An- und widerständige ÖsterreicherInnen

Von der Unmöglichkeit, Nationalismus mit Nationalismus bekämpfen zu wollen

Die "Bewegung" gegen die konservativ/rechtsextreme Regierungskoalition Österreichs ist im Sinne einer antifaschistischen Politik in weiten Teilen eher kontraproduktiv - so die Autorin in ihrem Fazit.

Die Protestbewegung hat dem Anschein nach in Wien "gewonnen". Isolde Charim von der Demokratischen Offensive, die für die Großdemonstrationen gegen die derzeitige schwarz-blaue Regierung verantwortlich war, sieht im diesjährigen Wiener Wahlergebnis eine klare Absage an die schwarz-blaue Regierung. So konnte die SPÖ fast acht Prozent dazugewinnen und hält damit die absolute Mehrheit im Wiener Rathaus; die Grünen gewannen an die acht Prozent; die FPÖ verlor im Gegenzug an die acht Prozent. Für Charim zeige dieses Wahlergebnis, dass man in Wien "mit einem antisemitischen und rassistischen Wahlkampf nicht punkten kann".1 Nun müsse die SPÖ den Mut aufbringen, um das rot-grüne Projekt in der Bundeshauptstadt auch zu wagen.2 Sicher ist es richtig, dass die schwarz-blaue Regierung offen antisemitisch und rassistisch auftritt. Aber ob die Wahl von SPÖ und Grünen die Läuterung der Wiener Bevölkerung bedeutet, muss stark infrage gestellt werden.

Österreich - das sind wir!

Gerade in Wien betrieb die SPÖ mit Vorliebe rassistische Politik. Selbst die Wiener Grünen, die ansonsten ihr antirassistisches Engagement hoch halten, hielten sich vornehm zurück, während Ariel Muzicant, Präsident der israelitischen Kultusgemeinde, und mit ihm die gesamte jüdische Bevölkerung antisemitischen Angriffen durch die FPÖ ausgesetzt war.
Gegen die FPÖ hat es immer wieder Proteste gegeben. Am 12. November 1999 nach den letzten Nationalratswahlen fand in Wien seit Jahren wieder eine Großkundgebung gegen die FPÖ statt. Organisiert wurde diese von der sich damals in der Gründungsphase befindlichen Demokratischen Offensive.
Unter dem Motto "Keine Koalition mit dem Rassismus" hieß es damals: "Es ist eine Schande. An der Schwelle zum nächsten Jahrtausend, in einem prosperierenden Land sind wir mit demagogischer Hetze konfrontiert, mit Fremdenhaß, mit der Verächtlichmachung sozial Schwacher - und mit einem dubiosen Umgang mit der Nazivergangenheit." 3 Und weiter: "So kann es nicht weiter gehen. Das politische Establishment darf nicht nur ängstlich um den eigenen Machterhalt besorgt bleiben - zu lange schon ging man opportunistisch jahrelang auf Haiders Forderungen ein. Jetzt sind wir gefordert. Ein entschiedener Neubeginn ist notwendig, eine breite Reformoffensive für die Verteidigung und den Ausbau der demokratischen Grund- und Menschenrechte, für die Wahrung des Rechtsstaates, für soziale Gerechtigkeit, Mindeststandards und emanzipatorische Gleichstellung. Statt Rechtsruck - Menschenrechtsruck." Die weitergetragene Parole lautete: "Schluß mit der Verhaiderung unseres Landes. Wir sind Österreich."
Anhand dieses Aufrufs wird schnell deutlich, zu welch zweifelhaften Schlüssen ein solch verkürzter Antifaschismus führt. Im Rückgriff auf Kategorien wie Nation, Volk und Staat betreiben bürgerliche AntifaschistInnen die Fortschreibung all jener Zustände, die die Haiderei erst möglich machten. "Barbarei besteht fort, solange die Bedingungen, die jenen Rückfall zeitigten, wesentlich fortdauern", so Theodor W. Adorno4. Auschwitz wurde auf dem Boden der bürgerlichen Gesellschaft gebaut. Folglich hat ein konsequenter Antifaschismus auf der Negation alles Bestehenden zu beharren. Nationalismus, Rassismus und Antisemitismus sind konstitutive Bestandteile bürgerlicher Subjektivität. Ihre TrägerInnen zeichnen sich gerade dadurch aus, dass sie stets der einzigen Reproduktionsbasis - nämlich der Verwertung ihrer Arbeitskraft - hinterherjagen und sich umso stärker an die Volksgemeinschaft klammern, je weniger der Staat ihnen die Möglichkeit ihrer Reproduktion sichern kann. Zum "Volk" zu gehören bedeutet dem nationalistischen Selbstverständnis zufolge, als Teil des "Volkskörpers" vor identitätsgefährdenden Bedrohungen geschützt zu werden (beispielsweise dem Verlust des Arbeitsplatzes). Rassismus und Antisemitismus rühren aus der personalisierenden Wahrnehmung abstrakter gesellschaftlicher Verhältnisse: "Derart ist das bürgerliche Subjekt verfaßt, daß es Identität nicht aus sich selbst erzeugen, nicht an sich selbst gewinnen kann, sondern nur im Prozeß einer ständigen Abgrenzung und eines permanenten Zweifrontenkriegs gegen das "unwerte" und gegen das "überwertige" Leben." 5 Gegen das "Unwertige" richtet sich der Rassismus, gegen das "Überwertige" der Antisemitismus. Diese, solcherart bestimmt als Basisideologien bürgerlicher Gesellschaft, sind in den jeweiligen Nationalstaaten unterschiedlich ausgeprägt. In Österreich, das zu den Geburtsstätten des modernen Antisemitismus zählt, spielen Antisemitismus und Rassismus eine große Rolle. Die massive Verstrickung in die Ermordung von sechs Millionen Juden und Jüdinnen wirkt auch in den nachkommenden Generationen fort - wie sich am Beispiel des sekundären Antisemitismus zeigt, der sich nicht trotz, sondern wegen Auschwitz herausgebildet hat. Der bürgerliche Antifaschismus negiert diese Zusammenhänge. Stattdessen wird Haiders Sage von der "ordentlichen Beschäftigungspolitik"6 unter einen dubiosen Umgang mit der Vergangenheit subsumiert; Menschenrechte, in deren Namen ein paar Tausend JugoslawInnen zum Opfer fielen, werden zum Allheilmittel.
"Gut gemeinter" Antifaschismus?
Seinen Ausgangspunkt hat dieser "gut gemeinte" Antifaschismus bereits 1993 genommen. Damals empörte sich eine Gutmenschenschar über das rassistische "Ausländervolksbegehren" der FPÖ, das unter dem Motto "Österreich zuerst" von mehr als 7% der Stimmberechtigten unterschrieben wurde. Gemeinsam mit der SPÖ wurde ein auch aus Deutschland hinlänglich bekanntes Ritual ins Leben gerufen: das Lichtermeer. Mehr als 300.000 "Kerzerlschlucker" versammelten sich am Heldenplatz und Umgebung, um den Klängen von Ostbahn-Kurti - einem österreichischen Lokalstar - zu lauschen und Demut zu zeigen. Demut gegenüber sich selbst, sich noch immer nicht hundertprozentig ins nationale Kollektiv eingereiht zu haben. Schließlich sind Antisemitismus, Rassismus und Nationalismus auch innerhalb der Anti-FPÖ-Koalition vorzufindende Denkströmungen, wie an anderer Stelle gezeigt werden wird.
Mittlerweile können die OrganisatorInnen des damaligen "Fackelzuges", wie es nicht nur im rechten Jargon heißt, einiges an "Erfolg" verbuchen. Die Forderungen des "Ausländervolksbegehrens" wurden unter SPÖ-Innenministern nahezu komplett umgesetzt7 - bereits 1992 reagierte Franz Löschnak, damaliger SP-Innenminister, auf das "Ausländervolksbegehren" mit dem Hinweis, dass elf der zwölf aufgestellten Forderungen längst erfüllt seien.8
Ein hier nicht erwünschter Schwarzer wurde während seiner Abschiebung derart gefesselt und geknebelt, dass er starb, ohne dass der damalige SPÖ-Innenminister auch nur an einen Rücktritt dachte9, und last but not least gelang der FPÖ der Sprung zur Regierungspartei. Dass der Koalitionspartner ÖVP und nicht SPÖ heißt, kann somit kaum an inhaltlichen Differenzen gelegen haben. Immerhin war eine Minderheitsregierung mit Unterstützung durch die FPÖ eine mögliche Option. Eine Option, die bereits Anfang der 70er Jahre dazu führte, dass Kreisky fünf ehemalige Nazis in die Regierung holte. Haider selbst berichtete über die Koalitionsverhandlungen mit der SPÖ, dass sie eine Übereinstimmung in der "Ausländerfrage" an den Tag gebracht hätten.
Anfang letzten Jahres wurde die blau-schwarze Regierung von einem leidend dreinschauenden Bundespräsidenten vereidigt. Schon einige Tage zuvor wurde von einigen AktivistInnen die ÖVP-Zentrale besetzt. Ein Transparent mit der Aufschrift: "Für ein menschenwürdiges Österreich. Kein Pakt mit der FPÖ" zierte damals die Bundesparteizentrale der Konservativen. Der Grundstein für die Zielrichtung des Protestes gegen schwarz-blau wurde hier bereits gelegt. Die nationale Ausrichtung des Protestes, die positive Besinnung auf die Menschenrechte, die FPÖ als alleiniger Hort des Schreckens - all dies wurde in diesem Transparent festgehalten.
Die Besetzung der Parteizentrale hatte allerdings auch zur Folge, dass täglich mehr oder weniger spontane Demonstrationen stattfanden. Eier- und Farbbeutelwürfe gegen die ÖVP-Zentrale, die Erstürmung der Bühne des Burgtheaters und Demonstrationen, die bis weit nach Mitternacht andauerten, vermittelten ein Bild, das in Österreich bisher nicht bekannt war.
Der Tag der Regierungsangelobung wurde von lautstarkem Protest begleitet. Männer und Frauen unterschiedlichen Alters (in durchaus bürgerlichen Outfits) ließen Eier, Knallkörper und faules Gemüse gegen das Bundeskanzleramt fliegen. Für die Obrigkeit Anlass genug, um noch am selben Abend mit Wasserwerfern gegen mutmaßliche DemonstrantInnen vorzugehen.
Der Tag danach bot ein anderes Bild. "Keine Gewalt"-keifende, gewalttätige Gewaltfreie, die potentielle EierwerferInnen nicht nur verbal attackierten, übten sich in ihren staatsbürgerlichen Pflichten. Die Demokratische Offensive distanzierte sich von den "gewalttätigen" Ausschreitungen des Vortages und trotzkistische Gruppen versuchten, die Demo wieder in "geregelte" Bahnen zu lenken. Damit wurde das Ende des spontanen Protestes eingeläutet. Die beabsichtigte Spaltung der Protestbewegung in vermeintlich Gewalttätige und Gewaltfreie verlor sich in der gemeinsamen Parole "Widerstand!". Nichtsdestotrotz heroisierten kampfbereite Autonome und massenverblendete TrotzkistInnen diese spontanen Ausbrüche staatsbürgerlicher Anteilnahme, deren antiemanzipatorischen Gehalt sie wohlweislich verkannten.
Für viele StaatsbürgerInnen waren es wohl die angekündigten EU-Sanktionen, die sie die Österreich-Fahne schwenkend auf die Straße trieben um zu demonstrieren, dass es auch ein anderes Österreich gäbe. Einige hissten die EU-Fahne, vergessen wurde das sich gegen außen abschottende Schengen-Europa, dessen restriktive Gesetzgebung zwischen 1993 und 2000 zum Tod von mehr als 2000 Nicht-EuropäerInnen führte.10
Am 19. Februar 2000 fand mit etwa 300.000 TeilnehmerInnen die vorerst letzte große Manifestation des "Widerstands" gegen die schwarz-blaue Regierung statt. An der Spitze der Demonstration marschierte die Sozialdemokratie, die den Aufstieg der FPÖ erst ermöglichte. Mittendrin versuchten sich trotzkistische Gruppen im Kampf gegen Sozialabbau - schließlich hatten auch die Gewerkschaften, dessen Vorsitzender Fritz Verzetnitsch einmal davon sprach, dass die FPÖ in Sachen Ausländerpolitik ein gelehriger Schüler des ÖGB sei, zu dieser Demonstration aufgerufen. Am anderen Ende des Zuges wurde derweil mit brutalem Polizeieinsatz versucht, die "autonome, gewaltbereite Szene" vom Rest der Demo abzudrängen. Das sei mit den OrganisatorInnen der Demo - SOS Mitmensch und Demokratische Offensive - so akkordiert worden, erklärt später der Einsatzleiter Franz Schnabl.

Schleichts Euch!

Einige Stunden später fand im Burgtheater eine Diskussionsrunde mit der eigens für die Großdemonstration angereisten ausländischen Politik- und Kulturprominenz statt. Zur selben Zeit wurden DemonstrationsteilnehmerInnen, die Haider vom Besuch einer Pizzeria abhalten wollten, von der Polizei niedergeknüppelt. Die Anwesenden der Diskussion im Burgtheater reagieren gegenüber den DemonstrantInnen nach Bekanntwerden dieser Vorfälle mit: "Schleichts euch! Wir lassen uns von euch für nichts einspannen."11
An diesen Reaktionen der Anti-FPÖ-Koalition wird deutlich, wo der "bürgerliche Antirassismus" seine Grenzen findet und schließlich das befördert, was er zu bekämpfen meint. Das Festklammern an der österreichischen Normalität, der positive Bezug auf Österreich und sein "Volk" lassen es nicht zu, das Phänomen Haider über moralische Gesten hinaus politisch zu analysieren und den eigenen Anteil daran kritisch zu reflektieren. Während die neue Regierung von mehr als der Hälfte der hiesigen Bevölkerung Zuspruch einstreifte, wiederholten Sozialdemokratie und Grüne - und mit ihnen Teile der Widerstandsbewegung - immer und immer wieder ihr Bekenntnis zum österreichischen Vaterland. Überschwänglicher Patriotismus wurde gegen den "bösen" Nationalismus ausgespielt. Die linksdemokratische Philosophin Chantal Mouffe betonte in einem Interview mit der Wiener Stadtzeitung Falter die Notwendigkeit eines linken Patriotismus: "Ich weiß, dass Patriotismus aus linker Perspektive normalerweise mit Skepsis betrachtet wird, aber der Patriotismus ist eine zu mächtige Kraft, um kollektive Identitäten zu mobilisieren, als das man ihn der Rechten überlassen sollte."12 Der Nationalismus - Patriotismus ist sein Euphemismus - tritt so als quasi natürliche Größe auf, der nicht bekämpft sondern lediglich modifiziert werden kann. Mit der gleichen Begründung könnte die Linke Antisemitismus und Rassismus einfordern: "Überlassen wir ihn nicht der Rechten, machen wir ihn selber."
Die Widersinnigkeit der Feststellung, Patriotismus und Nationalismus seien etwas grundverschiedenes, kommt den ZivilgesellschaftsapologetInnen nicht in den Sinn. Stattdessen wird versucht, im Namen der Nation ("Wir sind Österreich") gegen die Nation anzutreten. Es wird also etwas - nämlich der Nationalstaat - beschworen, das ursächlich mit dem zusammenhängt, gegen das vorgegeben wird anzukämpfen - nämlich mit Antisemitismus und Rassismus. Die Schaffung und Sicherung der Grundlage des modernen Rassismus durch den Nationalstaat, die staatliche Trennung in In- und AusländerInnen wäre ein Beispiel für diesen Zusammenhang.
Übereifrige DemonstrantInnen, die leider nicht in der Unterzahl waren, gingen noch einen Schritt weiter: "Wir sind das Volk" - tönte es lautstark, dass nicht nur MigrantInnen angst und bange wurde.
Das Volk ist in Österreich (und Deutschland) ein (potenziell) gemeingefährliches. 1996 wurde beispielsweise der Aussage "Wenn sich türkische Gastarbeiter weigern sich anzupassen, sollen sie nicht überrascht sein, wenn sie gewalttätigen Übergriffen ausgesetzt sind" von 24% der ÖsterreicherInnen voll zugestimmt, 34% stimmten dem eher zu.13 Gleichwohl musste sich die volkstreue Opposition einiges anhören: Um den inneren Frieden besorgte Freiheitliche und Konservative forderten ein "Abrüsten der Worte" und meinten damit die Thematisierung des rechtsextremen Charakters der FPÖ. Deren Klubchef Westenthaler verlangte bereits, es "sollte keine weitere Mobilisierung der Straße mehr geben".14 Kanzler Schüssel wünschte, dass nach der exportbürgerlichen Großdemonstration vom 19. Februar "wieder Ruhe einkehre".15 Haider selbst schlug bereits vor mehreren Jahren einen etwas härteren Ton an: "Die, die da hinten schreien, werden - wenn ich etwas zu sagen habe - ihre Luft noch brauchen. Zum Arbeiten."16
Dabei wird freilich der Nutzen einer derartigen Zurschaustellung des "anderen" Österreichs übersehen: Schließlich suggeriert dieses dem Ausland, dass die Alpenrepublik nicht mehrheitlich von einem ressentimentgeladenen Mob bevölkert wird. In autoritärem Übereifer erklärte die Regierung jedoch alle Proteste zur "Gewalt der Straße", welche zum Verstummen gebracht werden müsse. Die passenden Bilder dazu lieferten prügelnde Polizisten, deren Opfer in den Medien als "Gewalttäter" erscheinen. Mit ihren Distanzierungen von den Opfern der Polizeigewalt legitimierte die patriotische Opposition die Prügeleinsätze und bestätigte die mediale Wahrnehmung von Antifaschistinnen und Antifaschisten als "Randalierer".
Die einseitige Wahrnehmung der "Gewalt", ebenso wie die Berufung auf Österreich selbst in Zeiten politischer Ausgrenzung, hängen hierzulande nicht nur mit der überall vorzufindenden Fetischisierung des Staates zusammen; die spezifische, österreichische Nachkriegsgeschichte schmiedete eine Familienbande, die so leicht nicht aus der Fassung zu bringen ist. In Österreich gab es kein mit anderen europäischen Staaten vergleichbares Â’68. Hierzulande fanden Klassenkämpfe höchstens auf dem Papier statt. Diese Innigkeit mit der staatlichen Autorität hinterlässt seine Spuren auch im Widerstand gegen schwarz-blau.

Aufstand der Anständigen

Die Zivilgesellschaft, die sich seit einem Jahr in Österreich selbst feiert, und die volkstreue Linke setzen nach wie vor auf anschlussfähigen Protest. Die sich abzeichnende linke Volksgemeinschaft, die für sich in Anspruch nimmt, das "andere" Österreich zu sein, versucht den vom deutschen Kanzler Schröder proklamierten "Aufstand der Anständigen" ins Österreichische zu übersetzen. Hier wird nicht mit, sondern gegen die Regierung aufgestanden. Ansonsten unterscheiden sich die von den offensiven DemokratInnen vorgetragenen Positionen nur unwesentlich von jenen der Kameraden im Altreich. Staatlichkeit wird hochgehalten. Die Forderung nach vorzeitigen Neuwahlen, die in tiefer Sorge um Österreich erhoben wird, entspricht dem Wunsch nach einer rot-grünen Regierung, deren Staatsrassismus und Entsorgung der Vergangenheit mensch in der BRD besichtigen kann.17 So demonstrieren insbesondere die grünen, liberalen und sozialdemokratischen Teile der Protestbewegung, dass es ihnen vor allem darum geht, dass sie und nicht andere die Herrschaft ausüben.
Die Hoffnung auf einen baldigen Regierungswechsel unterstellt, dass die Mehrheit der hiesigen Bevölkerung mit der FPÖVP-Regierung ausgesprochen unzufrieden sei. In den Augen der "An- und Widerständigen" waren es die sogenannten ProtestwählerInnen, die der FPÖ massive Stimmengewinne einbrachten. Was liegt dann näher, als auf genau dieses Klientel zu setzen? Die FPÖ-WählerInnen unter den ArbeiterInnen werden als bloß Unzufriedene verharmlost, denen eine sozialistische Revolution oder zumindest ein "echter" Sozialstaat die rassistischen Flausen schon austreiben würde.
Nicht nur die Zivilgesellschaft hält an dieser recht wagemutigen These fest. Auch für TraditionskommunistInnen und TrotzkistInnen, die in der Hoffnung auf Anteilnahme der ArbeiterInnen pausenlos vom Sozialabbau schwafeln, steht der Rassismus des gemeinen Volkes nicht zur Debatte. Einzig der rassistischen Politik des Staates soll Einhalt geboten werden. Gemäß dem Motto "Friede den Hütten, Krieg den Palästen"18 hoffen sie mit Anti-Sozialabbau-Parolen auf den Beifall der Massen. Dabei ist genau das die nachträgliche Legitimation für diejenigen, die die FPÖ gerade wegen ihres Rassismus gewählt haben. Aufrufe zu einem Generalstreik gehören bei den allwöchentlichen Demonstrationen zum Standardrepertoire dieser Gruppen. Der Realitätsverlust scheint um sich zu greifen. Die österreichischen Gewerkschaften machen sich momentan nämlich um nicht viel anderes Sorgen als um die Fortführung der Sozialpartnerschaft. Von Streiks ist man hier so weit entfernt wie eh und je, oder anders gesagt: In Österreich kann man Streiks in Sekunden messen. Nichtsdestotrotz wurde unter der Federführung trotzkistischer Gruppen im März letzten Jahres ein Uni-Streik ausgerufen, der sich in erster Linie gegen die von der FPÖVP-Regierung angekündigten Studiengebühren richtete. Die mäßige Beteiligung der Studierenden, die angesichts der ins Haus stehenden sozialen Belastungen eben doch lieber studieren als demonstrieren, ließ dieses Unterfangen samt seiner im Generalplan vorgesehenen Ausweitung "auf die Betriebe" als völlig irreales Vorhaben scheitern.
Die Existenz antisemitischer Ressentiments wurde von der gesamten Widerstandsbewegung weit gehend verschwiegen. Es brauchte über ein Jahr schwarz-blauer Regierung, bis auch dieses Thema Einzug in die ProtestlerInnenszene fand. Anlass waren die antisemitischen Ausfälle Haiders gegen Ariel Muzicant.19 Als ob es nicht schon davor antisemitische Hetze von Seiten prominenter FPÖler gegeben hätte, reagierte die sehr österreichische Protestbewegung mit einer ersten Donnerstagdemonstration, die sich "primär gegen Antisemitismus"20 richtete. Fast ein Monat medialer Auseinandersetzung musste verstreichen, ehe sich das Aktionskomitee gegen Schwarz-Blau zu dieser "Tat" entschied. Die Unterstützung "sozialer Kämpfe", die in Österreich immer schon mit einer Zunahme rassistischer und antisemitischer Ressentiments korrespondierten, war offensichtlich wichtiger.
Kein Wunder - hatten doch Antisemitismus und Rassismus ihren festen Platz in der Widerstandsbewegung. So behauptete der Sprecher der Aktion SOS-Mitmensch, Max Koch, mensch könne nicht so unrealistisch sein, zu behaupten, jeder Ausländer könne hier bleiben.21 In einem Email-Verteiler der ProtestlerInnen wurde in Bezug auf ein antisemitisches Mail versöhnlich geantwortet: "liebe widerständler: vergesst den beitrag einfach, und wendet euch den essentiellen dingen zu. nämlich widerstand zu leisten. und das funktioniert nur wenn wir eine einheitliche front bieten. dazu gehört auch, daß man fehler anderer genauso wie die angenehmen dinge mitträgt."22
Am 16. März diesen Jahres fand eine von der Demokratischen Offensive und mehreren MigrantInnengruppen organisierte Großkundgebung auf dem Wiener Stephansplatz statt. Diese im Zeichen des Wiener Wahlkampfs stehende Manifestation hofierte trotz wiederholter Betonung, dies sei keine parteipolitische Veranstaltung, eine rot-grüne Koalition, die nach den Wiener Wahlen zu bilden sei. Unter dem Motto "Gesicht zeigen! Stimme erheben! Gleiche Rechte für alle" wurde all jenen MigrantInnenvertreterInnen eine Rede gewährt, für die die Wahrung der Demokratie eine "ernste" Sache sei. Die Forderung nach einem kommunalen Wahlrecht für MigrantInnen, die bereits Wochen davor von der Wiener Wahl Partie erhoben wurde, ist richtig und notwendig. Bleibt eine solche Forderung jedoch losgelöst einer prinzipiellen Kritik an Staat, Nation und Volk, konterkariert sie ihr Anliegen und gleicht dem Versuch, den Teufel mit dem Belzebuben auszutreiben.
Der bürgerliche Antifaschismus, der statt einer radikalen Kritik gesellschaftlicher Verhältnisse deren Affirmation betreibt, wird so zum zweiten Standbein des Staates. Er sorgt nicht nur für "Ruhe und Ordnung" innerhalb der Widerstandsbewegung, er sorgt auch dafür, dass die Verhältnisse so bleiben, wie sie sind. In seinem Bestehen auf Staatlichkeit sorgt auch er schlussendlich dafür, dass Menschen ermordet und eingesperrt werden. So bietet der bürgerliche Antifaschismus ein ideologisches Fundament für all diejenigen, die dem volksgemeinschaftlichen Schweigen über das, was geschehen ist, dem gemeinsam begangenen Massenmord, verpflichtet sind.
Wer aber ernsthaft FPÖ, Rassismus und Antisemitismus bekämpfen will, muss aus der Volksgemeinschaft heraustreten und diese mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln angreifen. Wer dagegen ist, dass Gewalt gegen Menschen ausgeübt wird, muss das gesellschaftliche Fundament in Frage stellen. Eine moralische Empörung, die kurz aufschreit um dann schnell wieder staatsloyal und tatkräftig die Beamten bei der Erledigung ihrer Pflichten zu unterstützen, kann nur als Heuchelei bezeichnet werden.

Anmerkungen

1) Der Standard, 26. 3. 2001

2) vgl. ebd.

3) Aufruf zur Demonstration am 12.11., http://www.demokratische-offensive.at/aktionen/19991112-0.html

4) Adorno, Theodor W.: Erziehung nach Auschwitz, in: ders.: Erziehung zur Mündigkeit, Frankfurt 1971, S. 88

5) Bruhn, Jochaim: Unmensch und Übermensch. Über das Verhältnis von Rassismus und Antisemitismus, in: Ders. Was deutsch ist. Zur kritischen Theorie der Nation, Freiburg i. Brsg. 1994, S. 84

6) "Im Dritten Reich haben sie ordentliche Beschäftigungspolitik gemacht, was nicht einmal Ihre Regierung in Wien zusammenbringt."(Haider, Protokoll der Sitzung des Kärtner Landtages, 13.6.1991) 7) Diese Erkenntnis schlossen nicht zuletzt auch die Grünen, deren Klubobmann Alexander Van der Bellen verlautbarte, dass "bei der Ausländerpolitik (Â…) die SPÖ mit der FPÖ koaliert (hat)." (profil 1.6.2001)

8) vgl. Schiedel, Heribert: "Wir verfolgen, wen wir wollen!" Rassismus und Antisemitismus in Österreich seit 1986, in: Gremliza, Hermann L.: Braunbuch Österreich. Ein Nazi kommt selten allein, Hamburg 2000, S. 112

9) Marcus Omofuma, ein nigerianischen Schubhäftling, war am 1.Mai 1999 während seiner Abschiebung via Flugzeug ums Leben gekommen. Drei Begleitpolizisten hatten ihn gefesselt und ihm mit Klebeband den Mund und Teile der Nase verklebt, weil er sich zuvor gegen die Abschiebung gewehrt hatte. Laut gerichtsmedizinischen Gutachten ist Omofuma durch die Knebelung erstickt. Politische Konsequenzen zog, wie immer in Österreich, niemand. Einige Wochen später fand die "Operation Spring" statt. In ganz Österreich wurden mit dem Ziel, das vermeintliche Drogenkartell zu zerschlagen, Razzien gegen Afrikaner durchgeführt. Mehr als hundert Afrikaner wurden festgenommen, unter Ihnen der in antirassistischen Initiativen aktive Schriftsteller Obiora C-Ik Ofoedu.

10) vgl. www.united.non-profit.nl/pages/List.htm

11) vgl. tatblatt.mediaweb.at/132chronologie-februar.htm

12) Falter 9/00

13) vgl. Weiss, Hilde: Structural change and ethnic intolerance. Post-communist countries as compared to Austria (Forschungsbericht, vorgestellt am 22.9.1996 in Wien)

14) Neue Freie Zeitung Nr. 6/2000

15) Neue Zürcher Zeitung, 18. 2. 00

16) Der Standard, 5. 10. 1994

17) Scharping legte mit seiner Rede von "serbischen KZs" während des Krieges gegen Jugoslawien ein deutliches Zeugnis hierfür ab.

18) Ein Slogan, in dem sich einmal mehr ausdrückt, dass es keineswegs um ein besseres Leben geht, dass ja nun eigentlich zu wünschen wäre, sondern, dass geradezu die eigentlich eher protestantische selbstauferlegte Entsagung gefordert wird.

19) Am "Politischen Aschermittwoch" der FPÖ in Ried i. I. startete Haider mit massiven Angriffen auf Ariel Muzicant, den Präsidenten der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG): "Ich verstehe nicht, wie jemand, der Ariel heißt, so viel Dreck am Stecken haben kann." (www.derstandard.at, 28. 2. 2001). Muzicant habe "im Spektrum der demokratischen Kräfte relativ wenig Platz". (news 11/2001). Muzicant sei "kein guter Österreicher", weil er der FPÖVP-Regierung den "Krieg" erklärt habe. Muzicant gehöre zu den "obersten Vernaderern Österreichs" und sei einer der "Hauptverantwortlichen" für die "unerträgliche Hetze", die angeblich gegen Österreich laufe. Und das obwohl Muzicant doch selbst "einmal zugewandert ist". (ORF, ZIB 2, 16. 3. 2001)

20) TATblatt Chronologie 22.3.2001, http://tatblatt.mediaweb.at/132chronologie-aktuell.htm

21) vgl. jungle world 10/2000

22) MUND 20.10.2000, http://www.no-racism.net/MUND/

Simone Dinah Hartmann studiert Informatik und Politikwissenschaften in Wien.

Forum Wissenschaft 3/2001