Schmutzige Geschäfte: Kapitalismus und Kriminalität

in (23.09.2001)

Editorial der Prokla 124

Vor gut einem Jahr hat die PROKLA ein Schwerpunktheft zur "Re-Regulierung der Weltwirtschaft" (PROKLA 118, März 2000) herausgegeben. Darin setzten sich die Autorinnen und Autoren mit den "Transformationen von Politik in der Ära des Globalismus" (so Dirk Messner) auseinander.


Möglichkeiten, aber auch Begrenzungen einer Re-Regulierung der Weltökonomie nach den De-Regulierungen der vergangenen Jahrzehnte wurden diskutiert. In manchen Beiträgen dieses Schwerpunktheftes, besonders deutlich bei Franz Nuscheler, wurde in der Re-Regulierung in Form der "Global Governance" eine geradezu zivilisatorische Kraft erblickt. Die Serie von Weltkonferenzen in den 90er Jahren habe gezeigt, dass eine globale Zivilgesellschaft die Bühne der Weltpolitik betreten hat und nicht gewillt ist, allein den nationalen Regierungen und internationalen Organisationen das Heft zu überlassen.




Blieben die Resultate dieser Konferenzen und erst recht ihre Umsetzung bisher schon recht bescheiden, so könnte der Juni des Jahres 2001 möglicherweise als der Monat des Waterloo der Global Governance in die Geschichte eingehen: Bei der Konferenz zum Verbot von Kleinwaffen ein kategorisches Nein von Seiten der USA; faktische Aufkündigung des ABM-Vertrags zur atomaren Rüstungsbegrenzung durch die USA; Ausstieg der USA aus dem angestrebten Protokoll zur Überwachung des Verbots bakteriologischer und biologischer Waffen; Ausstieg aus dem Kyoto-Protokoll zur (minimalen) Reduzierung der Treibhausgase; Blockade der Initiativen der OECD gegen die Steuerhinterziehung und die schädliche Konkurrenz um die niedrigsten Steuersätze auf mobile Produktionsfaktoren durch die USA; Drohung, die UNO-Antirassismus-Konferenz von Durban im August/September 2001 zu boykottieren, sollten Entschädigungsforderungen für die Sklaverei in den USA auf die Tagesordnung gelangen; und dann noch die brutale Polizeigewalt gegen die Proteste auf den Gipfeln von Göteborg und Genua.




Die Häufung dieser Absagen an den Multilateralismus und die Brutalität, mit der das politische Steuer in den USA in Richtung des schon 1991 von Charles Krauthammer nach Golfkrieg und dem Kollaps des Sowjetblocks vorausgesagten "unipolar moment" herumgerissen wird, machen deutlich, daß mit einer wohltätigen Global Governance, bei der vor allem die besseren Argumente und die Verantwortung fürs Ganze zählen sollen, nicht zu rechnen ist. Die Rückkehr zum Unilateralismus findet jedoch in einer ökonomisch, kommunikativ, kulturell und ökologisch höchst interdependenten Welt statt und kann daher nur als ein gefährliches hegemoniales Projekt verstanden werden. Die "splendid isolation" der Zwischenkriegszeit hat die übrige Welt noch mehr oder weniger sich selbst überlassen und konnte daher den "Rest der Welt" einigermaßen kalt lassen. In Zeiten der Globalisierung freilich ist Unilateralismus Ausdruck einer "depradatory hegemony" (Susan Strange).

Auf höchster Ebene von Weltpolitik und Weltökonomie werden die Interessen an einer Sicherung des Friedens und am Aufhalten der Klimakatastrophe nicht nur den Kapitalinteressen untergeordnet, sondern einer (oder wenigen Branchen) wie der Öl- und Rüstungsindustrie eines einzelnen Landes. Auf den Ebenen "darunter" sieht es allerdings auch nicht viel besser aus. Politisch-moralische Bedenken oder eine Ethik des guten Lebens werden ins Abseits gedrängt. Was zählt ist die Bereicherung, ganz wie in den Zeiten des vorrevolutionären Frankreich, als die Physiokraten die Parole ausgaben: "Enrichissez vous!" Der Markt hat das Sagen und auf dem Markt soll sich das Geld verwerten (vgl. zu den theoretischen Auseinandersetzungen um Marktwirtschaften die Beiträge in PROKLA 123, Marx, Keynes und der globalisierte Kapitalismus, Juni 2001). Geld "stinkt nicht": Eine Million Dollar sind eine Million Dollar, gleichgültig ob sie zur Unterstützung von Aidskranken gesammelt worden sind, oder aus Verkäufen von Kleinwaffen an die Bürgerkriegsparteien in Mazedonien und anderswo oder aus international organisierten Prostitutionsringen stammen.

Es ist der Formalismus der Politikwissenschaft, der bei der Diskussion um die Global Governance in erster Linie die Kontroverse Unilaterialismus versus Multilateralismus vor Augen hat. Doch wichtiger scheint uns der Versuch zu sein, mit den Regulationsformen der Global Governance auch Leitbilder der Koexistenz von sechs Milliarden Menschen auf der Erde zu erzeugen: und diese Leitbilder bedürfen einer Moral des Zusammenlebens, die der Markt allein nicht vermitteln kann; das ist die grundlegende Aporie des Neoliberalismus. Wenn unter diesen Bedingungen der Multilaterialismus der Global Governance aufgekündigt und durch einen rücksichtslosen Unilateralismus der "einzigen Supermacht" (Brzezinsky) ersetzt wird, können die sowieso höchst schwach ausgebildeten Ligaturen, einer global gültigen Moral, die für die Menschheit überlebensnotwendig sind, zerreißen.

Mit anderen Worten: das "Waterloo" der Global Governance ist mehr als ein vielleicht hämisch belächelter Untergang eines niemals rundum akzeptierten wissenschaftlich-politischen Konzepts. Es dokumentiert die ganze Hilflosigkeit der politischen Re-Regulierung von aus sozialen Bildungen "entbetteten" Märkten. So lange die Märkte klein und lokal und schwach waren, entstanden daraus keine großen, sondern nur Probleme von örtlicher Bedeutung im Sichtkreis des jeweiligen Kirchturms. Doch die Märkte sind heute allumfassend, global und mächtig. Und sie sind wegen der Finanzinnovationen und modernen Informations- und Kommunikationstechnologien sehr schnell. In einem so strukturierten Umfeld bedeutet die Befolgung zum "Enrichissez Vous" das große Geld auf zeitgemäße Art und Weise zu machen, global im Raum und schnell in der Zeit zu sein und vor allem sich an Regeln nicht gebunden zu fühlen.

Der deregulierte Kapitalismus hat neue fragile Formen hervorgebracht und Bestehende erweitert: in der Arbeitswelt die informelle Arbeit, das Schwarzgeld in der monetären Sphäre und die Schattenpolitik bzw. die "Privatisierung" der Politik wie dies Brühl u. a. (Die Privatisierung der Weltpolitik, Bonn 2001) bezeichnen. Fatal ist eine Politik, die in Verfolgung sogenannter nationaler Interessen der Ausdehnung solcher Formen noch Vorschub leistet. Die Fragilität dieser neuen Formen, drückt sich nicht zuletzt darin aus, dass sie auf der Kippe stehen, dass Arbeit, Geld und Politik in den Bereich des Ungesetzlichen, des Illegalen, ja Kriminellen abdriften.
Wir können dies an einem Indikator zeigen, der Geldwäsche, mit der sich Elmar Altvater in seinem Beitrag auseinandersetzt. Geld, das durch illegale und kriminelle Transaktionen erworben worden ist, kann nicht einfach verwendet werden, da zu leicht die Spur des Geldes zu der kriminellen Vortat zurückführen könnte. Also muß das Geld aus Drogenschmuggel, Waffenverkäufen, Prostitutionsringen, Menschen- und Organhandel, Korruption und Steuerhinterziehung gewaschen werden. Der Internationale Währungsfonds schätzt, dass der Umfang der Geldwäsche jährlich bis zu 1500 Mrd. US-Dollar ausmacht. Wahrscheinlich ist es sogar mehr, wenn man den aufblühenden Zweig des Anlagebetrugs im Internet einrechnet und die großen Geschäfte auf Gegenseitigkeit ("countertrade"), die in manchen Weltregionen (in der ehemaligen Sowjetunion, in Afrika) bis zu 50% der Außenhandelsaktivitäten ausmachen. Geldwäsche unterminiert nicht nur die "formellen" ökonomischen Beziehungen, es begünstigt gerade die unsichtbaren und unkontrollierbaren außerkonstitutionellen Mächte. Diese Mächte müssen aber keineswegs jenseits etablierter ökonomischer und politischer Führungszirkel stehen, wie der herrschende Diskurs zu "Organisierter Kriminalität" nur allzu häufig nahelegt. Zu den Profiteuren von Geldwäsche, illegalen Kapitalbewegungen und der vielfältigen legalen oder halblegalen "Offshore" Praxis gehören auch höchst respektable Banken und Konzerne. Wie Stephen Gill anhand der zu Beginn der 90er Jahre zusammengebrochenen BCCI-Bank und ihrer Rolle im Iran-Contra-Skandal zeigt, sind auch eine ganze Reihe von Regierungsvertreter und Nachrichtendienste kontinuierlich in illegale Praktiken verstrickt: nicht in erster Linie zur persönlichen Bereicherung, sondern vor allem zur Finanzierung von politischen Unternehmungen, die von Parlamenten und öffentlicher Meinung abgelehnt werden.
Die Verquickung geostrategischer politischer Interessen mit legalen wie illegalen ökonomischen Anstrengungen, wird auch am Plan Colombia deutlich, der von Raul Zelik untersucht wird. Offiziell soll er der Eindämmung der Drogenproduktion in Kolumbien dienen und wird ganz wesentlich von der US-amerikanischen Regierung forciert, da die USA den wichtigsten Markt für kolumbianische Drogen darstellen. Dies hindert US-amerikanische Regierungsagenturen und Geheimdienste aber nicht daran, bei der Bekämpfung der kolumbianischen Guerilla mit Vertretern der Drogenkartelle zusammenzuarbeiten: die reibungslose Ausbeutung der Reichtümer Kolumbiens sowie die Garantie der "politischen Stabilität" des Landes, scheint auch im Rahmen des Plan Colombia eine weitaus größere Bedeutung zu besitzen, als der Kampf gegen die Drogen.

Die systematische Verknüpfung der "respektablen" Seite des Kapitalismus in Gestalt ehrenwerter transnationaler Konzern mit der blutig-kriminellen Seite der afrikanischen Bürgerkriege behandelt Peter Custers. An den Bürgerkriegen verdient nicht nur die Waffenindustrie, und zwar insbesondere die "mittelständische", welche die in Afrika dominierenden Kleinwaffen produziert - eine effektive Kontrolle des Verkaufs von Kleinwaffen wird von den Industrieländern verhindert. Vor allem sind es die Diamanten - und Ölkonzerne, die die Rohstoffe ausbeuten oder vermarkten, und den Bürgerkriegssparteien damit Erlöse verschaffen, die diese dann zum Kauf von Waffen benutzen. Häufig sind diese Unternehmen aber nicht nur die finanziellen Gewinner des Krieges, sondern auch mit eigenen Söldnertruppen präsent, die ihrerseits in der Regel in das global umspannende Netzwerk der "depradatory hegemony" eingespannt sind. Mit einer Kampagne gegen "Blutdiamanten" versuchen medico international und andere Organisationen wenigstens diese Profiteure zu treffen, die ganz unmittelbar zur Verlängerung der Kriege beitragen (vgl. dazu den Beitrag von Anne Jung).

Mit den Bürgerkriegen weiten sich auch - über die unmittelbaren Kampfhandlungen hinaus - die Sphären der Gewalt aus. Ökonomisch umfassen sie Gewaltmärkte, auf denen die Gewaltmittel (vor allem Kleinwaffen) von Marktagenten gehandelt werden, die auch Gewalt zur Verteidigung ihrer "claims" einzusetzen bereit sind. Die Politik wird im Zuge der Privatisierung von Sicherheit infolge des Abbaus öffentlicher Güter ebenfalls gewaltförmig. Sie verliert dadurch ihre legitimatorische Grundlage, wie sie von Max Weber definiert worden ist. Dies heißt freilich nicht unbedingt, dass sie in einem instrumentellen Sinne weniger effizient würde. Denn "Disorder" kann durchaus als "political instrument" (Chabal/Daloz, Africa works, Oxford 1999) funktionieren.

Auch in Europa haben sich nach dem Zerfall des Ostblocks die informellen Verhältnisse ausgeweitet. Das reicht von den kleinen Schmugglern an den neuen und alten Grenzen über logistische Netzwerke des Schmuggels im Großen von China bis zu den "Chinesenmärkten" in Budapest oder Zagreb und zur neuen Mafia, die es nicht beim Schmuggel von Drogen, Zigaretten, Autos etc. bewenden lässt, sondern Menschen schmuggelt und handelt und für den Waffennachschub sorgt, mit dem Bürgerkriege in Gang gehalten werden. Der Schmuggel und das Schleusen von Menschen trifft auf das Interesse von Migrantinnen und Migranten, die wegen der Bürgerkriege, aber auch wegen des immer größer werdenden Wohlstandsgefälles in die reichen Industrieländer streben. Weltweit sind die Einnahmen aus dem Menschschmuggel inzwischen nach UNO-Angaben höher als die illegalen Drogengewinne. Eine große Rolle in diesem Geschäftszweig eines kriminellen "Enrichissez Vous!" spielt die albanische Diaspora in Westeuropa. Sie unterstützt nicht nur die albanischen Minderheiten auf dem Balkan und sondern finanziert zum Teil wohl auch Ausrüstung der UCK mit Waffen. Die Rolle der Diaspora wie auch des Kosovo beleuchtet in ihrem Artikel Beate Andrees.

Immer spielt bei illegalen oder kriminellen Machenschaften das Geld als Schmiermittel von Politik, also die Korruption eine bedeutende Rolle. Spätestens an dieser Stelle, wird deutlich, dass wir nicht über ferne und uns fremde Welten sprechen, wenn wir von "kriminellem Kapitalismus" reden. "De te fabula narratur!". Korruption hat eine lange und widersprüchliche Geschichte; darauf verweist in ihrem Artikel Heide Gerstenberger. Doch hat sie in der modernen Welt des deregulierten Kapitalismus bislang nicht gekannte Ausmaße angenommen. Zur Globalisierung und Deregulierung gehört ja auch die Privatisierung von öffentlichen Einrichtungen und staatlichem Eigentum. Diejenigen, die dies nicht wahrhaben wollten, sind sehr schnell von Weltbank und IWF eines Besseren belehrt worden, wenn sie gezwungen waren, sich einem Strukturanpassungsprogramm zu unterwerfen. Die Privatisierungen des "Tafelsilbers" von Argentinien bis Russland oder bis zu den Neuen Bundesländern in Deutschland war eine ungeheure Bereicherungsorgie für einige wenige, die Politiker daran beteiligten, um die entsprechenden Deals reibungslos unter Dach und Fach zu bringen. Manche dieser Durchstechereien, wie die Ausplünderung der Lineas Aereas Argentinas durch die spanische Iberia, sind inzwischen aufgeflogen. Aber alles wird getan, um Transparenz zu verhindern. In der modernen Demokratie ist es durchaus nicht selbstverständlich, dass der Souverän Einblick in Machenschaften mit Eigentum erhält, das einstmals in der einen oder anderen Form öffentlich war, ihm sozusagen gehörte. Wem fällt an dieser Stelle nicht die Leuna-Affäre und der CDU-Parteispenden-Skandal ein? Helmut Kohl ist in seiner Person Ausdruck dieser Politik der antidemokratischen Intransparenz bei Machenschaften, denen der Haut Gout des Korrupten anhaftet. Und er findet das wohl gut und richtig so, denn er hat die Namen der Spender bis heute nicht genannt. Und niemand zwingt ihn ernsthaft dazu, im Gegenteil er wird von den Seinen hofiert.
Doch läßt sich Korruption und die Verquickung legaler und illegaler Geschäftsmethoden nicht als bloß individuelles Problem auffassen. Es geht nicht allein um korrupte Politiker und gierige Unternehmer. Die Konkurrenz auf dem Markt, sei es auf dem ökonomischen zum Zwecke der Kapitalverwertung oder auf dem politischen mit dem Ziel der Machtgewinnung und -erhaltung, kennt aus sich selbst heraus keine andere Norm als die des Erfolgs. Korruption und Profitmaximierung um jeden Preis sind also keineswegs Regressionen, oder bloß individuelle Verfehlungen, sie sind vom Kapitalismus überhaupt nicht zu trennen. Alle weitergehenden Normensysteme stammen aus gesellschaftlichen Zusammenhängen, aus der jeweiligen Struktur der sozialen Beziehungen, die sich gerade nicht auf die Logik des Tauschwerts reduzieren lassen, die auf dem Markt herrscht. Mit der Entfaltung und Ausweitung kapitalistischer Strukturen werden aber genau diese, noch nicht der Logik des Tauschwerts unterworfenen Bereiche der Gesellschaft unterminiert, eine Entwicklung, die sich mit den gegenwärtigen Globalisierungsprozessen nochmals enorm beschleunigt und von den Ideologen des Neoliberalismus enthusiastisch gefeiert wird. Was dann bleibt, ist wirklich nur noch die keinerlei Beschränkung, keinerlei Normierung unterliegende Bereicherung - auf wessen Kosten auch immer.