Dem Feind ein Gesicht geben

in (20.02.2003)

Als es von allen Seiten tönte, der Krieg gegen Irak sei beschlossene Sache und werde unausweichlich kommen, ganz gleich wie sich die Iraker, die benachbarten Araber, die Europäer oder die UN dazu ..

... stellen, beschloß die Redaktion "Kultur und Gesellschaft" des Westdeutschen Rundfunks (WDR), des größten Senders im Verbund der Arbeitsgemeinschaft der Rundfunkanstalten Deutschlands (ARD), ein Fernsehteam nach Irak zu schicken. "Dem Feind ein Gesicht geben" war der Auftrag, mit dem die Journalistin Ingelis Gnutzmann und ein Kameramann kurz vor Weihnachten auf die Reise geschickt wurden. Aber das Team kam nur bis Amman. In der jordanischen Hauptstadt erhielt es die Nachricht, daß es nicht in den Irak einreisen darf. Sie hatten sich dort elf Tage umsehen, Menschen verschiedener Schichten nach ihren Gedanken und Empfindungen befragen, die schwierigen Lebensverhältnisse dokumentieren und speziell die Helfer der katholischen Caritas begleiten wollen. Wer sie daran hinderte, war nicht der berüchtigte Diktator Saddam Hussein. Die irakischen Einreisepapiere waren umstandslos erteilt worden. Die Order, unverrichteter Dinge nach Köln zurückzufliegen, kam vom WDR - aus "ARD-politischen Gründen".
Was haben wir uns darunter vorzustellen? Offenbar etwas sehr Schwerwiegendes. Denn in das Projekt war ja schon viel Arbeit und Geld investiert worden. Nicht nur die Redaktion "Kultur und Gesellschaft", die eine ihrer Aufgaben darin sieht, die vordergründige, tagesaktuelle Berichterstattung der Politik-Redaktion durch Hintergrund-Reportagen zu ergänzen, hatte es genehmigt, sondern auch der zuständige Programmbereichsleiter des WDR-Fernsehens, der Fernsehdirektor und der Koordinator der Kirchenprogramme in der ARD hatten ihr Plazet gegeben. Was hätten sie auch dagegen einwenden können? In einer Zeit, in der alle Medien permanent über die US-amerikanischen Kriegsvorbereitungen berichten und die ARD uns mit viel Sympathie das Leben der Soldaten auf einem US-Flugzeugträger vor dem Krieg zeigt, war es unzweifelhaft journalistisch geboten, den Blick der Öffentlichkeit auch einmal auf das als Opfer des angekündigten Krieges ausersehene Volk zu lenken.
Die "ARD-politischen Gründe" wurden vom Chefkoordinator des Senderverbundes, Hartmann von der Tann (auf dem Bildschirm erscheint er gelegentlich bei "Elefantenrunden" oder ähnlichen Wichtigkeiten), geltend gemacht. Er pochte darauf, daß für die Berichterstattung aus dem Irak der Südwestdeutsche Rundfunk (SWR) zuständig sei. Dieser Sender stellt nämlich den ARD-Korrespondenten in Bagdad, Jörg Armbruster (durch den wir seit Jahren erstaunlich wenig über den Irak erfahren haben; er hält sich auch nur gelegentlich dort auf).
Wenn andere ARD-Anstalten selber Journalisten in das Arbeitsgebiet eines Korrespondenten entsenden wollen, müssen sie ihn - das ist grundsätzlich so geregelt - über diese Absicht informieren, aber seiner Zustimmung bedürfen sie nicht. Der WDR, für den Ingelis Gnutzmann früher schon im Irak gedreht hatte, hielt sich auch diesmal an die ARD-Gepflogenheiten und erhielt die Mitteilung, daß Armbruster sich zeitlich nicht in der Lage sah, sich mit dem Thema zu befassen. Insofern konnte von der Tann dem WDR nichts vorwerfen. Er verwies aber auf eine spezielle Absprache der für die Politik-Programme Verantwortlichen aller ARD-Anstalten, im Fall Irak in der Vorkriegszeit jede eigene Berichterstattung neben der des SWR zu unterlassen, und er verlangte, daß sich auch die Verantwortlichen für den Programmbereich "Kultur und Gesellschaft" an diese Absprache halten - von der sie bis dahin nicht einmal informiert worden waren. Es bestand also keinerlei Verpflichtung. Aber der WDR knickte ein.
Sobald der Krieg beginnt, wird alles anders. In vielen Redaktionsbüros wird er schon ungeduldig erwartet. Der WDR hat - ebenso wie andere Medien - etliche seiner Journalisten in Seminaren der Bundeswehr und der NATO darauf vorbereiten lassen. Die NATO wird die Kriegsberichterstatter an Plätze irgendwo in Nahost fliegen, von denen aus sie dann unter militärischer Aufsicht sogleich losplappern dürfen.
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Dem Feind ein Gesicht geben - das ist das Wichtigste, was Journalisten in Vorkriegszeiten zu tun haben, jedenfalls dann, wenn sie ihre berufliche Verantwortung wahrnehmen und helfen wollen, den Krieg zu verhindern. Aber in den Medien geschieht zumeist das Gegenteil: Man gibt dem "Feind" eine Fratze, macht ihn gerade dadurch zum Feind und läßt ihn nicht zu Wort kommen.
Nach alter Richterregel kann kein gerechtes Urteil gesprochen werden, wenn nicht beide Seiten im Verfahren unmittelbares Gehör gefunden haben. Ebenso kann eine demokratische Öffentlichkeit kein Urteil bilden (sie kann also gar nicht entstehen), wenn sie nur die eine Seite zu hören bekommt und die andere mundtot gemacht wird. Kriegspropaganda, die derzeit die meisten Medien erfüllt, nicht nur in den USA, auch in Deutschland, folgt anderen Regeln. Da ist die andere Seite allemal die böse Seite, und jedes Mittel, das wir gegen sie anwenden, ist ein gutes Mittel. Weil daran kein Zweifel aufkommen darf, muß sie mit Greuelgeschichten und hetzerischem Vokabular verteufelt werden.
Ich möchte das an dem ersten US-amerikanischen Krieg gegen den Irak exemplifizieren. Wir erinnern uns: Irakische Truppen besetzten das Scheichtum Kuwait, das einst zum Irak gehört hatte, bis die damalige britische Kolonialmacht es vom Irak abtrennte. Saddam Hussein hatte nach Gesprächen mit der US-Botschafterin in Bagdad Anlaß zu der Annahme, daß seine alten Freunde und Förderer in Washington, in deren Interesse er den Nachbarn Iran bekriegt hatte, ihn gewähren lassen würden. Doch Präsident Bush sen. sah die Gelegenheit, nach dem Ende der Sowjetunion und des Warschauer Pakts mit einem Krieg gegen den Irak die Neue Weltordnung herzustellen. Der Krieg wurde u.a. dadurch vorbereitet, daß die USA dem UN-Sicherheitsrat frei erfundene Geschichten über irakische Greueltaten präsentierten. Angeblich hatten irakische Soldaten in kuwaitischen Krankenhäusern Babies aus den Brutkästen gerissen. Die Lüge wurde aufgedeckt, nachdem sie ihre Wirkung getan hatte.
Am 25.2.1991, dem Tag nach Beginn der Bodenoffensive gegen den Irak, hieß es in einem Korrespondentenbericht der Deutschen Presseagentur: "Die Propagandamaschine Saddam Husseins feuerte aus allen Rohren. Mit blutroten Schlagzeilen peitschte die Tagespresse zum Widerstand gegen die Allianz auf, die am Sonntag zum entscheidenden Schlag zur Befreiung Kuwaits ausgeholt hatte." Ein solcher Text beeindruckt. Aber welche Informationen enthält er? Eine einzige: daß die Schlagzeilen der irakischen Presse in roter Farbe gedruckt wurden. Aber ist das so ungewöhnlich? Roter Farbe bedient sich auch immer wieder die Bild-Zeitung, die schon im August 1990 mit folgenden Überschriften Kriegsstimmung gegen Saddam Hussein erzeugt hatte: "Was macht der Irre jetzt?" (9.8.90), "Der Irre ist umzingelt" (14.8.90), "Jetzt quält der Irre auch Deutsche" (20.8.90).
Um das US-Militär angriffsfähig zu stimmen, um die Tötungshemmungen zu überwinden und um Widerstände in der Öffentlichkeit auszuschalten, titulierte der US-Oberkommandierende, General Norman Schwarzkopf, die Iraker als "tollwütige Hunde", und jeder verstand, daß tollwütige Hunde abgeschossen gehören. Schwarzkopf wußte auch mitzuteilen: "Sie kämpfen ohne Gewissen und sind zu den schlimmsten, von Haß diktierten Taten fähig." US-Präsident Bush sen. hatte schon am 6. August 1990 konstatiert: "Saddam Hussein ist der Hitler von Bagdad." Tausende Kommentatoren in aller Welt machten sich diese Gleichsetzung zu eigen. Sie diente dazu, den Krieg gegen den Irak als moralische Notwendigkeit hinzustellen, also moralischen Widerstand zu brechen. Pazifisten mußten sich vorwerfen lassen, nicht aus der Geschichte gelernt zu haben. Jede Kritik an der US-amerikanischen Politik sah sich als Parteinahme für einen neuen Faschismus verdächtigt: Gerade die Deutschen, die den nordamerikanischen Streitkräften die Befreiung vom Nazi-Regime zu verdanken hätten, müßten sich jetzt vorbehaltlos an deren Seite stellen, hieß es in Politikerreden und Leitartikeln. Diejenigen, die so argumentierten, waren oft dieselben, die den 8. Mai 1945 als Tag der Niederlage bezeichnen.
Der 2+4-Vertrag, in dem 1990 die Hauptsiegermächte des Zweiten Weltkrieges der Wiedervereinigung zustimmten und Deutschland sich verpflichtete, seine Streitkräfte nur zu Verteidigungszwecken einzusetzen (wie es ja auch im Grundgesetz steht), war erst einige Monate alt, da beklagte die Frankfurter Allgemeine Zeitung, bei den Deutschen sei "die Angst vor dem Krieg offenbar stärker als die Liebe zur Freiheit". Kaum anders trug es die Bild-Zeitung aus dem Springer-Konzern in die Massen. Da wurde dem damaligen Bundeskanzler Kohl vorgehalten, er lasse zum Golfkrieg "nur laue Luft" ab; ähnlich griff das Blatt Bundes präsident von Weizsäcker an: "Sie können doch sonst so schön reden." Und auch viele andere Blätter forderten, wir Deutsche müßten "Verantwortung übernehmen". Diese Parole wurde uns in den folgenden Jahren von Politikern und Publizisten immer wieder um die Ohren gehauen: Deutschland müsse "endlich wieder Verantwortung übernehmen", sich seiner durch die Wiedervereinigung "gewachsenen Verantwortung" bewußt werden, müsse "endlich politisch erwachsen werden", Deutschland müsse "endlich normal werden". Gemeint war immer nur dies eine: Deutschland müsse wieder breit sein, Krieg zu führen.
Über die Interessen, denen der Krieg gegen den Irak diente, las man - vielen Zeitungslesern verborgen - auf den Wirtschaftsseiten. Springers Die Welt jubelte am Tag nach dem Kriegsbeginn: "Deutsche Aktien schießen in die Höhe wie noch nie zuvor." Das Handelsblatt konstatierte "Bombenstimmung" an den Börsen und titelte: "Angriff auf den Irak beendet Lethargie der Anleger". Die FAZ: "An den Börsen wird der drückende Pessimismus beiseite gefegt." Schon vor Kriegsbeginn hatte der Effektenspiegel/Das Journal für den Aktionär die Devise ausgegeben: "Die Golfkrise bietet günstige Einstiegskurse mit kurzfristig dicken Gewinnchancen."
Was zählten gegenüber solchen Interessen die Informations- und die Meinungsfreiheit der Kriegsgegner? Da durfte zum Beispiel im Programm der BBC und mehrerer britischer Kommerzsender John Lennons Song "Give Peace a Chance" von Kriegsbeginn an nicht gesendet werden - "mit Rücksicht auf die kämpfende Truppe am Golf"; das galt auch für 68 andere Pop-Songs. Nur in England? Radio Schleswig-Holstein verbot Nenas "99 Luftballons", weil man das "naive Friedenslied", wie der Programmdirektor erklärte, angesichts "der ernsthaften Bedrohung am Golf" nicht senden könne. Beim Sender Freies Berlin wurde eine Satire-Sendung von Martin Buchholz wegzensiert. Die Autorin einer evangelischen Morgenandacht im Norddeutschen Rundfunk mußte sich heftige Vorhaltungen im Rundfunkrat gefallen lassen, weil sie mit ihrer Klage über den Krieg die Grenzen zum politischen Kommentar überschritten habe.
Und wie wurden wir über den Krieg informiert? Im Ersten Weltkrieg hatte der damalige britische Premierminister Lloyd George einmal im Gespräch mit dem Manchester Guardian bemerkt: "Wenn die Leute wirklich Bescheid wüßten, wäre der Krieg morgen zu Ende." Damit wir nicht wirklich Bescheid wußten, führten im Golfkrieg alle Kriegsparteien sofort die Zensur ein. In Israel z.B. überwachten 150 Reservisten der militärischen Zensurbehörde die Telefonate, mit denen Journalisten ins Ausland berichteten. Nach Angaben der israelischen Zeitung MaÂ’ariv wurden beim Versuch, nicht genehmigte Informationen weiterzugeben, 593 Gespräche unterbrochen. In der Türkei zwang politische Polizei deutsche Fernsehjournalisten, alle in Diyarbakir - wo Bundeswehreinheiten stationiert waren - aufgenommenen Interviews vom Band zu löschen. Freies Reisen in Kurdengebiete war Reportern untersagt.
Die USA als hauptkriegsführende Macht hatten die Kriegsberichterstattung folgendermaßen organisiert: Die Journalisten durften sich in der saudi-arabischen Hauptstadt Riad versammeln, wo ein großes Hotel bereit stand, sie aufzunehmen. Rund 1000 folgten der Einladung. Man hätte erwarten können, daß 1000 Journalisten verschiedene Einzelheiten wahrnehmen und einander ergänzende oder auch widersprechende Berichte liefern würden. Doch die Berichte der professionellen Kriegsbeobachter klangen alle gleich, denn die Beobachter hatten wenig zu beobachten; sie blieben unter sich an der Hotelbar und im Hotelschwimmbad. Bei der täglichen Pressekonferenz, jeweils um 15 Uhr im großen Ballsaal des Hotels, bekamen sie alle dasselbe zu hören, und was sie dann ihren Redaktionen übermittelten, war nichts als das dort Gehörte. Kleine ausgewählte Gruppen von Journalisten ("Pools") wurden gelegentlich in Militärbegleitung in die Nähe des Kriegsschauplatzes transportiert. Was sie daraufhin zu Papier brachten, wurde dann auch noch zensiert. Die anderen Journalisten übernahmen Inhalte der zensierten Berichte. Ein Reporter des US-Fernsehsenders CNN klagte: "Wir verbreiten reinste Propaganda (...), denn aus psychologischen Gründen will Washington den Eindruck erwecken, als wäre der Krieg kaum mehr als Sachbeschädigung." Von Opfern war möglichst nicht die Rede.
General Schwarzkopf gab am Ende des Krieges zu, daß die Medien bei Beginn der Bodenoffensive einem "gigantischen Täuschungsmanöver" gegen den Irak gedient hätten. Getäuscht wurde die Weltöffentlichkeit. Und das Ende des Krieges war noch nicht das Ende der Zensur. Von der Bodenoffensive wurde auch nachher kaum Bildmaterial verbreitet. Die US-Besatzungstruppen im Süd irak ließen Journalisten nicht dorthin, wo die irakischen Truppen beim Rückzug in einer Falle vernichtet worden waren. Bilder von dort wären mit der Vorstellung vom sauber-ordentlich-humanen Krieg schwer zu vereinbaren gewesen.
Im irakischen Fernsehen waren US-amerikanische Kriegsgefangene aufgetreten, die das militärische Eingreifen in die Angelegenheiten fremder Völker als amerikanischen Größenwahn, das Abladen von Bomben auf irakische Städte als Verbrechen verurteilten. Das Pentagon fand sofort heraus, daß die Gefangenen mißhandelt worden seien, und so wurde es weltweit gemeldet. Auch deutsche Medien glaubten dem Pentagon aufs Wort und schürten Empörung über Saddam Hussein, der die Gefangenen habe foltern lassen. Die naheliegende Möglichkeit, daß die Piloten ihre sichtbaren Verletzungen beim Abschuß ihrer Flugzeuge erlitten hatten, fand kaum Beachtung. Als nach dem Krieg die freigelassenen Gefangenen bei ihrer Rückkehr sagten, sie seien gut behandelt worden, unterband das Pentagon sofort jeden Kontakt mit Journalisten. (Die US-Truppen machten viele irakische Gefangene. An ihnen interessierte unsere Medien nur eins: ihre erste Freude, daß für sie der Krieg vorbei war. Wie sie dann in der Gefangenschaft behandelt wurden, war kein Thema.)
Über die militärische Stärke des Irak verbreiteten die Medien, solange es zweckdienlich war, maßlose Übertreibungen (viertstärkste Armee der Welt, beste Artillerie, Supergeschütze mit einzigartiger Reichweite, fanatische Kampfbereitschaft, gigantische Giftgaslager im besetzten Kuwait). Dann wurde, als es opportun erschien, die perfekte Präzision der US-Waffen gerühmt, z.B. der "Patriot"-Raketen, was sich im nachhinein ebenfalls als weit übertrieben erwies.
Die auf solche Weise produzierte Zustimmung zum Krieg hätte in Ablehnung umschlagen können, als Bilder von einem Bunker in Bagdad erschienen, in dem Hunderte von Zivilisten Opfer eines US-Raketenangriffs geworden waren. Prompt drehte die US-Propaganda den Spieß um: Washington wisse, daß es in Bagdad 20 militärische Führungsbunker gebe; wenn Saddam Hussein dort Zivilisten unterbringe, sei das nur typisch für seine Menschenverachtung, sagte Bushs Pressesprecher Marlin Fitzwater.
Trotz aller Gleichschaltung meldeten sich auch in den USA kritische Stimmen. Ich will eine zitieren: "Die kriegerische Aktion des Präsidenten Bush im Golf bedeutet eine klare Verletzung der amerikanischen Verfassung, der Charta der Vereinten Nationen und anderer nationaler und internationaler Gesetze! Der Präsident hat die Mitglieder des UN-Sicherheitsrates bestochen, eingeschüchtert und bedroht, um deren Unterstützung für die kriegerischen Akte gegen den Irak zu erhalten (...) Diese Abstimmung ist gekauft worden (Â…) Es unterliegt keinem Zweifel, daß die von Amerika eingesetzten Massenvernichtungswaffen tausende von Opfern unter der unschuldigen Zivilbevölkerung fordern werden. Es wären somit jene Prinzipien anzuwenden, die seinerzeit im Nürnberger Prozeß festgelegt worden sind. Der Tod dieser Menschen ist nicht nur ein moralisches Verbrechen, sondern bedeutet auch eine Verletzung des internationalen Rechts. Vom August 1990 an hat Präsident Bush einen Kurs eingeschlagen, der systematisch jede Option für eine friedliche Lösung des Konflikts am Persischen Golf unmöglich gemacht hat." So äußerte sich ein Mitglied des US-Kongresses, der texanische Abgeordnete Henry B. Gonzales, der die Amtsenthebung und Strafverfolgung des Präsidenten forderte. Ich las das in keiner deutschen Zeitung, sondern in einer österreichischen. Österreich gehörte nicht zur Kriegsallianz.
Als am 28. Februar 1991 der Krieg der USA und ihrer Verbündeten gegen den Irak endete, jubelten die Sieger. In Deutschland war manchen Presse- und Rundfunkkommentatoren ebenfalls nach Jubel zumute, denn sie hatten mitgesiegt. In einer typischen Regionalzeitung las ich (nachdem US-amerikanische und französische Kommandeure die Zahl der getöteten Irakis schon mit 100 000 oder 150 000 resümiert hatten): "Bush ist dem natürlichen Impuls der Friedenssehnsucht erst gefolgt, als die Aufgabe erfüllt war (...) Das Pentagon hat bewiesen, daß die teuren Anschaffungen der vergangenen zehn Jahre keine Vergeudung von Steuergeldern waren, sondern eine Investition in Hochtechnologie mit durchschlagender Wirkung (...) Der Präsident hat Initiative, Führungsstärke und Stehvermögen gezeigt. Er hat sich den Respekt verdient, den er zurecht genießt." (Hannoversche Allgemeine Zeitung, 1.3.91)
Die PR-Agentur, die den damaligen Krieg mit Greuelpropaganda vorbereitet hatte, blieb in US-Regierungsdiensten. Nach dem 11. September 2001 wurde der Propagandaapparat weiter ausgebaut, z.B. durch die Gründung eines "Office of Strategic Influence". Der Vorbereitung des nächsten Kriegs gegen den Irak dienen ein CIA-Programm "Winning of Hearts and Minds", ein in Prag angesiedelter US-Sender "Radio Free Iraq", ein Fernsehsender in London und auch ein Schulungsprogramm des US-Außenministeriums für irakische Oppositionelle, um sie zu "effektiveren Sprechern des irakischen Volkes" zu machen.
Mit wenigen Ausnahmen zeigen sich die deutschen Medien immer wieder bereit, an der "Enttabuisierung des Militärischen" - die Bundeskanzler Gerhard Schröder als Erfolg seiner Regierungstätigkeit rühmt, die aber lange vorher begonnen hat - mitzuwirken. Ähnlich wie die US-amerikanischen haben sie im ersten Krieg gegen den Irak, im Krieg gegen Jugoslawien und im derzeitigen "Krieg gegen den Terror" die Öffentlichkeit dermaßen gründlich irregeführt, daß die Wahrheit auch nachher schwerlich durchsickern kann. Bis heute weiß in Deutschland fast niemand, welche verheerenden Schäden die NATO-Bombardements in Jugoslawien angerichtet haben. Für die frei erfundenen Geschichten über serbische Greueltaten im Kosovo, mit denen der damalige deutsche Minister Rudolf Scharping diese Kriegführung zu rechtfertigen versuchte, hat er nie um Entschuldigung gebeten - nicht bei den Opfern, nicht bei der deutschen Öffentlichkeit, die er irregeführt hat; und auch die Medien, die diese Lügenpropaganda unkritisch verbreitet haben, denken nicht daran, dies einzugestehen und wenigstens im Nachhinein zu korrigieren. Eine seltene Ausnahme war die von Politikern heftig attackierte Fernseh-Dokumentation "Es begann mit einer Lüge", die der WDR anderthalb Jahre nach dem Krieg ausstrahlte. Der Pressesprecher der NATO in jenem Krieg, Jamie Shea, rühmte sich inzwischen sogar: "What do you want? We created stories und we made a good show."
Nach solchen Erfahrungen empfiehlt es sich, der US-Regierung, die jetzt den neuen Krieg gegen den Irak vorbereitet, kein Wort zu glauben. Wir sollten überhaupt offiziellen Angaben grundsätzlich nicht trauen, vor allem nicht den Angaben der eigenen bzw. befreundeten Seite - im Zweifelsfall eher der Darstellung der anderen Seite, die zumindest den Wert hat, daß sie uns kritikfähig gegenüber den Angaben der eigenen Seite machen kann. Die Gefahr, daß wir aus Leichtgläubigkeit mitschuldig werden, besteht in der Regel nur auf der eigenen Seite.
In den Kriegen der vergangenen Jahre ist es jedoch üblich geworden, daß der Aggressor die Medien der anderen Seite möglichst frühzeitig ausschaltet. In Jugoslawien zum Beispiel zerstörte die NATO-Luftwaffe die großen Sender in Novi Sad und Belgrad. Bei einem gezielten Raketenangriff auf das Zentralgebäude des Fernsehens in der Belgrader Innenstadt wurden 16 Beschäftigte getötet. Wer einmal zum "Teufel", zum "neuen Hitler", zum "Irren", zum "Schlächter" (Bild per Riesenschlagzeile über Milosevic) erklärt worden ist, darf nicht mehr zu Wort kommen. Wenn wir seine Argumente hören, seine Interessen abwägen könnten oder wenn wir durch seine Darstellung erfahren würden, was unsere Geschosse in seinem Lande anrichten, dann würden unsere Kriegführenden schnell die Unterstützung der eigenen Bevölkerung verlieren. Um die andere Seite mundtot zu machen, genügt die Begründung: Sie verbreite doch nur Propaganda. Mit dieser Begründung wurde im NATO-Krieg gegen Jugoslawien auf deutsche Initiative die Übertragung jugoslawischer Fernsehbilder über den europäischen Satelliten Eutelsat unterbunden. Ein dreister Zensur-Eingriff in unser Grundrecht auf Information.
Vor Beginn des Kriegs gegen Afghanistan wollte der Sender Voice of America eine Stellungnahme des Taliban-Führers Omar zu der den Krieg ankündigenden Kongreß-Rede des US-Präsidenten Bush jun. ausstrahlen. Nach Intervention des stellvertretenden US-Außenministers Armitage wurde das Interview nicht gesendet. Ein Sprecher des State Departements sagte, Omars Worte gehörten nicht in "unser Radio". Die Frankfurter Rundschau schloß daraus: "Den Gegner eines möglichen Krieges zu Wort kommen zu lassen, paßt offensichtlich nicht zur Informationsstrategie der Bush-Administration." Ein Journalismus, der sich nicht für Propagandadienste im Interesse der Angreiferseite hergeben will, hat demnach kaum eine wichtigere Aufgabe als die, uns das zu vermitteln, was die Kriegführenden als "Feindpropaganda" von uns fernzuhalten versuchen.
Verantwortungsbewußter Journalismus muß sich gegen Erwartungshaltungen durchsetzen - schon in den Redaktionen. Erwartet wird immer nur Bestätigung dessen, was man zu wissen glaubt: Die Journalisten sollen Nachrichten liefern, die die eigene Seite bestätigen und rechtfertigen. Dieser Erwartungshaltung dürfen sich Journalisten, die ihren Beruf als demokratische Aufgabe verstehen, nicht dienstbar machen. Aber die meisten tun es - bewußt oder (das dürfte der Normalfall sein) unbewußt. Aufklärerischer Journalismus, der zur Konfliktlösung beitragen will, würde gemeinsame Interessen, Ansätze von Verständigungsbereitschaft suchen und sie bekannt machen und auf Verhandlungen dringen. Dadurch würde er sich von der vorherrschenden Kriegspropaganda unterscheiden. Aber wo finden wir ihn?
Die Journalisten der Bild- und aller anderen Springer-Zeitungen sind seit Herbst 2001 arbeitsvertraglich auf "Unterstützung des transatlantischen Bündnisses und die Solidarität in der freiheitlichen Wertegemeinschaft mit den Vereinigten Staaten" verpflichtet - wobei der Anspruch auf journalistische Objektivität preisgegeben wurde. Die meisten anderen Zeitungen verhalten sich ähnlich. Wenn aber einer den Medien vorhält, was sie machtmißbräuchlich tun, wenn er selbst in den Irak fährt, um mit eigenen Augen zu sehen, und wenn er vielleicht auch seine Bekanntheit einsetzt, um gegen den Massenmord zu protestieren, dann fallen auch vermeintlich seriöse Medien über ihn her wie am 4. Januar 2003 die Süddeutsche Zeitung über Konstantin Wecker, der gesagt hatte, in den Medien werde "gezündelt" und "nie spricht einer über die Menschen!" Die SZ antwortete, Künstler könnten nichts für ihre Naivität. Und: "Was wäre, wenn der einfach nur ein guter, fast vergessener Liedermacher wäre - und kein Promi-Gutmensch, der offenbar keine Koffer packen kann, wenn ihm dabei keine Kamera zusieht. Und was will er in Mossul? Da liegt nicht mal Schnee."
Diejenigen verächtlich zu machen, die sich für den Frieden engagieren, gehört seit eh und je zur Kriegspropaganda. Aber nichts ist verächtlicher als eben dies.