Gute Gewinne - schlechte Profite?

PDS-Programmdiskussion: Es ist widersprüchlich, die "gesamtgesellschaftliche Dominanz von Profit" zu verurteilen und zugleich Unternehmertum und Gewinninteressen als quasi unverzichtbar anzunehmen.

Aus: Beilage zu Z 46, Juni 2001, 26-28

Programmfragen einer sozialistischen Partei sind immer auch theoretische Fragen und bei solchen kommt es nicht auf den alltagssprachlichen Wortsinn an, sondern auf präzise Definitionen. Es muss unmöglich sein, dass sich in der späteren Praxis gegensätzliche Standpunkte auf den gleichen Programmabschnitt berufen können.

Im ersten Kapitel des Programmentwurfs werden Ziel, Weg und Werte des Sozialismus beschrieben und unter der Überschrift "Unser sozialistisches Ziel" heißt es dann: "Unternehmertum und betriebswirtschaftliches Gewinninteresse sind wichtige Bedingungen für Innovation und Effizienz." Es muss nicht wundern, dass dieses Bekenntnis Schlagzeilen machte, denn die meisten Journalisten haben aus diesem Satz eine Abschwächung der Kapitalismuskritik herausgelesen. Wenn das möglich ist, handelt es sich eben nicht um eine präzise Definition.

Andererseits muss es verwundern, dass sich in diesem Abschnitt keine Aussage darüber findet, welche wichtige Bedingung für "Innovation und Effizienz", vor allem aber für den Gewinn, die lebendige Arbeit darstellt. Mit der gelobten Innovation und Effizienz des Unternehmertums aber verhält es sich wie mit jener von Marx zitierten Gottheit, die ihren Nektar aus den Schädeln der Erschlagenen trinkt. Auf jede Innovation und Effizienzsteigerung des unternehmerischen Gewinninteresses folgen ungezählte Arbeitslose, vernichtetes Kapital, zerstörte Lebensperspektiven und zerrüttete Sozialstrukturen.

Das ist auch den Autoren nicht unbekannt, wie sich 24 Seiten später lesen läßt: "Der betriebswirtschaftliche Produktivitätsgewinn zieht massenhafte Arbeitslosigkeit nach sich." Was denn nun? Ist der betriebswirtschaftliche Produktivitätsgewinn schlecht, weil er massenhafte Arbeitslosigkeit nach sich zieht, das Gewinninteresse aber gut, weil es eine Bedingung für Innovation und Effizienz ist? Umgekehrt wird ein Schuh draus: Der Produktivitätsgewinn zieht nur deshalb Arbeitslosigkeit nach sich, weil er dem betriebswirtschaftlichen Gewinninteresse untergeordnet ist.

Der Programmentwurf stellt die Verhältnisse auf den Kopf, wenn er zuerst eine pauschale Lobpreisung von Unternehmertum und Gewinninteresse ausspricht und dann jede Menge Einschränkungen formuliert. So heißt es nach dem oben kritisierten Satz: "Die heutige gesamtgesellschaftliche Dominanz von Profit ist jedoch mit unserer Vorstellung von Gerechtigkeit und mit der durch das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland gebotenen Sozialpflichtigkeit des Eigentums unvereinbar."

Es ist ein Widerspruch in sich selbst, Unternehmertum und Gewinninteresse für quasi unverzichtbar zu erklären und gleichzeitig "die ... gesamtgesellschaftliche Dominanz von Profit" zu verurteilen. Ebenso wenig, wie man das Verbrechen verurteilen und den Verbrecher für einen ehrenwerten Menschen halten kann, lässt sich das Gewinnstreben der Unternehmer von der Dominanz des Profits trennen. Die Autoren denken sich einen abstrakten Unternehmer zurecht, der so lange ein guter Mensch bleibt, so lange er in seinen vier Wänden für Effizienz und Innovation sorgt und nur daran gehindert werden muss, sein betriebswirtschaftliches Gewinninteresse zum volkswirtschaftlichen Prinzip zu machen. Aber erstens entspringt Gewinn immer aus der Ausbeutung lebendiger Arbeit, wie groß das Unternehmen auch sein mag, es sei denn der Profit ist so niedrig, dass er nicht mehr als Unternehmerlohn darstellt. Zweitens aber kann man unmöglich die Dominanz des Profits über die Gesellschaft zurückdrängen, ohne seinen Einfluß dort zurückzudrängen, wo er entsteht, nämlich im Betrieb.

Die Trennung des innovativen und effizienten Unternehmertums von der gesamtgesellschaftlichen Dominanz des Profits ist eine alte Fiktion, eine Quadratur des Kreises, die sich Sozialisten stets aus bündnispolitischen Rücksichtnahmen zurecht dachten. Für gelernte DDR-Bürger ist es wahrscheinlich noch etwas anderes, nämlich eine Art antithetischer Fesselung, die aus der Erfahrung mit der innovationsarmen und ineffizienten Staatswirtschaft entstanden ist. Aber läßt die Abgrenzung von der bankrotten Staatswirtschaft keine andere Alternative zu als ein Bekenntnis zum unternehmerischen Gewinninteresse?

Effizienz und die Erzielung eines gesellschaftlichen Mehrprodukts, worum es eigentlich geht, setzen kein Unternehmertum voraus, sondern Eigeninitiative und Eigeninteresse - und das unabhängig davon, ob es sich um Selbständige oder Lohnabhängige handelt. Alle Menschen und natürlich die Gesellschaft haben ein Interesse an Innovation und Effizienz, weil sie das Leben erleichtern und die Arbeit verkürzen. Aber indem sich dieses Streben nicht als gesellschaftliches Interesse durchsetzt, sondern als das von privaten Eigentümern, verkehrt es sich in sein Gegenteil. Und dass sich das gesellschaftliche Interesse nicht durchsetzen kann, liegt nicht an der Gesellschaft, sondern an den privaten Eigentumsverhältnissen. Es ist der alt bekannte Widerspruch zwischen vergesellschafteter Arbeit und privater Aneignung, dem man nicht los wird, wenn man die gesellschaftliche Dominanz des Profits von der Dominanz des Gewinninteresses privater Unternehmer löst. Folglich schlußfolgert auch die FAZ süffisant, dass die PDS jetzt zwischen guten und schlechten Profiten unterscheidet.

Eine Alternative könnte etwa so lauten: Sozialistische Wirtschaftspolitik muss das Eigeninteresse und die Eigeninitiative der Produzenten unterstützen, um Innovation und Effizienz zu erzielen. Den Rahmen dafür können unterschiedliche Eigentumsformen bilden, so lange sich ihr Profitstreben nicht verselbständigt und sowohl den Beschäftigten als auch der Gesellschaft demokratische Einflußmöglichkeiten gegeben sind.