"Empire": Einladung der Linken in eine neue konservative Revolution.

in (20.07.2002)

Wird sie folgen? Als uns vor mehr als einem Jahr der Text von Hardt/ Negri (im folgenden H/N) "Empire" zur Begutachtung für eine Publikation vorlag, machten wir aus unserer entschiedenen Ablehnung..

... keinen Hehl.Wir hatten Negri‘s Entwicklung nach rechts über die Jahre verfolgt. "Empire" lag im Trend. Was mich gleich überraschte, war die offene Art, in der sich nunmehr auch faschistoide Tendenzen andeuteten. Wir meinten, dies sei eine Zumutung für die Linke, sie würde den Text rechts liegen lassen. Tut sie das? Es gibt eine Diskurshype, die jetzt auch Deutschland erreicht hat. Viele sind unsicher, sie fühlen sich von H/Ns akademischen Inszenierungen erschlagen. Aus vielen Reaktionen wird deutlich, dass sie die Geschichte radikaler linker Theoriebildung der 70er und 80er Jahre nicht mehr ausreichend präsent ist, um die Veränderung und Kontraste bei H/N einordnen zu können. Viele mögen - von der Phase postmoderner Individualisierung ausgelaugt - einfach dem prophetischen propagandistischen Rausch von H/NÂ’s
Visionen über das kollektive Aufgehen in produktiven Gemeinschaftskörpern erlegen sein. Endzeitvisionen dieser Art:
"Produktion lässt sich nicht mehr von Reproduktion unterscheiden, die
Produktivkräfte verschmelzen mit den Produktionsverhältnissen; fixes
Kapital findet sich zunehmend innerhalb des zirkulierenden Kapitals,
in den Köpfen, Körpern und in der Kooperation der
Produktionsmaschine. Die gesellschaftlichen Subjekte sind zugleich
Produzenten und Produkte dieser Einheitsmaschine. In dieser neuen
historischen Formation lassen sich keine Zeichen, kein Subjekt, kein
Wert, keine Praxis mehr ausmachen, die "außerhalb" liegen." (S.392)
"Die Menge benutzt nicht nur Maschinen zur Produktion, sie wird auch selbst zunehmend zu einer Art Maschine, da die Produktionsmittel immer stärker in die Köpfe und Körper der Menge integriert sind." (S.413)

In der Tat: in dieser Beschwörung des Aufgehens aller und ihrer produktiven Kräfte im Gemeinschaftskörper der produktiven Gesamtmaschine liegt die Grundbotschaft des Buchs, es beginnt mit ihr und steigert sie zu poetisch-propagandistischem Rausch. Das riecht nach Braunem. Die Frage, wie weit dies auf einen neuen "postmodernen" Faschismus deutet, soll unten behandelt werden. Zunächst: wie kommen H/N zu dieser Verkündigung, was bedeutet sie und worin könnte der appellative Gehalt für die Linke liegen?

Der Weg in den Gemeinschaftskörper

Die Frage, welchen Weg H/N beschreiten müssen, um den Leser zu solchen Botschaften zu führen, ist eine Frage der Methode und Rhetorik. Wir wissen: der Blick macht den Gegenstand, die Methode das Ergebnis. Fängst du mit den kämpfenden Subjekten in ihrer Auseinandersetzung mit den Gewaltformen der Verwertung an, dann bleiben sie die Subjekte und du gelangst zu ihren Befreiungsperspektiven und -chancen. Fängst du mit dem Blick aus der Perspektive der Macht und Herrschaft an, dann verschwindet das Eigene der kämpfenden Subjekte unter dem Mantel von Souveränität, Kontrolle, Technologien und Gesamtvision. Negri ist ein geschulter Linker, mit allen rhetorischen Wassern gewaschen, Hardt vielleicht eine Schattierung plumper. Sie wählen den Blick von oben, ohne sich mit Fragen der Methode erst aufzuhalten, und dies mit einer geradezu unverschämten Penetranz. Schon die Überschriften prägen die Stempel auf die lesenden Gehirne und die Inhalte vertiefen dann nur die Prägung: Weltordnung, Modell imperialer Autorität, Hoheitsrechte, Passagen der Souveränität, Souveränität des Nationalstaats, die Dialektik kolonialer Souveränität, Netzwerk - Macht, imperiale Souveränität. Und wenn nach dem Einschleifen dieser Perspektive dann auch Menschen als "die Menge" (im Original: Multitudo (multitude)) in den Blick genommen werden, dann wähnt man den Leser didaktisch aufbereitet für die Propaganda des Aufgehens aller im Körper der produktiven Gesamtmaschine.

Trotz des gewaltigen Aufmarsches von Geistesgrößen der letzten Jahrtausende aus H/Ns bildungsbürgerlicher Reservearmee ist die rote Linie der Gedankenführung eher plump und simpel, ein kurzer dicker roter Filzstrich. Die Botschaft erscheint aus der linken (und auch rechten) Theoriegeschichte seltsam vertraut. Die Weltordnung des "Empire" nährt sich aus der Entfaltung der postmodernen Produktivkräfte -informatischer und aus immateriell-affektiver Arbeit gewonnener Vernetzung- zur vollen globalen Souveränität, um dann auf dem höchsten Stadium der Machtreife von der totalen Macht befreiter Arbeit als parasitär abgestreift zu werden und der Entfaltung und dem Aufgehen aller in der produktiven Gesamtmaschine Raum zu geben. Der grundlegende Widerspruch und Widerstand geht im Strom der gemeinschaftlichen Selbstverwertung auf, gibt die Form der Negation auf und wird begrifflich der "Ontologie" einverleibt, in Kategorien des Seins gefasst und getilgt: "Es gibt kein Außen mehr" (passim, insbes. 73-79).

H/N vertrauen zur Aufprägung dieser plumpen und dicken Linie nicht allein auf das Einschleifen der Herrenperspektive, der Perspektive der Souveränität und der Macht. Da sich das Buch an Linke wendet, die ja immerhin andere Perspektiven pflegen, müssen sie auch deren Vertreter und ihrer Begrifflichkeit Rechnung tragen, sie zumindest berühren. Und hier setzen sie atemberaubende Fälschungen und Manipulationen an, zentral die Umfälschung der Arbeiten Michel Foucaults, von dem sie den Begriff "Biopolitik" und "Biomacht" entlehnen und gegen dessen Intentionen um 180 Grad umwerten.

Das Empire als "apriorisches" Diktat

Das erste Kapitel prägt unmissverständlich in der schon angedeuteten rhetorischen Methodik den Blick von oben auf und damit den Charakter des
Zugangs zur Wirklichkeit. Der allererste Satz schon bläst die Leitmusik: "Empire (die wörtliche Übersetzung mit "Reichsidee" wird aus naheliegenden Gründen vermieden) ist als Untersuchungsfeld durch die simple Tatsache bestimmt, dass es die Weltordnung gibt." Gibt. Nicht, dass das Kapital versucht, den neuen Bewegungen und krisenhaften Prozessen eine Repressionsstruktur aufzuprägen, die sich ideologisch am Weltordnungsgedanken orientiert o.ä., nein: "Dass es eine Weltordnung gibt", dass sie ist, ontologisch. Diese Vorprägung wird im ersten Kapitel Schlag auf Schlag vertieft: die Verfasstheit des Empire wird als "Rechtsordnung" gesetzt und hier nehmen H/N folgerichtig bezug auf den Rechtspositivisten Hans Kelsen, mit dem sie das Recht in seiner reinen Positivität und durch keine Rechtfertigungsnotwendigkeit relativiert sehen wollen. Nichts gegen Kelsen, ich erinnere mich mit Vergnügen an die Diskussionen, die wir im Seminar von Albert Ehrenzweig im Berkeley der 68er Jahre mit ihm haben führen können. Aber da war keine Rede von der Machtperspektive, zu der Negri ihn vernutzt, zur Debatte standen die Antinomien der Theorie der "reinen Rechtslehre". Gewappnet mit soviel hoheitlicher Setzung von Recht und Ordnung setzen H/N positiv auch das "Empire" als Machtraum für das Anwachsen der produktiven Gesamtmaschine. Sie beziehen sich auf das imperiale Selbstverständnis des römischen Reichs und sagen, das "Empire" ist da, es setzt sich selbst oder, was dasselbe ist, H/N setzen es, im "Modell imperialer Autorität". Das "Empire" wird damit nicht nur als vorgefunden behandelt, das "imperiale Paradigma" wird als "Apriori des Systems" gesetzt, so, "als ob die neue Ordnung bereits konstituiert wäre" (S.30). Die Verwendung des Begriffs "Apriori" spiegelt das Machtdiktat wider. Er hat seinen Platz in der bürgerlich-philosophischen Grundlegung einer Metaphysik der Erkenntnis. Er bedeutet hier: logisch der Erfahrung vorangehend, von ihr unabhängig, nicht auf ihr beruhend, nicht durch sie gegeben, sondern unabhängig von ihr gewonnen, gesetzt, gültig, vielmehr selbst die Erfahrung bedingend. Was uns die philosophieerfahrenen H/N hiermit sagen, ist: Sie willküren die Idee des Empire, des Reichs und seiner expansiven Natur (dazu unten) zum unbedingten
Ausgangspunkt ihrer Darstellungen, unbedingt von Analysen, Erfahrungen, vom politischen Diskurs, unbedingt von Kämpfen, ihrer gesellschaftlichen Wirklichkeit, absolut eben. "Apriori" wird hier zum philosophisch-metaphysische Ausdruck für den Ausgangspunkt der von jeder Rechtfertigung und Rechtfertigungsdiskussion entfesselten Macht: "Der Formationsprozess, inklusive der in ihm handelnden Subjekte, wird von vorneherein in den positiv bestimmten Strudel des Zentrums gezogen, und der Sog ist schließlich unwiderstehlich. Der Sog geht nicht allein auf die Mittel des Zentrums zurück, Gewalt auszuüben, sondern auch auf die formale Macht, die ihm innewohnt, die Macht, totalisierend, systematisierend zu wirken." (S.30) Schon hier wird der Charakter einer Selbstentfesselung im Anspruch auf Gewalt deutlich. Es verwundert nicht, daß H/N bei der Frage der Praktiken zur Durchsetzung der Reichsidee und supranationaler Ordnung ohne Zögern und falsche Scham auf die Grundgedanken Carl Schmitt`s zurückgreifen, die seine Eignung und Karriere im nationalsozialistischen 3. Reich begründet haben: Die Theorie vom Ausnahmezustand. "Inneres und supranationales Recht sind durch den Ausnahmezustand definiert. Die Funktion der Ausnahme ist hier zentral." (S. 32) Wer Rechtstechnik und Definitionsmacht über den permanenten Ausnahmezustand usurpiert, setzt Polizei - und Interventionsrecht. Es mag sein, dass die Akzeptanz von Carl Schmitt in den USA weiter gediehen ist als hier, wo seine maßgebliche Funktion als verfassungsrechtlicher Vorbereiter und Mitbegründer des 3. Reichs nicht so schnell entsorgt werden kann. Was verblüfft ist, dass H/N sich auf Schmitt stützen, ohne die nationalsozialistische Funktion seiner Ideen zu problematisieren oder auch nur zu erwähnen.

Die Vergewaltigung des linken Foucault.

Jetzt erst, nachdem das Paradigma des "Empire" durch "apriorischen" autoritativen Akt gesetzt ist und wir "einen flüchtigen Blick auf Momente einer idealen Entstehungsgeschichte des Empire`s" (S. 37) geworfen haben, wenden sich H/N seiner Begründung in "materiellen Bedingungen" zu. Das ist so, wie wenn Marx die Bedingungen kapitalistischer Ausbeutung aus der Staatsidee hergeleitet hätte (wir wissen, wie heftig er seit seiner frühen Schriften ununterbrochen dagegen polemisiert hat). Es leuchtet ein, daß der Ausgangspunkt vom unbedingten, vom Apriori imperialer Gewalt auch hier keinen grundsätzlichen Widerspruch dulden kann. Und so ist es interessant, wie H/N auf diesem Hintergrund an die "materiellen Bedingungen" herangehen. Sie wählen hierzu die Arbeiten von Michel Foucault, sie wollen dessen Begriff der "Biomacht" als Vorstellung komplexer, umfassender sozialer Aktivität zum Kern des Empires entwickeln bis hin zur produktiven Gesamtmaschine aus Milliarden Körpern und Hirnen. H/N`s Zurichtung Foucault`s für diese Zwecke hat mir den Atem geraubt. In ihrer Verfälschung und Manipulation liegt ein Knotenpunkt für den Fortgang der Darstellung bis in ihren faschistoiden Ausdruck hinein und darum müssen wir uns etwas genauer damit beschäftigen.
Foucault hat den Begriff der "Biomacht" und "Biopolitik" entwickelt, um der Intensivierung der Machtbeziehungen im Wege der Durchdringung und Zurichtung der Gesellschaft mit Beginn der Aufklärung Rechnung zu tragen: in den Knästen die Machtdurchdringung der Subjekte und Körper im Wege der Disziplinierung ("Überwachen und Strafen"), ähnlich in den Schulen, in der Fabrik, in Familie und sexuellen Verhältnissen ("Sexualität und Wahrheit").
Durchdringung mit dem Ziel der Unterwerfung und ökonomischen Inwertsetzung zugleich. Ihm ging es vor allem darum, jenseits simpler Vorstellungen von Repression eines gegebenen Subjekts und banaler Hoffnungen auf Befreiung eines gegebenen Subjekts zu gelangen. H/N knüpfen an Foucault`s Vorstellungen vom "biopolitischen Charakter des neuen Machtparadigmas an"
(S. 38), aber sie tun dies in einer Weise, dass sie diesen Charakter völlig verfälschen und den von Foucault beabsichtigten praktisch-emanzipatorischen Sinn ausmerzen. "...wenn Macht vollkommen biopolitisch ist, (wird) die Gesellschaft selbst zur Machtmaschine, entwickelt sich in ihrer Virtualität. Das Verhältnis ist offen, qualitativ und affektiv. Die Gesellschaft ist wie ein einziger sozialer Körper einer Macht subsumiert, die hinunter reicht in die Ganglien der Sozialstruktur un deren Entwicklungsdynamiken(S. 39).
H/N beziehen sich auf zwei zentrale Werke Foucault`s, in denen er den Begriff der "Biomacht" entwickelt hat: "Der Wille zum Wissen" und "Les mailles du pouvoir". Hier aber weht ein ganz anderer Wind. In beiden Werken liest man nichts von der totalisierenden Einvernahme aller produktiven Kräfte des Menschen in die globale Totalität des biomächtigen Sozialkörpers. Hier ist die Rede von: Angriffsfront durch biopolitische Technologie, Techniken zur Unterwerfung der Körper, Besetzung des Raums der Existenz, Angriffsfront auch unter Einschluss nicht nur des Tötens, sondern des Massakers. Foucault begreift "Biomacht" als strategisches Dispositiv gewalttätiger Unterwerfungs- und Zurichtungsstrategien, die in neue Tiefen des Lebens eindringen und dabei eine neue Gewaltsamkeit entwickeln, nicht jedoch als umfassenden, alles einsaugenden Prozess der Produktion des Lebens, wie H/N es uns unterschieben wollen.
Foucault war der Meinung, dass Erkenntnisse nur im Widerstand, aus der subversiven Kraft des Wissens im Kampf gegen die Macht möglich waren. Als Mitbegründer des G.I.P. (Groupe d‘Information sur les Prisons) hat er diese Einstellung praktich-subversiv im gemeinsamen Kampf mit den aufrüherischen Gefangenen der französischen Gefängnisse umzusetzen versucht. Ausdrücklich im Bezug auf analoge Kämpfe in der Schule, im Reproduktionsbereich, in der Fabrik begriff er seine Aktivität als Beitrag zu einem gemeinsamen übergreifenden Kampf. Erst die subversive Position, die man wählt, gibt einem die Möglichkeit, die Techniken der Macht in den Blick zu nehmen. Es gibt also gegenüber den biopolitischen Technologien ein "Außen", natürlich nicht in den simplen Vorstellungen der Territorialität.
"Und wenn es wahr ist, dass im Herzen der Machtverhältnisse und als permanente Bedingung ihrer Existenz der Widerstand ("insoumission") und die wesentlich widerspenstigen Freiheiten wirken, dann gibt es keine Machtverhältnisse ohne Widerstandskraft (résistance),.. Jede bedeutet für die andere eine Art permanente Grenze...ebenso wie es keine Machtverhältnisse ohne Widerstandspunkte gäbe, die ihnen grundsätzlich entgehen, ebenso müssen jede Intensivierung, jede Ausdehnung der Machtbeziehungen zu den Grenzen der Machtausübung führen (Hervorhebungen von mir) . Foucault sucht den grundlegenden Antagonismus zwischen Machttechnologien der Unterwerfung und Zurichtung und dem Widerstand in allen Bereichen auf, in die der Kapitalismus der intensiven Bevölkerungsbewirtschaftung seine Strategien im Laufe der Geschichte erstreckt hat: Fabrik, Gefängnisse, Psychiatrien, Familie, sexuelles Verhältnis der Geschlechter, Militär. Die Zentralität des Widerstands für Foucault hebt sein Freund Gilles Deleuze hervor: "mehr noch, das letzte Wort der Macht lautet, dass der Widerstand primär ist, in einem Masse, in dem die Kräfteverhältnisse ganz ins Diagramm eingebunden sind, während die Widerstände notwendigerweise in direkter Beziehung zum Außen stehen, von denen die Diagramme ihren Ausweg genommen haben. So dass sein soziales Feld Widerstand leistet, bevor es sich nach Strategien organisiert, und das Denken des Außen somit das Denken des Widerstands ist." Das ist der Grund, warum Foucault einen ontologischen Begriff der Wirklichkeit ausdrücklich und vehement zurückgewiesen hat , in entschiedener Absage an eine ontologische Darstellung des Machtwachstums der produktiven Gesamtmaschine, in deren Seinsverständnis H/N die negatorische Kraft des Widerspruchs aufsaugen und ersticken.

Ich kann hier die didaktischen Linien, auf denen H/N uns in die prophetische Schlußapotheose des produktiven Gemeinschaftskörpers führen, nicht im Einzelnen aufschlüsseln. Sie alle mobilisieren ihre rhetorische Überredungskunst aus einer meist platten und pauschalisierenden Inszenierung akademischen Wissens, deren Verzerrungen und Verfälschungen der normale Leser nur mit Mühe auf den Grund steigt. Die sind wirklich ärgerlich und ich werde an anderer Stelle genauer auf sie eingehen. H/Ns Ideengeschichte der Souveränität führt uns an den postmodernen Souveränitätstypus des Empire heran (107 ff.). Aus der Philosophie der Renaissance wird die "revolutionäre Vorstellung von der Gleichheit aller Menschen" gekeltert, die Spinoza angeblich zu neuem Glanz erweckt habe (S. 84 ff., 91,92). Nun, es sind die Versprechen, mit denen die sich zur Macht emanzipierenden Eliten ihre eigenen hegemonialen Ansprüche garnieren -wie in jedem historischen Umbruch. Marx hat sich in seinen Frühschriften (und was Spinoza angeht, schon in seinen Schelling-Studien) unübertroffen dazu geäußert. Bei aller Verehrung für den radikalen Freigeist und Propheten der Schöpferkraft Spinoza, der seine periodische Wiedergeburt regelmäßig in allen analogen Umbruchsphasen feiert: H/N unterschlagen, daß auch er Fremde, Sklaven und Frauen vom demokratischen Versprechen ausschloß, Frauen mit der überzeugenden Begründung, für sie hätte man dergleichen noch nicht gesehen und das hätte schließlich seinen Grund. Die Gründerväter der USA sehen H/N vom revolutionären Geist des Renaissance-Humanismus inspiriert. Sie statten die USA mit der geschichtlichen Mission zur Herstellung der Machtnetzwerke von Weltreich und -ordnung aus, und das in einer peinlichen Form hudelnder Geschichtsklitterung, wie sie jedem US-patriotischen Leitfaden für die linken gebildeten Stände zu Ehre gereichen würde (passim, besonders S.173 ff.). Das Buch ist halt für die US-Leserschaft geschrieben. Das Proletariat schließlich machen H/N ihrem Konzept durch eine Überdehnung eines operaistischen Grundgedankens dienstbar: es wird mit der historischen Aufgabe betraut, durch seine Kämpfe das Empire zur Vervollkommnung seiner Macht herauszufordern, um dann im produktiven Gesamtkörper aufzugehen (68 ff.,72,279 ff.)

Faschistoide Spitzen

Doch zurück zum materiellen Kern. Es ist klar, dass der gegenwärtige Umbruch in eine neue Phase der Kämpfe eintritt, in denen sich innovative Technologien der Unterwerfung und Zurichtung der produktiven Ressourcen der Gesellschaft mit neuen Formen des prozessierenden Widerspruchs und des Kampfs um Befreiung konfrontieren. Mit Foucault würde man sie "biopolitisch" nennen, weil sie den Zugriff auf Leben intensivieren und in bisher unerschlossene Dimensionen der Verwertung von Lebendigem treiben: In der Biologie, in der Unterwerfung unter neue Konstruktionen von Mensch-Maschine-Systemen (vorrangig zunächst auf militärischem Experimentierfeld), in der Zurichtung der Kommunikation und ihrer Unterwerfung unter das Diktat der Software-Produzenten, in der informatischen Erschließung der personalen Existenz bis in die Tiefe biologischer und alltäglicher Lebensprozesse, im Zugriff informatisch/optischer Kontrollsysteme auf die Bewegungsabläufe des öffentlichen Raums, in der von den technologischen Kommandohöhen der globalen "Cluster" ausgehenden Unterwerfung der produktiven und reproduktiven Prozesse unter einen globalisierten Angriff von Netzwerkstrukturen, verbunden mit kooperativen Formen von Militär und NGOs in den Kriegszonen der drei Kontinente, in der blutigen schöpferischen Zerstörung tradierter gesellschaftlicher Strukturen und ihrer Zurichtung zur Weltarbeitskraft durch inzwischen fast technisch betriebene und aus der Metropole moderierte völkermörderische Bürgerkriege. Foucault hat nicht gezögert, all das als technologischen Angriff zu charakterisieren und mit dem "Außen" des Widerspruchs, des Widerstands und der Befreiung auf neuer Stufenleiter zu konfrontieren. Einem "Außen", das -selbstredend nicht mehr territorial begriffen- sich in allen Dimensionen der Gesellschaft als lebendige Schranke dem Zugriffs entgegenstellt und zu neuer vielleicht (Foucault war da vorsichtig) revolutionärer Subjektivität formiert.

H/N blenden den Angriffscharakter aus, sie verdinglichen und fetischisieren den Angriff zu "die Kommunikation", "die immaterielle Arbeit", "die Produktion", zur ontologisch begriffenen neuen Welt, die kein Außen, kein Anderes, keine Negation mehr kennt. Wenn H/N in "Empire" den Widerstand noch auf die ärmliche Funktion eines Stachels für die Machtaufrüstung des "Empire" reduzieren, im Taz-Interview vom 18.3.o2 heißt es dann unmißverständlich: "Statt eines Außerhalb, das widersteht, haben wir heute ein produktives Innerhalb. Widerstand ist heute kein tauglicher Begriff mehr für die Schaffung einer Alternative". "Interaktive und kybernetische Maschinen werden zu neuen künstlichen Gliedern, die in unsere Körper wie in unser Denken und Fühlen integriert sind, und sie werden zu einer Linse, durch die wir die Umgrenzungen unseres Körpers wie unseres Denkens und Fühlens selbst neu wahrnehmen. Die Anthropologie des Cyberspace ist in Wirklichkeit das Erkennen der neuen Menschlichkeit." (S. 303) Die komplementären Funktionen dieser neuen Menschlichkeit werden von der "affektiven Arbeit", der "Gefühlsarbeit" geleistet (mit den darin neubegründeten sexistischen Zurichtungen setzen N/H erst garnicht auseinander), von persönlichen Dienstleistungen, fürsorglicher Arbeit etc. "Affektive Arbeit produziert soziale Netzwerke, Formen der Gemeinschaft, der Biomacht...In jedem dieser Typen der immateriellen Arbeit steckt die Kooperation bereits vollständig in der Form der Arbeit selbst. Immaterielle Arbeit beinhaltet unmittelbare soziale Interaktion und Kooperation. Der kooperative Aspekt der immateriellen Arbeit wird mit anderen Worten nicht von außen aufgezwungen oder organisiert, wie es in früheren Formen der Arbeit der Fall war, sondern die Kooperation ist der Arbeitstätigkeit vollkommen immanent....Das kooperative Vermögen der Arbeitskraft (und insbesondere der immateriellen Arbeit) hingegen bietet der Arbeit die Möglichkeit der ´Selbstverwertung`. Die Hirne und Körper brauchen auch weiterhin die anderen, um Werte zu produzieren, doch die anderen, die sie brauchen, stellen nicht mehr notwendigerweise das Kapital und seine Fähigkeit, die Produktion zu orchestrieren."( S. 304, 305) Es sind die NGOs, die H/N als Organisationsformen der Integration zur Biomacht charakterisiert(S. 323 f). Die selbstverwertende Verschmelzung der Hirne und Körper der Multitude feiern H/N als "Befreiung der Arbeit" und in der Arbeit. "Diese Gemeinsamkeit ist...ein Projekt, in das die Multitude, die Menge völlig eingeht. Das Gemeinsame ist die Fleischwerdung, die Produktion und die Befreiung der Menge." (S. 314) Im Gefolge der ständig wiederholte Verschmelzungsgesänge wird dann zu guter Letzt auch die Endfunktion des Proletariats festgeschrieben: "Die Entstehungsprozesse eines neuen Proletariats, die wir nachgezeichnet haben, überschreiten hier eine entscheidende Schwelle, wenn die Menge sich selbst als maschinisch erkennt....(S. 411). Würg.

Der maschinenpoetische Rausch der Verschmelzung der Körper und Hirne zu einer einheitlichen produktiven Subjektivität durchwabert das ganze Buch zu seinem Klimax im rauschhaften Schlussakkord. Derartige Rauschzustände der sich zu hegemonialen Positionen berufenen innovativen Intelligenz sind uns auch aus früheren analogen Umbrüchen bekannt. Exemplarisch erwähnt sei hier Gastev, der Troubadour des russischen Taylorismus. Ließen es H/N dabei bewenden, so könnten wir sie vielleicht im Archiv direkt neben ihm als poetische Extremform totalisierender Ergüsse ablegen. Das tun sie aber nicht und hier wird es brisant. Auf den Seiten 366 ff. steigern sie ihre Zukunftsprojektionen totaler Integration zu einer Aggressivität, die an Eindeutigkeit wenig zu wünschen übrig lässt.
Die zur Gesamtmaschine der Hirne und Körper verdichtete Arbeit wird "ganz unmittelbar eine gesellschaftliche Kraft, die von den Mächten des Wissens, des Affekts, der Wissenschaft und der Sprache beseelt ist....Arbeit erscheint schlicht und einfach als die Macht zu handeln, die zugleich singulär und universell ist: singulär, insofern Arbeit zur ausschließlichen Domäne von Körper und Geist der Menge geworden ist; und universell, insofern das Begehren, das die Menge in ihrer Bewegung vom Virtuellen zum Möglichen zum Ausdruck bringt, beständig als gemeinsame Sache entsteht....Alles was diese Macht zu handeln blockiert, ist nichts als ein Hindernis, das man zu überwinden hat - ein Hindernis, das durch die kritischen Kräfte der Arbeit und die leidenschaftliche Alltagsweisheit der Affekte umgangen, geschwächt und zerschmettert wird (S. 366, 367, Hervorhebungen von mir). In dieser Definition der Handlungsmacht berufen sich H/N ausdrücklich auf Nietzsche zurück: die in der "Genealogie der Moral" beschworene Fähigkeit, Werte zu zerstören und neue Werte zu schaffen. Wir kennen die "Genealogie der Moral" ist dasjenige Werk aus den Vorarbeiten des "Wille zur Macht", in dem Nietzsche die Verkörperungen des historischen Willens zur Macht und seines Anspruchs auf aggressive Gewalt mit herrischer Geste manifestiert: Der "blonden, nämlichen arischen Erobererrasse und in ihrem Konflikt mit der unterworfenen schwarzhaarigen ´vorarischen` Bevölkerung"... Wir kennen die genealogische Strategie der Gewalt zur Herstellung neuer Organisation von Macht und Recht: "An sich von Recht und Unrecht reden entbehrt allen Sinns, an sich kann natürlich ein Verletzen, Vergewaltigen, Ausbeuten, Vernichten nichts ´Unrechtes` sein....nämlich als Mittel, größere Macht-Einheiten zu schaffen." Das alles bis hin zur Feinderklärung gegen die Sklaven und Propaganda der Vernichtung der "Missrathenen" im Dienste der "stärkeren Species Mensch" . So tritt schließlich die zur Gesamtmaschine vergemeinschaftete Arbeit als Prozess von Vernichtung und Entwicklung im Willen zur Macht neu auf den historischen Plan. Es liegt genau in dieser Logik, wenn auf derselben Seite die nunmehr abzuschüttelnden Mächte des Geld- und Finanzkapitals unter der Überschrift "Parasit" geoutet werden, "ein Parasit jedoch, der seinem Wirt die Kraft aussaugt, gefährdet seine eigene Existenz." (S. 367, 369)
Wir wissen, was die ideologische Absonderung des Geldkapitals von der produktiven Maschinerie als "parasitär" in der deutschen Geschichte für eine Rolle gespielt hat. Franz Neumann, dessen "Behemoth" noch immer zum besten gehört, was über den Nationalsozialismus geschrieben wurde, hat in einer Analyse der pseudomarxistischen Elemente der nationalsozialistischen Ideologie aus einer Rede des Reichspressechefs Dr. Dietrich unter den Titel "Geistige Grundlagen des neuen Europas" wie folgt zitiert: "... durch den Schleier des Geldes hindurch" hat der Nationalsozialismus "den ökonomischen Kraftkern gefunden...die menschliche Arbeit als die alles belebende Grundlage", eine "Herrschaft der Arbeit über das Geld, ohne ihn zum Kampf gegen seine herrschende Klasse zu zwingen, ganz im Gegenteil ist er eingeladen, an ihren materiellen Vorteilen als Teil einer riesigen Maschine teilzuhaben."
Sicher: impostmodernen Zyklus ist der historische Moment eines entwickelten Faschismus noch garnicht erreicht. Aber auch im fordistischen Zyklus kündigte er sich durch futuristische und technokratisch orientierte Bewegungen neuer Eliteformationen von technischer Intelligenz bis hin zur Philosophie schon vor dem ersten Weltkrieg an -auch in den Vorstellungen "konservativer" Revolution von oben. Gleichermaßen entwirft "Empire" einen historisch-philosophischen Pfad der komplexen Machtentwicklung einschließlich der restlosen Einvernahme des sozialen und Klassenwiderstands als ideologisches Lock-Angebot an das linke Spektrum hegemonialer Energien im Prozeß der "schöpferischen Zerstörung". Wenn Linke sich davon angesprochen fühlen, so ist das keine Frage der Theorie, sondern danach, ob sie sich in innovative Vernetzungsprozesse des postfordistischen Zyklus (in NGOs, Flüchtlingssteuerung, Gesundheitsarbeit etc.) einbringen, oder in den Widerstand dagegen. Der "Empire"-Diskurs ist nur Symptom, an dem wir ablesen können, an welchen Linien wird sich die rechte Spreu vom linken Weizen trennt. Was meinst Du? Die Frankfurter Allgemeine haben H/N jedenfalls -wie das Buchcover stolz ausweist- schon auf ihrer Seite.

erschienen in: alaska 240