gewalteskalation zugenommen, und sie dürfte sich noch weiter verschärfen Das wiederum
wird die Kritik in den arabischen Staaten an den USA weiter verstärken und deren
Wiederannäherung an den Irak zusätzlich beschleunigen. Die Sackgasse, in die sich die
Bush-Administration bereits innerhalb der ersten vier Wochen ihrer Amtszeit im Nahen Osten
manövriert hat, ist sehr tief. Und weder die Europäer noch sonst wer sind bereit oder in der
Lage, einen Ausweg aufzuzeigen. Neue Luftangriffe und eine weitere militärische Eskalation
scheinen derzeit unausweichlich.

Andreas Zumach arbeitet als freier Journalist in Genf/Schweiz.

E-Mail: andreas.zumach@itu.ch