Drei Brücken über programmatische Mauern

Im Rahmen der Programmdiskussion wird durch Überlegung zur theoretischen Einordnung und zur praktischen Relevanz dreier Themen versucht, jeweils einen konkreten Formulierungsvorschlag zu unterbreiten

In der Linken geraten Programmdiskussionen meist zum Spielfeld von ›Verkündern‹. Die (Wahlkampf)Praxis bleibt dagegen eine Sammelstelle für antiintellektuelle Totschlagsargumente. Im folgenden will ich durch Überlegungen zur theoretischen Einordnung und zur praktischen Relevanz dreier ausgewählter Themen versuchen, jeweils einen konkreten Formulierungsvorschlag zu unterbreiten, um zumindest unfruchtbaren programmatischen Streit überwindbar zu machen.

Sozialismus und Individualität

Karl Marx nahm schon für den Kapitalismus an, daß das Kapital die Lohnarbeit über die Grenzen ihrer Naturbedürftigkeit hinaus treibe und so die materiellen Elemente für die Entwicklung der reichen Individualität schaffe, die ebenso allseitig in ihrer Produktion als auch Konsumtion ist. Seiner Auffassung nach brauchte der Sozialismus hier nicht zurückzustecken. Im Gegenteil: Durch die Vergesellschaftung der bislang zerstörerischen Produktionsmittel entstünde die Möglichkeit, daß sich Individualität bei allen herausbilden könne, ohne daß Uniformität entstünde. Und Brecht notierte im Me Ti sinngemäß, daß erst wenn alle auf der gleichen Höhe stünden, die verschiedenen Formate der Menschen sichtbar würden. Dafür gab es im realversuchten Sozialismus allerdings kaum ökonomische und politische Voraussetzungen.
Im entwickelten Kapitalismus bleibt bei aller Individualisierung der Lebenskonzepte dennoch ein hohes Maß an struktureller und an persönlicher Abhängigkeit der Individuen untereinander - die sich bei weiterer Ausdünnung der gesellschaftlichen Solidarsysteme auch vergrößern kann - bestehen. Vor diesem Hintergrund in bezug auf den real existierenden Sozialismus ausschließlich als von etwas Gescheitertem zu sprechen ignoriert, daß er eben keine bürgerliche Ausgangsbasis hatte, in der die Lohnarbeit über die Grenzen der Naturbedürftigkeit hinaus getrieben war. Es ist also angemessener, von einem verzweifelten Versuch der Abkopplung vom Weltkapitalismus zu sprechen. Für einen ›tatsächlichen‹ Sozialismus fehlten die entscheidenden Voraussetzungen. Vor allem fehlte die vorherige Herausbildung einer bürgerlichen Demokratie, aus der heraus eine weitergehende, proletarische, hätte entwickelt werden können. Anders gesagt, das, was es an Sozialismus in der Sowjetunion trotz unzureichender Voraussetzungen gegeben hat, wurde für entwickelte Verhältnisse, wie sie im Westen herrschten und herrschen, kaum relevant. So wenig wirkungsvoll es damals war, wenn Kommunisten Linke im Westen auf die Sowjetunion und das Leninsche Konstrukt einschwören wollten, statt sich auf Solidarität zu beschränken, so anachronistisch ist es heute, wenn ihre Nachfolger (teilweise dieselben Personen, nur auf andere Mächte fixiert) ihre feindselig-antithetische Fixierung an das sowjetische Modell wieder zur einzig wahren Richtschnur, auch für Westlinke, machen wollen.
Wir entscheiden heute, ob die Sowjetunion morgen als gescheitertes finsterkriminelles System oder als legitimer antikapitalistischer Versuch im Bewußtsein der Menschheit bleibt. Diejenigen, die eine brutale Diktatur des transnationalen Monopolkapitals als alternativlos hinstellen, dürfen natürlich keine ermutigende Geschichtsschreibung des Aufbegehrens zulassen. Sie wollen, daß allein das Scheitern wahrgenommen wird, damit jedes Aufbegehren auf ewig entmutigt bleibt. Aber nicht nur darum haben die heutigen, als sachliche Mächte entmenschten Finanzmärkte etwas mit der Geschichtsschreibung seit der Oktoberrevolution zu tun. Denn in allen noch nicht ausgehöhlten Tarifverträgen und Sozialstandards, in parlamentarisch demokratischen Rechten wie auch im Grundgesetz wirkt der versuchte Sozialismus antipodisch fort, weil selbst westdeutsche Kapitalherrschaft sich einst, gleichsam vorbeugend, auf derartige Zugeständnisse einlassen mußte. Deshalb ist der Streit um eine ›wahrhafte‹ Geschichtsschreibung mit den aktuellen Kämpfen für soziale Gerechtigkeit verbunden.
Der emanzipative Aufbruch der Oktoberrevolution konnte nicht stabilisiert werden. Da die ökonomische Konkurrenz mit dem seiner Natur nach dynamischeren kapitalistischen System nicht zu gewinnen war, hätte auf die Dauer (zumindest über mehrere Generationen) eine Stabilisierung nur mittels einer wirklichen Demokratisierung erreicht werden können. Hier ist also umgekehrt zu argumentieren als in der frommen Lüge, durch mehr Demokratie (etwa mehr betriebswirtschaftlicher Transparenz) wäre der Wettbewerb der Gesellschaftsmodelle auch ökonomisch gewonnen worden. Die ökonomische Unterlegenheit der Sowjetunion gegenüber den USA - oder der DDR gegenüber der BRD - wären durch mehr Demokratie allenfalls partiell ausglichen und damit aushaltbarer geworden. Insofern war der von Ulbricht geprägte Slogan "überholen ohne einzuholen" nicht das Dümmste aus den Führungskommuniques des sozialistischen Lagers. Dahinter verbirgt sich nämlich die (mutige) Einsicht, daß der ›Systemwettbewerb‹ gemessen an technologischen Parametern gar nicht zu gewinnen war. Die solidarischeren Gesellschaften hätten durch mehr Demokratie, ein besseres Gesundheitssystem - und vor allem durch einen ganz anderen Glücksentwurf - verteidigt und weiter entwickelt werden können.
Das ist eine wichtige Feststellung, weil viele Entwicklungsländer heute eigentlich auch keine andere Perspektive haben, als sich abzukoppeln. Die Sowjetunion ist aus dieser Sicht am vollkommen weltfremden Wahn ihrer Führer untergegangen, den Westen technologisch einholen zu wollen. Ob beispielsweise der Rüstungswettlauf notwendig war, muß eine offene Frage bleiben. In Zukunft muß Rußland jedenfalls ohne dieses ›Ventil‹ auskommen. Ob das möglich und gut ist, wird sich erst noch zeigen.
In der historischen Aneignung der Oktoberrevolution lebt das Verhältnis der Linken in entwickelten zu der in ärmeren Ländern als Solidarität fort. Eine allzu gedankenlose Distanzierung vom Mauerbau könnte in Zukunft das Verständnis dahin dogmatisch versperren, wo eine ökonomisch unterentwickelte Region - um mehr Demokratie, mehr Ökologie, mehr Kulturausgaben, mehr Soziales zu wagen - sich abschottet oder etwa die Abwerbung der vom Monopolkapital bevorzugten Kräftigen, Jungen, teuer Ausgebildeten verhindern wollte.
Als Textbaustein für einen entsprechenden Abschnitt des PDS-Programms käme also folgendes in Betracht: Der realversuchte Sozialismus hat das Bild eines erzwungenen Konformismus hinterlassen, das oft nicht weit von den Klischees seiner Feinde entfernt war. Dies lag auch daran, daß er sich vor allem in jenen Teilen der Welt herausbilden konnte, in denen noch kein Kapitalismus "die Lohnarbeit über die Grenzen ihrer Naturbedürftigkeit hinaus" (Marx) getrieben hatte und in denen auch die politische Emanzipation der Individuen noch unentwickelt war. Der zentralstaatlichen, von Bürokraten gesteuerten Massenproduktion entsprach eine gewisse Entmündigung der Citoyens in politischer und kultureller Hinsicht. Da in den Jahren zwischen 1917 und 1989 aber enorme Fortschritte in der Bildung und Ausbildung der Menschen erzielt wurden, vergrößerte sich unablässig ein Widerspruch zwischen immer mehr gewußter, potentieller, aber immer weniger real lebbarer Individualität. Dennoch wäre es falsch zu behaupten, daß es im versuchten Sozialismus keine Entwicklung der Individualität gegeben hätte. Alle Bürgerinnen und Bürger hatten durch ihre Arbeit einen weitgehend legitimen Anteil am Sozialprodukt. Wenn dieses auch gering gewesen sein mochte, so war doch immerhin gewährleistet, daß es keine existentiellen Abhängigkeiten zwischen den Individuen gab, so zum Beispiel auch nicht zwischen Mann und Frau. Dies ermöglichte auf bescheidener materieller Basis eine individuelle Lebensgestaltung und praktische Solidarität mit all jenen, die nicht arbeiten können - wie Kinder, Rentner und Kranke. Die rigorose Abschottung durch ein brutales Grenzregime erschien als politischer Preis.

Profitdominanz, Stamokap und Genua

Seit den siebziger Jahren dauert der durch labiles Wachstum, niedrige Akkumulation und Massenarbeitslosigkeit gekennzeichnete strukturelle Umbruch des Kapitalismus an. Die mit den modernen Kommunikations- und Informationstechnologien zusammenhängenden Veränderungen eröffnen erhebliche Potentiale zur Produktivitätssteigerung, die unter kapitalistischen Bedingungen allerdings zu massiver Arbeitsplatzvernichtung führen und Konzentrationsprozesse verstärken. Eine Deregulierung der Arbeitsmärkte leistet der Herausbildung von Billiglohnsektoren sowie der Ausbreitung ungesicherter Arbeitsverhältnisse (jeder sechste in Europa ist inzwischen befristet), dem schrittweisen Abbau des "Sozialstaats" und der Umverteilung der Einkommen von unten nach oben in einem bisher für Europa ungekannten Ausmaß Vorschub. Sie geht einher mit einer Umorientierung auf kurzfristigen Gewinn aus Aktien- und Börsengeschäften. Das Monopolkapital weitete in den neunziger Jahren durch eine Fusions- und Übernahmewelle seinen transnationalen Aktionsradius aus und drückt andere nichtmonopolistische Unternehmen immer tiefer unter sich. Die Spaltung der Wirtschaft in marktbeherrschende Konzerne und Großbanken einerseits sowie in kleine und mittlere Unternehmen auf der anderen Seite vertieft sich täglich. Während letztere sich zumeist in einer ruinösen Niedrig-Preis-Konkurrenz behaupten müssen, stehen ihnen transnational operierende Monopole gegenüber, die in strategischen Allianzen kooperieren, den Zulieferern und Abnehmern die Preise diktieren und über massiven politischen Einfluß verfügen, der vor allem dazu verwandt wird, der heutigen Gesellschaft wie auch künftigen Generationen ihre Vor-, Ent- und Nachsorgekosten aufzubürden. Gewinnrekorde des Monopolkapitals gehen mit jährlich steigenden Insolvenzzahlen bei Kleinhändlern und -produzenten einher. Stehen den Großkonzernen hochliquide internationale Kapitalmärkte als günstige Finanzierungsmöglichkeit zur Verfügung, so sind die mittelständischen Unternehmen weitgehend auf die Kreditkonditionen einer immer kleineren Zahl von Geldinstituten angewiesen.
Ein beherrschender Grundzug der jüngsten Entwicklung des Kapitalismus ist die außerordentliche Beschleunigung der Internationalisierung von Wirtschaftsprozessen ("Globalisierung"). Die Entwicklungsländer - vor allem auf dem afrikanischen Kontinent - bleiben Rohstofflieferanten und werden weiterhin durch den Schuldendienst ausgeplündert. Die Kluft zwischen dem ärmsten und dem reichsten Fünftel der Weltbevölkerung hat sich in den zurückliegenden vierzig Jahren verdreifacht. Allerdings konzentriert sich die wachsende Internationalisierung vor allem auf die drei Machtzentren USA, Europäische Union, Japan.
Die internationalen Finanzmärkte sind Teil dieser kapitalistischen Internationalisierungsprozesse - mit wachsendem Eigengewicht und Eigenleben. Hohe Profite, wegen stagnierender Massenkaufkraft mangelnde Rentabilität von produktiven Investitionen sowie die wachsende Einkommenskonzentration in den Industrieländern versorgen sie mit immer neuer Liquidität. Auf diesem Weg ist eine beispiellose Pyramide fiktiven Kapitals entstanden, das dem internationalen Wirtschaftsleben seine Logik aufzwingt. Institutionelle Finanzgiganten, deren disponible Vermögen selbst die Haushalte großer Industriestaaten übertreffen, beherrschen das weltweite Geldgeschäft. Obgleich diese Vermögenswerte als solche rein virtuell sind, konzentrieren sie Macht in den Händen ihrer monopolkapitalistischen Dirigenten (Großbanken, Brokerhäuser, Fonds, Versicherungen, Großkonzerne der verschiedenen Branchen). Abrupte Umschichtungen aus Wertpapierfonds und Währungen können verheerende realwirtschaftliche Folgen haben, indem sie Unternehmen und ganze Volkswirtschaften in die Zahlungsunfähigkeit treiben, wie die Krisen in Südostasien, Brasilien und Rußland gezeigt haben und wie sich in der Türkei gerade zeigt. Die globale Schulden- und Vermögenspyramide mit ihren eingebauten Selbstverstärkungsmechanismen ist eine ständige Quelle von Instabilität und birgt die latente Gefahr einer globalen Finanzkrise mit den entsprechenden realwirtschaftlichen Auswirkungen in sich. Wer auf diese unberechenbaren Börsenbewegungen seine Rentenreform gründet, baut wissentlich auf spekulativem Sand. Der transnationale Aktionsradius der Konzerne und die Möglichkeit von unregulierten globalen Kapitaltransfers konstituiert eine politische Macht, die noch nie dagewesene Züge einer globalen Diktatur aufscheinen lassen. Wer Standorte gegeneinander ausspielen kann, wer darüber entscheidet, wo Betriebe ausgebaut oder geschlossen, wo Arbeitsplätze erhalten oder vernichtet werden, welche Währung steigt und fällt, wo Tropenwald zur Wüste wird, welche Regionen durch Hunger, Bürgerkrieg oder Seuchen entvölkert werden, hat eine starke politische Position, um die eigenen Interessen durchzusetzen. Dem kommt die enge Verflechtung von staatlichen und wirtschaftlichen Institutionen entgegen. Lobbyisten großer Konzerne beeinflussen maßgeblich die Arbeit der EU-Gremien in Brüssel wie auch die der einzelnen nationalen europäischen Parlamente. Von ihnen geht ein erpresserischer Privatisierungsdruck auf Staatsbetriebe, öffentliche Sparkassen und andere demokratisch mitbestimmbare Unternehmensformen aus. Die Internationalisierung des Wirtschaftslebens hat nationalstaatliche Politik nicht machtlos gemacht; sie hat aber eine Re-Regulierung der Tätigkeit der transnational operierenden Monopole erschwert. Um Spielräume auszuschöpfen, bedarf es einer Verschiebung gesellschaftlicher Kräfteverhältnisse durch Auf- und Ausbau von Gegenmacht. Grundlegend andere politische Prioritäten werden sich allerdings nur durchsetzen lassen, wenn theoretisch-programmatisch exakt die Widersprüche, selbst die kleinsten Risse mit und zwischen dem Monopolkapital und anderen Formen des Kapitaleigentums gefunden - und genutzt - werden.
Zu den Faktoren, die das Scheitern des realen Sozialismus begünstigten, werden heute die Anfang der siebziger Jahre in der DDR vollzogene Verstaatlichung von Versorgungswirtschaft, Handwerk und Handel, wie sie im Grunde schon in der Neuen Ökonomischen Politik und vor allem im Neuen Ökonomischen System der Planung und Leitung widerlegt waren, gezählt. Aber auch die Linke im Westen hat im Umgang mit kleinen und mittleren Unternehmen zumeist alte Ängste nicht abgebaut und neue Ängste verstärkt. Um aber weltweit die Macht der ›Transnationalen‹ einzudämmen, bedarf es in den einzelnen Staaten einer breiteren Massenbasis, als sie die Linke je hatte. Die besonders in der Jugend wachsende Bewegung der Globalisierungsgegner" kann, anknüpfend an die Interessen von Gewerkschaften und kleineren Unternehmen, eigene Gewichte setzen gegen die Entmarktung, Entmachtung und Enteignung nichtmonopolistischer Unternehmen und Selbständiger durch große Konzerne und Banken. Daraus kann eine internationale "Unidad Popular" wachsen.
Die PDS muß einen programmatisch-theoretischen Ansatz finden, mit dem eine antimonopolistische Mittelstandsoffensive von links" eingeläutet werden kann, aus dem heraus der historische Schnitt in die Bourgeoisie unterhalb des Monopolkapitals gelingen kann. Dabei
geht es zuallererst um die Förderung von Kleinunternehmen, aber auch darum, ein partnerschaftliches Verhältnis zwischen der Linken und solchen mittleren Unternehmen auf lange Sicht zu etablieren, die der deutschen staatsmonopolistischen Politik jährlich über 40 000 Konkurse und Insolvenzen "verdanken". Kleine und mittlere Unternehmen (KMU), die nach der Definition der EU-Kommission bis 250 Mitarbeiter und bis 20 Millionen Euro Jahresumsatz
haben können, erzeugen in Deutschland die Mehrheit der Wertschöpfung und bieten die meisten Ausbildungs- und Arbeitsplätze. Es ist also gleichermaßen links wie auch modern, an die große Debatte der französischen Linken Mitte der siebziger Jahre anzuknüpfen. Sozialisten und Kommunisten hatten sich damals auf eine gewisse Mindestanzahl von Konzernen und Großbanken verständigt, deren Enteignung die nationale und transnationale "Dominanz des Profits" perspektivisch überwinden helfen kann, ohne dabei generell den Gewinn als Stimulanz für privatwirtschaftliche Effizienz auf einem demokratisch gerahmten Markt zu diskreditieren. Die Idee des maßgeblich von den Gebrüdern Brie und von Dieter Klein verfaßten Programmentwurfs, die Profitdominanz zu überwinden, ohne den Gewinn durch generelle Verstaatlichung zu eliminieren, ist dann richtig, wenn Profitdominanz mit konkreten kapitalistischen Eigentumsverhältnissen korrespondierend, aber nicht neben oder über diesen gesehen wird.
Mit einem solchen programmatischen Ansatz des transnationalen Monopolkapitalismus lassen sich die für eine tiefgreifende Reformpolitik zu vergesellschaftenden Kapitalien auf ein strategisches, vom Grundgesetz (Artikel 14 und 15) gedecktes Mindestmaß einengen. Der ewigen Platitüde, Vergellschaftung sei gleich Verbeamtung, kann konkret widersprochen werden. Viele öffentlich rechtliche Anstalten (etwa die ARD, Sparkassen usw.) haben parlamentarisch kontrollierbare Aufsichtsräte und sind dennoch betriebswirtschaftlich effizient. Wenn die PDS fordern würde, daß in ARD-Aufsichtsräten althergebrachte Institutionen wie zum Beispiel Hochstift gegen neuere wie Greenpeace oder Amnesty International ausgetauscht würden, kann dies eine interessante öffentliche Debatte über Wirtschaftsdemokratie eröffnen. Warum soll die Deutsche Bank nicht auch öffentlich rechtlich kontrollierbar sein? Im übrigen muß der Staat unternehmerischer werden, wo Unternehmen verstaatlicht werden sollen.
Die Angst vor Enteignung kleinen und mittleren Eigentums müssen wir aus der Gesellschaft herausnehmen. Dies ist nicht nur nötig, um Wahlen zu gewinnen und außerparlamentarisch breit gegen den Neoliberalismus zu mobilisieren, sondern auch, um eine glaubwürdige, völlig neuartige Konzeption zum Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft verbreiten zu können. Dies wird nur machbar durch einen von links zu denkenden und bündnispolitisch zu praktizierenden historischen Schnitt ins Unternehmertum, der zwar das Gewinninteresse noch für lange Zeit als Motiv für Kreativität, "check and ballance" und betriebswirtschaftliche Kosten-Nutzen-Ermittlung anerkennt, gleichzeitig aber jenes Monopolkapital, das notwendigerweise aufgrund von Tätigkeitsfeld und strukturell vorgegebener Strategie an Hunger, Krieg, Klimaveränderung und Massenarbeitslosigkeit profitiert, in historischer Perspektive zu enteignen vorsieht.
Einige Positionen zu kleinen und mittleren Unternehmen, die im Rahmen der Programmdebatte relevant sind und schon bei OWUS und in der PDS diskutiert werden, sollen hier angemerkt werden. Zu Problemen der klassischen Klein- und Mittelbetriebe treten die Probleme der sogenannten Scheinselbständigen, die zwar vor dem Steuerrecht selbständig sind, aber in Monobeziehung zu einem Betrieb (meistens ihrem früheren Arbeitgeber) stehen. Die PDS muß für Selbständige den freiwilligen Zugang zu einer staatlichen Arbeitslosenversicherung und generell eine Rentenversicherung auf der Basis der Wertschöpfung fordern. Die Kommunen müssen in die Lage versetzt werden, mittels atypisch-stiller Beteiligung für Existenzgründer-Darlehen zu bürgen, besonders wenn das Unternehmen regional von hoher Beschäftigungspolitischer und generell von hoher ökologischer Bedeutung ist. Die PDS fordert zudem die Wiedereinführung der kommunalen Investitionspauschale (drei Milliarden DM) für strukturschwache Regionen. Die Länder haben die öffentlich-rechtlichen Sparkassen ausdrücklich für diese Rolle zu stärken, statt sie, wie in Berlin und anderswo, zum Abschuß freizugeben. Den geplanten Rating- und Ranking-Agenturen (Basel II), die künftig weltweit und computergestützt vom "global-player-Standpunkt" die Kreditwürdigkeit kleiner Unternehmen festlegen, sind regionale, öffentlich-rechtliche Förderagenturen entgegenzusetzen, in denen auch nach gesellschaftlichem, ökologischem, kulturellem und volkswirtschaftlichem Nutzen entschieden wird. Für Existenzgründer sollte die Kammermitgliedschaft in den ersten drei Jahren gebührenfrei sein. Die PDS fordert darüber hinaus die (Umsatz- und Körperschafts) Sollbesteuerung erst bei Zahlungseingang und nicht schon mit Rechnungsstellung. Für lohnintensive und ökologisch wichtige Handwerks- und mittelständische Betriebe wäre die Mehrwertsteuer zu halbieren oder ganz zu streichen. Die von der PDS ohnehin geforderte Ausbildungsumlage als auch die Umstellung des Arbeitgeberanteils von Bruttolohnbezogenheit auf Wertschöpfung sind Instrumente zur Stärkung von kleinen und mittleren Firmen und zur Mehrbelastung monopolkapitalistischer Unternehmen. PDS-Politiker engagieren sich auf allen Ebenen für genossenschaftliche Vernetzung von KMU. Da die Gemeinden Verfügungsberechtigte von Werbeflächen sind, werden sie Netzwerken kleiner und mittlerer Unternehmen kostenarm angeboten. Bei Ausschreibungen müht sich die PDS um einen Vorrang regionaler Anbieter-Netzwerke.
Mit einer modernen marxistischen Theorie des Monopolkapitals könnten kleinbürgerliche Ängste abgebaut werden. Gleichzeitig wird die Strategie der Demokratisierung von Wirtschaft zunächst auf sehr großes Kapital konzentriert. Der politische Einfluß der Deutschen Bank, einiger Konzerne wie Daimler Chrysler und BMW etc. kann gleichzeitig zurückgedrängt, das Depotstimmrecht gekippt (was zum Teil die Bankenübermacht bewirkt), die Aufsichtsratsposten in Richtung Null reduziert und das "Universal-Banking", das das deutsche Bankensystem von nahezu allen in der Welt unterscheidet, überwunden werden. Gleichzeitig müssen solche Kreditinstitute gestärkt werden, die tatsächlich Risikokapital, Existenzgründerdarlehen etc. gewähren. Eine solche dialektische Doppelstrategie einer sozialistischen Partei kann einen populären Antikapitalismus mit einer Offensive zugunsten der kleinen und mittelständischen Firmen zu einem attraktiven Alleinstellungsmerkmal unter den anderen Parteien ausbauen. Deswegen hat die theoretisch-programmatische Diskussion durchaus auch für Kommunalpolitiker, Gewerkschafter und Parlamentarier einen sehr praktischen Nutzen.
Als Textbaustein für einen entsprechenden Abschnitt des PDS-Programms käme daher folgendes in Betracht: Mit der Herrschaft der Monopole durchdringt die Profitdominanz heute auch alle nichtökonomischen gesellschaftlichen Bereiche. Sämtliche kommunistischen Parteien der Welt haben weniger kleines und mittleres Privateigentum enteignet als das Monopolkapital. Waren diese Kleinunternehmen weitgehend auf Binnenkaufkraft, Einhaltung von Tarifverträgen, nationale Abgabe- und Sozialverordnungen angewiesen, so bedeutete ihre Verdrängung durch das Monopolkapital eine weitere Entsozialisierung von Eigentum, das heißt, es gibt immer weniger Menschen mit ökonomisch verwertbarem Eigentum. Diese Profitdominanz zurückzudrängen heißt, die Privatisierungen zu stoppen und größtenteils rückgängig zu machen, kann aber auch die Stärkung der Gewinne kleiner und mittlerer Unternehmen bedeuten. Eine Überwindung der Profitdominanz zielt auf die vollkommene Demokratisierung des Eigentums jener übermächtigen ökonomischen Akteure an Ressourcen, Produktionsmitteln und Gütern, die für die künftige Entwicklung einer zivilisierten Menschheit von strategischer Bedeutung sind.
Gegen die enteignende Macht des transnationalen Monopolkapitals steht die PDS bei den Arbeitenden und Arbeitslosen, bei den Kleinunternehmen und Genossenschaften, bei den öffentlich-rechtlichen Anstalten und sozial zu sichernden Selbständigen für starke staatliche Unternehmen und einen sozial verantwortlichen unternehmerischen Staat - mit einem Wort: für eine plurale, bunte Wirtschaft und gegen die graue Macht des großen Geldes.

Opponieren und Mitregieren nach dem italienischen Desaster

Auch wenn es ums Mitregieren geht, stößt man im linken Lager seit jeher auf eine Mauer, die modern überbrückt werden muß. Sowohl die Kritiker des Parlamentarismus von vermeintlich weit links müssen aus ihrer Verweigerungshaltung geholt werden, wie auch allzu blauäugige Befürworter und Nutznießer von Mitte-Links-Regierungen zu einer neuartigen linken Kultur im Amt gelangen müssen. Die Dialektik, die uns auf die Spur einer Lösung führen kann, klingt schon beim italienischen Kommunisten Palmiro Togliatti an, der "die Wende von Salerno" der Kommunistischen Partei Italiens und seinen Eintritt in die mit Mussolinis Inhaftierung 1943 vom faschistischen Großrat gesetzte Regierung unter Badoglio, dem "Schlächter von Abessinien", 1944 mit einer neuen Qualität der Widerstands- und Partisanenbewegung begründet hatte, nämlich "aus der Regierung zu opponieren und zu regieren aus der Opposition". Die Strategie Togliattis ist lehrbuchreif: sie folgte eben nicht der naheliegenden jugoslawischen Partisanenlogik, wie es die Griechen unter riesigem Blutzoll taten, sondern zielte "im Westen Jaltas" auf neue Breite und nicht auf sofortigen, kommunistischen Umsturz.
Während "Regieren aus der Opposition" durchaus vorstellbar ist, läßt sich "Opponieren aus der Regierung" schon schwieriger deuten. Eines bedeutet es jedenfalls nicht. Die Übernahme jener sozialdemokratischen Grundtendenz, die darin beruht, aus den Ämtern heraus zu demobilisieren und mit einem Regierungseintritt alle Optionen hinter den Parlamentarismus und seine Ausschußtüren zu sperren. Die allgemeine demobilisierende Grundtendenz der SPD geht einher mit einer derart tiefen Einbindung ins jeweilige Regierungsamt, mit einer so verinnerlichten Überidentifikation mit den neuen privilegierten Visitenkarten, daß jede unpopuläre Maßnahme populär geredet, jeder soziale Einschnitt in den Alltag der Regierten schön gemalt, jedes Haushaltsloch hinter verschlossenen Türen einem Deckungsvorschlag, also dem Aufreißen neuer Etatlücken zugeführt wird. Diese offensichtlich spontan aus Amt und Funktion strömende, die Persönlichkeit formende, Leidenschaft absorbierende Tendenz, von der Karl Krauss einst sagte, die Sozialdemokratie sei "eine staatlich lizenzierte Anstalt zum Verbrauch revolutionärer Energien", gipfelt im Verzicht auf außerparlamentarische Aufklärung und Druck. So wie die Regierenden von den neuen Ämtern einvernommen wurden, trachteten sie darauf, ihre Basis einzuvernehmen. Dies aber führte zum Exitus zahlreicher Mitte-Links-Regierungen.
Die italienische Linke, allen voran die aus der Kommunistischen Partei stammende Partito Democratico della Sinistra (Partei der Demokratischen Linken - PDS; im Februar 1998 umbenannt in Democratici di Sinistra, Linke Demokraten - DS), entschied sich überwiegend für diesen sozialdemokratischen Weg. Sie exekutierte den NATO-Überfall auf Belgrad, schuf dafür sogar die Akzeptanz der linken Gewerkschaft CGIL, stellte die Bildungsfinanzierung zu einem Großteil auf Privatschulen um, brach dann durch den Ausbau befristeter Arbeitsverhältnisse, Steuersenkungen und Abbau sozialer Sicherungen auch mit gemäßigten Gewerkschaften und verhedderte sich - von rechts getrieben - restlos in der Arbeitgeberdemagogie von der Lösung des Staats "aus jeder Einmischung in die Wirtschaft". Deshalb hat, wie es die populäre Marxistin Rossana Rossanda beschreibt, "die Linksregierung das größte Staatsvermögen des gesamten Kontinents verkauft, oftmals sogar verramscht" (Neues Deutschland vom 31. Mai 2001). Der italienische Kommunistenchef Fausto Bertinotti (Rifondazione Communista) ist eine der ganz wenigen charismatischen Persönlichkeiten, die einen Gestaltungsanspruch der Hunderttausenden Globalisierungsgegner (auch der nicht- und anti-kommunistischen!) verkörpern. Er hat diese erhebliche Bedeutung in der italienischen Gesellschaft kurioserweise dadurch erreicht, daß er aus der Mitte-Links-Regierung austrat. Schließlich ging die Rifondazione Communista als einzige linke Kraft gestärkt aus den Wahlen hervor. Auch die Regierungsmitwirkung der Kommunisten in Spanien und Frankreich hat zu Wahleinbrüchen und zu einer scharfen Auseinandersetzung um eine "neue Regierungskultur" geführt.
Auch die Mitwirkung der bundesdeutschen PDS in nordöstlichen Länderregierungen dürfte auf Dauer nicht frei bleiben von entsprechenden Gefährdungen. Die Mitte-Links-Option, wie sie in Cottbus beschlossen wurde, muß nach diesen negativen Erfahrungen anderer europäischer Länder geläutert werden, wenn sie Bestand haben will. Es gilt, programmatische Richtlinien für ein neues Regierungshandeln zu entwerfen und einzuüben, die eine neue Form der Mitgestaltung und gesellschaftlichen Opposition in dialektischer Einheit zu begründen vermögen. Regieren, politisches Gestalten in der Regierung, unterliegt Beschränkungen, zumal auf der Landesebene. Übergeordnete Instanzen und Koalitionspartner, aber vor allem ein monopolkapitalistisches Umfeld bedingen Kompromisse. Konkretes Regierungshandeln beinhaltet nicht nur, was (schon) durchgesetzt, sondern auch, was (noch) nicht erreicht wurde und weiteres Opponieren erfordert. Der Logik linkssozialistischer Regierungsverweigerer folgend, darf die PDS vor allem dort nicht mitregieren, wo besondere Haushaltsknappheit vorherrscht. Dies würde bedeuten, daß Sozialisten speziell in Regionen großer Armut, mit besonderer Kraft darauf hinwirken müßten, daß Kräfte rechts von ihr regieren, weil der Verteilungsspielraum zu eng wäre, der Linken keine Entfaltung in Regierungen ermögliche. Die Angst der linken Regierungsgegner besteht darin, daß bei großen Haushaltsdefiziten ihre "Genossen Regierungssozialisten" hernach mit außerordentlich großen Hoffnungen gewählt werden, dann aber entsprechend kleine Erfolge besonders schön reden und so am Ende besonders große Enttäuschungen nach sich ziehen.
Ein Konzept, das ein Mitgestalten von links ermöglicht, muß also auch auf defizitäre Haushaltssituationen hin gedacht sein. Wie wäre aus dieser Zwickmühle herauszukommen? Zunächst einmal durch das Einfache, das so schwer zu machen ist. "Wie Lassalle sagte, ist und bleibt die revolutionärste Tat, immer das laut zu sagen, was ist" (Rosa Luxemburg). Die Ursachen von Haushaltsdefiziten, die von übergeordneten Ebenen heruntergereicht werden, die großen Banken und Konzerne, die an diesen Defiziten durch übermarktmäßige Zinseinnahmen profitieren, die Verweigerung potentieller großer Steuerzahler im Süden Deutschlands offen zu erwähnen - alles das zählt zum "Opponieren in der Regierung".
Fallbeispiele dafür sind rar, aber es gibt sie. Der Hannoveraner Oberbürgermeister Schmalstieg, eine ansonsten nicht sonderlich mitreißende Persönlichkeit, hatte in seinen ersten Amtsperioden immer wieder linke Traditionswähler mobilisiert, indem er unter anderem seine Stadt zur Partnerstadt von Hiroshima machte und mit Manifesten gegen Atombewaffnung ausstattete. Die linkssozialistische hessische SPD hatte mit ihren kühnen Reformen "gegen Bildungsprivilegien" eine perspektivische Duftmarke gesetzt, die ihr fast 30 Jahre lang entsprechende eigene Wählermobilisierung besonders in Stammbezirken sozial Benachteiligter mit absoluten Mehrheiten brachte, welche erst mit dem Ende des Reformeifers zusammenbrachen. Der Bürgermeister von Porto Allegre läßt - als Modell partizipativer Parlamentsarbeit - über die wenigen verfügbaren Mittel in Stadtteilversammlungen mitbestimmen - und genießt breite Popularität. FidelCastros auch unter kargen Lebensumständen in Kuba unverminderte Beliebtheit rührt auch aus einem guten Stück "Opponieren aus der Regierung". Castro stand von Anfang an an der Spitze einer Bewegung gegen die Überschuldung der ›Dritten Welt‹ und gegen die deregulierten Finanzmärkte. Es ist also kein ehernes Gesetz, daß linken Regierungen immer mittelfristig der Unmut der Regierten um die Ohren fliegen muß, wenn sie ehrlich und verständlich auf die wahren über-regional, national und transnational erzeugten Ursachen hinweisen.
Bisherige Regierungsverweigerer und bisherige Regierungsbefürworter sind gemeinsam aufgerufen, beim Projekt "Regieren aus der Opposition - Opponieren aus der Regierung" kreativ zusammenzuwirken, um aus der Zwickmühle zu kommen, in der die Wähler zwar einerseits nicht Sozialisten in Regierungen wählen, um sie dort mit besonderen Privilegien auszustatten und am Ende besonders enttäuscht dazustehen, andererseits sie aber auch nicht wählen, damit dem Hungernden nur die Speisekarte vorgehalten wird, ohne dass wirklich zur Mobilisierung und zum Einmischen in die eigenen Angelegenheiten aufgerufen wird. Die sozial Betroffenen wählen Linke nicht nur nach oben, damit die nur irgendwie regieren. Sie wählen diese aber auch nicht, damit sie sich nur irgendwie verweigern. Beides hinterläßt ähnliche Enttäuschungen und beides hat in der Geschichte der europäischen Linken zu ähnlichen dramatischen Wählereinbußen geführt. Die systematische Einbeziehung einer außerparlamentarischen Bewegung ist also das ›missing link‹, das bei einer geläuterten Mitte-Links-Strategie aus dem bisherigen Scheitern grundlegend neue Schlüsse zieht und innovativ und kreativ das bisherige Regierungshandeln von Sozialistinnen und Sozialisten mit neuen Instrumenten ausstattet; selbst dann, wenn die Haushaltslage nur eine kleine Verfügungsmasse ›hergibt‹.
Als Textbaustein für einen entsprechenden Abschnitt des PDS- Programms bietet sich also folgendes an: Regieren - auch verstanden als (in kleinen Schritten) gestaltetes Opponieren gegen eine undemokratische Weltwirtschaftsordnung - sowie der Ausbau außerparlamentarischer Bewegung gegen die Profitdominanz - auch verstanden als Anspruch auf Mitgestaltung und Umbau der Macht - sind für uns die zwei untrennbaren Seiten einer Partei, die den Auftrag unseres Grundgesetzes zur demokratischen Willensbildung und zum Werben für echte Alternativen in der Bevölkerung ernst nimmt. Sozialistinnen und Kommunisten, aber auch Grüne in Westeuropa haben jahrzehntelang demonstriert, wie kämpferisch und kreativ aus der Opposition in mächtige Institutionen "hineinregiert" werden kann. Direkte Regierungsbeteiligungen haben dann aber oft an ihrer Kraft gezehrt, weil die Ursachen von Haushaltszwängen und finanziellen Engpässen verschwiegen, Niederlagen in Siege umgemünzt und die potentielle Wählerschaft demobilisiert wurden. In der internationalen Linken hat es aber auch Beispiele gegeben, wo durch Mitregieren ein Mehr an Opposition gegen soziale Ungerechtigkeit, eine Ermutigung der Betroffenen, sich in ihre eigenen Angelegenheiten einzumischen, bewirkt wurde.
Aus dem erfolgreichen Werben für linke Mehrheitsfähigkeit wird Mitgestaltung. Regierungsbeteiligungen werden dann für schrittweise Verbesserung und gleichzeitige Aufklärung über jene genutzt, die soziale Gerechtigkeit verhindern. Aus der Spannung zwischen Gestaltung und Opposition für demokratische Ziele entsteht die Notwendigkeit einer neuartigen Kultur des Mitregierens, die auch die modernen Kommunikationstechnologien als demokratische Potentiale nutzt. Für die PDS gibt es darum in Regierungskoalitionen keinen Maulkorb dafür, "immer das laut zu sagen, was ist" (Rosa Luxemburg) und mit dem Bonus eines öffentlichen Amts die Wählerinnen und Wähler auch außerparlamentarisch für Frieden und soziale Gerechtigkeit zu mobilisieren. Für die PDS birgt das Mitregieren in Koalitionen notwendigerweise auch immer völlig neue Chancen für einen qualitativen Zuwachs an Transparenz und Mobilisierung im nicht parlamentarischen Raum sowie für die Entfaltung partizipativer Demokratieformen. Dies gibt unserer Verfassung eine neue Wirklichkeit, die allen demokratischen Parteien auferlegt, über ihre langfristigen Ziele aufzuklären und für ihre tiefgreifenden Reformvorstellungen als außer-parlamentarische Willensbildung und Mobilisierung zu werben. So auch für ihre sozialisierenden Ziele der sozialistischen Partei, die sich streitbar zu unserem Grundgesetz bekennt, welches keine kapitalistische Gesellschaft vorgibt, aber einen in Gewaltenteilung, Parteienvielfalt, Friedensgebot und Sozialbindung gebauten Sozialismus möglich macht. Demokratisch antikapitalistische Mehrheiten überzeugen - auch das markiert die Scheidelinie zwischen SED und PDS.