Informelle Ökonomie

Prekäre Hoffnungsträger Überlebensökonomien des Südens

Der informelle Sektor spielt in den entwicklungspolitischen Debatten seit den 70er Jahren eine wachsende Rolle. Gerne wird er zum wichtigen Hoffnungsträger der Armutsbekämpfung ernannt ...

... - wegen seiner vermuteten Marktorientierung und im Glauben an seine Wachstumspotenziale. Was ist davon zu halten, und wie wird die informelle Überlebensökonomie von kritischen Ansätzen eingeschätzt?

Die frühen Erklärungsversuche für die Existenz des informellen Sektors standen ganz im Zeichen der Modernisierungstheorie. Sie reproduzierten die Unterscheidung von traditionellem und modernem Wirtschaften, indem sie den informellen Sektor als Zeichen für Unterentwicklung werteten und davon ausgingen, er würde im Laufe nachholender Entwicklung von selbst verschwinden. Spätestens das kontinuierliche Anwachsen informeller Beschäftigung in nahezu allen Ländern des Südens seit den 80ern sowie ihre zunehmende Bedeutung auch im hochkapitalistischen Norden widerlegte diese These. Mit dem Scheitern der auf Wachstum und nachholende Industrialisierung setzenden Entwicklungsstrategien wurde der informelle Sektor im entwicklungspolitischen Diskurs daher bereits ab den 70er Jahren nicht nur als dauerhaftes Phänomen anerkannt, sondern sogar zum Hoffnungsträger für wirtschaftliche Dynamik, Wachstum und Beschäftigung erklärt.
Innerhalb der hegemonialen Theoriebildung lassen sich zwei Konzepte unterscheiden, die von dieser optimistischen Bewertung ausgehen. Da ist zunächst die Sichtweise der Internationalen Arbeitsorganisation ILO, die die positive Beschäftigungsfunktion des informellen Sektors betont. Hintergrund dieser Wertschätzung ist der rasante Urbanisierungsprozess in den südlichen Ländern seit den 70ern, der zu einem riesigen Beschäftigungsproblem führt. Da der städtische formelle Sektor in den meisten Fällen stagniert und die neuen Arbeitskräfte nicht aufnehmen kann, stellt sich sein informelles Gegenstück als Retter in der Not dar. Statt ihn als solchen samt seinen prekären Lebensbedingungen klar zu benennen, wird er von den durch die ILO beeinflussten Analysen allerdings eher als Entwicklungspotenzial schön geredet, das Unterstützung durch internationale Entwicklungshilfe verdiene, um den Süden auf seinem Weg zur Industriegesellschaft voran zu bringen (vgl. den Beitrag von A. Ziai S. 36).

Die Zweckoptimisten
Als Vordenker des zweiten marktorientierten Erklärungsansatzes gilt Hernando de Soto, der den informellen Sektor ebenfalls als die Zukunft des Südens preist. Allerdings geht es ihm dabei nicht um ein neues Paradigma staatlicher Entwicklungsfinanzierung, sondern in anti-etatistischer, neoliberaler Manier um den Beweis, dass Entwicklung gerade ohne staatliches Eingreifen am besten funktioniere. Staatliche Steuerungsversuche führten auf den formellen Märkten zu monopolistischen Privilegien, die kleinen und jungen Unternehmen den Zugang erschwerten. Der entscheidende Vorteil der informellen Unternehmen sei es nun, aus der Not - ihrem Ausschluss von den regulierten Märkten der offiziellen Ökonomie - eine Tugend gemacht zu haben, indem sie auf ihren eigenen informellen und damit unregulierten und freien Märkten praktisch dem Programm von Adam Smith zum Durchbruch verhelfen würden. Das einzige, was ihr Wachstum behindere, sei die unfaire Konkurrenz des staatlich geschützten formellen Sektors.
Beiden Konzepten ist gemeinsam, dass sie an der ursprünglichen Dichotomie von formell-informell festhalten und damit die grundsätzliche Verknüpfung von Produktions- und Reproduktionsverhältnissen in der kapitalistischen Ökonomie ausblenden. De Soto abstrahiert darüber hinaus nahezu vollständig von den miserablen realen Lebensbedingungen im informellen Sektor. Sein Entwicklungsmodell bezieht sich nur auf wettbewerbs- und leistungsfähige Unternehmen. Die große Mehrheit der prekären Überlebensstrategien findet dagegen nicht einmal Erwähnung: es lebe der Selektionsmechanismus des Marktes. Die ILO-nahen Ansätze ihrerseits sehen zwar eine Verbindung zwischen Armut, informeller und formeller Produktion. Sie reduzieren diesen Zusammenhang aber nach wie vor auf Modernisierungsprobleme der offiziellen Ökonomie.
Ähnlich euphorisch wie bei de Soto, aber in diametralem Gegensatz zu dessen neoliberaler Orientierung, werden informelle Tätigkeiten von einer Reihe anthropologischer Entwicklungskonzepte bewertet. Autoren wie Serge Latouche, Marc Ela oder Philippe Engelhard sehen in ihnen die Geburtsstätte einer anderen Wirtschaft jenseits der herrschenden Normen von Markt, Geld und Konkurrenz. Entsprechend betonen sie in ihren Analysen die sozialen Netze und Kooperationsformen. Dabei beziehen sie sich auf die Funktionsweisen traditioneller afrikanischer Gesellschaften. Die dort herrschenden Werte der Solidarität und des Vertrauens würden im informellen Sektor auf den ökonomischen, marktförmigen Bereich der Gesellschaft übertragen. Dadurch könnten nicht nur Knappheitsverhältnisse erfolgreich überwunden, sondern der gesamte Mechanismus des Marktes durch soziale Einbettung radikal transformiert werden.
Solche Hoffnungen in eine autonome Entwicklungsperspektive jenseits kapitalistischer Märkte mögen nicht nur angesichts der weitgehenden Abkopplung Sub-Sahara-Afrikas von der Weltwirtschaft verlockend klingen. Sie überschätzen aber die realen Handlungsmöglichkeiten der informell Tätigen. So wichtig es ist, Perspektiven nicht-marktförmiger Vergesellschaftung aufzuzeigen, so notwendig wäre eine umfassende Kritik an bestehenden kapitalistischen Herrschafts- und damit verbundenen globalen Abhängigkeitsverhältnissen, um Solidarität und Umverteilung im großen Stil und nicht nur innerhalb des informellen Sektors unter den Ärmsten als Ziel zu setzen. Ein weiterer Kritikpunkt ist, dass in den anthropologischen Konzepten patriarchale Herrschaftsformen in den "informellen" Gesellschaftsstrukturen kaum kritisiert werden.

Strukturelement des Kapitalismus
Eine grundsätzlich andere Perspektive auf den informellen Sektor bieten die Weltsystem- und die Subsistenztheorien. Nicht marktinduzierte oder autonome Entwicklungspotenziale, sondern die Strukturen der kapitalistischen Ökonomie stehen im Mittelpunkt dieser Analysen. Der informelle Sektor wird hier als immanentes Element des Kapitalismus aufgefasst, dessen entscheidende Funktion es ist, die Verbindung zwischen Subsistenz- und Lohnarbeit herzustellen. Dies geschieht in den für ihn typischen halbproletarischen Haushalten, in denen Menschen zusammenleben, die ihren Unterhalt sowohl im formellen als auch im informellen Sektor sowie zusätzlich durch Subsistenztätigkeiten erwirtschaften. Wichtig ist dabei, dass ihre soziale Absicherung im häuslichen Bereich und nicht über formelle Erwerbstätigkeit stattfindet. Erst diese Kombination verschiedener Unterhaltsquellen ermöglicht eine möglichst umfassende und kostengünstige Einbeziehung der menschlichen Arbeitskraft - einschließlich unbezahlter Reproduktionsarbeit - in den kapitalistischen Verwertungsprozess. Die Existenz des informellen Sektors garantiert demnach niedrige Löhne im formellen Sektor, indem dort erstens billige Lohngüter produziert und zweitens den Beschäftigten des formellen Sektors und ihren Familien zusätzliche Einkommens- und Selbstversorgungsmöglichkeiten geboten werden. Drittens wird es den formellen Unternehmen durch Subcontracting und Produktionsverlagerung ermöglicht, Sozialabgaben u.ä. zu umgehen. Und viertens erhöht die Funktion des informellen Sektors als Arbeitskräftereservoir den Druck, Lohnsenkungen im formellen Sektor zu akzeptieren.
Weltsystem- und Subsistenztheorie gehen davon aus, dass der informelle Sektor kein modernes Phänomen ist, sondern dass halbproletarische Haushalte weltweit gesehen während der gesamten Geschichte des Kapitalismus die vorherrschende Form der Arbeitsorganisation gewesen sind. Die Geschichte der Arbeit interpretieren sie als einen sozial-ökonomischen Prozess der Informalisierung, in dessen Verlauf beständig die Zugriffsmöglichkeiten auf menschliche Arbeitskraft erhöht werden. Die aktuellen ökonomischen Transformationsprozesse, die gemeinhin unter dem Begriff der neoliberalen Globalisierung zusammengefasst werden, scheinen diese Sichtweise zu bestätigen: Im Zuge des Wandels zur hochtechnologischen Produktionsweise kommt es zu einer enormen Flexibilisierung der Produktion. Sie wird dadurch erreicht, dass die Produktionsabläufe automatisiert und digitalisiert und schließlich innerhalb transnationaler Unternehmensnetze in ihre Bestandteile aufgespalten werden. Für die Arbeitsbeziehungen folgt daraus eine zunehmende Fragmentierung und Informalisierung. Der Zugriff auf informelle, ungesicherte Arbeitskraft nimmt nicht nur durch Produktionsverlagerungen in den Süden, sondern durch Sozialabbau und Deregulierung des Arbeitsmarktes auch in den kapitalistischen Zentren zu. Jüngstes Beispiel dafür ist in der BRD das Hartz-Konzept mit seiner Strategie der Flexibilisierung, Eigenverantwortung und (Schein-)Selbständigkeit, die in der Ausweitung der Leiharbeit und der Einführung so genannter "Ich-AGs" zum Ausdruck kommt.

Absicherung neoliberaler Politik
Die Förderung des informellen Sektors parallel zum sich durchsetzenden globalen Hightech-Kapitalismus ist zur hegemonialen Entwicklungsstrategie vieler internationaler Organisationen avanciert, allen voran der Weltbank. Sie ist damit Teil der ideologischen Absicherung des neoliberalen Projekts und leistet darüber hinaus einen konkreten Beitrag zur Stabilisierung eines peripheren Kapitalismusmodells. Diese Unterstützung der Überlebensökonomie von oben sichert nicht nur den Zugriff auf billige Arbeitskräfte. Sie trägt auch dazu bei, ein Mindestmaß an sozialem Zusammenhalt und Stabilität aufrecht zu erhalten, ohne jedoch langfristige Entwicklungsperspektiven zu bieten.
Diese Prozesse des Ein- und Ausschlusses sind untrennbar verbunden mit einer verschärften sicherheits- und grenzpolitischen Abschottungsstrategie der Metropolen auf der einen und mit der Etablierung von kriminellen Bürgerkriegsökonomien als Dauerzustand in Teilen der Peripherie auf der anderen Seite. Dabei sind solche Bürgerkriegsökonomien, die als extreme Formen einer brutalen Informalisierung aufgefasst werden können, keineswegs vom globalen Kapitalismus abgekoppelt, sondern im Gegenteil durch massive Ressourcenströme - etwa Diamanten- und Ölhandel in afrikanischen Kriegsgebieten -, aber auch durch eine von westlichen NGOs aufgebaute "Ökonomie der humanitären Hilfe" mit den Metropolen verbunden.

Perspektiven der Befreiung
Trotz der umfassenden Informalisierungstendenzen der globalen kapitalistischen Produktionsverhältnisse lassen sich innerhalb der Überlebensökonomien durchaus auch Anknüpfungspunkte für mögliche emanzipatorische Perspektiven der Befreiung aus diesen Herrschaftsverhältnissen erkennen. Voraussetzung dafür ist, dass ihre alltäglichen Überlebensstrategien politisiert werden und daraus - ansetzend an der wenn auch noch so geringen Autonomie dieser Lebensformen - Kämpfe um erweiterte Verfügungsmöglichkeiten über das eigene Leben und die dafür notwendigen Ressourcen entstehen. Um aus sich selbst heraus alternative Parallelstrukturen zur kapitalistischen Vergesellschaftung aufzubauen, ist gerade dieser Aspekt einer notwendigen konfrontativen Auseinandersetzung mit den hegemonialen Verhältnissen entscheidend. Die Landlosenbewegung in Brasilien und die indischen Bauernbewegungen liefern Beispiele für Entwicklungen in diese Richtung - ganz im Gegensatz zu den oben genannten anthropologischen Ansätzen, die auch ohne das politisierende Moment bestehenden Überlebensökonomien tendenziell eine Unabhängigkeit zuschreiben.
Allerdings ist nicht zu übersehen, dass eine gemeinsame Betroffenheit großer Teile der Weltbevölkerung von Marginalisierung keineswegs zwangsläufig zu solidarischen Kämpfen führt. Real sind vielmehr Prozesse ethnischer, rassistischer und sexistischer Abgrenzung des eigenen Kollektivs nach außen zu beobachten; die Akteure der informellen Überlebensökonomien sind also selbst in die Widersprüche neoliberaler Individualisierungsprozesse verstrickt. Es kann daher nicht darum gehen, die Marginalisierten zu einem einheitlichen revolutionären Subjekt zu stilisieren. Die mit der Überlebensökonomie - wenn überhaupt - verbundene Befreiungsperspektive liegt vielmehr darin, dass die entstehenden sozialen Auseinandersetzungen unmittelbar an den konkreten Lebensbedingungen ansetzen und diese zum Zentrum der Konflikte machen. Die Debatte sollte sich deswegen eher darum drehen, ob und wie diese verschiedenen Widerstände miteinander zu verknüpfen wären, um sich gegenseitig stützen und verstärken zu können.

Literatur:

- Hernando de Soto, The other path, The invisible revolution in the third world, New York 1989

- Jean-Marc Ela, Innovations sociales et renaissance de lÂ’Afrique noire. Les défis du "monde dÂ’en-bas", Montréal 1998; Philippe Engelhard (avec lÂ’équipe dÂ’ENDA), LÂ’Afrique miroir du monde? Plaidoyer pour une nouvelle économie, Paris 1998; Serge Latouche, LÂ’autre Afrique. Entre dons et marché, Paris 1998

- Andrea Komlosy, Christof Parnreiter, Irene Stacher und Susan Zimmermann (Hg.), Ungeregelt und unterbezahlt. Der informelle Sektor in der Weltwirtschaft, Frankfurt am Main 1997

- medico-Projektgruppe, Real Life Economics. Perspektiven der Globalisierung und der internationalen Solidarität, in: iz3w-Sonderheft Gegenverkehr. Soziale Bewegungen im globalen Kapitalismus, S. 7-10, 2001

- The Courier, No. 178, Dez.-Jan. 1999/2000, S. 53-78

Kristin Carls ist Diplom-Volkswirtin und studiert in Hamburg Sozialökonomie.

Was ist der informelle Sektor?

Im Allgemeinen wird der informelle Sektor in Abgrenzung zur formellen Ökonomie als Bereich definiert, in dem Kleinstunternehmen außerhalb staatlicher Regulation - und besonders außerhalb des Steuerrechts - am Rande der Illegalität wirtschaften. Als typisch gelten Kapitalmangel, geringe technische Ausstattung und niedrige Produktivität. Problematisch an dieser rein unternehmensorientierten Definition ist, dass sie einerseits Vereinheitlichungen vornimmt, die der Vielfalt informeller Unternehmungen kaum gerecht werden. Andererseits verschleiert sie Gemeinsamkeiten von informeller und formeller Ökonomie. Das wesentliche gemeinsame Charakteristikum informeller Tätigkeiten ist, dass es sich dabei um nicht-regulierte Beschäftigungsverhältnisse handelt. Das können außer Selbständigkeit und unbezahlter Arbeit von Familienmitgliedern oder Lehrlingen auch vertraglich und arbeitsrechtlich nicht abgesicherte Lohnarbeitsverhältnisse sein. Die gibt es natürlich nicht nur in informellen Kleinstunternehmen, sondern auch in formellen Betrieben. Der Begriff des informellen Sektors ist in seinem herkömmlichen Gebrauch deshalb irreführend, weil er Informalität als Eigenschaft eines bestimmten Sektors der Wirtschaft ausgibt und nicht als gesamtökonomisch wirksame Beschäftigungsstruktur. Stattdessen sollten informelle Tätigkeiten besser als Überlebensstrategien von Menschen in ungesicherten Lebensverhältnissen verstanden werden.
Informelle Beschäftigungsverhältnisse umfassen eine Vielzahl unterschiedlichster eigenständiger oder abhängiger Tätigkeiten: Straßenhändlerin, Heimstickerin, Tagelöhner, Müllsammler, Kleinhandwerker, Straßenkünstler, Putzfrau, Taxifahrer, Schuhputzer, aber auch Schmuggler oder nicht gemeldete Angestellte in formellen Betrieben. Dazu gehören auch Aktivitäten in kapitalintensiveren Unternehmen, die über modernere Maschinen verfügen und in Konkurrenz zum formellen Sektor produzieren. Viel größeres Gewicht haben jedoch prekäre Tätigkeiten wie Straßenhandel und Heimarbeit. Die Einkommen aus diesen Tätigkeiten, die mehrheitlich von Frauen ausgeübt werden (s.S. 34), sind sehr niedrig und arbeitsrechtliche Absicherungen gibt es natürlich nicht. In der Regel reicht eine informelle Beschäftigung nicht, um den Lebensunterhalt der Familie zu sichern. Deshalb gehen Frauen, denen dafür generell die Verantwortung zugeschrieben wird, neben der von ihnen geleisteten familiären Subsistenzarbeit oft mehreren informellen Beschäftigungen gleichzeitig nach. Diese enorm belastende Situation wird von den Betroffenen selbst als "moonlightning" bezeichnet, was die Endlosigkeit des Arbeitstages plastisch zum Ausdruck bringt.
Die Mehrheit der informell Beschäftigten lebt in Elendsvierteln in der Peripherie der Metropolen, die zum großen Teil illegal errichtet wurden und von jeglicher Infrastruktur und sozialen Dienstleistungen des Staates weitgehend ausgeschlossen sind. Dies beschränkt zugleich die ökonomischen Produktionsmöglichkeiten. So wird oft im Freien produziert, weshalb die Werkstätten und Verkaufsstände staatlichen Repressionen und kriminellen Aneignungsformen ebenso ausgesetzt sind wie dem Wetter. Da ihnen der Boden, auf dem sie produzieren, nicht gehört, und ihnen meistens eine Handelslizenz fehlt, können sich die informellen UnternehmerInnen kaum gegen Zwangsräumungen zur Wehr setzen.
Unter diesen Bedingungen des Mangels - nicht nur an Kapital - ist die Produktivität im informellen Sektor im Durchschnitt sehr gering. Das verstärkt die Arbeitsbelastung und erklärt die niedrigen Einkommen. Die Preise sind in der informellen Ökonomie vor allem wegen der schwachen Kaufkraft der Kunden niedrig. Das informelle System der Überlebenssicherung funktioniert daher letztlich nur dank sozialer Netzwerke, die gegenseitige Unterstützung gewähren und durch Tausch und lange Kreditketten den Kapitalbedarf reduzieren - ein endloser Kreislauf unzureichender Einkommen.

Nicht-regulierte Beschäftigung weltweit

Über den Umfang informeller, unregulierter Beschäftigung gibt es abgesehen von geographisch eng begrenzten Fallstudien nur Schätzungen. Anzunehmen ist, dass in den südlichen Ländern die Mehrheit der nicht in der Landwirtschaft tätigen Menschen auf diese Art ihren Lebensunterhalt verdient. In Sub-Sahara-Afrika leben etwa 75 Prozent der Bevölkerung direkt oder indirekt (über Teilhabe an Familieneinkünften) vom informellen Sektor. Die informelle Beschäftigung macht 40-80 Prozent der urbanen Arbeitsplätze aus und wächst mit durchschnittlich fünf bis sieben Prozent pro Jahr viel schneller als die Zahl der formellen Arbeitsplätze. In Lateinamerika waren bereits in den 80ern bis zu 56 Prozent der aktiven Bevölkerung im informellen Sektor beschäftigt, Tendenz steigend (vgl. den Beitrag von C. Parnreiter in diesem Heft). Auch in Ostasien nahm der Anteil der Kleinstbetriebe seit den 80er Jahren kontinuierlich zu und hat entscheidend zur Steigerung von Produktion und Export beigetragen. In Osteuropa ist die Zahl der ungesicherten Beschäftigungsverhältnisse seit den 90ern auf bis zu 33 Prozent der Bevölkerung enorm gestiegen. Für die USA und die Europäische Union dürfte die Anzahl der informell Beschäftigten (noch) geringer sein, der Umfang der informellen Produktion wird allerdings auf bis zu 30 Prozent des offiziellen Bruttoinlandsprodukts geschätzt.