Der angekündigte Krieg

Herausgeber der Zeitschrift "Das andere Israel", die Zeitschrift desIsraelischen Rates für einen israelisch-palästinensischen Frieden

Adam Keller, Aktivist der israelischen Friedensbewegung Gush Shalom (www.gush-shalom.org) ist Herausgeber der Zeitschrift "Das andere Israel", die Zeitschrift des Israelischen Rates für einen israelisch-palästinensischen Frieden (ICIPP), er lebt in Tel Aviv. Die Übersetzung und Bearbeitung besorgte Reinhold Rünker

Im Rückblick wird man den Ausbruch des Palästinensichen Aufstandes auf die Zeit vor 3 ½ Jahren legen, als die Regierung von Israel den Bau der jüdischen Siedlung "Har Homa" nahe dem Abu Ghneim Gebirge gestattete - auf Gelände, das Palästinensern aus Beit Sahour konfisziert wurde. Dies geschah im Angesicht der Weltöffentlichkeit und trotz deutlicher Verutrteilung durch die internationale Gemeinschaft.

Zu diesem Zeitpunkt bemühte sich die palästinensiche Führung noch um ernsthafte und dauerhafte friedliche Maßnahmen gegen die israelische Provokation. Wer zu dieser Zeit dort war, erinnert sich an die Protest-Camps neben der Siedlung, von denen Israelis und Paälstinenser gemeinsam zu ihren Protestmärschen aufbrachen. Wir sahen, dass sich die Organisatoren strikt darum benühten, dass kein einziger Stein von Jugendlichen gegen die Siedlung geworfen wurde. Und wir sahen, wie die Jugendlichen diese Anordnung befolgte, so schwer es ihnen auch fiel angesichts der israleischen Bulldozer, die die Bäume niederrissen auf dem ehemals so grünen und schönen Hügeln des Abu-Ghneim.

Nach dreimonatiger Anwesenheit am Har Homa endete der Protest ergebnislos. Heute ist dieser Streifen Land ein Schlachtfeld. Junge Palästinenser - vielleicht die gleichen? - kommen zur früheren Zeltstadt mit Steinen, manchmal mit Waffen. Einige von ihnen sind bereits getötet worden.

Anfangs nannten die Medien die Proteste "Unruhen", dann "Ausschreitungen" oder "Konfrontationen". Ab der dritten Woche wurde der Begriff "Schlacht" immer häufiger für die Bilder in den Fernsehnachrichten verwendet: Demonstrationen von Jugendlichen prallen auf Soldaten wie in der frühen Phase der Intifada; bewaffnete israelische Siedler im Feuergefecht mit palästinensischen Stellungen; ein Guerillakrieg beweglicher palästinensischer Kämpfer, die Militär- und Siedlerkonvois angreifen.

Überall handelt es sich um einen Kampf mit ungleichen Waffen; mal sind es Steine und Molotow-Cocktails gegen hochmoderne Schusswaffen, an anderen Stellen Handfeuerwaffen gegen Panzer und raketentragende, waffenstarrende Helikopter,

Es ist ein fortwährend Kampf - ein Kampf von Menschen, die frei sein wollen, die gezeichnet sind von sieben Jahren voller Enttäuschung und zerbrochenen Hoffnungen. Sieben Jahre eines Friedensprozesses, in dem weiterhin Häuser zerstört, Land beschlagnahmt, die Anzahl der Siedlungen verdoppelt wurden und die Palästinenser sich immer tiefer in Armut versinken sahen. Sieben Jahren, die mit so viel palästinensischer Begeisterung begonnen wurde nach dem Handschlag im Weißen Haus - sie endeten mit der Überzeugung der Palästinenser aller Fraktionen, dass nur das, was die Welt "Gewalt" nennt, dazu führt, dass ihr Leiden in dieser Welt gehört wird.

Für sie bleibt unvergessen, dass fast zweihundert von ihnen getötet wurden - viele von ihnen noch Kinder - tausende verwundet wurden, viele für den Rest ihres Lebens verkrüppelt. Wenig beachtet wurden die Hundertausende, die eingeschlossen bleiben durch die Belagerung ihrer Städte und Dörfer. Wenig erfährt man von den Arbeitern, die von ihren Arbeitsstellen in Israel abgeschnitten sind und von deren Löhnen so manche große Familie abhängig ist.

Je mehr die israelische Seite die Daumenschrauben aber anzieht, desto rebellischer scheint das Verhalten der Palästinenser zu werden. In Israel wird die "Entmenschlichung" der Palästinenser und ihres Führers Arafat durch eine Medienlandschaft inszeniert wird, die sich in den letzten Jahrzehnten selten derart zustimmend zu einer kriegsbereiten Regierung gezeigt hat. Gleichzeitig werden Forderungen laut, von der Bombardierung einzelner Häuser zur Beschießung ganzer Straßenzüge oder Dörfer überzugehen. Selbst diejenigen, die gegen diese Vorschläge sind, verwenden kaum humanitäre Argumente, sondern befürchten "negative Propaganda, wenn zu viele getötet werden", oder sprechen von "Szenen, die besser nicht auf den internationalen TV-Bildschrimen zu sehen sein sollten".

Jedoch: nichts macht einen Krieg so unpopulär wie täglich heimkehrende Särge eigener Soldaten. Dies diktiert eine Strategie, Soldaten so lange wie möglich in befestigten Stellungen oder bewaffneten Fahrzeugen zu halten und militärische Operationen vor allem aus der Luft durchzuführen. Noch sind die israleischen Opfer deutlicher geringer als auf der palästinensischen Seite. Aber es gibt bereits eine wachsende Protestbewegung von Soldatenmüttern, die sich um radikale Elemente aus der "Four Mothers"-Movement entsteht, die so bedeutsam war, um den Rückzug der israelischen Truppen aus dem Libanon zu erreichen.

Auch die israelische Wirtschaft, die bis jetzt noch nicht so betroffen war wie die palästinensische, erhielt unterdessen schwere Schläge. Der Tourismus ist im Rückgang begriffen, israelische Farmer müssen ihre Ernte wegen fehlender palästinensischer Erntearbeiter auf den Feldern verrotten lassen, ausländische Investoren in High-Tech-Bereichen verhalten sich zurückhaltend. Für die "unpolitischen" Sielder, die sich erst kürzlich in den von der Rgierung konfiszierten Gebieten niedergelassen haben ist eine bittere Erfahrung festzustellen, dass sie auf besetztem Gebiet leben, denn die Durchgangsstraßen nach Jerusalem oder Tel Aviv werden durch Steine oder Schüsse unpassierbar.

Wahrscheinlich wird die Situation so für eine längere Zeit weiter gehen. Die Atmosphäre "nationaler Einheit" der ersten Wochen zerbricht nun aber langsam, zumal die Unterstützer der Friedenscamps ihren anfänglichen Schock überwunden haben. Die Tauben in Baraks Kabinett Melden sich zunehmend wieder zu Worte. Minister wie Yossi Beilin und Shimon Peres spekulieren noch verhalten, was Labour-Funktionäre fast offen aussprechen - wer die Nachfolge von Barak antreten wird.

Gleichzeitig droht der der Konflikt aus mehereren Gründen völlig außer Kontrolle zu geraten. Im gefährlichen Kreislauf der Rache, mit dem Druck der israselischen Generalität und der radikalen Rechten könnte eine immer aggressivere Politik entstehen; begünstigt durch ein weiteres Selbstmörder-Attentat in einer israelischen Stadt, eine weitere mörderische Attacke durch israelische Siedler, einen Angriff der Hisbollah, irgendwo entlang der libanesischen Grenze....

Und es gibt sicher genug Sprengstoff unter der großen Zahl von palästinensischen Flüchtlingen im Libanon und Jordanien; die anhaltenden Auseinanderetzungen zwischen dem Mubarak-Regime in Ägypten und dessen islamischer Opposition; Syrien, mit einem jungen und unerfahrenen Präsidenten an der Spitze; Saddam Hussein, der bestrebt ist, die internationalen Sanktionen gegen den Irak zu durchbrechen; Yemen, wo ein amerikanisches Kriegsschiff kürzlich angegriffen wurde; die Golfstaaten, die reichsten Länder in der Region - jedes dieser Länder könnte in den Strudel der Auseinandersetzungen gezogen werden. Sogar in entfernteren Ländern, wie z. B. in Frankreich, wenden arabische and moslemische Gemeinschaften bereits ihrer Wut gegen jüdische Einrichtungen - mit lokalen Antisemiten, die auf den palästinensichen Zug aufspringen, obwohl sie selbst ant-iarabisch eingestellt sind.

Und es gibt keine Sicherheit, dass der Ausbruch von Unruhen unter den israelisch-arabischen Bürgern Anfang Oktober einmalig bleibt, insbesondere weil die damaligen Probleme weiterhin ungelöst sind.

Schlussendlich bleibt der Kern des aktuellen Konfliktes: die Erklärung der Palästinenser im Gaza-Streifen und der West Bank zum unabhängigen Staat nach mindestens 33 Jahre Besatzung. Sie beinhaltet die juristische wie die diplomatische Anerkennung der internationalen Gemeinschaft ebenso wie die volle Kontrolle über die Grenzen und das Staatsgebiet ohne Einschränkung durch Enklaven jüdischer Siedler. Die Option einer einseitigen Unabhängigkeitserklärung wird jedoch durch Bedenken der USA und  der Europäer blockiert. Ohne eine Vereinbarung mit Israel - die im Moment mehr als unwahrscheinlich ist - wird Palästina kaum in der Lage sein, seine Unabhängigkeit in naher Zukunft zu erklären.

Früher oder später wird es also wieder zu Verhandlungen zwischen Israel und Palästina kommen müssen. Selbst die dunkelsten Szenarien, in denen der Mittlere Osten in einen regionalen Krieg schliddert (über einige wurden jüngst in der Presse als Planspiele der Militärs berichtet,) müssen unausweichlich irgendwann in Verhandlungen enden. Eines kann aber mit einiger Gewissheit vorhergesagt werden: Wenn wieder Verhandlungen stattfinden, werden sie deutlich anders sein müssen als in den letzten sieben Jahren. Die palästinensische Seite wird selbstbewusster als vorher auftreten, und der israelische Verhandlungsführer wird zumindest etwas von der Arroganz einbüßen müssen, die die letzten Verhandlungen charakterisiert haben. Es wird der Tag kommen. an dem Israel erkennt, dass dies besser sein wird - gerade auch für Israel.